Der „Pressefrieden“
Der im Zusammenhang mit dem 11. Juli vereinbarte Pressefrieden zwischen dein Dritten Reiche und Osterreich hat in den letzten Wochen durch das Verhalten der reichsdeutschen Presse eine schwere Schädigung erlitten. Die reichsdeutsche offizielle Presse und der reichsdeutsche Rundfunk nahmen schließlich unrichtige Nachrichten, die sich in die Wiener Mittags- und Abendpresse eingeschlichen hatten, zum Anlaß, direkte Angriffe gegen die österreichische Bundesregierung zu richten. Die Politische Korrespondenz sah sich schließlich veranlaßt, gegen diese Pressetreiberei Stellung zu nehmen.
Das Kommuniqué hebt hervor, daß die österreichische Regierung, wie der sachliche und ruhige Ton der offiziellen Presse ja beweise, die Veröffentlichung unwahrer und tendenziöser Nachrichten mißbillige. Gleichzeitig aber wird darauf hingewiesen, daß das österreichische außerordentlich tolerante Presseregime eine direkte Einflußnahme auf Redaktionen nicht zulasse, wie ja das Bestehen gewisser, dem in Österreich bekanntlich verbotenen Nationalsozialismus nahestehender Presseerzeugnisse in·Osterreich zeige. Im Schlußsatz des besagten offiziellen Kommuniqués heißt es, daß Österreich nicht geneigt sei, die ,,betont unfreundliche Haltung der reichsdeutschen Presse, auch zugelassener Blätter, widerspruchslos zur Kenntnis zu nehmen, Einschüchterungsversuchen nachzugehen und einseitige Zugeständnisse zu machen«.
Im ,,Völkischen Beobachter“ vom 17. März erschien im Zusammenhang mit diesem neuerwachten Presseunfrieden ein Artikel, in dem auch die ganze katholische Presse Österreichs mit der ,,jüdischen und Asphaltpresse“ in einen Topf geworfen wurde, um dem österreichischen Katholizismus Volksfronttendenzen zu unterschieben und das deutsche Volk neuerdings gegen Osterreich aufzuhetzen.
Mag nun diese Pressehetze im Dritten Reiche nun daher kommen, daß man fürchtet, in österreichischen Blättern könnten Nachrichten auftauchen und von da aus in die Weltpresse übergehen, deren Verbreitung aus gewissen innenpolitischen Gründen nicht sehr angenehm ist; mag dies ein Einschüchterungversuch sein oder Panik, jedenfalls ist Grund genug vorhanden, daß wir auf diesen Angriff näher eingehen.
Der ,,Völkische Beobachter“ beschäftigt sich nämlich unter anderem auch mit der Redaktion des ,,Sturm über Osterreich“. Unseres Wissens besteht die Redaktion unseres Blattes nur aus einer Person, die auch im Impressum genannt ist. Alle Artikel, die erscheinen, gehen ausschließlich durch die Hand des Verantwortlichen, so daß die Anwürfe des „Völkischen Beobachters“, die sich mit der Zusammensetzung unserer Redaktion befassen, als gänzlich unwahr zu erkennen sind. Der ,,Völkische Beobachter“ aber schreibt:
,,Ganz ähnlich wie das katholische Wochenblatt »Sturm über Österreich«, in dem der jüdisch-deutsche Emigrant Walter Mehring im trauten Tete-a-tete mit der emigrierten roten Baronin Scholley sein Gift zu verspritzen pflegt, den Ärger über die scharfe Anprangerung der des Wiener Handels im Blatte der jugoslawischen Gruppe »Zbor« mit der Verleumdunng Deutschlands abzureagieren suchte, daß dieses mit Hilfe der rollenden Mark den serbischen Chauvinismus gegen Osterreich anfeuere.“
Wir wollen einmal etwas näher an den hier angegebenen Tatbestand in unserer Redaktion eingehen. Gewiß, Herr Walter Mehring ist dem Verantwortlichen voll bekannt. Desgleichen, daß er ein jüdisch-deutscher Emigrant ist. Geschrieben hat er im »Sturm über Österreich« aber nicht. Bekanntlich ist Walter Mehring ein Literat und Chansondichter. Seine Chansons werden jedoch nicht nur in Österreich geschätzt. Einzelne seiner Gedichte, wie zum Beispiel das Lied »In Hamburg an der Elbe«, werden in einem Lokal des Berliner Westens ständig gesungen. Vom »Völkischen Beobachter« wurde es vor ungefähr zwei Jahren als ein Beweis dafür zitiert, wie populär Hamburg in Berlin ist.
Ich selber habe dieses Lied bei SA- und BDM-Gruppenaufmärschen singen hören. Ein anderes Lied ist »Die kleine Stadt«. Der deutsche Rundfunk hat es vor einem Jahre gebracht. Da man sich aber später doch erinnerte, daß der jüdisch-deutsche Emigrant Walter Mehring eben das ist, wozu ihn das Dritte Reich gemacht hat, wurde ihm kein Honorar ausbezahlt. Der »Völkische Beobachter« kann überzeugt sein, daß Walter Mehring, wenn er im »Sturm über Österreich« geschrieben hätte, auch sein Honorar bekommen hätte und darin mag sich die Praxis des »Sturm über Österreich« seinen Mitarbeitern gegenüber von der des deutschen Rundfunks wesentlich unterscheiden. Ein drittes Lied »Die Maschinen« wurde vor zwei oder drei Jahren im Sportpalast gesungen. Auch da blieb das Honorar aus.
