„DIE NACHT DES TYRANNEN“, Roman von Walter Mehring. Verlag Oprecht, Zürich.
Auf knappen 120 Seiten zusammengeballt und in einem eigenartigen, kraftvoll-unmittelbaren und dabei von Ironie geladenen Stil dargestellt, spielt sich hier zwischen Wirklichkeit und Fiebertraum das Leben eines Diktators ab. Zwischen Wirklichkeit und Fiebertraum, wie in unserer „Wirklichkeit“, die Schlimmer und wirklicher ist, als ein Fiebertraum. Das macht dieses kleine Büchlein so gewichtig, daß es wie ein Alptraum lastet, wenn man es weggelegt hat. Der Alptraum gestaltet, der tagtäglich auf uns lastet. Mehring zeigt hier, daß er mehr ist als nur polemischer Publizist und Satiriker. Und
dabei ist diese von Wahnvorstellungen geschüttelte Fiebernacht des großen Diktators Martinez Llalado und sein von ebensolchen Wahnvorstellungen beherrschter „Aufstieg“ eine Satire von dunkler Gewalt – eine Satire am Rande des Abgrundes, den wir alle erlebt haben. -n.
(-n: Die Nacht des Tyrannen; in: Der Christliche Ständestaat Nr. 49/4. Jg. vom 12. Dezember 1937; S. 1180)
Viele deutsche Schriftsteller waren gezwungen, ihr Vaterland zu verlassen, als der Nationalsozialismus zur Macht kam. Sie trugen nichts mit sich hinaus, als die Stimme der Freiheit ıınd das Herz der Freiheit. Aber in diesem Herzen trugen sie die gesammelte Hassglut eines erniedrigten und geschandeten Volkes.
Und die heraufgekommenen Usurpatoren schrieen ihnen ihren lauten H0hn über die Grenzen nach: Eure schwachen Stimmen der Zersetzung werden nicht mehr aufkommen gegen die Trommeln des nationalen Aubruchs; ihr habt euch wurzellos gemacht und werdet unbeachtet draussen verwelken.
Ach, sie bedachten es nicht und sie wissen es nicht, die Entarteten, dass man das Vaterland an seinen Wurzeln mitnimmt, wenn man fest in seiner Erde gestanden hat. Denn für die Aufrechten und Gerechten ist ja Vaterland immer ein anderes gewesen als für solche, die
nur auf dem üppigen Mistbeet gedeihen können, das sie Blut ıınd Boden nennen. Für diese ist Vaterland der Aufmarschplatz schreiender Paraden und Kriegsprozessionen, für jene aber ist es die mächtige und glühende Gemeinschaft derer, die man an seinem Segen nicht teilhaben liess, die aber den heissen und langen Kampf führen, um es zu besitzen.
Und dieser Gemeinschaft allein sind sie verbunden, die in die Verbannungen gingen, dieses Vaterland nährt sie aus zahllosen Adern mit seiner Lebensfülle, diesem Vaterland leiten sie die gewonnenen Krafte zurück als Wort der Wahrheit, des Menschenrechts, als Waffe.
Die Usurpatoren höhnen noch; aber ihr Hohn ist Angst. Sie haben es gespürt, dass die Kraft der Exilierten zunimmt, anstatt dass sie verwelke. Sie haben es nicht überhören können, dass über ihren tobenden Rauschgeräuschen die hellen, klaren Sturmglocken immer vernehmbarer werden. In ihrem ohnmachtigen Hass gegen die Stimme der Freiheit, die sie nicht greifen können, lassen sie ihre niedrige Rache an denen aus, die ihnen in die Hände gefallen waren. Es ist ein Angsthass, der sie trieb, die Tapfersten in ihren Marterkammern zu quälen, wie Ossietzky, und das bis zum grausamen Tode, wie Mühsam.
Aber je mehr sie rasen, um so klarer und drohender schallt die Stimme der Freiheit. Sie hatten gehofft, dass die Not der Emigration, dass die friedlosen Tage der Heimatlosigkeit, dass die lange Dauer des Exils die Aufrechten erschöpfe, zermürbe und sie resignieren mache. Sie haben sich tief getäuscht. Denn sie hatten es nie begriffen, dass, wer um der Freiheit seines Volkes Willen seine Heimat verlässt, ein Vielfaches an Kräften gewinnt. Es war eine kleine Hundertschaft der Aufrechten; aber sie hat hunderte von Werken in die
Welt gechickt.
Sie wurden aus ihren deutschen Verbänden ausgestossen, aber umso fester haben sie in der Emigration sich zusammengeschlossen. Ihre Werke, die man in Deutschland im Mai 1933 verbrannt hatte, sind gesammelt worden in der „Deutschen Freiheitsbibliothek”.
Ihr Schriftsteller in Deutschland, abgeschlossen von den Disputen der Welt, angeödet vom ewigwiederkehrenden Refrain des Propagandaleierkastens, ihr dürft die Stimme der Freiheit nicht Vernehmen. Aus diesem Büchlein soll ein heisser Hauch der kämpferischen Leidenschııft euch anwehen. Es sind hunderte Fetzchen nur aus dem Ganzen, aber hundert Feuerfetzen aus dem grossen Feuer, das in unseren Herzen brennt.
Es ist ein Kampf der Vernunft gegen den Unsinn, der Wahrheit gegen den Betrug, der Gesittung gegen die Hoheit, des Rechts gegen die Unterdrückung. Aber der Kampf der Aufrechten ist nicht allein ein Kampf in den Wipfeln der Geistigkeit; es ist ein Stück des gewaltigen Kampfes der geknechteten deutschen Arbeiterschaft, für deren Befreiung Thälmann, Renn, Mierendorf und zehntausend der Unsern standhaft alle Leiden ertragen und zu sterben bereit sind.
Das Feuer, dass aus diesem Büchlein euch anstrahlt, ist wortgewordener Wille von Millionen. Gebt es weiter, dass es die heissen Seelen lodern mache, dass es die kaltgewordnen neu entzünde!
Juni 1935.
Schutzverband deutscher Schriftsteller
Deutsche Freiheitsbibliothek
Im Juni 1935 ist ein kleines Bändchen im Format acht mal zwölf Zentimeter im Exil erschienen. „Deutsch für Deutsche“ war eine Tarnschrift, die sich im Gewand der „Miniatur-Bibliothek“ des Leipziger Alber-Otto-Paul-Verlags für Kunst und Wissenschaft zeigte. Herausgegeben vom „Schutzverband deutscher Schriftsteller“ und der „Deutschen Freiheitsbibliothek“ versammelte das Buch neben vielen anderen Texte von Johannes R. Becher, Bert Brecht, Oskar Maria Graf, Max Hermann-Neiße, Heinrich Mann, Rudolf Olden und F. C. Weißkopf. Walter Mehring war mit dem „Lied der Arbeitsdienstler“ vertreten. Es wurde illegal in Deutschland verbreitet, um zu zeigen, wer, was im Exil veröffentlicht. In der Quellenangabe wird das Buch „Chansons-Balladen-Legenden“ angegeben. Das stimmt so nicht. Das Gedicht ist erstmals in „Das Neue Tagebuch“ (1. Jg. Nr. 3 vom 15. Juli 1933, S. 69 erschienen. Dann wurde es in den Band „Und Euch zum Trotz – Chansons, Balladen und Legenden“, Paris: Europäischer Merkur, 1934, aufgenommen. In der Tarnschrift ist die Originalfassung des Textes abgedruckt. Walter Mehring veränderte diesen Text nach dem Krieg. im „Großen Ketzerbrevier“ ist die zweite Hälfte abgeändert.