2014 veröffentlichte der französische Verlag „Les Belles Lettres“ eine französische Übersetzung von „Die verlorene Bibliothek“ Die oben stehende Rezension ist am 7. März von Radio France gesendet worden. Die Textfassung findet sich hier…
Schlagwort: Frankreich
Ein Brief von Henri Lichtenberger
In Nr. 31 des NTB besprach Walter Mehring das neueste Buch Henri Lichtenbergers, des bedeutenden Germanisten der Sorbonne, in dessen Schule eine ganze Generation von Franzosen über das klassische und moderne Deutschland unterrichtet wurde. Mehring hatte, wie den Lesern erinnerlich sein wird, die Arbeit betrübend einseitig gefunden. Jetzt ist ihm ein Brief des Gelehrten zugegangen, der veröffentlicht zu werden verdient.
Lieber Herr Mehring,
von einer Reise zurückgekehrt, finde ich auf meinem Arbeitstisch den Artikel, den Sie meinem Buche „La Nouvelle Allemagne” gewidmet haben. Er überrascht mich nicht. Während ich das Buch schrieb, hatte ich selbst das Empfinden, dass ich nicht genügend Platz jenen einräumte, die die Opposition gegen Hitlerdeutschland verkörpern. Um „gerecht“ zu sein (wie ich das Wort verstehe), hätte man tatsächlich zwei Bände schreiben müssen: einen über die Legende des Nationalsozialismus, so wie ich es unternommen habe, sie wiederzugeben und darzustellen, – den andern über das Deutschland der Emigration und über jenes Deutschland, das schweigt und wartet. Von diesen beiden Büchern habe ich nur das erste geschrieben, und zwar zunächst, weil mein Werk nicht einen gewissen Umfang überschreiten durfte, sodann aber, weil gerade Hitlerdeutschland bedeutend schwerer für uns Franzosen zu begreifen ist (ich trug Sorge, eine ganze Reihe
von Punkten aufzuzählen, in denen es mir unanwendbar – „inassimilable“ – für uns scheint). So habe ich mir den Anschein gegeben, den Leiden, den Gewissenskonflikten des anderen Deutschlands nicht genügend Rechnung getragen zu haben. Ich begreife, dass man mir das vorwirft. Und Sie haben tausend Mal recht, ein Buch wie: Das Deutsche Volk klagt an” als notwendige Ergänzung zu dem meinen zu bezeichnen.
Bleibt die Frage zu erörtern, ob das meine deswegen als nutzlos oder tendenziös zu gelten hat. Eine tragische Frage, gewiss, und schwer zu lösen! Ist das Hitlertum eine vorübergehende Krise der deutschen Seele, ohne Zukunft? (Und lohnt also aus diesem Grunde nicht der Versuch, es begreifen zu wollen, sondern ist in erster Linie von Bedeutung, es zu bekämpfen?) Oder ist das Hitlertum eine Enthüllung gewisser sehr charakteristischer Züge der deutschen Seele (in welchem Falle es verdiente, studiert und nicht nur widerlegt zu werden) ?
Ich bin pessimistisch genug, mindestens die Möglichkeit der zweiten These in Betracht zu ziehen und zu erweisen, dass, um Deutschland zu kennen, es nicht genügt, Lessing, Goethe und Nietzsche zu kennen, sondern dass es wesentlich ist, auch Wagner und Chamberlain, ja selbst Rosenberg, Schacht und Hitler nicht zu übergehen. …Es handelt sich da nicht um Sympathien, um Wahlverwandtschaften (Sie Wissen sehr gut, auf Welcher›Seite die meinen sind). Die Frage, um die es geht, ist, die Bedeutung eines Faktums abzuschätzen (möge dieses Ihnen nun behagen oder nicht behagen, das spielt keine Rolle).
Habe ich es nötig, Ihnen zu sagen, dass ich es nicht im geringsten bedauern würde, wenn die Ereignisse meinem Pessimismus Unrecht gäben, und wenn meine „objektive“ Studie in einigen Monaten oder einigen Jahren definitiv ungültig geworden wäre?
Mit allerherzlichstem Gedenken
Henri Lichtenberger.
22. Oktober 1936.
(Lichtenberger, Henri: Ein Brief, in: NTB H44/4.Jg. vom 31. 10. 1936; S. 1077.
