,,Der Kaufmann von Berlin.” Ein historisches Schauspiel aus der Inflationszeit von Walter Mehring. (Uraufführung im Berliner Theater am 6. September 1929.)
Walter Mehrings Schauspiel ist nichts, will aber auch nichts sein als Textbuch fiir eine Piscator-Inszenierung. Demzufolge ist die Anlage der Handlung nicht zentral, sondern peripherisch, die Schilderung nicht objektiv sondern politisch eingestellt.
Das Schicksal eines dieser Ostjuden, die mit einem Vorrat von Dollarnoten in dem Berlin der Inflation eintreffen, es schnell zu schwindelnden Reichtümern bringen, um vor dem Staatsanwalt zu enden — man denkt (und das eben babsichtigt Mehring!) an den einen und anderen berüchtigt gewordenen Kriminalfall. Nur hatten diese Fälle überlegene Klugheit, zum mindesten strategische Geschäftstüchigkeit verbunden mit bem unumgänglichen Maß an Skrupellosigkeit zur Voraussetzung. Mehring führt seinen Kaufmann von Berlin Waffernlieferungsschiebungen zu, er stellt ihm den deutschvökischen Schieber zur Seite, läßt ihn zu dessen willenlosen Werkzeug werden: das verlangte die politisch Tendenz. Man sieht unmittelbar, wie die Tendenz die Linien der Reportage, aber auch die der Charakteristik verschob und verschieben mußte. Mehrings
„Kaufmann von Berlin“ ist auf die Charakteristik hin angesehen sentimentaler Nulpe.
Nur peripherisch, in Zeit- und Lokalschilderungen weckt diese Reportage Interesse. Sie wird darüber hinaus in Einzelzügcn — zumal in Charakteristik und Schicksal des putschierenden Generals — zu geradezu verblüffender, geschikt legierter und polierter Dichtungs-Imitation, es ist ein alters Stück: ein Literat kann einen Dichter lehren.
Diese Rezension der Piscator-Inszenierung des „Kaufmanns von Berlin“ ist erschienen in: Die Literatur, 32. Jg. 1928/29, Heft 1, S. 44.