Eines Abends, nach der Vorstellung, rief mich Walter Mehring in den leeren Zuschauerraum. Er stellte mit einen jungen Mann vor. Es war ein stiller, blasser Mensch, mit tiefliegenden dunklen Augen, vonspringendem spitzern Nasengiebel und einem sanften Mund. Dünn und schmal waren auch die
Hände, die aus der zu kurzen Jacke hervorschauten. Alles an ihm sah ärmlich und mager aus, und wenn ihn nicht Mehring persönlich angebracht hätte, ich hätte ihn Wohl kaum beachtet. »Herr Brecht spielt und singt zur Laute und möchte gern bei dir auftreten«, äußerte Mehring schlicht. »Ja?« fragte ich. Der junge Mann blieb weiter still, nur seine runden schwarzen Augen musterten mich abschätzend. »Wie wär’s also, wenn Sie mal an einem Donnerstag . . .«
››Nein«, unterbrach mich Mehring, »das geht nicht, wir werden zu dir in die Wohnung kommen.« – ››Na schön«, antwortete ich, »dann kommt mal an einem Sonntagvormittag, da habe ich mehr Zeit!«
Kategorie: 1922
Walter Mehring: Das Ketzerbrevier
Walter Mehrings neueste Coupletsamınlung gibt das Muster eines richtigen Kabarettabends mit Conference und vier Hauptabteilungen. Dieses Muster hat Vielfalt, geistigen wie artistischen Gehalt. Form, Gliederung, Originalität und Anarchie des Gedankens. Was Mehring vor allem zu seinem Metier befähigt, ist eine rhythmische Feinfühligkeit, eine Treffsicherheit, den richtigen Vortragsschwung jedem einzelnen Couplet gleich mitzugeben, daß schon im Takt die Situation sich ausdrückt und Melodik und Stimmung sich vollkommen decken. Seine Verse hämmern sich beim bloßen Lesen ein, sind auch fürs Auge allein schon komponierte Texte. Dabei ergibt sich die verschiedenen Gelegenheiten eine dementsprechende Abwechslung: eine Ahnung vom Tonfall Bruantscher Schreckenslieder „Die Kartenhexe“, „Zum Blauen Affen“, „Cabaret Schwalbennest“), die Kehrreimweise („Moralisches Glockengeläute,“ „Kinderlied“), eine Simultaneität, die von der »Fortgeschrittenen Lyrik« manches nutzte „Graduale“), und schließlich das originalste Produkt eines freien Rhythmusses der Couplet-Teclmik, wie es beispiellos leuchtet in „Die Reklame bemächtigt sich des Lebens“. Es muß einmal konstatiert werden, daß der nun so oft dünner nachgemachte Vortragselan, der die rasende Mechanik des Großstadtgetriebes exakt ausdrückt, und so etwas wie einen ››EXpressionismus« der Brettldichtung, eine im Automobiltempo losgelassene, gebremste und Kurven nehmende Momentaufnahme, zuerst und am intensivsten moussierte in solchen Mehringoriginalen wie „Achtung Gleisdreieck“, „Sensation“, „Salto mortale!“ Er erwischt alte und neue Medien gerade im rechten Moment, ladet sie mit seiner Elektrizität, und eine eigene tadellos funktionierende Walze ist perfekt. Er würfelt die ulkigsten Reime erster und zweiter Ordnung durcheinander, macht aus überstürzendem Radebrechen eines liebestollen Fremdlings die Note des „Kaukasierliedes“, mit aus Niggersong, Ragtime und Operettenrefrain einen „Jazzband“, eine mit Sätzen verübte Tanzorgie, und kurbelt die gute alte Populariät des Berliner Gassenhauers in eine ganz gegenwärtige Vehemenz.
