Und nun nach Hamburg! Peter Sachse, der zu gleicher Zeit in Berlin
dreizehn Kabaretts leitete und in den zwanziger Jahren auch am Kurfürstendamm eine Stätte der Kleinkunst, ››Karussell« genannt, gründete, ließ Viktor Auburtin seine kleinen Miniaturen und Roda-Roda seine berühmten Militäranekdoten lesen. Er veranlaßte auch Walter Mehring und Willi Engel-Berger den »Seemanns-Choral« für sein Brettl zu schreiben.
Schlagwort: Kabarett
„Die roten Schuhe“
„Wie es zu den geteilten Meinungen über das Eröffnungsprogramm unseres literarischen Kabaretts kam, will ich jetzt noch zu erklären versuchen. Nach meinem Wiener Gastspiel im Kabarett von Direktor Farkas fuhr ich nach Paris. Dort traf ich Dichters- und Malersleute, die mir das »richtige Paris« zeigten, das Paris der Midinetten, Chansonetten und Clochards und den Montmartre mit seinem berühmten Quartier Latin. Mein Freund, der Maler Kohlhoff, der Paris so gut einfing, kannte sich hier, an der »Wiege des Cabarets«, aus, und so zogen wir von einem Keller zum anderen. Es war vor allem das »Lapin agile«, das mich immer wieder anzog. Alle, die dort auftraten, richteten eine Front auf gegen das Spießertum.
Ein Song für den Gong
Wie kam der Begriff des Songs in die deutsche Kultur? Der Mann im Mond spielte eine zentrale Rolle dabei – und leider auch ein rassistisches Machwerk, zu dem der Reimvirtuose Walter Mehring 1920 einen gewitzten Gegengesang anstimmte.
Auf die Frage, wer den ersten Songtext in deutscher Sprache geschrieben habe, würden die meisten Menschen wohl ohne zu zögern antworten: Bertolt Brecht. Doch er stammt nicht von ihm, sondern von einem heute weitgehend in Vergessenheit geratenen Schriftsteller der Weimarer Republik, der für die Literatur dieser Epoche gleichwohl eine nicht zu unterschätzende Rolle gespielt hat: Die Rede ist von Walter Mehring, einem der faszinierendsten Autoren der zwanziger Jahre. In diesem Jahrzehnt war er, zumal in Berlin, sehr erfolgreich: Einige seiner Gedichte, darunter „Heimat Berlin“ und „Hoppla! Wir leben!“, waren damals in aller Munde, und mit seinem Stück „Der Kaufmann von Berlin“ löste er im Jahr 1929 einen der größten Theaterskandale der Weimarer Republik aus. Kein Wunder, dass aufstrebende jüngere Autoren sich an ihm orientierten: Der junge Brecht etwa ist bei Mehring in die Schule gegangen.
Canaille du jour sind Christov Rolla, Piano, und Max Christian Graeff, Gesang, aus Luzern. Im Frühjahr 2017 erscheint das neue abendfüllende Programm „Mitgefefühl zum Teufel – Chansons concrètes“.
Walter Mehrlings Gedicht «Die Sage vom grossen Krebs» erschien in der vor dem Verbot zweitletzten Ausgabe der Wochenzeitschrift «Die Weltbühne» vom 28. Februar 1933. In der Nacht zuvor, der des Reichstagsbrandes, hatte Walter Mehring sein Land bereits fluchtartig verlassen müssen.
Aktuell publiziert in Walter Mehring: Dass diese Zeit uns wieder singen lehre. Hrsg. von Martin Dreyfus. © Elster Verlagsbuchhandlung, Zürich 2014.
Vertonung: Christov Rolla, 2016
In Berlin, der deutschen Hauptstadt, trafen die Klassengegensätze besonders hart aufeinander. Die Regierung Scheidemann-Noske blieb hier nicht bei der platonischen Verkündung der Parole „Ruhe ist die erste Bürgerpflicht“, sondern ging brutal mit Waffengewalt gegen das revolutionäre Proletariat vor, und von dem „Bluthund“ Noske gedeckt, ermordete die reaktionäre Soldateska die Führer der KPD Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Diese Ereignisse fanden ihre vielfältige Widerspieglung in der Literatur und im politischen Kabarett.
Walter Mehring, der in späteren Jahren, insbesondere nach dem zweiten Weltkrieg, von seiner damaligen fortschrittlichen Haltung abrückte, dichtete zornerfüllt den „Deutschen Liebesfrühling 1919“:
Herr Noske übt jetzt Volksversöhnung.
Mit Hülsenfreikorps, 5 Mark Löhnung.
