Wie Flugblätter sind alle Gedichte, Moritaten und Bänkelgesänge des Buches „Mord und Todschlag, Gift und Galle“ gestaltet. Ob Moritaten über Verbrechen aus dem 19. Jahrhundert oder von Aufständen, ob Lieder über historische Ereignisse wie den Frankfreichfeldzug Napoleons oder über Kasper Hauser, Günther Stiller formt treffliche Bilder zu den Texten.
Die Anthologie der Büchergilde Gutenberg wurde von Frederik Hetmann zusammengestellt und herausgegeben. Im sechsten Kapitel versammelte er unter der Überschrift „Dichter spielen Bänkelsänger“ Texte von Theodor Fontane bis Walter Mehring. Natürlich fehlen auch Frank Wedekind, Bertolt Brecht und Kurt Tucholsky nicht.
War Walters Produktion als Schriftsteller kennt, weiß, daß er auch ein sehr guter Zeichner ist. Die meisten seiner dichterischen Werke sind von ihm selbst illustriert, und ich denke, dies ist wohl die ideale Illustration. Walter hat eigentlich immer gezeichnet, von Kindesbeinen an. Eine sogenannte Fachausbildung hat er nicht gehabt. Weder Aktzeichen mit Korrektur, noch Perspektive und Anatomie. Er ist Autodidakt. Mit der schützenswerten Unbekümmertheit des passionierten Amateurs zeichnet er. Es in ein wenig Sonntagszeichnerei, aber sehr sympathische. Seine Zeichnungen haben den schwerbeschreibbaren Reiz, der oft den Zeichnungen Ungeübter so eine Art kindlichen Charme gibt. Auch das ungehemmt Erzählende, daß sich über Form- und Raum(Kompositions-) problem kühn hinwgesetzt, ist dem naiven Zeichnen des Kindes verwandt. Auch ein klein wenig von den Zeichnungen Schizophrener ist mit dabei — ohne etwas hineingeheimnissen zu wollen. etwas von der reizvollen Fähigkeit einzelner Blätter Ensors oder des späten Ernest Josephson.
Nach der längst erfolgten Heiligsprechung des malenden Kleinbürgers Rousseau hat ja auch heute die offizielle Kritik einen Blick für diese merkwürdigen graphischen Feinheiten, die oft hart an der Grenze des Diletantischen liegen. Walter zeichnet auf, notiert aus der Erinnerung und dem Wissen — manchmal berichterstattet er sozusagen. Ein gewaltiger Felsenkegel, ein norwegisches Tal mit schwarzen Straßen, Beduinen, ein Tisch mit Frohkosten in Schweden, alles wird mit spitzer, ein bißchen verstimmter Börsenfeder eingeritzt und hingekritzelt. Von links wird begonnen, rechts wird aufgehört. Oder er zeichnet eine Kette untergehakter Matrosen, die, nach langer Abwesenheit vom Heimatlandd — voll Freude und ein wenig bezecht nach einem Haus mit übergroßer Nummer Ausschau halten. Mit großer zeichnerischer Begabung ist hier das schwankende Gehen ausgedrückt — graphisch gut übersetzt. Darauf kommt es an. Mehring zeichnet ja nicht einfach ab, er hebt alle seine Augeneindrücke in eine für ihn sehr charakterisische ironisch-hypochondrische Ebene. Spielt das, was er widergibt, leicht verzaubert ein Tönchen höher oder tiefer, aber niemuals in banalen Klavierschul-Akkorden.
George Grosz
(Grosz, George: Walter Mehring als Graphiker; in: Das Stachelschwein Heft 1, Oktober 1927; S. 12 ff.)
Rolf Herschel hat das Programmheft zum 2. Programm der Leipziger Pfeffermühle gestaltet. „Heute geschlossene Gesellschaft“ war ein Nummerprogramm mit Texten aus den 1920er-Jahren. Darunter „Der Angeklagte hat das letzte Wort“ und „Zum blauen Affen“ von Walter Mehring.