Henri Lichtenberger bezieht sich auf Mehrings Rezension Die Objektivität (in NTB H. 31/4. Jg. vom 01. 08. 1936, S. 738-740))
WALTER MEHRING
PARMI les écrivains modernes de langue allemande, combien nous restent inconnus ou à peu près! Et si l’on pense aux jeunes, à la longue liste de ceux nés de la guerre et dela révolution, que représentent les quelques-uns dont le nom est tout juste parvenu jusqu’à nous? Au nombre de ces derniers, figure Walter Mehring, qui eût pourtant mérité de notre part une attention particulière rien que pour son admirable traduction des Contes drôlatiques de Balzac dans le langage allemand du seizième siècle, ou encore pour l’amour qu’il porte aux lettres françaises en général et dont témoignent ses travaux relatifs à notre poésie. A d’autres égards encore, il méritait que nous le connussions mieux: n’était-il pas resté, en août 1914, et ce, pendant toute la durée du carnage, sans défaillir une minute, l’actif antibelliciste de la veille?
Walter Melzring dont le père, Sigmar Mehring, traduisit aussi des ouvrages poétiques français, naquit à Berlin, voici près de trente-cinq ans. C’est en 1915 qu’il débute dans la littérature par des essais remarqués sur l’expressionnisme, alors en pleine vogue en Allemagne, auquel s’étaient ralliés tous les jeunes, et par des poèmes audacieux que
publie la revue littéraire d’avant-garde: Sturm. Puis il collabore à la Pleite (la Faillite), organe satirique, où il se lie avec le fameux caricaturiste George Grosz. C’est là également qu’il rencontre Carl Einstein, l’auteur du Mauvais Message, ouvrage qui valut à Einstein d’etre poursuivi et condamné pour blasphème au lendemain de la révolution allemande et sous un régime socialiste.
Un moment, en 1919, Walter Mehring se mit à composer des poésies surréalistes – le surréalisme commençait à supplanter l’expressionnisme, mais était révolutionnaire, lui aussi. Ces poésies au rythme syncopé eurent un certain succès en Allemagne. Mehring en publia trois recueils : Le cabaret politique, Le Bréviaire hérétique et les Nuits européennes. Il collaborait alors au Cabaret artistique „Schall und Rauch“ (Bruit et Fumée), à la Weltbühne et au Tagebuch.
En 1922, il publie Dans la Peau de l’Homme, recueil de nouvelles d’une verve mordante, suivi bientôt de son Abenteuerliches Tierhaus (les animaux dans la mystique, superstitions, psychanalise du moyen âge jusqu’à nos temps; les bestiaires de la littérature française), ouvrage dénotant une grande culture et un esprit profond.
Walter Mehring, malgré sa jeunesse et ses travaux, a dé jà beaucoup voyagé. Il aime la Provence et la côte d’Azur où il a vécu. Paris, où il passe chaque année plusieurs mois, n’a plus de secrets pour ce fouilleur et cet artiste. C’est ce qui lui a permis d’écrire ce beau roman, Paris en feu, dont nous espérons entreprendre la traduction. Précédemment, il avait publié, aux éditions Gottschalk de Berlin, son journal de voyage en Angleterre, dans
lequel nous le vímes déployer des qualités qui ne sont que l’apanage des écrivains de race. Il connaît aussi l’Algérie et en a rapporté le plus beau, le plus délicieux des livres: Algier oder die dreizehn Oasenwunder, recueil de contes que nous ferons également connaître en France, tout au moins partiellement.
Walter Mehring vient d’achever, après de longs efforts, un drame qui s’appellera, croyons-nous, Le Bourgeois de Berlin, et pour lequel, nous a-t-il confié, le Théâtre Piscator de Berlin travaille à une mise en scène prodigieuse.
Alzir HELLA.
(Dieser Text zur Vorstellung Walter Mehrings für ein französisches Publikum ist zur Erläuterung erschienen. Oliver Bournac und Alzir Hella hatten gemeinsam die Erzählung Adams goldene Rippe aus „In Menschenhaut Aus Menschenhaut Um Menschenhaut herum“ für die Zeitschrift „Le Merle“ übersetzt, die im Original schon fünf Jahre zuvor bei Gustav Kiepenheuer erschienen war. Alzir Hella vermittelte den Lesern, wer Walter Mehring ist. La Cote D’Adam; in: Le Merle, Nummer 21 (Nouvelle série) vom 27. September 1929; S. 7.)
Uhu: Vier Künstler verfolgen zwei Damen im Bois de Boulogne
Im Jahr 1931 hatte die Redaktion des „Uhu“ eine schöne Idee. Lyriker sollten nach Bildern dichten und Karikaturisten nach Gedichten zeichnen. Heraus kam eine Stafette über eine Foto aus dem Bois de Boulogne von 1912.
