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1932

Eine Widmung von Kurt Tucholsky für Walter Mehring

Bei der Stuttgarter Antiquariatsmesse 2013 wurde ein Buch mit einer sehr amüsanten Widmung von Kurt Tucholsky angeboten. In den Band der zweiten Auflage seines Buches „Lerne Lachen ohne zu weinen“ aus dem Jahr 1932 hat er in der rechten unteren Ecke des Innendeckels geschrieben: „Was ist der Unterschied zwischen | Mussolini, Stalin u. Hitler? | Ja, wer das wüßte – !“ – Gegenüber, auf dem Vorsatzblatt steht von seiner Hand: „Dem Erfinder vieler Dichter, | die ohne ihn nicht wären – | W. M. | Tucholsky. | 1932.“ Offenbar hat Kurt Tucholsky das Buch seinem Freund und Kollegen Walter Mehring geschenkt. Die Widmung bringt sehr schön zum Ausdruck, dass beide im Kommunismus keinen vernünftigen Weg sahen, um Demokratie zu bewahren.

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1962 Biografisches Zeitschriften

Die Deutsche Zeitung kommentiert Mehrings Absage an die DDR

 

Mehrings Absage an Ulbricht
Ein Schriftsteller bleibt konsequent

„Ich verzichte auf jede ostorientierte Lizenzausgabe meiner Arbeiten“, -. schrieb Walter Mehring aus Ascona an seinen westdeutschen Verleger, der ihm mitgeteilt hatte, der Ost-Berliner Aufbau-Verlag habe um die Lizenz für den Roman „Müller, Chronik einer deutschen Sippe von Tacitus bis Hitler“ nachgesucht. Das Angebot der Aufbau-Leute war verlockend genug: Fünftausend Westmark wollte der Pankower Staatsverlag zahlen, und darüber hinaus garantierte er eine Auflage von zehntausend Exemplaren.

Viel für einen Schrlftsteller, der zwar oft genannt, aber seltener gelesen wird. Viel für einen Mann, dessen Chansons für Kabaretts geschrieben wurden, die nicht mehr existieren; dessen Essays in Zeitschriften zu lesen waren, deren Namen längst literarhistorische Legende sind. Die Reaktion Mehrings auf den Vorschlag aus Ost-Berlin war denn auch
mehr als eine bloße Geste, sie bedeutet für ihn ein großes materielles Opfer.

Der Name des Sechsundsechzigjährigen ist für das breite Publikum heute „Schall und Rauch“. Für das Berlin der goldenen Zwanziger war er es auch. In Max Reinhardts berühmtem Kabarett nämllich sangen die großen Chansonetten seine Songs, die Jazz und Chanson, Rhythmus und Monlmarte, Elemente der Ballade und des Bänkelgesangs in sich tragen, dies alles auflösen und etwas ganz Neues, den Stil Walter Mehrings daraus entstehen lassen. Den „Bänkelsänger von Berlin“, ja den „Berlinischsten der Berliner
Bänkelsänger“ hat man ihn genannt. Und liest man „Heimat Berlin“ („… Mach Kasse! Mensch! die Großstadt schreit! Keine Zeit! Keine Zeit! Keine Zeit! …“) oder „Sechstagerennen“, spürt man: „… da lag Berlin ..“ Berlin, das den jungen Kunststudenten ebenso wie Klabund, Tucholsky, Brecht, Kästner und viele andere faszinirte noch ehe er
in den „Großen Krieg weißen Männer“ (Arnold Zweig) zog: Berlin, das 1916 in Herwarth Waldens expressionistischer Zeitschrift „Der Sturm“ seine ersten Gedichte las und ihn hernach als Rezitator im Wedding erlebte. Es war nur der Anfang: Bald sollten ihn Maximilian Harden für seine „Zukunft“ und Carl von Ossietzky für „Die Weltbühne“ entdecken und sollte Erwin Piscator 1929 seine Satire „Der Kaufmann von Berlin“ insze-
nieren. Großstadtdichter, „Asphaltliterat“, – junger Ruhm und jähes Ende. In der „Weltbühne“ erschien 1932 „Ein getretner, grober Schani … Mittelstandsheiland! … Knöcheltief durchs Blutmeer der Verräter zum Rasse-Eiland!“ Am 30. Januar 1933 war er in der Reichskanzlei. Vorbei? Noch nicht ganz. Am Tage vor dem Reichstagsbrand erregte die „Sage vom großen Krebs“ Aufsehen – letzte Warnung vor dem Unheil.