Uhu: Vier Künstler verfolgen zwei Damen im Bois de Boulogne
Im Jahr 1931 hatte die Redaktion des „Uhu“ eine schöne Idee. Lyriker sollten nach Bildern dichten und Karikaturisten nach Gedichten zeichnen. Heraus kam eine Stafette über eine Foto aus dem Bois de Boulogne von 1912.
„Dieses Foto gaben wir den dem Satirker Walter Melıring mit der Bitte, uns ein recht hübsclıes Gedicht dazu zu machen. Walter Mehrings Verse gaben wir dann an unsern Zeiclıner Horst v. Moellendorff mit der Bitte, uns eine recht hübsche Zeichnung dazu zu machen. Die Zeichnung von Horst v. Moellendorff gaben wir dann an den Lyriker Max Hermann-Neiße mit der Bitte, uns ein recht hübsches Gedicht dazu zu machen. Das
Gedicht von Max Hermann-Neiße gaben wir dann an unsern Mitarbeiter Otto Schmalhausen mit der Bitte, uns eine recht hübsche Zeichnung dazu zu machen. Jeder hat also nur die Arbeit seines Vorgängers als Anregung gehabt. Diese bunte Kette zeigt, wie – gleich einer Anekdote, die von Mund zu Mund wandert – ein so eiııfacher Vorgang bei der Weitergabe durch Auffassung, Temperament und Ausdrucksmittel verändert wird.“
Der erstaunliche und mysteriöse Kunstfund von München macht in diesen Tagen Schlagzeilen. Bei Cornelius Gurlitt fanden Ermittler eine erstaunliche Fülle von Bildern, die von den Nazis als „entartete Kunst“ diffamiert worden waren. Cornelius Gurlitt entstammt einer Kunsthändlerfamilie, mit der auch Walter Mehring zu tun hatte. Wolfgang Gurlitt kannte Mehring schon in jungen Jahren, als sie sich beide in Berlin für all das interessierten, was die Nazis dann ab 1933 verboten. Er war der Cousin von Hildebrand Gurlitt, dem Vater von Cornelius Gurlitt.
Wolfgang Gurlitt erbte die Galerie seines Vaters Fritz in Berlin. Trotz mehrfacher Konkurse oder fast abgewendeter Konkurse behauptete er sich als Kunsthändler. Während des Dritten Reiches blieb er in Deutschland und versuchte einen großen Dieal mit dem Kunstmuseum in Basel zu organisieren. Nach dem Krieg wurde er sehr schnell Österreicher und baute das Kunstmusiem in Linz auf, dessen Leiter er wurde, bis er 1960 seinen Stuhl räumen musste, weil er private und dienstliche Aspekte zu sehr vermengte. Ein privates Engagement war seine eigene Galerie in München, in der er 1961 Bilder von Walter Mehring und dessen Frau Marie-Paule ausstellte.
Mehring war bis 1933 selbst Kunstsammler. Doch nach einer Hausdurchsuchung durch die SA 1933 sind seine Bilder von George Grosz, Feininger, Campendonk, Klee und vielen anderen verschollen. Die Nazis verkauften viel beschlagnahmte Kunst ins Ausland, um Devisen zu beschaffen. Das übernahmen dann Kunsthändler wie Hildebrand und Wolfgang Gurlitt.
Der französische Fernsehsender France 2 widmet sich in einer Serie kurzer Filme der Kunst. Jedesmal wird in eineinhalb bis zwei Minuten ein Bild vorgestellt – und eine Geschichte zum Bild erzählt, die darüber hinaus geht. In dieser Ausgabe wird das Porträt Walter Mehrings von George Grosz aus dem Jahr 1925 vorgestellt.
Das Rote Antiquariat aus Frankfurt/Main hat eine wunderbare Mehring-Ausgabe im Angebot. „Die Gedichte, Lieder und Chansons des Walter Mehring“ hat der Autor dem Fotografen John D. Schiff 1948 gewidmet. Und passend zum Beruf des Beschenkten zeichnete er dieses Bild. Auch in dem verschenkten Band finden sich eine Reihe von Zeichnungen des Autors.
Heilig Abend 1926 überreichte die Literarische Welt einen Blumenstrauß aus Dichter-Zeichnungen an die Leser. In der zweiten Reihe von oben ist Walter Mehring ziemlich in der Mitte zu sehen.