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1936 1948 Biografisches Lyrik

PEM: WALTER MEHRING MACHT EIN GEDICHT AUF MICH

WALTER MEHRING MACHT EIN GEDICHT AUF MICH

Roland von BerlinNichts ist schwerer, als einen Artikel über sich selbst zu schreiben; aber in diesem Falle lohnt es sich. Wenn ich es nämlich nicht tue, so geht ein Gedicht verloren, das zu den  literarischen Kuriositäten gehört, denn in noch so „gesammelte Werke“ paßt es nicht hinein. Und es hat den besten Berliner Chansonnier zum Verfasser — Walter Mehring.
Das muß kurz nach dem ersten Weltkrieg gewesen sein, als wir uns trafen. Ich hatte schon reimlose Verse von Mehring in der „Aktion“ und in Mynonas „Der Einzige“ gelesen, und wie aktuell waren diese Gedichte:

 

____„Schon revoltieren die ersten amerikanischen Lebensmmittel
____im Magen der Kapitalisten.
____Berlin --
____Dein Tänzer ist der Tod.“

Dann gab es da eine illustrierte Zeitschrift „Bühne und Film“, in der Mehring zu schreiben begann. Einmal sandte man ihn zu einem Boxkampf, und er nahm sich, einen Zeichner mit, der seinen Artikel bebildern sollte. Der Chef warf ihn fristlos mit der Begründung hinaus:
„Wir brauchen keine Kinderzeichnungen“, und dieser Künstler war doch George Groß (sic!) gewesen. Ein paar Jahre später hörten wir Mehrings Chansons im „Schall und Rauch“; Gussy Holl und Paule Grätz waren seine Interpreten; und Spolianski, Holländer und Allen Grey seine Musikanten. Schließlich entdeckten ihn Maximilian Harden in der „Zukunft“ und Kurt Tucholsky in der „Weltbühne“ für eine größere Öffentlichkeit. Man stelle sich vor: Tucholsky, der selbst Chansons schrieb, entdeckte sich einen Konkurrenten…

Mehring schrieb viele, viele unvergeßliche Gedichte, die ich heute noch auswendig kann. „In Hamburg an der Elbe, gleich hinter dem Ozean …“ für Lambertz-Paulsen, und „In diesem Hotel der Erde, ist die Kreme der Gesellschaft zu Gast …“ für Kate Kühl.

Und nun also sitzt Walter Mehring in New York, und ich halte ein Gedicht in den Händen, das nirgends erschienen ist, weil es sehr privat ist. Wir sahen uns viel in Wien, wo wir im Exil lebten. Und zu einem meiner vielen Geburtstage brachte er mir ein Gedicht — und zur Erklärung habe ich nur zu sagen, daß ich in dem Ruf stehe, ein gutes Gedächtnis zu haben. Hier ist es, damit es nicht verlorengeht:

Unserem Eckermann Pem

Eviva Heil. Und Juden raus.
Noch ein Protest -- dann ist es aus.
__Dann wird es alles aufnotiert
__in Leder -- mehrfach illustriert.

Adolf. Benito ... Wer war noch?
Ein großes Loch. Ein großes Loch.
__Wer war's, der in dasselbe kroch?
__Wen hat die Garbo einst umgarnt?
__Wer hat die Kohns beim Film getarnt? 

Wer wèiß, wie wirklich Bronnen hieß?
Wo stand der Stammtisch der Genies?
__Wer lebte im Exil? - Wovon?
__Ein Sternlein steht im Lexikon.

Als Quelle: Unter anderem
Besiehe PEM - Besiehe PEM.
Wann rückte Kerr aus - in den Krieg?
Wann war die deutsche Republik?
__Wann lebte Goebbels' Großmama?
__Wer siegte wann bei Adua?

Wer hat Teutschlands Geschick gelenkt?
Von wann bis wo? Geschenkt. Geschenkt.
__Doch wer hat ddauernd umgeschwenkt?
__Olympisch sich mit Ruhm bekleckt
__und ständig über's Ziel geleckt?

Wer hat sich gleichgeschaltet -- und
quatschte heroisch aus'm Mund?
__Wie lebt der Emigrant... wovon?
__Das steht dann nie im Lexikon...

Er lebt aus Dawke und Bestemm
Besiehe Pem - Besiehe Pem.

Mehring hat es 1936 in Wien geschrieben, und was für ein Prophet er war
____________________________________________________PEM (LONDON)

(PEM: Walter Mehring macht ein Gedicht auf mich; in: Roland von Berlin, Heft 39/1948 vom 26. September 1948; S. 22 f.; PEM ist das Pseudonym von Paul Marcus.)

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1936 Zeitschriften

Verbotene und geförderte Literatur der Nazis 1936

IN DEUTSCHLAND VERBOTEN
Wir legen wieder einmal eine Liste der im Dritten Reich verbotenen ausländischen Druckschriften vor. Sie umfaßt diesmal die Zeit vom 8. Jänner bis 29. Februar. Die 30 Verbotsnummern verteilen sich auf 12 Länder, und zwar entfallen auf die Schweiz 7, auf Frankreich 6, auf Oesterreich 5, auf die Tschechoslowakei, Danzig und Litauen je 2, auf England, Belgien, Luxemburg, Polen, die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion je 1. Von den verbotenen Zeitungen und Zeitschriften ist die Hälfte katholisch.

