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1936 Biografisches Rezensionen

Ulrich Tietze : Außer Reih und Glied

Ulrich Tietze

Außer Reih und Glied

Walter Mehrings Sprachgewalt als Waffe des Gejagte

Lutherische Monatshefte„Mehring hat Verse, Rhythmen, Assoziationen gefunden, die alles weit übertreffen, was mir je dazu eingefallen wäre.“ So kommentiert Kurt Tucholsky im Jahre 1929 Auszüge aus dem Buch „Die Gedichte, Lieder und Chansons des Walter Mehring“ und bemerkt dazu, daß dieses Buch mit seinen 252 Seiten „viel zu dünn“ sei.

Kurt Tucholsky, dem sprachliche und inhaltliche Unsauberkeiten bei anderen Schriftstellern selten entgingen, fand für Mehring so lobende Worte, wie sie ihm bei kaum einer anderen Gelegenheit in den Sinn kamen: „Dieser Dichter kann noch den Herzschlag seiner Leser beeinflussen, wenn er will . . .“, er habe „einen völlig neuen Ton in die Literatur eingeführt“, es handle sich um „herrlich gereimte Lieder, von einem in Deutschland fast nie gesehenen Wortreichtum, und diese Worte fliegen dem nur so zu“.

Mehr als fünfzig Jahre nach den Lobeshymnen Kurt Tucholskys kommt der Kabarettchronist Klaus Budzinsky in seinem Buch „Pfeffer ins Getriebe. Ein Streifzug durch 100 Jahre Kabarett“ zu einem ähnlichen Urteil. Bei ihm heißt es: „Mehrings Sprachgewalt und lyrische Potenz hob das Chanson im Kabarett auf ein Niveau, das vor ihm nur Frank Wedekind und nach ihm niemand mehr erreicht hat.“

Sicher ist, daß dieser Autor einen kaum zu überschätzenden Einfluß auf die satirische und kabarettistische wie auch auf die lyrische Literatur der zwanziger Jahre ausgeübt hat.

Walter Mehring, am 29 April 1896 in Berlin geboren, studierte Kunstgeschichte, veröffentlichte, kaum über zwanzig Jahre alt, expressionistische Gedichte und gehörte zu den Gründern des „Politischen Cabarets“ in Berlin. Für Max Reinhardts Kabarett „Schall und Rauch“ schrieb er ebenso Texte wie für andere Ensembles. Wie Kurt Tucholsky entdeckte auch Walter Mehring früh seine Liebe zu Frankreich: 1921 übersiedelte er in die Pariser Montparnasse-Cafés.

Seine vielfältigen Möglichkeiten in Form, Ausdruck und Inhalten zeigten sich vor allem in seinen Versen. Sein Schriftstellerkollege Eckart Peterich im Jahre 1963: „Rhythmus und Reim, die heute manchem als fragwürdig gelten, sind ihm natürlichste Freunde.“

Im „Ketzerbrevier“ von 1920/21, die Mehring eine „Seelenmesse für Agnostiker, Wortgläubige und unbekehrbare Freigeister“ nannte, findet sich eine geradezu unglaubliche Vielfalt lyrischer und satirischer Formen. Dabei hat der Autor hier immer wieder auch religiöse Motive benutzt, so etwa in der „Litanei“, in der es heißt: „Kyrie eleison – Alle Stätten/ die dich loben/ die uns ketten/ an das Droben/ mit Gelübden/ und Geboten/ in den Krypten/ der Zeloten/ von der Qual/ und allem Jammer/ in Spital/ und Folterkammer/ Alle, die dich loben, Gott,/ blutverwoben und bigott/ Herr, befreie uns davon -/ Kyrie eleison!