Der letzte Mann, der Freiheit grölt,
Wird janz im stillen abgekehlt
Mit Eichenlaub und blut’ger Wade,
Begeistert brüllt die Wachtparade:
___Ach, Noske jib mir `n Frühlingsschmatz,
___Die deutsche Eiche jrünt.
___In Potsdam uff”n Rummelplatz
___Wird klotzig Geld vadient.
Wie genau Mehring die Bourgeoisie durchschaute, zeigt noch heute sein Pamphlet „Mit Samthandschuhen“:
„Seit mein Kaiser in Amerongen sitzt, kräht kein Bourgeois nach ihm, der ihn nicht täglich absetzte. Der Königsstürzer im Klubsessel und Heil-dir-im-Siegerkranz auf der Grammophonwalze, weil die Platte nu mal jekooft is. – Wir haben schließlich doch auch zugesehen, wie das Blut floß – aber man ist aufgeklärt – laßt sie doch die Kokarden tragen – das ist äußerlich. Und außerdem macht sichis sehr schön. – Und innerlich sind wir gut deutsch – schwarz-weiß-rot. Und gute Christen: Nur ein guter Christ kann ein guter Soldat sein, hat (zwar nicht Christus) gesagt (aber) Unser Kaiser. Nur ein guter Christ kann ein Demokrat sein, hat Scheidemann noch nicht gesagt. – Gelten lassen und Frieden! Wenn man uns nur das Geld läßt. Achtung! Die Bolschewisten kommen. Jetzt heißt`s zusammenkriechen. Kriechen! Ohne Rangunterschied: Um Gottes willen, Intellektuelle und Proletarier, vereinigt Euch, sonst geht die Kultur des Geldsackes flöten! Das wird Gott nicht wollen!“
Mehrings dichterisches Schaffen dieser Zeit fand seine Grenzen in der individuellen Sicht, aus der er die politisch-aktuellen Ereignisse betrachtete. Der 1896 geborene Dichter leistete aber trotzdem Entscheidendes zur Weiterentwicklung des literarischen Kabaretts in Deutschland. Dazu gehören vor allem seine Gedichte, die die „Weltbühne“ in der Zeit der Weimarer Republik veröffentlichte. Meisterhaft traf Mehring den Nerv der Zeit:
Oben woll’n se grad beraten –
Schnuppern am sozialen Braten,
Unten auf dem Königsplatze –
20 Mann im Heldensatze
Hat sich ’n Leutnant aufgepflanzt.
___Mitten in der Republike –
___Fesch und schnieke
___Geht’s: Heil dir im Siegerkranz!
___Vorne stehn se Kopp an Kopp,
___Hinten drängelt sich der Mob.
___Und die Claque brüllt sich heiser:
___Gebt uns wieder unsern Kaiser!
Mit 23 Jahren wurde Walter Mehring Hausdichter beim zweiten „Schall und Rauch“, dem ersten literarischen Kabarett der Nachkriegszeit. Hier fand er seinen Chansonstil: „Aus Unkenntnis dieser Kunstgattung, dessen spätere Popularität mich die Aufnahme in fast jede seriöse Literaturgeschichte kostete.“
Als Autor formvollendeter, großartiger Songs, Balladen und Chansons gehört Mehring zu den bedeutendsten Autoren des literarisch-politischen Kabaretts in Deutschland. Ausdruck, Rhythmik und die Suggestivkraft seiner Verse sind unverwechselbar. Eisiger Hohn und schneidende Schärfe wehen aus diesen Strophengebilden entgegen, „aber wie wenige hören es zwischen den Zeilen Walter Mehrings schluchzen“, bemerkt Tucholsky. Mehrings damalige Haltung, seine kompromißlosen Attacken gegen die Bourgeoisie, machten ihn in jenen Jahren zum Mitkämpfer gegen Krieg, Reaktion und Militarismus, wenn es ihm auch nicht gelang, seine Protesthaltung mit der organisierten Kraft der revolutionären Arbeiterbewegung zu vereinen.
(Rudolf Hösch: Kabarett von gestern – nach zeitgenössischen Berichten, Kritiken und Erinnerungen, Bd. 1, 1900 – 1933; Berlin (Ost): Henschelverlag 1969; S. 164 ff.
Dieser Beitrag aus den späten 1960er-Jahren ist ein gutes Beispiel für die Bewertung des Werkes von Walter Mehring vor dem Hintergrund der Ideologien. Mehring, der sich selbst nie als Kommunisten begriffen hat und auch nie Mitglied einer Partei wurde, wurde genau dies schon seit den 1920er-Jahren immer wieder zum Vorwurf gemacht. Auch im Exil spielte die Frage, ob man für oder gegen die KP war, eine wichtige Rolle. Und nach dem Ende des Dritten Reiches mit der Gründung der beiden deutschen Teilstaaten ebenso. Umso bemerkenswerter ist es, dass Hösch hier auch und vor allem auf die literarische Qualität der texte Merhings abhebt. A.O.)
