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1925 2023 Prosa

Marsyas Verlag bringt Algier oder die 13 Oasenwunder heraus

Algier oder die 13 Oasenwunder ist eine satirische Novelle über die Auswüchse des Massentourismus.

Algier oder die 13 Oasenwunder (Marsyas Verlag 2023)
Algier oder die 13 Oasenwunder (Marsyas Verlag 2023)

Algier oder die 13 Oasenwunder ist vielleicht eines der seltsamsten Reisebücher, die jemals geschrieben wurden. 1925 erscheint der schmale Band im Verlag „Die Schmiede“ in Berlin. Walter Mehring verarbeitet in ihm eine Reise in die damalige französische Kolonie Algerien. Als Walt Merin macht er sich auf den Weg von Norwegen in den Maghreb und entdeckt die Ungeheuerlichkeiten des Massentourismus. Genau das macht das Buch auch nach 100 Jahren noch lesenswert. Der junge österreichische Verlag Marsyas hat den Text jetzt neu herausgebracht.

Walt Merin, das Alter Ego Walter Mehrings aus DADA-Tagen, sitzt im Norden Norwegens in einer Runde von Touristen, als ihm ein Tourismusunternehmen eine Reise ins nördliche Afrika anbietet. Der Norden ist ihm im Schnee zu trostlos und so macht er sich auf den Weg an die südliche Küste des Mittelmeers. Mehring bewegt sich literarisch wie schon in seinen früheren Prosabänden in einem Raum aus Phantastik und Reportage – natürlich mit einem satirischen Blick.

Und so begleitet der Leser Walt Merin auf verschiedenen touristischen Stationen in Algier und den Oasen. Mit ihm sieht er wie feiste Europäer nach minderjährigen Araberinnen gieren und dafür sogar in Kauf nehmen, dass der algerische Fremdenführer seine eigene Tochter prostituiert. Er erlebt aber auch Amerikanerinnen, die sich nach einheimischen Männern sehnen. Als Abenteuer natürlich, nicht als dauerhafte Beziehung. Und der Leser lernt übergriffige Reisende kennen, die selbst Heiliges antatschen müssen – oder im Laden für Touristen kaufen können.

Beginn des Massentourismus

Es klicken die Kodaks, es werden die Zeis-Feldstecher gezückt und es wird im islamischen Kulturraum bis zur Besinnungslosigkeit gesoffen. All das ist so aktuell, dass es manchmal schon fast erschreckend ist – nach 100 Jahren! Aber die 1920er-Jahre waren eben auch die Jahre, in denen der Massentourismus von Thomas Cook zur Selbstverständlichkeit wurde, wenn man genug Geld hatte. Die Reiseführer erlaubten schon zuhause einen Blick auf spannende oder kuriose Orte. Mehring gelingt es großartig einzufangen, wie sich dem Blick und dem Wunsch des reichen Europäers oder Amerikaners alles Arabische unterzuordnen hat. Und Walt Merin dreht den Spies auch noch um, wenn er am Ende des Bandes ankündigt, folgendes Buch zu schreiben: „Leichtfassliche Einführung in die Sitten und Institutionen der Eingeborenen Europas zum Gebrauch für M’dares und arabische Mittelschulen“.

Zwei Absätze zuvor phantasiert es schon, was passieren könnte, wenn Araber genauso in Europa einfallen würden, wie die Massentouristen aus Europa in Algerien: „London: Am Towerbridge legte heute ein Überseedampfer mit dreitausend Arabern an, die unter Führung eines schlafwandelnden Individuums an Land stiegen. Benahmen sich unfair, überfielen unter anderem den Wagen des Premiers und belästigten durch Betasten darin befindliche Minister. Große Empörung!“

Fazit

Ein Buch also, das Spaß macht und wie so viele andere Texte Mehrings nicht nur auf der Höhe der Zeit war, sondern weit darüber hinaus Elemente der Moderne erkennt, satirisch überspitzt und so fast schon zeitlos ist. Das Einzige was fehlt an der Neuausgabe im Marsyas Verlag, ist eine wenigstens kurze Einordnung und Kommentierung. Dennoch ist es verdienstvoll, dass Algier und die 13 Oasenwunder wieder im Buchhandel erhältlich ist.

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