1933 zeichnete Mehring in einem seiner bekanntesten Gedichte, der „Sage vom Großen Krebs“ – die Vorlage dafür ist tatsächlich eine alte Sage -, die Gefahr einer Rückkehr in die mittelalterliche Barbarei der Folterkammern und Scheiterhaufen durch das NS-Regime in kunstvollen Versen. Wenn der am Boden des Mohriner Sees angekettete Krebs loskäme, „dann kreiste zurück die Jahrhundertuhr/ zur ewigen Mitternacht -/ und wenn die berauschte Kreatur/ vom Traum erwacht/ geht alles rückwärts und verquer, rückwärts und verquer/ zu Hexenbränden und Judenpogrom/ Hosiannah! Gott geb’s,/ daß nimmermehr loskom/ der Große Krebs!“ Dieses Gedicht erschien in der letzten Ausgabe der von Carl von Ossietzky herausgegebenen „Weltbühne“ am 27. Februar 1933, dem Vorabend des Reichstagsbrandes.

Walter Mehring entging, anders als andere bedeutende Antifaschisten, im letzten Moment den Nazis und ging ins Exil – zunächst nach Österreich. In einem chiffrierten Brief aus Deutschland wurde ihm die Nachricht übermittelt, daß die Gestapo seine Wohnung zerstört hatte: „… gestern hatten wir noch spät abends Besuch, der sehr ungehalten war, Dich nicht anzutreffen. Es ging recht ausgelassen zu, so daß wir heute früh uns sehr plagen mußten, um die Scherben und die Möbelfetzen und die Bibliothek Deines seligen Vaters wieder zusammenzuräumen.“

Der den Häschern und Folterern knapp Entkommene hatte in unzähligen Gedichten, Aufsätzen, Satiren vor dem Hitler-Faschismus gewarnt. Dies galt auch für andere Autoren, die dem Genre der „Neuen Sachlichkeit“ zugeordnet wurden, wie Tucholsky und Kästner. Aber Walter Mehring zeigte noch stärker als die anderen Schriftsteller anhand der Sprache der Nazi-Größen den fatalen Rückschritt in die längst vergangen geglaubten Zeiten. In einer der ersten Ausgaben der Exilzeitschrift „Das Neue Tage-Buch“ zu Beginn des Jahres 1933 erschien unter dem Titel „Der Hexenhammer“ ein Aufsatz Mehrings, der sprachliche, inhaltliche und ideologische Parallelen zwischen diesem spätmittelalterlichen Buch und den „Haupt-Büchern“ der NS-Bewegung, nämlich Hitlers „Mein Kampf“ und Alfred
Rosenbergs „Der Mythos des 20. Jahrhunderts“, verdeutlicht.

In seinem zuerst 1952 erschienenen Erinnerungsbuch „Die verlorene Bibliothek. Autobiographie einer Kultur“, das eine umfangreiche, weithin bissige und sicher in mancherlei Hinsicht auch ungerechte Auseinandersetzung mit Schriftstellern des 19. und 20. Jahrhunderts darstellt, deren Werke in der Bibliothek seines Vaters standen, die durch die Nationalsozialisten zerstört wurde, hat Mehring dargestellt, wie er den „Hexenhammer“ entdeckte. Dieses Buch habe, so schreibt er, „ein ungeheiltes Jugendtrauma, eine unvergeßliche Schockwirkung“ in ihm hinterlassen. Dabei hat er sich der vollständigen Lektüre dieses Werkes ausgesetzt, „wollüstig angeekelt die erpreßten, flagellantischen Selbstzerfleischungen genossen“, „diese Lektüre verschlungen“.

Mehring hat in seinem Aufsatz die Entsprechungen zwischen dem Geist der Hexenjäger und der Nazi-Ideologie dargelegt: „Den Hexenwahn hat der Rassemythos ersetzt.“ Wurden im „Hexenhammer“ die Hexen als Personifizierung des Bösen gesehen, so geschah Vergleichbares in Hitlers „Mein Kampf“ mit den Juden: Er sei „in seiner Gemeinheit so riesengroß, daß sich niemand zu wundern braucht, wenn in unserem Volke die Personifikation des Teufels als Sinnbild alles Bösen die leibhaftige Gestalt des Juden annimmt“.

