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1921 1922 1971 Biografisches Kabarett

Walter Mehring führt Bert Brecht bei Trude Hesterberg ein

Trude Hesterberg: Was ich noch sagen wollteEines Abends, nach der Vorstellung, rief mich Walter Mehring in den leeren Zuschauerraum. Er stellte mit einen jungen Mann vor. Es war ein stiller, blasser Mensch, mit tiefliegenden dunklen Augen, vonspringendem spitzern Nasengiebel und einem sanften Mund. Dünn und schmal waren auch die
Hände, die aus der zu kurzen Jacke hervorschauten. Alles an ihm sah ärmlich und mager aus, und wenn ihn nicht Mehring persönlich angebracht hätte, ich hätte ihn Wohl kaum beachtet. »Herr Brecht spielt und singt zur Laute und möchte gern bei dir auftreten«, äußerte Mehring schlicht.  »Ja?« fragte ich. Der junge Mann blieb weiter still, nur seine runden schwarzen Augen musterten mich abschätzend. »Wie wär’s also, wenn Sie mal an einem Donnerstag . . .«
››Nein«, unterbrach mich Mehring, »das geht nicht, wir werden zu dir in die Wohnung kommen.« – ››Na schön«, antwortete ich, »dann kommt mal an einem Sonntagvormittag, da habe ich mehr Zeit!«

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1921 Kabarett Lyrik Rezensionen

Joseph Roth besucht die Wilde Bühne

Am 6. November 1921 ist ein Text von Joseph Roth mit dem einfachen Titel „Wilde Bühne“ im Berliner Börsen-Courier erschienen. In ihm beschreibt er einen Abend in dem Kabraett von Trude Hesterberg, das erst zwei Monate zuvor, am 5. September 1921, im Keller des Theaters des Westens eröffnet worden war. Trude Hesterberg selbst sang das „Börsenlied“ Walter Mehrings. 

WILDE BÜHNE

Joseph Roth (1926)
Joseph Roth (1926) – Quelle: wikipeddia.de

Das literarische Kabarett Berlins fängt hier an, sich eine eigene Physiognomie zu schaffen. Noch ist jede einzelne Nummer ein Versuh. Noch schwankt man zwischen Wedding und Montmartre und schlägt zwischendurch einen harmloseren Ton an, den das Publikum auch gerne hört. Aber aus all den gepfeffert-erotischen, sozial-revolutionären und anspruchslos-heiteren Elementen entwickelt sich deutlich ein eigener deutscher Kabarettstil, weniger akademisch als der Morntmartre und dennoch literarisch wertvoll. Er bleibt der Wedekind-Tradition treu, ohne in ihr zu erstarren. Das deutsche Kabarett muß sich nun endlich entschließen, den didaktischen Ton abzulegen. Das Kabarett ist pointierte öffentliche Kritik, wie ein literarisches Witzblatt, und keine Besserungsanstalt.

Dem Novemberprogramm der „Wilden Bühne“ verleiht Leo Heller mit einigen Liedern aus der Welt des Nordens einen chrakteristischen Zug. Die „Berliner Moritat“ zum Beispiel, die Annemarie Hase zu einem scheußlich mißtönigen Leierkasten mit ironischer Realistik singt, hat alle Kennzeichen eines guten „Weddingliedes“. Es ist nicht stilisiert, sondern wahr. Es ist ohne Tendenz. Es trifft, ohne zu zielen. Trude Hesterberg singt das „Börsenlied“ von Walter Mehring. In diesem Lied ist schon der Krampf des Autors zu sehn: Er will unbedingt „der Zeit ihren Spiegel vorhalten“. Er übertreibt also – nicht künstlerisch, was selbstverständlich geboten wäre – , sondern sachlich. Trude Hesterberg schmettert (in einem ulkigen Börsenkostüm) diesen
Kampfgesang gegen die Börse mit erfrischender Sieghaftigkeit hinaus. Sie sieht dann in zwei andern Liedern („Die Knöpfelschuh“ von Heller und „Bein ist Trumpf“ von Radetzki-Janowitz) entzückend aus. Das ist gute, durch Literatur gemilderte und vertiefte Operettenkunst. Eine neue Nuance bringt Berthold Reißig mit „Liedern zur Laute“. Er hat noch etwas Provinz abzulegen. Maximiliane Ackers und Lotte Velden sangen und spielten (ein Ständchen aus dem 16.]ahrhundert, den Deutschen Tanz von Mozart). Maximiliane Ackers ist ein schelmisches Mädchen mit einer nicht immer ausreichenden Stimme, aber sehr viel Musikalität im Leibe. Ein „Racker“, der, ohne zu wissen, wie er ins Kabarett kam, nichts von Montmartre- und Weddingatmosphäre annimmt, sich selbst treu bleibt, mit frommer Fröhlichkeit zwitschert, wie’s kommt. Oh, Abwechslung und Labsal!

Kurt Gerron erzielt mit seiner pointiert-intellektuellen Art, großstädtische Chansons vorzutragen, und mit seiner reichen, rein mimischen Begabung große Wirkung. Alfred Beierle spricht  Wedekinds Ballade „Die Keuschheit“ mit großer Meisterschaft. Es gelingt ihm, den ganzen grausigen Weclekindhumor in einer einzigen Geste zu komprimieren, wenn er zum Beispiel eine Faust drohend emporstreckt, ehe er selbst hinter einer Stuhllehne zum Vorschein kommt. Sozusagen eine schauspielerische Pars pro toto. Ein fürchterliches Gelächter lebt in diesen Versen Wedekinds.

Wilhelm Bendow, der eine Dame von der Münchener Oktoberwiese darstellt, entfesselt mit treffenden satirischen Pointen Stürme der Heiterkeit. Er hat sich in seiner sachlich-ironischen Art zu einem Humoristen individueller Prägung entwickelt.

Marcel Glodki hat einige gute Bühnenbilder gezeichnet.