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1946 2018 Biografisches

Erinnerungen von Ré Soupault an Treffen mit Mehring 1946 in New York

 

Ré Soupault: Vom Bauhaus in die Welt – Erinnerunge

Diese kurzen Notizen im Rückblick spiegeln nichts wider von den oft übermenschlichen Mühen, die mir Arbeit, Geldverdienenmüssen, Umzug, neu Einrichten usw. gemacht haben. In meinem Tagebuch aus jenen Tagen ist natürlich viel mehr enthalten, aber selbst diese ausführlicheren Notizen geben mir beim Wiederlesen nur so etwas wie einen Schatten des Erlebten. Das Leben in meiner eigenen Behausung brachte mir so manche Bereicherung, nicht etwa in materieller, sondern in seelisch-moralischer Beziehung: ich konnte Freunde bei mir sehen oder, wenn dieses Wort vielleicht zu hoch gegriffen ist, Menschen, an denen mir lag, die Freunde werden konnten. Lotte Weidler kam, Richard Wright mit Ellen, seiner Frau, Claire und Yvan Goll, Lotte Lenya und Kurt Weill, Miriam, Marion, Bill und seine Frau. Zu meinen häufigen Besuchern gehörte Walter Mehring, und in der Erinnerung bin ich immer noch gerührt, wenn ich ihn sagen höre: Unter uns können wir ja eigentlich »boche« sprechen. Ich glaube, seine Sprache fehlte ihm sehr. Schriftsteller und Schauspieler hatten es besonders schwer als Flüchtlinge.

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1918 1919 1986 Biografisches Wissenschaft

Herrmann-Josef Fohsel beschreibt den Beginn von DADA

Der Künstlercafés Berlins sind vielfach beschrieben worden. H.J. Fohsel veröffentlichte 1996 einen schönen Band über das Café des Westens und das Romanische Café. In ihm schildert er auch, wie DADA in Berlin in die Welt kam:

Am 12. April 1918 startete die »Neue Sezession« in der Galerie Macht mit einer Soirée die erste von zwölf öffentlichen Veranstaltungen des Berliner »Club Dada«: »Der Gipfel der Auflehnung wurde erreicht, als Else Hadwiger die Kriegsgedichte von Marinetti vortrug, die Huelsenbeck mit einer Holzknarre und auf einer Kindertrompete zur Illustration begleitete. Ein Soldat in feldgrauer Uniform wälzte sich in epileptischen Krämpfen am Boden, und das Publikum tobte. Mein Text Das neue Material in der Malerei löste eine solche Bewegung aus, daß die Saalleitung, die für die ausgestellten Bilder an den Wänden fürchtete, mir mitten im Satz das elektrische Licht ausdrehte und ich in der Finsternis zum Schweigen verurteilt War. Ein herrlicher Abend und ein DADAistischer Erfolg«, erinnert sich Raoul Hausmann in »Am Anfang war Dada«.

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1918 Biografisches

Erwin Blumenfeld erinnert an eine Orgie bei George Grosz

Erwin Blumenfeld ist am 17. November 1918 aus dem Ersten Weltkrieg nach Berlin zurückgekehrt. Nach zwei Jahren in der Etappe hinter der Westfront machte er sich zügig auf den Weg, um Bekannte und Freunde aus dem Café Größenwahn zu finden. In seinem Erinnerungsband „Einbildungsroman“ schildert er die Ankunft in Berlin und die wenigen Tage, bis er nach Holland zu seiner Verlobten aufbrach. Die war mit Paul Citroen verwandt, dem Nachbarn, Kindheits- und Jungendfreund Mehrings:

„Zu Haus war niemand. Ich hatte keinen Schlüssel, saß im Schnee auf der Straße, bis der Portier mich, als es tagte, in unsere verlassene Wohnung ließ. Mama in einer Lungenheilanstalt bei Hannover, Annie als Polizeiassistentin in Hamburg. Um mich zu wärmen und gleichzeitig zu entlausen, verbrannte ich meine Uniform: Kaisers stinkenden Rock. Nichts zu fressen. Ich schlief erst mal mehrere Tage besinnungslos und erwachte fiebernd mit wolfsheulendem Husten. Als »Unerlaubt entfent vom Truppenteil« verweigerte man mir Lebensmittelkarten. Überall huschten Gerippe, die mit Karten am Verhungern waren. Ich ging auf Nahrungssuche und fand mit zwei silbernen Leuchtern eine Kartoffel. Mir fielen die legendären Hochzeitsweine meiner Eltern ein, die im Keller der Luitpoldstraße seit fünfundzwanzig Jahren hinter Schloß und Riegel darauf warteten, getrunken zu werden. Mit Hilfe von George Grosz schob ich an die sechzig Flaschen, in Säcken verborgen, auf einer Handkarre zu seinem Atelier. Da brieten wir meine Kartoffel, aßen dazu eine gelbe Wachskerze und probierten ein paar Pullen des edlen Nasses, wie im tiefen Frieden. Grosz pinselte ein Plakat: »Wohlgebaute junge Damen der Gesellschaft mit Filmtalenten werden zum Atelierfest bei Maler Grosz gebeten, acht Uhr abends, Abendtoilette! Olivaerplatz 4.« Mit diesem an einen Besenstiel genagelten Plakat promenierten wir als Sandwichmänner den Kurfürstendamm auf und ab. Zum Fest kamen elf Männer: Mynona, Grosz, Piscator, Huelsenbeck, Mehring, das Siebenmonatskind (der spätere Pipi-Dada), Benn, Gumpert, Yomar, Förste, Wieland und Muti Herzfelde (Monteur-Dada) und ich. Als mehr als fünfzig Damen auftauchten, mußten wir wegen
Überfüllung schließen. Der alte Mynona (schon über 40!) hatte angedeutet, daß in seiner Hosentasche ein halbes Pfund Cacao verborgen sei, und aller Damen Hände waren in seinen Hosentaschen. Ich beneidete diesen Roué! Um das Fest in Schwung zu bringen, schlugen wir vor, man solle sich entkleiden. Wir Männer zogen uns in die Küche zurück und beschlossen, unentkleidet zu bleiben. Als wir ins Studio zurückkamen, war die Damenwelt nackend und die Orgie begann. Alles besoff sich, die leeren Flaschen flogen durchs Glas
des Atelierfensters auf die Straße. Scherben, Schreie, Krach. Während alle jubelnd Takt schlugen, holte sich Grosz auf einer Chaiselongue in der Mitte des Studios bei Mascha Beethoven n Trippa. Mynona hat diesen historischen Abend in einem Roman, dessen Titel mir entfallen ist, verewigt. Zwei Tage danach erwachte ich erfroren in Groszens Badewanne, meinen blauen Anzug hatte man mir gestohlen.“