Diejenigen, die zu Unrecht den Mehring nur als den poetischen Lokalreporter gelten lassen möchten, werden durch die Vielseitigkeit dieser Sammlung eines Besseren belehrt; aber das eine stimmt, daß Mehring, unter anderem, den Jargon des »Berliner Schlagers«
wie kein zweiter meistert, ihn für modernste Force gebrauchsfertig machte mit all seinem Mutterwitz, seinen pfiffigen Worteinfällen, dem derben Rotwelsch seiner Respektlosigkeit. Sein Bezirk ist nicht bloß ein Rummelplatz, nicht nur der größre Rummelplatz Berlin,
sondern die heutige Erdoberfläche schlechthin. Dies Buch zeigt die Internationalität seiner Sujets und beweist auch, daß Mehring sich nicht einmal auf ein einziges Temperament, auf eine einzige Gefülsnuance festlegen läßt. Mokante Kaltschnäuzigkeit, absolute Gemüstlosigkeit war die Signatur, mit der man ihn abstempelte, und nun beunruhigen hier in diesem Bändchen auf einmal so gar nicht ins Schema passende Sachen wie z. B. „Die Kälte“, wo ein schnoddriger Spötter – poetisch kommt! Ein Grundzug Mehrings ist schon die blutige Skepsis, die sich von keiner Illusion mehr zu Ehrerhietung anführen läßt und auf die Kaffrigkeit der lieben Umwelt spuckt, aber schonungslosen Zynismus und krasse Verachtung bringt erst der auf, der im Tiefsten einer zarteren Besaitung tödlich enttäuscht wurde. Solches Getroffensein wächst zum diabolischen Aufschrei des Puppenspiels „Die schwarze Messe“. Ein so scharfer Revoltedrang in diesem Schlußstück rumort oder in den Geißelliedern „Litanei“ und „Schwarze Ostern“ – es scheint mir eine Gefahr des Menschenmißtrauens, daß es in der Wirkung das Aufrührerische verliert und dem Publikum als eine bequeme Weltanschauung, die jedes Passivbleiben deckt, wohl eingeht. Alles gleichermaßen zum Speien finden, heißt: sichs allzu leicht machen. Mehring sollte, diesem Verdacht zu entgehn, nicht ganz ohne Route sein. Sonst sieht, was als Gegenteil geplant war, wie Kompromiß aus, der Durchschnitt hört sich doch bloß heraus, was ihm paßt, aus dem „Nekrolog“: „Hetzern . . . uns uffzuwiegeln“ und aus dem Berliner Tempo eine lokalpatriotische Bestätigung.
Max Herrmann-Neiße: Walter Mehring: Das Ketzerbrevier; erschienen in: Berliner Börsen-Courier, Nr. 213 vom 7. Mai 1922.
BELANGVOLLE KABARETT – MATINEE
Von Max Herrmann (Neiße)
Die Herausarbeitung des selbständigen Kabarettstiles, das völlige Ernstnehmen der Kunstgattung, müssen zuerst einmal die gefährliche Wechselbeziehung beseitigen zwischen dem auf der Bühne und dem vom Büffett Gebotenem. Erst wenn die Rücksicht auf den Konsum an Speise und Trank gefallen ist, kann auch jene geistige Rücksichtslosigkeit entstehen, die dem Künstlerischen den zur eigenwüchsigen Entwicklung freien Raum schafft. Als brauchbare Etappe auf diesem Wege ist so eine Kabarett- Matinee zu begrüßen, wie sie Blandine Ebinger, Friedrich Hollaender und Walter Mehring in den Berliner „Kammerspielen“ veranstalteten. So etwas gibt von Zeit zu Zeit unbeeinflußt Rechenschaft vom Stande der ganzen Kunstart sowohl, wie auch umfassenderes Zeugnis für des einzelnen Künstlers Persönlichkeit und Schaffensmodus, die ja bei der kurzen Frist des abendlichen Auftretens nicht den kompletten Umfang der Fähigkeit entfalten können. Das ist desto nötiger in einer Klamaukstadt wie Berlin, wo Publikum und Presse zu eigner größrer Bequemlichkeit darauf aus ist, die Schaffenden auf eine bestimmte Spezialität festzulegen und die Kategorie, mit der einer mehr oder minder zufällig einmal einen Erfolg hatte, ihm bis ans Lebensende als nie zu überschreitenden Rayon aufzunötigen. Für diese Leute ist die Ebinger die Darstellerin der halbwüchsigen Spreejöhre und Mehring der kaltschnäuzige Satiriker des Gegenwartsrummels, und wehe, wenn eins wagen sollte, einmal anders als erwartet zu kommen! Aber die drei taten‘s doch, und hätschelten auch Auditorium und Kritik trotzdem die alten gefälligen Vorurteile weiter, die Einseitigkeitsdefinitionen sind nun durch Fakten der objektiven Feststellung