Bekanntlich war es zu der Zeit, als die Hexenverfolgungen in massiver Weise einsetzten, die schlimmste Ketzerei und ein Zeichen für Besessenheit vom Teufel, wenn jemand nicht an Hexen glaubte. Hier zeigt sich eine Entsprechung im Denken Hitlers, der ohne allen Sinn für die Realität die Auffassung vertrat, der Jude „begründe(t) die marxistische Lehre“. Es sei daran erinnert, daß die vierzehn Jahre der Weimarer Republik von führenden NS-Ideologen als die Zeit des „Marxismus in Deutschland“ bezeichnet wurden. Wurde von den Autoren des „Hexenhammers“ den Hexen jede nur denkbare Gemeinheit, jede nur vorstellbare Bosheit zugetraut und auf sie zurückgeführt, jedes menschliche Leid als Untat der Hexen eingestuft – etwa Krankheiten, unerwartete Todesfälle usw. -, so argumentierte Hitler mit Blick auf die Juden ähnlich: Er diffamierte alles jüdische als „Pestilenz“ und als „giftige Seuche“ und behauptete, daß durch das Judentum „nur der Wahnsinn zur Wirklichkeit zu werden vermag, niemals die Vernunft“.

Ehrsame Burger

Die lange Zeit vernachlässigte Verarbeitung des Themas „Hexenverfolgungen“, die erst im Laufe der achtziger Jahre durch Publizierung einer Vielzahl von Büchern und Aufsätzen zum Thema korrigiert wurde, hat inzwischen zumindest deutlich werden lassen, daß diese Massenverfolgungen und -hinrichtungen System hatten. Was Walter Mehring –  bereits 1933! – über den „Hexenhammer“-Autor Heinrich Institoris schreibt, klingt heute wie eine nachträgliche Analyse des Terrors und staatlich legitimierten Massenmordes unter Hitler: Es sei „das Martern von Menschen in ein geregeltes System gebracht“ worden, und Institoris sei der „Vorgänger des hygienischen Mords. Die Pedanterie wurde bis zum Exzess betrieben. Denn all diese Henkersknechte waren ja nicht verhungerter, rachedurstiger Pöbel. Ehrsame Bürger waren sie; pflichttreue Schinder, gewissenhafte Akademiker der Bestialität“.

Auch in anderen schriftstellerischen Arbeiten schon zu Beginn seines Exils zeigte Mehring eine große Fähigkeit, die nationalsozialistischen Phrasen und den pathetischen Sprachstil zu entlarven. In dem 1989 erschienenen Sammelband „Zu Hitler fällt mir noch ein Satire als Widerstand“ gehören die Beiträge Mehrings sicherlich zu den interessantesten und wichtigsten Texten, so etwa seine im Jahre 1935 im „Neuen Tage-Buch“ erschienene Version vom Rotkäppchen-Märchen, das er in die Hitlerzeit verlegt und das er angesichts der für die Exilierten bedrückenden Erkenntnis der Unterstützung des Hitler-Staates durch viele Regierungen mit dem bitteren Satz enden läßt: „Und soweit sie nicht gefressen sind, kreditieren sie ihm noch heute.“ Einige Jahre später, im April 1939, veröffentlicht Mehring im „Neuen Tage-Buch“ eine Satire auf die Nazis unter dem Titel „Schema der nächsten tausend Reden“ – auch hier eine inhaltlich und stilistisch glänzende Parodie dessen, was etwa Goebbels regelmäßig von sich gab.

Nach dem Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde Mehring, der den Nazis 1938 in Wien mit knapper Not entkommen war, in französischen Lagern interniert. Er entkam in die USA und kehrte erst 1953 nach Deutschland zurück. Aber die geringe Bereitschaft zur Aufarbeitung des Hitler-Terrors bei vielen Deutschen und das Gefühl, in diesem Land keine Heimat mehr zu haben, ließ ihn bald in die Schweiz übersiedeln.