„Dieses Foto gaben wir den dem Satirker Walter Melıring mit der Bitte, uns ein recht hübsclıes Gedicht dazu zu machen. Walter Mehrings Verse gaben wir dann an unsern Zeiclıner Horst v. Moellendorff mit der Bitte, uns eine recht hübsche Zeichnung dazu zu machen. Die Zeichnung von Horst v. Moellendorff gaben wir dann an den Lyriker Max Hermann-Neiße mit der Bitte, uns ein recht hübsches Gedicht dazu zu machen. Das
Gedicht von Max Hermann-Neiße gaben wir dann an unsern Mitarbeiter Otto Schmalhausen mit der Bitte, uns eine recht hübsche Zeichnung dazu zu machen. Jeder hat also nur die Arbeit seines Vorgängers als Anregung gehabt. Diese bunte Kette zeigt, wie – gleich einer Anekdote, die von Mund zu Mund wandert – ein so eiııfacher Vorgang bei der Weitergabe durch Auffassung, Temperament und Ausdrucksmittel verändert wird.“
Uhu Nr. 7, 1930/31, H. 6; S. 31 ff.
Anthony Heilbut, der Sohn emigrierter deutscher Eltern, hat 1983 eine große Monografie über die Emigration in die USA vorgelegt. In ihr bespricht er auch „Die verlorene Bibliothek“. Zwar stimmen nicht alle Fakten. So war Richard Huelsenbeck Herausgeber des Dada-Almanach von 1920. Er ist also nicht Walter Mehrings Buch, auch wenn Mehring Texte beisteuerte. Dennoch ist der Auszug aus dem 480 Seiten starken Taschenbuch lesenswert, weil er den Blick auf Mehring nicht mit der rein deutschen Brille wirft. Und in einem Jahr, in dem „Die verlorene Bibliothek“ neu im Elster-Verlag aufgelegt wurde, sind solche Fundstellen umso lesenswerter. (A.O.)
Den vielleicht wehmütigsten Abgesang auf die Emigrantenkultur stimmte unerwarteterweise Walter Mehring an. Im Unterschied zu den anderen Schriftstellern war er ein echter Berliner, dort geboren und Sohn des Zeitungsverlegers Franz Mehring, der einst Rosa Luxemburg unterstützt hatte [Mehrings Vater war Sigmar Mehring. Der Fehler steht so in Heilbuts Text.]. Sein kulturelles Debüt hatte Walter Mehring im Alter von zweiundzwanzig Jahren gegeben, als er zusammen mit seinem Freund George Grosz eine Dada-Matinee auf die Bühne brachte. Höhepunkt der Show war ein Wettrennen zwischen einer Nähmaschine und einer Schreibmaschine. Zwei Jahre später erschien, illustriert von George Grosz und verlegt von Wieland Herzfelde, sein Dada-Almanach von 1920. Mehrings Gedichte erinnern an Pop-Lyrik („Berlin, dein Tänzer ist der Tod – Foxtrott und Jazz -„), und das Kabarett war ihr Forum. Als Berlins führender Kabarett-Dichter fand Mehring bald Eingang in die Kreise um Brecht, Grosz und Reinhardt. Lange vor der überschätzten, unausgegorenen Pop-Poesie der sechziger Jahre schuf Mehring etwas wirklich Neues, verflocht Töne und Bilder zu Rhythmen seiner Stadt – ein Foxtrott am Rande des Abgrunds.
Mehrings Talent war nicht nur, wie Grosz vermerkte, beseelt von François Villon und Heine, sondern auch von anderen, überraschend literarischen Vorbildern. Der französische Vaganten-Dichter und der frankophile deutsche Jude waren in der Tat angemessene geistige Ahnen. Mehring selbst verbrachte die zwanziger Jahre zum großen Teil in Paris. Tucholsky pries ihn als den ersten, der Berlin so sehe, wie die Welt gewöhnt sei, Paris zu sehen. Anfang der dreißiger Jahre wollten die Nazis ihn verhaften. Sie fanden ihn wie gewöhnlich in einem Café, doch Mehring gab vor, nicht er selbst zu sein, entkam seinen Häschern und kehrte nach Paris zurück. Dort verlebte er die dreißiger Jahre inmitten seiner Mitexilanten, und der Galgenhumor, mit dem er sie unterhielt, ließ auch den alten Berliner Kabarett-Geist überleben. Während dieser Zeit entfremdete er sich zunehmend seinen marxistischen Freunden, die ihre Ideologie je nach Weisung Moskaus änderten. Der loyale Kommunist
Wieland Herzfelde hat Mehring die Abwendung von der Sowjetunion nie verziehen und warf ihm vor, deren Krieg mit Finnland (1939) ganz einfach mißverstanden zu haben. In einem Brief, den er Mehring zum fünfzigsten Geburtstag schrieb, nannte er ihn einen „bastard“.