Die Leser des »Sturm über Österreich« wissen wie reichlich in diesem Blatte der literarische Teil behandelt ist. Seit seinem Bestand wurde unseres Wissens das einzige »Kloster von Sendomir« von Grillparzer in Fortsetzungen veröffentlicht. Ich glaube auch, der »Völkische Beobachter«wird sich darüber klar sein, daß diese Novelle von Grillparzer nicht von der »emigrierten roten Baronin Scholley« erworben, sondern einfach aus Grillparzers Werken abgedruckt wurde. Die »emigrierte rote« Baronin Scholley ist uns ebenfalls bekannt. Sie hat eine rein literarische Agentur und beliefert Blätter aller Schattierungen, aber nicht nur in Wien, sondern auch im Dritten Reiche. Sie ist in Linz geboren und nach Wien zuständig, war niemals Mitglied der Sozialdemokratischen Partei und wir wüßten nicht, welche Artikel oder welche Kurzgeschichte wir von ihr hätten erwerben können, da ja bekanntlich derartiges im »Sturm über Österreich« überhaupt nicht erscheint.
So sehen die Informationen des »Völkischen Beobachters« ans. Wahrscheinlich verhält es sich ebenso mit der Polemik gegen unseren Artikel »Die braune Hetze gegen Osterreichs Export in Jugoslawien«. Der »Völkische Beobachter« beschränkt sich einfach darauf, zu erklären, dass, was wir geschrieben haben, sei nicht wahr. Die Prüfung der Nachricht selbst behält man sich aber in der Redaktion des. »Völkischen Beobachters« offenbar vor und begnügt sich vorläufig mit einer Behauptung.
Jedenfalls hat die deutsche Diplomatische Korrespondenz auf das Kommuniqué der Politischen Korrespondenz den Rückzug angetreten. Sie beklagt sich darüber, dass eine Reihe von innerdeutschen Fragen ständig in polemischer Form und offenbar ,,ohne jede Sorge um die Rückwirkungen“ ausgegriffen werden. Scheinbar meint man im Dritten Reiche mit diesen ,,innerdeutschen Fragen“ die Frage des Katholizismus und da sind wir wohl der Meinung, daß der deutsche Katholizismus nicht nur eine innerdeutsche Frage ist, sondern schließlich und endlich jeden Katholiken interessiert, ob er nun ein Deutscher oder ein Nichtdeutscher ist. Daß aber der Kampf gegen die katholische Kirche zur Grundlage der gesamten deutschen Kulturpolitik geworden ist, ja, daß sich die deutsche Kulturpolitik eigentlich in diesem Kampfe gegen den Katholizismus völlig erschöpft, darüber zu schreiben scheint uns überflüssig.
Das Kommuniqué der Diplomatischen Korrespondenz erklärt weiter, »daß die Sprache der Wiener und der Prager Blätter kaum noch einen Unterschied aufweist«. Es versucht also die Giftmischerei weiterzutreiben und, da es mit der Beschuldigung von Volksfronttendenzen nicht ging, nun eine Verbindung Prag—Wien herzustellen und daraus den Schluß zu ziehen, daß gewisse Kräfte in Osterreich am Werke seien, unsere außenpolitische Linie, wie sie der 11. Juli darstellt, abzubiegen.
Wir sind immer auf dem Standpunkt gestanden, daß der 11. Juli eine rein außenpolitische Angelegenheit sei, ein Abkommen, das den europäischen Frieden und nicht, wie so manche nazistische Auslassungen es gern haben möchten, den Krieg Osterreichs an Seite Deutschlands zum Zwecke hat.
Selbstverständlich schließen wir uns den Vertragstexten an, die besagen, daß die Achse Berlin—Rom gegen niemand gerichtet ist und daß auf der anderen Seite der Beitritt zu den Römischen Protokollen jedermann offensteht. Dies scheint man in Berlin zu vergessen. In Österreich aber kann es nur eine Meinung geben, nämlich die, daß jede Verbreiterung des bestehenden politischen Systems in Mitteleuropa, die dem Frieden dient, zu begrüßen ist. Damit ändert auch reichsdeutsche Zeitungspolemik nichts und nichts der Wunsch der Deutschen Diplomatischen Korrespondenz, die Leserschaft eines großen Teiles der österreichischen Presse für den beginnenden Kulturkampf im Dritten Reiche günstig zu stimmen.
Ing. Franz Bosch
(Bosch, Franz: Der Pressefrieden; in: Sturm über Österreich Folge 12/5. Jg. vom 28. März 1937, S. 2.)
Die Zeitschrift „Sturm über Österreich war eine Wochenzeitung, die in Wien von Franz Bosch herausgegeben wurde. Sie war das Organ der „Ostmärkischen Sturmscharen„. Deren Ziel war es, die jungen Männer Österreichs im Katholizismus und in einem österreichischen Patriotismus zu erziehen. Ursprünglich waren sie auch bewaffnet, legten diese aber aus freien Stücken nieder, um als reiner Kulturbund weiterzuexistieren. Vom Nationalsozialismus war der katholische Verband nicht infiziert. Im Juli 1936 schlossen das Deutsche Reich und Österreich das sogenannte Juli-Abkommen, in dem sich beide Seiten verpflichteten keinerlei Propaganda im jeweils anderen Land zu betreiben. Kurz vor den Olympischen Spielen war dies für Berlin sinnvoll. Auch, weil die inhaftierten Nationalsozialisten in Österreich amnestiert wurden. (A.O.).