als böswillig belegt. Es zeigte sich nämlich erstens, daß die Ebinger eine Gestaltungskraft ist, die nicht bloß an die eine (Proletariermädchen-) Note gebunden ist. Der erste Teil der Darbietungen, für mein Gefühl der Interessantere, obwohl die Majorität natürlich den zweiten, geläufigeren vorzog, bewies ihre Vielfalt im Zeichnerischen, das Lebensromantisches, Panoptikumdämmriges, Galantlegendäres, Volksliedraunendes Bizarres und Primitives genau so scharf und mit einer ebenso aparten, für das besondre Instrument ihrer Sprach- und Körperkunst gelungnen Formung traf. Augen und Lippen umgeisterte eine tödliche Lasterhaftigkeit, aus rotem Gewand lugte ein nacktes Bein. Sie ist sich ihrer Möglichkeiten genau bewußt und hat das Spiel auf ihnen bis zur äußersten Souveränität ausgebildet, so war alles bis ins Kleinste abgewogen, Hingabe oder Sichversagen des Tonfalls, der Handbewegung, der Haltung so ausbalanciert, daß sich eine Leistung von wirklicher Geschlossenheit ergab, Kabarettmimentum einer entschiedenen, die Gesetze seiner besonderen Phantastik instinktiv beherrschenden Energie. Gleichfalls offenbarte sich, daß Mehrings spezifisch das Kabarettlied fassende Begabung in mehr als einem Sattel gerecht ist. Dieser erste Programmteil brachte auch neue Chansons von ihm, die mit dem alten Klischee „mokante Galligkeit“ nicht mehr zu erledigen sind, sondern eine Poesie der Außenseitigkeit und Abwegigkeit geben, der diffizilen Orte des Lebenswahnsinns, Wachsiguren-Relationen, die echte Sentimentalität des Verlorenseins gegen die aufgeputzte des bürgerlichen Dirnenbrimboriums, das unhold Umflügelte des Grauenmonstrums Berlin, Dämonie von Stadtbahnfahrt und Alltagsspuk, ohne Rührsal genommene Gespenstigkeit eines Totentanzes der Destillensphäre. lnfernalische Schnuppigkeit, zu der das diabolische Geldhetztempo der Stadt schon die Gassenkinder erzieht, die ihr erstes Hopsassagruseln vor einem Erhängten empfinden, der ihren miesen Alltag halb komisch, halb gefährlich überschaukelt. Da ist Urwuchs, Leibhaftigkeit dieses so seltsam bevölkerten Strichs, mit einem Schlag unmittelbar Hingefegtes! Die Veranstaltung baute sich überdies als ein gut gegliedertes Ganzes auf. Mehring leitete sie mit dem Vorspruch ein, der hier veröffentlicht wird. Dann kam der besprochene erste Teil, und im zweiten sang die Ebinger also Lieder des Genres, das nach dem Durchschnittsdiktat ihre einzige Domäne sein soll. Auch das erledigte sie natürlich wieder genial, vor allem so großartige Texte wie Hollaenders in der Stimmung glänzendes Mondlied oder sein erschütternde Anklageballade „Wenn ich gestorben bin“. Friedrich Hollaender, der Autorkomponist, begleitete sie immer am Flügel; er ist einer der besten Kabarettkomponisten, die Rubrik „Kabarettmusik“ als ein Zweig mit eignen Normen verstanden, er gibt Popularität ohne Kompromiß. pointierte Formulierung ohne Verzicht auf Geist und Geschmack und mixt — ohne Schmalz oder Programmgeklimper zu machen, einprägsame Schlager. Nicht der letzte, für jede Kabarettgemeinschaft vorbildliche Reiz ist, daß diese drei Künstler sich zu bester gegenseitiger Ergänzung eins zum andern fügen. Diese drei sind die verschiednen Seiten ein und derselben Kunstart und besitzen jedes in seiner Weise die besondere Magie der Brettl-Technik. Die Gestalterin, der Komponist, der Autor sind Blut und Geist grade vom Blute und Geiste dieses Komplexes und haben unwillkürlich im Spiel von Ausdruck und Geste, in der Tonanordnung, in der Wortregie die zu diesem Zwecke siegreiche und für dieses Feld originale Rhythmik und Dynamik. Darum rundete sich die Matinee wie ein Ring, sodaß Mehrings Vorwort aufging und bestätigt wurde im letzten Satz und in der letzten Gebärde der Ebinger und im letzten Notenarrangement und der letzten Situationsnotiz Friedrich Hollaenders und dieses Vormittagskabarett gesegnet war mit dein, was fast allen nächtlichen fehlt: mit Architektonik seiner Vorführungen, innerer Figur, (Drei-) Einigkeit.
