Walter Mehring
«Ich hab” die Welt zu malen, nicht zu ändern»
«Jeder ist Dadaist, ob er will oder nicht. Wenn Sie sich eine Wurst kaufen, werden Sie selbst zum Dadaisten. ››
Walter Mehring. Vor 15 Jahren stirbt der Mann, der so gerne Maler geworden wäre, als Journalist, Poet, Chansonnier, Dramatiker und Spotter im städtischen Altersheim Erlenhof in Zürich, zwischen Neubauten und Bahngleisen.
Heute ist Mehring kaum mehr eine Zeile wert. Warum? Weil er nie «politisch korrekt» war? Weil er so gern ein «entarteter Maler» geworden wäre, es «aber nur zum Schriftsteller gelangt hat››? Weil er bekennender Sozialist bis zu seiner letzten Zigarette geblieben ist?
Walter Mehring – der 1896 in Berlin Geborene und seit seinem Tod 1981 sträflich leichtsinnig Vergessene – stand stets «Am Rande der Zeit››.
Bereits als Schüler spiesst er nicht nur mit Worten die Objekte seiner Kritik auf: «In meine Extemporale-Hefte kritzelte ich Karikaturen hinein. Und mein Ordinarius schnauzte mich an: ‚Mehringl Haben Sie das gemacht? Leugnen Sie
nicht! Zwei Stunden Karzer!’››
Doch Mehring, der blendende Feuilletonist, schreibt, malt, dichtet weiter gegen seine «Lieblinge››; gegen Schieber, Spekulanten, Offiziere, Ausbeuter, zynische Gleichgültigkeit.
Bereits 1917 entdeckt Mehring die revolutionären Segnungen des Jazz, versucht, Texte dem Rhythmus des in der Nazizeit geächteten Jazz sprachlich nachzubilden.
Und der kleine Mann arbeitet! Zwischen 1922 und 1928 ist er in Paris, schreibt für die «Weltbühne» und am «Tagebuch››, illustriert Gedichtbände wie sein Dada-Opus «Wedding-Monmerte» (1922) und «Europäische Nächte» (1924).
Auf einem Kohlefrachter fährt er von Hamburg nach Newcastle, was er zu den Reise-Erlebnissen «Westnordwestviertelwest» verarbeitet. Seine Postkarten sind dadaistisch-illustrierte Mini-Porträts. Und in einem Brief im Spätsommer 1930 an Kurt Tucholsky schreibt er schnoddrig-ahnungsvoll: «Sie missn schon ’ntschuldjn – wir hatten da in letzter Zeit viel Zores mit’m dritten Reich!»
Und die «Lumpen des österreichischen Tapezierers›› lassen sich nicht lumpen: Sie verfolgen den «Entarteten››: Am 27. Februar, dem Abend des Reichstagsbrandes, flieht Mehring nach Paris, um der Verhaftung durch die Nazis zu entgehen. Und 1935 wird er kurzerhand als einer der ersten deutschen Schriftsteller «ausgebürgert››. Das Ausgestossensein überwindet der Abenteurer wider Willen nie.
Mehrings Heimat ist das Berlin der Vor-Nazi-Zeit, der «Wilden zwanziger Jahre››, der Weimarer Republik.
Dort ist der Kettenraucher der schreibende Bänkelsänger im Kabarett «Schall und Rauch››, der einzigartig-bissige Dichter von Trude Hesterbergs «Wilder Bühne»
Stets ist der zarte, kleine Mann auf der Flucht. Stets muss Mehring den Nazi-Häschern entkommen: Erst nach Paris, dann nach New York.
Dort schuftet der filigrane Feingeist für den kargen Lebensunterhalt in einem Depot – und malt, karikiert und schreibt. Zum Beispiel «Und euch zum Trotz››, «Nacht der Tyrannen» und seine wunderbare «Verlorene Bibliothek››.
Zurück im befreiten Europa hält sich Mehring notdürftig über Wasser. Er sucht im Tessin Halt – lebt in Hotels, die bald zu Absteigen werden.
Sein ganzes Hab und Gut hat er untergebracht in zwei, drei abgegriffenen Koffern.
Und doch ist Mehring heute, in den Zeiten von «Shareholder Value››, ungebremstem Spekulantentum und Kapitalismus à la carte aktueller
denn je. Lesen Sie nur sein «Börsenlied››:
«Es braust ein Ruf wie Donnerhall:
Spekulieren! Spekulieren!
Es fuchteln Hände überall.
Den Kurs zu dirigieren!
Und droht ein Streik – und ihr liegt schief?
Per Saldo hilft kein Toben!
Wohin ihr blickt! In Ewigkeit:
Börseaner – Börseaner!
Es kämpft um jedes Zins-Fussbreit
Aufs Blut der Geld-Indianer»
Noch Fragen? Mehring wiederentdecken!
«Dada ist Dada.
Alles andere ist Dada.
Was nicht Dada ist, ist ebenso Dada.
Und iiberhaupt: Du, ich, wir sind Dada.
Dada ist Dada.
Dada. ››
(Glogger, Helmut-Maria: Walter Mehring; in: Glogger, Helmut-Maria: Abenteuer der Literatur – Eine Blick-Serie; Zürich: Ringier 1996 (?); S. 42ff.)