Zitiert aus: Erwin Blumenfeld: Einbildungsroman; Frankfurt/Main: Eichborn Verlag 1998, Die Andere Bibliothek, Bd.162, S. 248 f. 

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1924 Lyrik Übersetzungen

Mehrings Übersetzung französischer Revolutionslieder im Malik-Verlag

Französische Revolutionslieder, Band 1 der Malik-Bücherei
Französische Revolutionslieder, Band 1 der Malik-Bücherei

Walter Mehring war nicht nur Dramatiker, Romancier, Lyriker und Journalist. Er hat auch immer wieder übersetzt. Dabei scheute er auch Namen wie Balzac oder Shakespeare nicht. Sein außergewöhnliches Sprachempfinden, sein enormer Wortschaftz und die Fähigkeit selbst die schwierigsten Stoffe in Rhythmen zum Schwingen zu bringen, ermöglichten ihm bemerkenswerte Übersetzungen.

Ein kleiner Band von 1924 mit nicht einmal 65 Seiten ist eines der so entstandenen Bücher. „Französische Revolutionslieder“ ist Band 1 der Malik-Bücherei des gleichnamigen Verlages von Wieland Herzfelde, dem Bruder John Heartfields. Die alten DADA-Kontakte führten wohl zu diesem Auftrag, dem Mehring gern nachkam. Jean Pottier und L.B. Clément heißen die Autoren der Chansons aus der Zeit der Pariser Kommune, denen Mehring seine Sprachgewalt borgte. Dabei erhielt er das Versmaß vollständig.

Diese Übersetzung ist aus zwei Gründen bemerkenswert. Zum einen bezieht sich Walter Mehring im Vorwort explizit auf seinen Vater Sigmar Mehring. Ja er übernimmt sogar vier Übersetzungen von ihm. Meines Wissens nach ist dies das einzige Mal, dass er sich so offensiv zu seinem Vater bekennt – außer in der „Verlorenen Bibliothek“. Zum anderen ordnet sich Mehring mit der Publikation und der Übersetzung der frühkommunistischen Chansons in die Tradition des Kommunismus ein. „Pottier wollte in Dichtung und Tat nur eins: Propaganda der kommunistischen Freiheitsidee!“ schreibt er im Vorwort (S. 8). Und übernimmt damit diese Position.

Später wird er sich immer wieder stark von den Kommunisten distanzieren. Aber 1924, dem Jahr des Erscheinens, war in Deutschland noch nicht ausgemacht, ob die KP eine Freiheitspartei werden könnte oder eine, die Freiheit mit Füßen tritt. Der kraftvollen Übersetzung tut das keinen Abbruch.

Andreas Oppermann

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1919 Rezensionen Zeitschriften

Klabund bespricht „Die Pleite“

"Die Pleite", Dada-Zeitschrift von Wieland Herzfelde.
"Die Pleite", Dada-Zeitschrift von Wieland Herzfelde.

„Deutschland ist pleite. Europa wird es bald sein. Der Pleitegeier ist der heraldische Vogel  dieser Epoche. Er schwebt, wie einst Noahs Taube, über der Sintflut der Kriege und Resolutionen, ein Bündel preußische Konsols im Schnabel. Der Malikverlag in Berlin-Halensee hat ihn sich zum Wappentier erkoren für eine satirische Zeit- und Streitschrift: „Die Pleite“ benannt. Seitdem die „Jugend“ vorzeitig gealtert und vergreist ist, die Bulldogge des „Simplizissimus“ sich in ein zahmes Wachtelhündchen verwandelt hat, das nur den Mond noch, nicht mehr diese Erde anzubellen wagt, ist diese in den Preußenfarben schwarz und weiß gedruckte kleine Zeitschrift die einzige, welche mit rabiatem Witz und agressivem Geist die innerpolitische Satire vertritt. Walter Mehring attackiert „immer stieke mit Musike die deutsche Republike“. Er ist ein berlinischer Beranger en miniature. Georg Groß wirft mit ein paar bösen kinderhaften Strichen -die Marloh, Reinhardt, Noske aufs‘ Papier. ‚Sie müssen ihm Modell liegen. Er kniet auf ihnen.‘ Er ist der Daumier von Plötzensee. Wieland Herzfelde gibt die „Pleite“ heraus. Er edierte nebenbei eine Broschüre über seine Schutzhafterlebnisse, die alle ehemaligen Schutzhäftlinge wie ein Stück ihrer eigenen Biographie lesen werden.“

Klabund (i.e. Alfred Henschke) in der „Neuen Bücherschau“, Heft 6, 1919, S. 6.