- Es ist die Nacht vor dem Reichstagsbrand. Walter Mehring will einen Vortrag halten. Der Veranstaltungsort ist von SA umstellt. Doch Mehring gelingt die Flucht – nach Paris. Fünf Jahre später. März 1938. Die Nacht vor dem Anschluss Österreichs an das Dritte Reich. Wieder entwischt Walter Mehring den Nazis im allerletzten Moment. Zuvor wurde schon sein Hotelzimmer mit der Bibliothek des Vaters durchsucht. Frankreich 1940. Walter Mehring wird in Marseille verhaftet und in ein französisches Internierungslager gesteckt. Auch von dort gelingt ihm die Flucht – diesmal bis in die USA.
Die Nazis hassten den 1896 geborenen Berliner Schriftsteller, Dramatiker und Journalisten, der auch für alle wichtigen Kabarettisten seiner Zeit die Texte verfasste. Seit 1919 schrieb er mit ungewohnter Klarheit, Schärfe und Prägnanz gegen Nationalismus und Antisemitismus an. Sein Freund Kurt Tucholsky war von seinen Versen hingerissen. Erwin Piscator inszenierte seine Stücke. Mehring war in den damals neuen Medien Radio und Film präsent. Für ihn war kompromissloses, engagiertes Schreiben und individuelles Denken existenziell.
Jahre später sagte er: „Denn mein Beruf ist der, soweit ich ihn ausfüllen konnte, eines Schriftstellers. Es kann jemand der Arzt ist, sich nicht weigern in eine Pest hineinzugehen. Es gibt für ihn keine Ausreden in dem Moment, in dem er beschlossen hat, ein Arzt zu sein. Für den Schriftsteller gilt genau dasselbe.“
Die Geliebte ist in diesem Fall der Leser, der mit „der verlorenen Bibliothek“ nicht nur Mehrings schillerndes Leben kennenlernt: Sondern auch den Geist der Zeit. Einer Zeit, die Mehring aus der Erinnerung der Bücher seines Vaters wieder aufleben lässt – Und damit dazu beiträgt, dass die Kultur einer Epoche doch nicht vernichtet wurde.
Walter Mehring 1955: „Es wäre so als ob man seiner Geliebten etwas von seiner Vergangenheit erzählen wollte, aber sich auch lebendig machen wollte. Und das habe ich versucht.“
Die Geliebte ist in diesem Fall der Leser, der mit „der verlorenen Bibliothek“ nicht nur Mehrings schillerndes Leben kennenlernt: Sondern auch den Geist der Zeit. Einer Zeit, die Mehring aus der Erinnerung der Bücher seines Vaters wieder aufleben lässt – Und damit dazu beiträgt, dass die Kultur einer Epoche doch nicht vernichtet wurde.
Walter Mehring 1955: „Ich habe dazu nur mein Gedächtnis benutzt. Und auf der Public Library, auf der öffentlichen Bibliothek von New York, die ja sehr groß ist, die Zitate noch einmal nachgeschlagen, damit sie auch im Wortlaut stimmen.“
(Andreas Oppermann am 12. Mai 2013 auf Inforadio)
Die Rezension im Inforadio befindet sich im Audio bei Minute 10.00.
Georg-Michael Schulz: Walter Mehring; Werhan Verlag: 19,80 Euro
Walter Mehring: Die verlorene Bibliothek – Autobiografie einer Kultur; Elsterverlag: 34,00 Euro
6 Antworten auf „Walter Mehring in neuer Biografie und seiner Autobiografie“
Hallo Andreas,
sehr schön. Woher hast du Mehrings Vergleich des Schriftstellers mit einem Arzt und den Versuch, seiner „Geliebten etwas von seiner Vergangenheit [zu] erzählen“? Es ist nur Neugier, die mich bewegt. Denn beide Zitate sind mir unbekannt. Auch das Zitat: „Walter Mehring 1955: “Ich habe dazu nur mein Gedächtnis benutzt. […]“, ist mir neu.
Grüße,
Michael
Ist von hier: http://www.radiobremen.de/kultur/portraets/walter-mehring-portaet100.html
das Gespräch mit Hans Henjes aus dem Jahr 1955. Nebenbei, weiß jemand eine Möglichkeit das Interview von 1980 abzuspielen?
Gruß, Oliver
Hallo Michael und Oliver,
das stimmt. Es handelt sich um das Interview von Hans Henjes von 1955. Ich versuche in den kommenden Wochen in der Bibliografie die Radiobeiträge, -interviews und -sendungen zu sammeln. Es gibt erstaunlich viele, die teilweise auch richtig gut und spannend sind. Zum Beispiel gibt es eine zehnteilige Hörbuchfassung von Müller – Chronik einer deutschen Sippe.
Was das Abspielen des anderen Interviews angeht, so scheint da ein technischer Fehler vorzuliegen, Hinter dem Link liegt kein Audio. Die Anzeige bleibt immer auf 00:00.
Viele Grüße,
Andreas
Hallo Andreas, ich bin die Enkelin von Hans Henjes und freue mich, hier auf seinen Namen zu stoßen. War damals sehr ergriffen, als ich die Tonspur zum Walter Mehring im Internet entdeckte, auf der mein Opa sprach, der natürlich längst verstorben ist.
Hallo Andreas,
ich bin die Enkelin von Hans Henjes und freue mich, hier seinen Namen in Zusammenhang mit der Tonspur zu Walter Mehring zu entdecken. Es hat mich damals sehr ergriffen, als ich die Tonspur von meinem verstorbenen Opa entdeckte, und dann noch zu einem ebenfalls sehr geschichtsträchtigen Dokument.
Liebe Karin,
vielen Dank! Natürlich muss ich fragen, ob Dir weitere Begegnungen Deines Großvaters mit Walter Mehring bekannt sind?
Viele Grüße, Andreas