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1956 2022 Biografisches

Elisabeth Trautwein-Heymann denkt an Mehring als Mathelehrer

So klein der Band ist, so amüsant ist er. Elisabeth Trautwein-Heymann blickt auf ihre Kindheit zurück. Die Tochter Werner Richard Heymanns lernte durch ihren Vater sehr viele berühmte Menschen kennen. Das prägte sich in der Kindheit ein. Im gerade bei Hentrich & Hentrich erschienen Erinnerungs-Buch nimmt sie den Blick des Mädchens in den 1950er-Jahren wieder ein. Geboren 1952 in Salzburg und aufgewachsen vor allem in München, konnte sie im Haus ihres Vaters, des großen Komponisten, Einblick in unterschiedliche Welten gewinnen. Zum einen in die Kreise der Exilanten, die wie ihr Vater aus den USA oder anderen Ländern in die Bundesrepublik kamen. Und in die Welt der Gebliebenen, die als Schauspieler oder Musiker die zwölf Jahre Nationalsozialismus aktiv oder passiv erlebten. Und zu guter Letzt auch noch all jene internationalen Stars, für die Heymann Melodien und Filmmusiken schrieb. 

An Walter Mehring erinnert sich Trautwein-Heymann in einer ganz besonderen Funktion: als Nachhilfelehrer! 

„Immer, wenn wir für ein paar Wochen in unsere schöne Casa Ariane nach Locarno fuhren, genauer nach Minusio di Locarno, nahmen mich meine Eltern aus der Schule und unterrichteten mich selbst. Dazu bekamen sie vorgefertigte Aufgabenstellungen von der Schule mit, sowie den Lehrplan der ersten und zweiten Klasse der Volksschule der Rudolf-Steiner-Schule in München.

Im Tessin lebten damals Ende der 1950er Jahre viele Emigranten und Künstler, mit denen mein Vater sich traf, sich austauschte, Pläne schmiedete, gemeinsam Projekte erarbeitete etc. Meist begleitete ihn dann meine Mutter als Ratgeberin, Sekretärin, wenn es um Notizen ging, oder es gab parallel ein Damenprogramm. Nun sollte aber trotzdem mein Unterricht nicht ausfallen. Da bot sich Walter Mehring  freiwillig als Rechenlehrer an. Wenn meine Eltern nach Ascona fuhren,
besuchte ich Walter Mehring im Hotel Schiff. Ich hatte schon einige Onkel Walters, also sagte ich: „du, Walter Mehring“ zu ihm.

Er fand den Unterricht zu einseitig. Wenn er mir Rechenaufgaben gab und ich mit deren Lösung beschäftigt war, saß er – wie er meinte – tatenlos herum. Andrerseits hatte ich nichts zu tun, wenn er meine Rechnungen korrigierte. Ob ich ihm nicht auch was beibringen könne? Ich kann gut zeichnen, meinte ich. Der Deal war perfekt: Während er sich Rechenaufgaben ausdachte, dachte ich mir Zeichenaufgaben
aus. Dann tauschten wir diese und Waren beide mit der Lösung sehr beschäftigt. Der Spaß ging dann bei der Korrektur der Rechnungen bzw. Zeichnungen richtig los. Die Rechnungen waren eindeutig: richtig oder falsch. Für mich waren es seine Zeichnungen auch. Meine Beurteilungen führten zu langen Diskussionen, warum er etwas falsch gemacht habe, und waren für uns beide sehr erheiternd. Nie wieder hat mir Rechnen so einen Spaß bereitet, denn nie wieder war ein Lehrer bereit, Zeichenaufgaben von mir entgegenzunehmen.

Walter Mehring war sicher ein guter Lehrer. Dass ich bis heute nicht gut rechnen kann, muss an seinen Nachfolgern gelegen haben.

(Elisabeth Trautwein-Heymann: „Vom Paradies ein goldener Schein“ – Durch Kinderaugen: Musik und Menschen im Hause Werner Richard Heymann; Leipzig: Hentrich & Hentrich 2022; S. 21 f.)

 

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