Aus Frankreich entkam Mehring über Marseille und erreichte 1941 die USA. Er verbrachte die übliche unerfreuliche Zeit in Hollywood und ging dann nach New York, wo auch seine alte Freundin Hertha Pauli und ehemalige Dadaisten-Kollegen wie Huelsenbeck, Grosz und Herzfelde lebten. 1944 erschien eine Sammlung seiner Gedichte, illustriert von George Grosz und übersetzt von einem linken amerikanischen Freund Erwin Piscators. Vorübergehend arbeitete Mehring auch für die Propaganda-Abteilung des Office of Strategic Service und brachte sich später als Arbeiter in einer Fabrik auf Long Island durch.
1951 veröffentlichte er The Lost Library: Autobiography of a Culture, das er zum Teil auf der Tabakfarm eines Pazifisten und Jazzmusikers in New England geschrieben hatte. Wer hätte solch ein Buch von ihm erwartet? Mehring gedenkt der Berliner Bibliothek seines Vaters und bekennt sich damit zu der gelehrten humanistischen Tradition, der er entstammte und die er mit seinem eigenen populären Stil einst schmähte. Aber irgendwie brachte die amerikanische Umgebung eine Annäherung zwischen Vater und Sohn, hoher Kultur und Kabarett. Mehring beschwört die Tradition mit jenem echten Berliner Ton, keck, dicht und sehr smart. Wenn er will, weiß er mit literarischer Mimesis so sorgsam umzugehen wie Erich Auerbach. Doch öfter noch ist er von ganz erdgebundener Respektlosigkeit: Marx ist ein unlesbarer alter Langeweiler, Nietzsche und Schopenhauer hat die Syphilis den Verstand geraubt. Mit Melancholie hat er als typischer Emigrant nichts im Sinn. Gegen den Kummer über die verlorene Bibliothek empfiehlt er gute Laune und guten Sex, nicht ein besseres Buch, sondern einen besseren Orgasmus.
Doch trotz seines smarten Tons ist es kein glückliches Buch, und am traurigsten ist es da, wo Mehring in literarischen Schätzen schwelgt und zugleich erkennt, wie nichtig und ohne Wert sie in der gegenwärtigen Zeit waren. Als Kabarettdichter und -komponist verstand Mehring sich auf sprachliche Rhythmen. Er sah, daß sich eine Veränderung der Wirklichkeit in der Grammatik widerspiegeln kann, noch bevor die Betroffenen sie wahrnehmen. Sprache vermag nicht viel, aber sie kann den Leser auf das vorbereiten, was in der Zukunft auf ihn wartet. Davon war Mehring überzeugt, und darum nahm er auch gegen Gide Partei für Proust. Gide hatte dem Jüngeren „willkürliche Behandlung der Zeiten“ und „verschwenderischen Mißbrauch des Subjunctivs“ vorgeworfen. Gide, so Mehring, sah nicht, daß Proust der Grammatik und der Syntax von Weissagung und prophetischen Träumen folgte und daß sein Subjunctiv der „Subjunctiv des Zweifels“ war. Dieser letzte glänzende Gedanke ist nicht nur gültig für die Ereignisse in Prousts Roman, er trifft auch das Emigrantenleben, denn im Bewußtsein vergangenen Verrats und Betrugs – „der Korruption aller Bindungen“ – weckte jeder erfüllte Wunsch Argwohn. Der Subjunctiv des Zweifels mißbilligte sehnendes Verlangen und gestattete eine schützende Distanz zu der inneren Gewißheit, daß unsere Hoffnungen entweder banal oder zum Scheitern verurteilt sind.
Die Bibliothek ist verloren. Die Weisheit, die sie enthielt, ist verstreut in Zeit und Raum, unendlich weit entfernt von einer New-England-Farm des Jahres 1950. „All diese Dinge existieren nur noch im Plusquamperfekt oder in einem passé defini“: Die Angelegenheit hat ihre grammatische Form gefunden und ist damit erledigt. Kundig zu lesen sei des Emigranten größtes Talent, schreibt Mehring, doch gibt er zu, daß die Besinnung auf Vergangenes ein müßiges Unterfangen sei, obwohl doch sein Buch beweist, daß es gerade jene Besinnung war, die den Emigranten half, durchzuhalten. Was bleibt? Was hat noch Sinn? Politisches Engagement jedenfalls nicht, wenn es nach Mehring geht. Am besten ist es noch, nach „Korrektur seiner selbst“ zu streben: ein Rückzug oder Ausweg, der nicht weniger in die Enge führt als der Weg von Berlin auf eine Tabakfarm. Das Nächstbeste ist die Fähigkeit, andere zu unterhalten. In einer letzten Berliner Posse verrät man seine ernsthafte Seite und zieht sich auf die Komödie zurück. Einen Galgenhumoristen hängt man nicht: Die Emigration hat ihn gelehrt, daß es sich auszahlt, sein Innerstes zu verbergen.