Seine Odyssee als Exilant hat er – in Prosa und Versen -in dem Band „Topographie einer Hölle – Reportagen der Unterweltstädte“ dargestellt. Das Manuskript ging allerdings 1976 verloren, konnte jedoch anhand der (meist handschriftlichen) Erstfassung zum Teil rekonstruiert werden und erschien 1979 unter dem letztlich die ganze Problematik umfassenden Titel „Wir müssen weiter“. Es ist ein erschütterndes Dokument über das Schicksal eines Menschen, der permanent mit Blick auf das Schicksal von Freunden Nachrichten erhielt, in denen es hieß: „Verschollen! . . .  Verschleppt! . . . Ermordet!“

Am Ende dieses Lebens stand nicht der Haß, wohl aber die Verbitterung und die Einsamkeit. Am 3. Oktober 1981 stirbt der Dichter in einem Züricher Krankenheim. In seinem Zurückgezogensein wurde am Ende noch einmal das Lebensgefühl des Außenseiters deutlich, der zu Beginn seines schriftstellerischen Schaffens in einem Lied geschrieben hatte: „Doch trat ich außer Reih und Glied -/ ja, dann verzeiht!/ Hier steht ein Mann und singt ein Lied/ zum Trotz – am Rand der Zeit . . . “ 

(Tietze, Ulrich: Außer Reih und Glied – Walter Mehrings Sprachgewalt als Waffe des Gejagten; in: Lutherische Monatshefte H. 4/35. Jg. vom April 1996, S. 24f. Dem Autor vielen Dank für die Rechte, den Text hier veröffentlichen zu können.)

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1935 1936 Biografisches Prosa Zeitschriften

Walter Mehring verabschiedet sich von Kurt Tucholsky

Abschiedsbrief an Kurt Tucholsky

Lieber Peter Panter,

Kurt Tucholsky in Paris 1928. Quelle: Wikipedia
Kurt Tucholsky in Paris 1928. Quelle: Wikipedia

nun schreibe ich Ihnen da zum letzten Male; und so sinnlos ist mir das Schreiben noch nie vorgekommen. Früher, wenn ich einen Brief an Sie in den Kasten warf – und als Sie in Ihrem Pariser Faubourg le Vésinet wohnten, ich in der Rue de Vaugirard, geschah das drei- bis viermal die Woche -, lächelte ich selig wie ein preußischer Säugling, dem man die erste Spielzeug-Handgranate ins Händchen gibt, im Vorgeschmack Ihrer Antwort. In deutscher Sprache hat keiner Briefe geschrieben wie Sie. Die an mich gerichteten hatte ich sorgfältig gesammelt, jedes Stück, jeden Zettel; auch jenes Couvert mit dem großen Tintenklecks drauf; Sie hatten ihn blau umrandet und dazu geschrieben: „Das hat die Post gemacht!“ Sie sind alle verloren! Es wäre einer der herrlichsten Tucholsky-Bände geworden.

Jede Zeile, jede Polemik von Ihrer Hand war ein Brief, gerichtet an die heroischen Dummköpfe, die Gangster mit Gymnasialbildung und die Sonnewendpriester in Gesundheits-Wollersatz-Wäsche. Die Adressaten konnten nicht einmal mogeln, sie hätten das Schreiben nicht erhalten. Es traf sie mit tödlicher Sicherheit. Man hat Ihnen den Empfang allseitig durch Ausbrüche zügellosen Hasses bestätigt.