Erschienen in: Die Neue Schaubühne, 4. Jg, April 1922, S. 109.
WENN IHR‘S NICHT FÜHLT, IHR WERDET‘S NICHT ERJAGEN…
(VORSPRUCH ZUR BLNDINE EBINGER MATINÈE)
Von Walter Melhring
Man könnte es dereinst für absurd halten, daß heute noch ein Mensch, und selbst für Augenblicke, es über sich gewann, ein Lied zu singen. Nach all dem Wahnwitz aber will man nun der Kunst die Rolle zuweisen, in diesem höllischen Debacle den kulturellen Schein des Himmelslichts zu wahren. Und fühlt der Künstler sich nicht in der Stimmung, den Tango der neun Musen zu erfinden, dann soll er wenigstens mit einem Lob der Menschlichkeit unsere Dissonanzen so übertönen, bis wir es selbst glauben, daß wir es gar nicht gewesen sind.
Dabei brauchten wir nur den Satz, daß böse Menschen keine Lieder (und auch keine Literatur) haben, als wahr zu nehmen, um mit einem fröhlichen: Wer wird denn weinen.., unsere Gutartigkeit zu dokumentieren. Aber sonderbar und unerforschlich sind die Wege unseres Schamgefühls. Ein Nackttanz paßte besser zu diesem demaskierten Elend als alle Theosophie. Die Gegensätze würden sich berühren, und man wüßte, woran man ist! Die trostlose Hoffnung, daß alles nur ein Mißverständnis war, wirkt deprimierender, als die klare Erkenntnis. Es hat sich vieles gewandelt in diesem Europa und jetzt stagniert es; die Letzten wurden die Ersten, die im Trüben fischen; sie waren schon immer da, saßen versteckt am Grund und sind emporgestiegen, hocken beisammen und unken, daß die Zeiten noch schlechter werden, weil die ihre gekommen ist. Aber kein Märchen spricht über diese ‘Wirklichkeit das Zauberwort: Es war einmal, das jene Kröten in Menschen verwandelte.
Es bat sich nichts gewandelt, als nur ihr Unterhaltungsstoff. Ein Sonntag ist, wie alle Sonntage waren in diesem Riesennest Berlin, wo sich allabendlich die Zellen erleuchten und die Menschen zum Biere gehen, altern und einmal spurlos verschwinden. Einer spürt den Drang, einen Schlager zu pfeifen, wenn einer in Bedrängnis stirbt. Einer schiebt Kegel und einer Millionen und einer singt so lange: Lott is‘ dot …‚ bis es ihm selbst an den Kragen geht.
Es ist kein Sinn in dieser Methode, aber im Uebersinnlichen bleibt das Nebeneinander haften; es ist ein Bruch in dieser Zeit, aber wer Augen hat zu sehen, findet die Einheit. Das Märchen war ein Krieg; ein Kind spielt mit den Trümmern der Wahrheit.
Daß irgend etwas nicht intakt sei, daß es dem einen über Gebühr schlecht und dem andern über Gebühr gut gehe, das haben alle erfaßt und alle Darsteller bis hinunter zum Cabaret profitieren davon. Könnte man mit Gesang einen Umsturz zaubern, so wäre ein Tendenzlied löblich, weit es einen Zweck hätte, aber oben die soziale Frage zu erörtern, wenn unten einer eine Lage Sekt schmeißt, hat höchstens den Zweck, die Eintrittsgelder zu erhöben. Keinen Zweck hätte e, die Dinge darzustellen, wie die andern es sich so vorgest1lt haben, so daß sie allerdings dann glauben, die Vorstellung hätte gar nicht stattgefunden. Denn Menschen gibt es, die gehen in einen Vortrag, nicht um zu hören, sondern um zu schreiben.