25.8.1934
Teuerste E.M. Ausrufungszeichen
Aus Ihren werten Mustern hab ich mir das tapfere Schneiderlein ausgesucht und sende ich Ihnen selbes gleich zur Anprobe.
Mit dem Schneiderlein ist natürlich ….. gemeint, was ich energisch ableugne, weil es ganz unpolitisch ist.
Ich habs meiner (sehr häßlichen) Nervenverfassung direkt abgeboxt. Würden Sie mir das Eintreffen des tapferen, leicht monomanen Schneiderleins melden?
Und herrlich wärs, Sie dächten mal an mich aus den Geleisen Geratenen. Hier ist nämlich natürlich garnichts mehr zu wollen.
Wissen Sie nicht was in Zürich?
Und schönste Grüße an Ihren ganzen Thespiskarren
von Ihrem WM.
Und nun gehen Sie bitte mal raus und schicken Sie mir die Frau Derektern rein!
Geehrte Dame, erlaube mir anbei eine Figur nach Maß nebst quittierter Rechnung zu senden: Eine Figur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 0,75 Rappen 19 Reime à 50 Francs . . . . . . . . . . . . . . . . . 950 Francs Stundenlohn (Stunde 1 Franc) 7 Francs 80 Rappen Zugaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Franc 15 Rappen _________________________________________________________________ 959 Francs 70 Rappen
Selbige Summe (Ausnahmepreis) bitte ich, mir höflichst anläßlich meiner baldigen Geschäftsreise nach der Schweiz auf mein Schweizer Bankkonto überweisen zu wollen! Hochachtungsvoll Mehring & Co.
So Sie dürfen wieder eintreten! Ich hab bloß Ihrer Prinzipalin die Rechnung präsentiert; ne, ganz bescheiden, weils doch für Sie ist! Sind doch ’ne alte Kundin von mir! Schärfen Sie ihr doch bitte noch mal ein, daß sie mir die paar Pfennige in der Schweiz auszahle, wohinnen ich komme! Derselbigte
Kleine Gebrauchsanweisung: man kann selbiges Chanson leicht und einfach szenisch gestalten, indem daß man die übliche Schneiderpuppe aufstellt, sich außerdem einer großen Schere und einer Nadel bedient, auch eines Lappens, um nach den Fliegen zu schlagen.
Man trage das Chanson unpathetisch vor und etwas keifend, dergestalt, daß der Diktatorfimmel des Schneiderleins lächerlich wirke.
In der ersten Strophe wird genäht – Refrain Anfang parlando; der Schluß wieder gesungen.
Zweite Strophe wird anprobiert – Spiel mit der Schneiderbüste und dem daran hängenden Rock – bei: Oh es kneift Sie im Schritt wird das Schneiderlein wieder ängstlich und devot…
(Sieben Fliegen) wütend gesummt…
Es waren ihrer sieben – das war nicht übertrieben: zum Publikum als Einwand auf jeglichen Protest…
In der dritten Strophe hantiert das Schneiderlein zuschneidend wild mit der Schere Refrain: erste beide Zeilen ganz parlando, sehr einfach konstatierend gesprochen (bloß nich pathetisch!).
Zu den letzten zwei Zeilen: die Schere mit der Rechten aus der linken Hand ziehen wie ein Schwert aus der Scheide und die Schere dann zum Schluß hochhalten wie ein Schwert!
(Dieser Brief Walter Mehrings ist erschienen in: Mann, Erika: Briefe und Antworten; Hg. v.: Prestel, Anna Zanco; München: Edition Spangenberg 1984; Bd. 1, S. 52 ff.
Das Chanson, um das es in dem Brief geht ist „Die Vogelscheuche“.)
Zürich, 4. Mai 1956
Lieber Willi,
heißen Dank für Ihren Händedruck zu meinem 60. Wiegenfest, dem alten Veteran, der sich, wie Sie, dunnemals tapfer geschlagen hat: im Café Größenwahn und bei Schwannecke ~ unter unserm dicken, prächtigen Brigadegeneral, Exz.
Tucho, der längst nun ins Walhalla a. d. Panke versetzt wurde und eine nachlebenslängliche Pension bezieht ~ wie sich das gehört. Und gedenken wir auch ernsthaft der gefallenen Kameraden Paule Grätz und Morgan und Grünbaum . . .
Es grüßt Sie mit Ihrem »Es lebe die (je nach Wunsch auszufüllende) Republik!«
Ihr old man Walter Mehring
(Traute Schaeffers und Peter Schaeffers (Hg.): „Wer darf sagen: ich liebe Dich-?“ – Zur Erinnerung an Willi Schaeffers; Berlin: Privatdruck 1964, S. 9.)