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1918 1919 1986 Biografisches Wissenschaft

Herrmann-Josef Fohsel beschreibt den Beginn von DADA

Der Künstlercafés Berlins sind vielfach beschrieben worden. H.J. Fohsel veröffentlichte 1996 einen schönen Band über das Café des Westens und das Romanische Café. In ihm schildert er auch, wie DADA in Berlin in die Welt kam:

Am 12. April 1918 startete die »Neue Sezession« in der Galerie Macht mit einer Soirée die erste von zwölf öffentlichen Veranstaltungen des Berliner »Club Dada«: »Der Gipfel der Auflehnung wurde erreicht, als Else Hadwiger die Kriegsgedichte von Marinetti vortrug, die Huelsenbeck mit einer Holzknarre und auf einer Kindertrompete zur Illustration begleitete. Ein Soldat in feldgrauer Uniform wälzte sich in epileptischen Krämpfen am Boden, und das Publikum tobte. Mein Text Das neue Material in der Malerei löste eine solche Bewegung aus, daß die Saalleitung, die für die ausgestellten Bilder an den Wänden fürchtete, mir mitten im Satz das elektrische Licht ausdrehte und ich in der Finsternis zum Schweigen verurteilt War. Ein herrlicher Abend und ein DADAistischer Erfolg«, erinnert sich Raoul Hausmann in »Am Anfang war Dada«.

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1946 2009 Biografisches

George Grosz erinnert sich an Walter Mehring

George Grosz: Ein kleines Ja und ein großes NeinMit Walter Mehring wurde ich durch Theodor Däubler bekannt; der brachte ihn eines Tages in mein Atelier, das damals in Südende lag und eher einer romantischen Höhle glich. Wir verstanden uns gut, Walter und ich, vom Beginn unserer Freundschaft. Er war der Sohn eines Berliner-Tageblatt-Redakteurs und hatte von seinem Vater Witz, Sarkasmus und Berlinertum geerbt. Als ich ihn kennenlernte, stand er ein wenig unter dem Einflufi futuristischer Dichtung, doch hatte er schon damals seine eigene Linie und sein eigenes Talent für Tempo und dramatische Bewegung. Er war eine gute Mischung: ein Francois Villon von der Spree, mit etwas Heinrich Heine versetzt.  »Weiße mit Schuß«, würde der Berliner sagen.

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1962 Biografisches Prosa

Walter Mehring würdigt George Grosz für die Akademie der Künste

Katalog der Ausstellung "George Grosz 1893 - 1959" der Akademie der Künste 1962

Entdeckt hatte ihn Theodor Däubler, der zeusgemähnte »Nordlicht«epiker, der italo-deutsche Künder des Neuen Standpunktes der Braque und Picasso, Modigliani und Klee,  deren kraß blasphemischer Antagonist George Grosz War. Doch Däubler protegierte, verteidigte ihn fast väterlich gegen alle damals »ultramodernen« Ismen; gegen Herwarth Waldens expressionistische STURM-Kunstdogmen; ja im Widerspruch eigentlich zu seiner eignen Ästhetik – zusammen mit der Psalmistin Else Lasker-Schüler, dem »Morgue«lyriker, Dr. med. Gottfried Benn. Und brachte auch mich zu ihm; in sein West-Berliner Vorstadtatelier, vierter Stock. Draußen war alles Feldgrau. Im Türrahmen stand, als er im blutrot beklecksten Kittel uns öffnete, sein Kolossal-Ölgemälde: »Reminiszenz an die Einfahrt in Manhattan« (der Hudson; die Tavernen von Battery; die Hobokenwerften),  wohin er erst, 15 Jahre später einreisen und emigrieren sollte. Nun, damals, wenn der gerade wegen »Unzurechnungsfahigkeit frontdienstuntauglich (d. u.)« erklärte Grosz, George, Kunstmaler (der Marschall Böff der Dadaisten), an seinem Zeichenstehpult werkte, pflegte er jedem zufällig Anwesenden gleich den ganzen Lebenslauf seiner Karikaturmodelle, die er gerade sezierte und anpinselte, zu erzählen. Er schauspielerte sie nach: ihr Gebaren; ihre Gebrechen; ihre Gesinnungen, die er sofort mit ihnen stets wechselte; ihren habitus, so verblüffend steckbriefähnlich, daß man jeden gleich an der nachsten Straßenecke, im engsten Familienkreise identifizieren konnte: den Kommiß – den Pantoffelhelden, den kleinen Mann – – –

– Mensch! Böff! Das ist ja mein seliger Onkel Max . . . wie er leibte und lebte!

– – – Stimmt! lst er auch! War er auch . . . Liebte Kanarienvögel bis man ihn eines Morgens aufgehängt fand – eigenhändig  Käfigkomplex, Walt!