(Anthony Heilbut: Kultur ohne Heimat – Deutsche Emigranten in den USA nach 1930; Reinbek: rororo 1991; S. 281-283).
Als literarische Figur ist Walter Mehring bislang nicht verarbeitet worden. Natürlich gibt es eine große Reihe von autobiografischen Berichten und Romanen, in denen sich Autoren wie Hertha Pauli, Herrmann Kesten oder Friedrich Dürrenmatt an Begegnungen oder den Freund Walter Mehring erinnern, aber eine Literarisierung seines Lebens durch Dritte fand bislang nicht statt. Eveline Hasler hat das jetzt in ihrem Roman „Mit dem letzten Schiff – Der gefährliche Auftrag von Varian Fry“ erstmals getan. Ihr schmaler Band über die Fluchthilfe durch Varian Fry und das Emergency Rescue Committee ist Walter Mehring eine wichtige Figur.
In seiner Biografie „Der Orientatlist – Auf den Spuren von Essad Bey“ schildert der Amerikaner Tom Reiss, wie sich der „Anschluss“ Österreichs auf den in Wien lebenden Walter Mehring auswirkte. Reiss beschreibte zudem, wie Mehring mit Hertha Pauli, der damaligen Agentin Essad Beys, nach Frankreich und weiter in die USA floh:
„In seinem Buch Die verlorene Bibliothek schrieb Levs Freund Walter Mehring, dass Wien und die gesamte Doppeladlermonarchie in der Gefahr schwebten, von einer Lawine verschüttet zu werden. In dem Buch erfindet er eine imaginäre Bibliothek, die seines Vaters, die all die Werke jener Kultur birgt, die von den Nationalsozialisten und ihrer totalitären Revolution zerstört wurden:
Wie viele deutsche Intellektuelle wurde auch Walter Mehring in Frankreich nach Beginn des 2. Weltkrieges interniert. Zwar war er nicht in Les Milles wie viele andere deutsche Emigranten Er war in Camp de Falaise (Herbst 1939 bis Februar 1940) und St. Cyprien (September bis November 1940), so wie es Michael unten in seinem Kommentar richtig angemerkt hat. Joseph Hanimann hat in der Süddeutschen Zeitung am 10. September 2012 in einem großen Artikel am Les Milles erinnert. Auch wenn Walter Mehring nicht dort war, ist der Text dennoch lesenswert, weil er einen guten Einblick in die Zustände gibt:
Mahnmal Les Milles in Frankreich
Wo der Widerstand geholfen hat
„Zwischen Wissenschaft und politischem Engagement: An diesem Montag wird in Frankreich das ehemalige Internierungslager Les Milles als Mahnmal gegen Diskriminierung und Menschenverfolgung eröffnet. Doch die Aktualisierung von Geschichte stößt hier an ihre Grenzen.
Im Brennspiegel des Internierungslagers Les Milles frisst die Geschichte ein Loch ins Bild der République. Wahrscheinlich war deshalb die Herrichtung dieses Orts zur Gedenkstätte so langwierig. Als Jacques Chirac 1995 als erster französischer Präsident die Politik des État français unter Pétain in die Kontinuität der Dritten Republik stellte, war die Bemühung um dieses einzige noch erhaltene unter Frankreichs großen Internierungslagern schon seit zwölf Jahren im Gang. Es sollte dann weitere 17 Jahre dauern. Nun ist es so weit. An diesem Montag wird im Beisein des Premierministers Jean-Marc Ayrault das Camp des Milles als Mahnmal gegen Diskriminierung und Menschenverfolgung eröffnet. Die Aufarbeitung von Vichy geht weiter voran. In zwei Wochen soll auch im Pariser Vorort Drancy, wo einst die Züge nach Auschwitz abfuhren, ein vom Schweizer Architekturbüro Diener & Diener entworfenes Mahnmal als Außenstelle des Pariser Mémorial de la Shoah eröffnet werden.“
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