Zu wissen, daß es im Leben häßlich eingerichtet, genügt nicht, wenn nicht das Bewußtsein des Schaffenden in Wort und Mimik darüber steht. Das Lied vom Elend unserer Tage wissen wir alle zu singen. Aber nur einer erlebt es, wie es gewachsen ist. Und wer es schlafwandelnd pflückt, und wäre es wie heut und hier im Vortrag von drei kurzen Strophen, wagt sein Leben an, das Erwachen. Und wäre es das Lied von einem armen Mädchen; doch nicht, daß sie arm ist, rührt uns, sondern daß etwas von allem, das um sie herum und gleichzeitig besteht, in ihre Worte überging, bereichert unseren Blick. Denn nur Worte können so nebeneinander hergehen wie Menschen, und wo sie sich finden, ist ihr Schicksal und ihr Kehrreim. Und wenn tausend Jahre wie ein Tag sind, lebt
Das alte schlichte Lied von gestern abend,
Mich dünkt, es linderte den Gram mir sehr,
Mehr als gesuchte Wort‘ und lust‘ge Weisen
Aus dieser rachen, wirbelsüchtigen Zeit.
Erschienen in: Die Neue Schaubühne, 4. Jg, April 1922, S. 109.
Soviel ich (A.O.) weiß, ist dieser Text bislang nicht neu veröffentlicht worden. Da ich nicht weiß, wo die Rechte liegen, bitte ich die Rechteinhaber sich an mich zu wenden.
Marcellus Schiffer (1892 – 1932), einer der großen Chansontexter der 20er-Jahre, arbeitete bei einigen Kabarettprogrammen mit Walter Mehring zusammen. Am 20. Oktober 1922 hatte an der „Wilden Bühne“ von Trude Hesterberg (1892 – 1967) ein Programm Premiere, zu dem beide Texte beisteuerten. Der folgende Text ist ein Auszug aus Schiffers Tagebuch vom 20. Oktober 1922. Es enthält auch eine unverteilhafte Beschreibung Mehrings, die auch von Neid geprägt ist. Noch wenige Monate vorher, versuchte er sich mit Mehring gut zu stellen, weil er ihn als Fürsprecher benötigte. Die „Wilde Bühne“ hatte Trude Hesterberg 1921 im Souterrain des Theaters des Westens eröffnet. Am 24. Oktober 2011 entüllte Berlins Kulturstaatssekretär André Schmitz eine Gedenktafel an das Kabarett am Theater des Westens. In ihr werden viele Akteure, Texte und Autoren aufgeführt. Der Name des Berliners Walter Mehring fehlt in der Pressemitteilung der Staatskanzlei von Klaus Wowereit.
„Freitag, den 20. Oktober Kotzmiserabel und hoffnungslos. Alles scheint schiefzugehen wie gewöhnlich. Viel Ärger mit dem Engagement beim Rochus-Gliese-Film, das immer noch nicht zustande gekommen. Immer nur Versprechungen und sichere Zusagen, aber kein Vertrag. Wenn das wieder fehlschlägt, glaube ich an gar nichts mehr. Viele Proben in der Wilden Bühne, auch viel Ärger, weil unmögliche Menschen mit nicht gerade meinem Geschmack. Kein Wunder danach der Erfolg des Blauen Vogels. Von mir vier Couplets. Fliegentüten. Niveau für Dora Paulsen, eine eingebildete, mäßig begabte Anfängerin,
der es sich nicht einmal lohnt meine Meinung zu sagen, weil sie zu blöde ist. Charlot von Kate Kühl fabelhaft vorgetragen, und Die bessere Sache von Bendow unübertrefflich. – Walter Mehrings Sachen sehr gut – bis auf Gerrons, aber nach meinem Empfinden nicht so für Publikum geeignet. Man fragt: »Na und?« Bis auf Die kleine Stadt, die fabelhaft gemacht ist bis auf den letzten Vers, der sehr überflüssig und sentimental: alles schon dagewesen. Mehring selbst wie eine kleine Ratte oder so was, mißgünstig, ehrgeizig, unsympathisch, verbissen, verbittert, unzufrieden mit seinem Aussehen, wie mir scheint. Ein unsympathischer, aber fabelhaft begabter Mensch. – Heute abend ist Premiere des Programms. Sehr gespannt! Toi-toi-toi!“
Marcellus Schiffer: Heute nacht oder nie – Tagebücher, Erzählungen, Gedichte Zeichnungen hg. von Viktor Rotthaler; Bonn: Weidle Verlag 2003, S. 111.