Seit drei Jahren sind diese Briefe an die uns aufgezwungenen Zeitgenossen ausgeblieben; und vor einem Jahr kam der letzte private an mich. Hätten Sie gewußt, wie wir alle darauf gewartet haben; wie wir uns gesehnt haben, zu wissen: Was sagt Peter Panter dazu? Es hätte nichts mehr an dieser zum Zeitgeist beförderten dementia geändert. Aber wir wären jedesmal für ein paar Stunden den Albdruck losgeworden: Nein, wir träumen nicht! Es gibt noch ein gesundes Hirn, eine unbestechliche Vernunft!

Dank Ihnen waren wir ja nicht überrascht! Wer je Sie gelesen hatte, mußte wissen, daß es so und nicht anders kommen würde. Darf ich Sie zitieren?

„Lieber Mehring,
vielen schönen Dank für Ihren werten Schrieb! Ich bin schrecklich neugierig: haben Sie ein Heim? Wo wohnt das? Sieht man von da den sacré Kör? Haben Sie eine puanderie? Wie ist es überhaupt? Hei!

Des weiteren, lieber W. M. – ein chronischer Katarrh, wie er auf mir sitzt, mag ja das Weltbild stören. Aber jedennoch: so wenig wir von dem, was sich da ereignet, überrascht worden sind, je desto weniger kann ich noch mitmachen. Was die Nichtüberraschung angeht, so sehe ich uns noch beide schweren Schrittes auf der Gare St. Lazare herumstolpern, wir beredeten es alles, und es hatte etwas leicht Komisches: um uns brausten die Leute, und wir hatten es mit dem kl. Weltuntergang. Und wir haben doch Recht behalten, ein größerer steht bevor, und so sehr ich gegen die Leute bin, die, wie der gute O. gesagt hat, „eine Villa mit prachtvollem Weltuntergang“ besitzen, so klar sehen wir ja wohl, was nun kommen wird …“

Nein, ich zitiere nicht weiter. Es hören Leute zu, die darauf lauern, Ihre sublimsten Worte kotig zu interpretieren. Für solche Umwelt, mit der man sich erst wieder über das ABC
verständigen muß, war Ihre Schreibweise – zum höchsten Ruhme sei es Ihnen gesagt – nicht bestimmt. Und darum schwiegen Sie. Es sind Ihre Einwände:

„Denken Sie sich bitte, wir gingen noch einmal an unserer alten Penne vorbei, also jetzt, heute – und da seien durch ein Wunder noch dieselben Pauker am Werk. Wir kommen gerade in die Pause. Und wir hören die Gespräche: ,Au – Mensch – heute gibt er die Hefte zurück? Ob er sie zurückgibt? Ich habe sicher eine IVI“ usw. Also gut, wir grinsen ein bißchen wehmütig oder amüsiert- aber es ist doch ganz und gar ausgeschlossen, daß Sie oder ich mehr als eine kleine Anregung für ein paar Verse mit nach Hause nehmen. Es ist doch ganz und gar ausgeschlossen, daß wir das nochmal ernst nehmen könnten! Könnten wir? Sicher nicht…

Und nun soll ich das immer weitermachen? Immer wieder diesen albernen Jargon bewitzeln, über den ich auch in der Karikatur nicht mehr lachen kann  Mein Herz schlägt nicht mehr schneller. Ich lese nicht mehr die deutschen Zeitungen, seit Monaten habe ich keine mehr in der Hand gehabt. Es reizt mich gar nicht mehr. Ich weiß kaum mehr, wie die maßgebenden Schießbudenfiguren heißen …“

Sie würden sich eins lachen über die Punkte, durch die ich schamhaft einige Ihrer Sätze ersetze. Ich möchte nicht an Ihrem Grabe das Gemurmel mancher Leidtragender hören: also doch ein Drückeberger! Aus der Reihe getanzt! Haben Sie das gehört: Wir gingen ihn nichts mehr an! Die ganze Terminologie des Kasernenhofes, die so Viele mit auf die große Reise genommen haben.