Aber dann: Exil, Ausbürgerung, Verbot, der Bücher, Scheiterhaufen – Stationen des Zorns und des Heimwehs. „Mir habt ihr aus de Innung ausjeschlossen? Sach ma, Berlin, schämste Dir nich?“

In Osterreich entging Mehring beim deutschen Einmarsch knapp der Verhaftung, 1939 flüchtete er von Paris aus zu Fuß, durch Frankreich, aber die Internierung blieb ihm nicht erspart. In Marseille gelang ihm die Flucht nach Martinique und von dort nach den Vereinigten Staaten.

Die Kommunisten versuchten, Mehrings Kampf gegen den Nationalsozialismus für ihre Ziele auszuschlachten. Im Pariser und im New Yorker Exil wurden die deutschen Kommunisten in ihren Versuchen nicht müde, den Dichter durch Denunztation und Diffamierung, die mit Publikationsangeboten abwechselten, gefügig zu machen. Doch bereits 1932 hatte er Rotfront gefragt „Wer henkt wen?“ und sie antworten lassen: „Für uns denkt das Zentralkomitee!“ Nun nannte er die Kommunisten schlicht „Stalinagenten“
und blieb fest. Das hat die sowjetdeutschen Kulturfunktionäre nach 1945 nicht davon abgehalten, immer wieder laut zu verkünden, Walter Mehring sei einer der ihren. Damit hofften sie – ebenso wie mit der von ihnen organisierten Verehrung für Kurt Tucholsky -,
Zugang zu jener intellektuellen Elite Mitteldeutschlands zu finden, die, sich zwar sozialistischem Ideengut verpflichtet fühlt, aber sich von Pankow nicht so leicht korrumpieren läßt.

Als Mehring in den fünfziger Jahren nach Europa zurückkehrte, gab es das Berlin seiner frühen Erfolge nicht mehr, und in der Erinnerung seiner Zeitgenossen gewann die tote Zeit von Weimar den Glanz goldener, aber vergangener Jahre.

Das erklärt die geringe Resonanz, die Mehrings seit 1945 erschienenen sieben Bücher in der Bundesrepublik gefunden haben. In der politisch bedrückten, literarisch sterilen und deshalb rückwärtsgewandten Atmosphäre Mitteldeutschlands aber wurden die wenigen Exemplare seiner Bücher, die Verbot, Scheiterhaufen, Bombenangriffe und dann Postzensur oder Berlin-Kontrollen überstanden haben, zu einer Offenbarung der
Freiheit. Wogegen sich der tote Tucholsky nicht mehr wehren konnte, von Pankow für die Zwecke des Regimes ausgenutzt zu werden, dagegen verwahrte sich – stellvertretend auch für Tucholsky – der lebende Walter Mehring. Er erteilte dem Ost-Berliner Aufbau-Verlag eine Absage, weil er in ihm nur die „Propaqandainstitution eines sowjetrussischen Kolonialregimes“ sieht, „das sozialdemokratische Arbeiter verfolgt, Kleinbauern aushungert, Flüchtende abschießen läßt“. Damit beantwortete er gleichzeitig die
in der Zone so oft gestellte Frage, auf wessen Seite Kurt Tudiolsky heute leben würde.

Ulrich Planitz

Deutsche Zeitung, Nr. 186 vom 13. August 1962