Eines Abends, nach der Vorstellung, rief mich Walter Mehring in den leeren Zuschauerraum. Er stellte mit einen jungen Mann vor. Es war ein stiller, blasser Mensch, mit tiefliegenden dunklen Augen, vonspringendem spitzern Nasengiebel und einem sanften Mund. Dünn und schmal waren auch die
Hände, die aus der zu kurzen Jacke hervorschauten. Alles an ihm sah ärmlich und mager aus, und wenn ihn nicht Mehring persönlich angebracht hätte, ich hätte ihn Wohl kaum beachtet. »Herr Brecht spielt und singt zur Laute und möchte gern bei dir auftreten«, äußerte Mehring schlicht. »Ja?« fragte ich. Der junge Mann blieb weiter still, nur seine runden schwarzen Augen musterten mich abschätzend. »Wie wär’s also, wenn Sie mal an einem Donnerstag . . .«
››Nein«, unterbrach mich Mehring, »das geht nicht, wir werden zu dir in die Wohnung kommen.« – ››Na schön«, antwortete ich, »dann kommt mal an einem Sonntagvormittag, da habe ich mehr Zeit!«
Schlagwort: Was ich noch sagen wollte…
In ihrer kleinen Autobiografie „Was ich sagen wollte“, die 1971 im Henschelverlag in Ost-Berlin erschienen ist, erinnert sich Trude Hesterberg an die Gründung ihrer „Wilden Bühne“ 1921. Hier, im Souterrain des „Theaters des Westens“ etablierte sie ein Kabarett, für das Walter Mehring, Kurt Tucholsky, Klabund und andere Kabarettautoren schrieben.
„In der Zwischenzeit war ich nicht faul gewesen. Wo traf man sie alle, den »Tucho«, den Klabund und den Mehring? Natürlich in dem Künstlerlokal bei Schwannecke! So hockte ich also nächtelang dort herum, Pläne wurden gefaßt und wieder verworfen, Ideen wurden von allen Seiten beleuchtet und verschwanden wieder in der Versenkung, aber allmählich wurden die Umrisse präziser. Kurt Tucholsky sagte zu, den Prolog zur Eröffnung zu schreiben, und zwar als Parodie auf den Musikschlager »Ach, du mein schönes Sorrent«. Der überaus begabte Hans Janowitz wollte eine Ballade schreiben vom »Abgeschnittenen Zopf«, und Mehring war schon mit einem neuen Chanson »An den Kanälen« beschäftigt, das er für mich schreiben wollte. Noch einer gesellte sich zu dieser Runde, der aus Böhmen stammende Redakteur Leo Heller. Früher an Wolzogens Überbrettl, hatte er erkannt, daß hier eine neue Chance lockte. Er unterstützte meine Idee, mit Berliner Lokalkolorit zu eröffnen. Erstens, weil es ihm lag und zweitens weil er dieses »Milieu« durch seine Zeitungsabeit kannte Wie selten ein Nicht-Berliner. Etwaige Zweifel an dem Erfolg eines erstens Programms kamen uns gar nicht. Obwohl ich nun die grundlegenden und wichtigen Dinge, die Form und die Aussage, mit meinen Freunden durchgesprochen hatte und sie mir mit Handschlag zur Mitarbeit verpflichtet hatte – Geld hatten wir immer noch keins!
Als wir es endlich in der Hand hatten – ein bescheidenes Kapital von fünftausend Mark -, gingen wir energisch an die Vorarbeiten. Eine Bühne mußte gefunden werden. Nach langem Suchen fanden wir im Keller des »Theaters des Westens« in der Kantstraße den geeigneten Raum. Der war verpachtet an einen Restaurationsbetrieb und war eine ziemliche »Pleitebude«. Vor Jahren mußte es wohl mal eine Art Bar gewesen sein. Jedenfalls stand so etwas wie eine Theke im Wagnerstil herum. Früher war das »Theater des Westens« Oper gewesen, und ein Professor Sehering hatte als Hintergrund in Goldmosaik in Wagnermotiv an die Wand gepappt: Hagen mit Wurfspeer, Kriemhild mit Etzel und Siegfried mit einer Art Eierkörbchen. dem Nibelungenhort. Kitsch in Reinkultur. Aber unser Vertragspartner, das Ehepaar Jannuschewsky-Reiss, wollte das partout beibehalten, und wir mußten also »Goldlametta« und »Wagnermotiv« mit in Kauf nehmen. Wir waren den beiden übrigens hochwillkommen in der Hoffnung auf bessere Einnahmen. Walter Koppel, unser »Finanzier«, setzte den Vertrag auf und handelte zusätzlich für jedes Mitglied ein freies warmes Abendbrot aus. Wie sich später herausstellte, war das eine ganz großartige Sache. Die Inflation hatte uns bereits schwer in der Zange, der Wert des Geldes sank bald ins Uferlose, der Wert eines warmen Abendbrotes blieb dagegen krisenfest.
Nun hatte ich also gegründet. Das sagt sich so leicht, ist es aber nicht. Die eigentliche Arbeit begann erst. Den geschäftlichen Leiter Koppel hatte ich fest »am Bändel«, die künstlerische Leitung teilte ich mit Hans Janowitz, und Pressechef wurde Eugen Szatmary, der journalistisch noch wie Leo Heller für das »Acht-Uhr-Blatt« tätig war. Alle anderen waren
zunächst bei mir freie Mitarbeiter. Von allen diesen meinen Mitarbeitern sind Tucholsky, Mehring und Klabund der heutigen Generation als die Klassiker des deutschen Chansons bekannt. Viel weniger weiß man von Hans Janowitz, der mehrere gute Bücher und Chansons geschrieben hatte. Ein früher Tod setzte seinem weiteren Wirken ein Ende.“
(Trude Hesterberg: Was ich noch sagen wollte…; Ost-Berlin: Henschelverlag 1971, S. 78 – 80)