Walter Mehring spricht mit Michael Kehlmann über seine Erinnerungen an Ödön von Horváth anläßlich der Erstausstrahlung des Fernsehspiels „Geschichten aus dem Wienerwald“, BR 1964
Schlagwort: Ödon von Horvath
AN TRAUGOTT KRISCHKE
München, den 1. 2. 58
Sehr geehrter Herr Krischke,
besten Dank für Ihren Brief vom 24. 1.
Daß Sie so vielseitig über Horváth arbeiten, ist zweifellos sehr verdienstlich und auch nach meiner Meinung durchaus angebracht. In den zwanziger Jahren, als er in Berlin war und als dort seine Stücke »Geschichten aus dem Wiener Wald« und »Kasimir und Karoline« gespielt wurden, trafen wir einander, wenn auch nicht regelmässig, so doch gar nicht so selten. Das war weiter kein Wunder, denn beispielsweise in dem Künstlerlokal Schwannecke traf »man« sich sowieso. Er war nicht nur ein hochbegabter, sondern auch ein geselliger und ungewöhnlich sympathischer Kollege, der auf dem besten Wege war, etwa in Zuckmayers Richtung Ruhm zu ernten. Von Zuckmayer unterschied ihn – ob das mit seiner ungarischen Herkunft zusammenhängt oder nicht, weiß ich nicht – eine spürbare Hintergründigkeit, die er doch, ohne Geheimnistuerei, in scheinbar nur vordergründigem Dialog zu plazieren wußte. Ausserdem war er, wohl auch, wieder Verglichen mit Zuckmayer, weniger optimistisch als dieser. Gerade die Geschichten aus dem Wiener Wald sind ja ein hervorragendes Beispiel für seine durch Humor gemilderte Menschenverachtung.
Als ich ihn 1937 traf – und ich traf ja damals ausser ihm auch Walter Mehring, Walter Trier und andere Emigranten – waren wir wiederum des öfteren zusammen. Ich erinnere mich noch gut, wie erschrocken er war, als er hörte, daß ich wieder ins Dritte Reich zurückführe, und er hielt diesen Plan für lebensgefährlich. Als ich dann von seinem merkwürdigen Ende erfuhr, erinnerte ich mich begreiflicherweise dieses Gesprächs sehr deutlich. Über die Datierung seiner Arbeiten und ähnliches kann ich Ihnen kaum Auskunft geben. Das dürfte nicht zuletzt darauf zurückzuführen sein, daß wir (…) zwar fleissig über Literatur sprachen, aber eigentlich nicht so sehr über unsere eigenen Pläne. Ich weiß, daß ich Ihnen mit diesen wenigen Zeilen keine sonderlich zweckdienlichen Angaben machen kann, wollte aber doch, so gut ich es eben kann, Ihrer Bitte entsprechen.
Mit den besten Grüssen und Wünschen für Ihre Arbeit
Ihr
Erich Kästner: Dieses Na ja!, wenn man das nicht hätte! – Ausgewähle Briefe von 1909 bis 1972 (Hg. v. Sven Hanuschek) Zürich: Atrium Verlag 2003, S. 168)
Der X. Brief aus der Mitternacht ist wohl der beeindruckendste des Gedichtzyklusses. Im Exil an seine Freundin Hertha Pauli geschrieben fassen die zwölf Gedichte die Stimmungslage und die Erlebnisse der Jahre 1940 und 1941 von der Flucht aus Paris bis zum Januar 1941 in Marseille zusammen. Von der Abreise nach Martinique und der Weiterreise in die USA ist in dem Zyklus noch nichts zu ahnen. Der X. Brief ist von einer traurigen, fast schon sprachlosen Erinnerung an zwölf inzwischen verstorbene Freunde und Kollegen geprägt. Wobei die Sprachlosigkeit natürlich in Worte gefasst ist. Sie ist der Eindruck, der beim Lesen, beim Hören entsteht, weil diese sprachmächtigen Freunde von Erich Mühsam über Carl von Ossietzky, Kurt Tucholsky, Ernst Toller, Joseph Roth über Ernst Weiss, Ödon von Horvath, Carl Einstein und Rudolf Olden, Walter Hasenclever bis zu Theodor Lessing ihre Sprache, ihr Leben verloren haben. Weil diese Schriftsteller von den Nazis ermordet oder auf der Flucht ihr Leben verloren haben, beziehungsweise sie es sich wie Ernst Toller nahmen, weil sie das Exil und die Aussichtslosigkeit nicht mehr ertrugen.