Stimmte! Auf den Haarpinsel genau; derart, daß man sich fragte: was war zuerst da? Seine Sujets, seine Subjekte: die Uniformfratze des ersten Weltkriegsfaschings – die papierene Schweinsrüsselmaske des Inflations-Aschermittwochs, die heimtückisch versächselte  Spitzelbartvisage des Haustyrannen, des Barrikadenagitators? Das suffisante Geschau des Proletkultpoeten? »Das Gesicht der Herrschenden Klasse«? – Oder vorher die (sprichwörtlich gewordene) »George-Grosz-Type«? Das Pandämonium des lausigen Alltagsgewimmels; das Vanity Fair (Jahrmarkt der Eitelkeiten) der Arroganz und der Eleganz; ihrer Exzellenz- und Prominenz-Welt- und Halbweltelite; ihrer protzigen Feierlich- und Lustbarkeiten; der sturköpfigen »Masse Mensch« ihrer Kasernen-Fabrik und Agraruntertanen; samt und sonders in Strichätzung eingraviert; auf die Spitzfeder aufgespießt – und wegradiert . . . »Der Spießerspiegel« – »Ecce Home!« . . . Seinem unsterblich markantesten Blatt, seinem »Christus mit der Gasmaske« hatte eine Hohe Staatsanwaltschaft, 1928, den Schauprozeß gemacht – wegen Gotteslästerung (§ 166 StGB). Doch Grosz war alles andere als ein Vereins-Atheist; vielmehr ein zeichengläubiger Nachfahr der frühgotischen Altar- und Schildermaler, die die Verhöhnung, Verspottung, Schändung des gekreuzigten Menschensohnes weit brutaler gegeißelt hatten . . . war der streitbarste Kennzeichner der Wilhelminischen Ära und ihrer unausrottbar fortwuchernden Vergangenheit; ihrer teutonisch-hunnischen Fauna. Gar nicht lag ihm der marxistisch verschönte Edelproletarier mancher Cartoons, die er, lieblos, an Parteiwitzblätter ablieferte (»Die wollen doch das so!«).

Auf all seinen Auslandsreisen entdeckte er immer bloß diese ihm heimische Groteske.

Von seiner Rußlandlahrt mit Andersen-Nexö – als propagandagefütterter Ehrengast der Sowjet-Union – brachte er nicht eine Skizze mit; dafür aber ein Konvolut boshafter Tagebuchaufzeichnungen – als geborener Greuelerzähler, und einst auch Satyrpoet . . . Nichts aus ltalien; aus Frankreich einige Straßenszenen (»S0uvenir de Paris – für Walt« . . . Ein (P0lizei)-»flic«; ein »matelot«; ein (Vespasienne) – Pissoir – und dahinter der Eiffelturm; sehr schmissig, doch unpariserisch). Aus seinen letzten Lebens- und Wahlheimatsjahren in den USA – was blieb als Ausbeute? Die »Bowery«-Nachtasyltramps; »Flaneure« (die spezifisch buntscheckig karierte, geschminkte Mischung von 42. street, Ecke 8. Avenue; die Barbershops und Bar-Leuchtreklam); die schillernde Sky-line der W0lkenkratzer-Kastelle . . . Die hätte er sich ebenso gut in Berlin ausmalen können; ja turbulenter, wie in der Chicago-Fata-Morgana seiner Frühwerke. Die obligaten »Cape Cod« – die konventionellen Texaslandschaften (für einen Warenhauskonzern) – charakteristisch höchstens durch die Pinselschrift . . . Die »Stickmen« (die Besenstielmänner; das Fahnenloch hoch!); eigens für eine Kunstsalonschau fabriziert (»Surrealismus ist doch jetzt Mode!« meinte  er).  . . . In seinem Long lsland Cottage-Atelier – es glich ganz seiner Berlin-Lichterfelde-Klause, tapeziert mit Zirkus- und Varietéaffichen; Kitschpostkarten; Michelangelo- und Matthias-Grünewald-Reproduktionen, möbliert mit Kisten voller akademischer Aktstudien (des Lehrers, Prot. Grosz der »ART STUDENT LEAGUE«); auch Pornographik in der Pieter-Breughel-Manier . . . Dazwischen auch handkolorierte Darstellungen der KZ-Schrecken, denen er gerade noch rechtzeitig entwischt, war; kannte sie nur aus Schilderungen ihm befreundeter Refugees; konnte sich aber in ihre und die Geistesverfassung ihrer Folterknechte so lebhaft einfühlen, wie Dante in die Monstren des Höllenpfuhls . . .  Den hatte er übrigens einmal für eine Pocketbook-Edition bebildert; hatte dazu die Botticelli-Entwürfe studiert; hatte mich ersucht: »Walt! Noch einen Whiskey? Unterstreich mir doch alles mir Illustrierbare! Kennst mich ja!« . . .  Heraus kam eine preußische Travestie der Divina Commedia.

Ganz zuletzt, vor seiner Heimkehr (auf einer Postkarte: »Dear Walt! Ich will doch gar nicht zurück! Es muß aber so sein! Auf bald, in Europe!«), hatte er noch einmal, vom Grauen gepackt, in einer Torschlußpanik, den eisigen Albtraum einer Roten Kosackeninvasion
graphologisch fixiert. Zwei Proben dieser Serie erschienen im »LIFE«-Magazin, posthum . . . 14 Tage nach seinem Herzinfarkttode im Hausflur des Berlin-Charlottenburgplatzes; im Geburtshaus seiner EVA, seines Idealmodells, mit der er dort einst Hochzeit gefeiert hatte. Sie folgte ihm, aus Ascona, wo sie mich noch, schwerkrank, besucht hatte, übers Jahr ins Grab an der Potsdamer »Heerstraße«.

George Grosz! Was war er nun wirklich? Ein genialer Karikaturist – monoman, schizophren – des großenwahnwitzigen Über- und Untermenschen, als der er sich jedem Besucher (Beschauer) der Gedächtnisausstellung in der Akademie der Künste offenbaren wird.

(Entschuldige, Böff, wenn ich nicht dabei bin . . .  »Nö, tue ich nicht« . . . Ich kenn Dich doch, Strich für Strich, in- und auswendig, unvergeßlich! Dein Walt.)

WALTER MEHRING

(Dieser Text ist erschienen in: Friedrich Ahlers-Hestermann (Hg.): George Grosz 1893 – 1959, Katalog zur Ausstellung der Akademie der Künste; Berlin: Akademie der Künste 1962; S. 15 ff).