Sie haben es mir immer und immer wieder bestätigt, daß das neue falsche Pathos Sie ebenso angeekelt hat wie das alte. Es ist, um einem noch die ganze Emigration zu verleiden! (Das sage ich nur hier, an Ihrem Grabe, Peter Panter! Es spitzen schon wieder die Unberufenen die Ohrenl) Sie haben es hinter sich! Und wir wissen nicht, was wir vor uns haben! Aber eins weiß ich, daß noch einmal – in zehn, in zwanzig Jahren – dieselben Leute, die Ihnen diese Konsequenz Ihres unbeirrbaren Verstandes heute ankreiden möchten, entdecken werden: Wie prophetisch recht hat Peter Panter damals gehabt, als er schrieb: „Und dann wieder alles, wie wenn nichts gewesen Wäre? Und so: ,Ach, wissen Sie, ich war ja im Herzen immer gegen Hitler – aber sehnsemah, die Umstände – – -.““

Und trotzdem: „Rheinsberg“ und das „Pyrenäenbuch“, „Mit 5 PS“ und „Lerne lachen ohne zu weinen“. – Das soll es nicht mehr geben? Lächelt die Mona Lisa nicht mehr? Verstummt Wendriner, unser Berliner Don Quixote? An den Sie mehr Herz verschwendet haben, als die meisten ahnten? …Kein Satz mehr des Wrobel, kein Vers mehr des Tigers, der uns verblüffend das Wort von der Zunge nahm? Andere betätigen sich als Gedankenleser ~ das ist ein einträgliches, weil unkontrollierbares Gewerbe. Sie lasen die Hintergedanken! Da gab es keine Ausflucht.

Dem kleinen Mann, dem Wedding-Knoten, dem Wendriner und dem General haben Sie aufs Maul gesehen! Und haben das Gröbste durch Ihren Geist geadelt! Berlin war nur einmal Weltstadt! Als Sie es schrieben!

Lieber Peter Panter!
Es ist plötzlich ganz dunkel um uns geworden, hier
draußen!
Ich schließe, wie Sie Ihren letzten Brief schlossen:

„Als Ihr guter, getreuer und herzlichst grüßender“
Walter Mehring

(Dieser Text ist im Neuen Tage-Buch am 6. Januar 1936 erschienen. In einem Radioessay aus den 1960er-Jahren erinnerte sich Mehring, wie er vom Tod Kurt Tucholskys erfahren hat: „In Wien, Dezember 1935, traf mich die telegraphische Nachricht des Pariser Neuen Tage-Buchs: ‚Tucholsky verstorben – Erwarten Nachruf‘. Die Wiener Weltpresse meldete sesantioneller: ‚Selbstmord eines bekannten Exilautors in Schweden…‘ (…) Der Selbstmord ist eine schleichende Gemütskrankheit, scheint mir, die letzte Ausflucht aus dem Ich-Selbst, und ein exitus letalis des Exils, den dreißig namhafte deutsche Schriftsteller nachher gewählt haben.‘ (Walter Mehring: Kurt Tucholsky; Berlin: Friedenauer Presse 1985, S. 13))

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1935 Biografisches Zeitschriften

Mehrings Märchen – Ankündigung eines nie erschienen Buches

Anzeige im Neuen Tage Buch vom 16. November 1935
Anzeige im Neuen Tage Buch vom 16. November 1935

Am 16. November 1935 kündigt der Pariser Exil-Verlag „Editions du Phenix“ ein Buch von Walter Mehring an. Gut 64 Seiten sollte es umfassen und den Titel „Mehrings Märchen“ tragen. Angesichts der Texte, die Mehring bis dahin im Exil geschrieben hatte, sollten sicherlich Zeitschriftenbeiträge und Gedichte darin vereint werden, die sich dem Phänomen Nationalsozialismus widmeten.

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1934 Lyrik Zeitschriften

Der Deutsche Klub lädt zur Lesung Walter Mehrings in Paris

Anzeige im Neuen Tage Buch vom 9. Juni 1934
Anzeige im Neuen Tage Buch vom 9. Juni 1934