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1936 Prosa Zeitschriften

Verlagsankündigung von „Müller“ 1936

„Müller“, Chronik einer deutschen Sippe. Roman von Walter Mehring, Preis: brosch. S 8.40, Leinen S 9.60. Gsur-Verlag, Wien. In diesem Buch hat Walter Mehring eine Geschichte des deutschen Kleinbürgertums geschrieben, vom Eintritt der Germanen bis in unsere Zeit. Der Tacituslehrer Doktor Armin Müller, Oberstudienrat an einem Berliner Gymnasium, soll im Auftrag des Kultusministeriums einen Leitfaden der
deutschen Geschichte für die höheren Lehranstalten nach den Gesichtspunkten der Rassentheorie schreiben. Später wird er nicht nur des Auftrages wieder beraubt und seines Amtes entsetzt, auch sein Ariertum wird angezweifelt. Um sich von diesem Verdacht zu reinigen, häuft er in heroischem Kampfe Beweis auf Beweis für die Reinrassigkeit seiner Sippe, deren Stammbaum er nicht nur bis zum Jahre 1800, sondern bis in die Römerzeit nachprüft. An Hand dieser Dokumente schildert die Chronik die Wandlungen, Wanderungen und Versippungen einer deutschen Familie – wir treffen die Urahnen der Müller als Freisassen an der friesischen Küste, im Kampf der Zünfte, verwickelt in die Reformation und den Dreißigjährigen Krieg; wir sehen sie auf dem Potsdamer Kasernenhofe zu Preußen werden. Und erleben schließlich, wie mit dem Oberlehre Dr. Arminius Müller die Sippe im Dritten Reich ihr Ende findet.

(Müller. Chronik einer deutschen Sippe; in: Anzeiger für den Buch-. Kunst- und Musikalienhandel Nr.3/37. Jg. vom 25. Jänner 1936, S. 16)

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1936 Biografisches Rezensionen

Ulrich Tietze : Außer Reih und Glied

Ulrich Tietze

Außer Reih und Glied

Walter Mehrings Sprachgewalt als Waffe des Gejagte

Lutherische Monatshefte„Mehring hat Verse, Rhythmen, Assoziationen gefunden, die alles weit übertreffen, was mir je dazu eingefallen wäre.“ So kommentiert Kurt Tucholsky im Jahre 1929 Auszüge aus dem Buch „Die Gedichte, Lieder und Chansons des Walter Mehring“ und bemerkt dazu, daß dieses Buch mit seinen 252 Seiten „viel zu dünn“ sei.

Kurt Tucholsky, dem sprachliche und inhaltliche Unsauberkeiten bei anderen Schriftstellern selten entgingen, fand für Mehring so lobende Worte, wie sie ihm bei kaum einer anderen Gelegenheit in den Sinn kamen: „Dieser Dichter kann noch den Herzschlag seiner Leser beeinflussen, wenn er will . . .“, er habe „einen völlig neuen Ton in die Literatur eingeführt“, es handle sich um „herrlich gereimte Lieder, von einem in Deutschland fast nie gesehenen Wortreichtum, und diese Worte fliegen dem nur so zu“.

Mehr als fünfzig Jahre nach den Lobeshymnen Kurt Tucholskys kommt der Kabarettchronist Klaus Budzinsky in seinem Buch „Pfeffer ins Getriebe. Ein Streifzug durch 100 Jahre Kabarett“ zu einem ähnlichen Urteil. Bei ihm heißt es: „Mehrings Sprachgewalt und lyrische Potenz hob das Chanson im Kabarett auf ein Niveau, das vor ihm nur Frank Wedekind und nach ihm niemand mehr erreicht hat.“

Sicher ist, daß dieser Autor einen kaum zu überschätzenden Einfluß auf die satirische und kabarettistische wie auch auf die lyrische Literatur der zwanziger Jahre ausgeübt hat.

Walter Mehring, am 29 April 1896 in Berlin geboren, studierte Kunstgeschichte, veröffentlichte, kaum über zwanzig Jahre alt, expressionistische Gedichte und gehörte zu den Gründern des „Politischen Cabarets“ in Berlin. Für Max Reinhardts Kabarett „Schall und Rauch“ schrieb er ebenso Texte wie für andere Ensembles. Wie Kurt Tucholsky entdeckte auch Walter Mehring früh seine Liebe zu Frankreich: 1921 übersiedelte er in die Pariser Montparnasse-Cafés.

Seine vielfältigen Möglichkeiten in Form, Ausdruck und Inhalten zeigten sich vor allem in seinen Versen. Sein Schriftstellerkollege Eckart Peterich im Jahre 1963: „Rhythmus und Reim, die heute manchem als fragwürdig gelten, sind ihm natürlichste Freunde.“

Im „Ketzerbrevier“ von 1920/21, die Mehring eine „Seelenmesse für Agnostiker, Wortgläubige und unbekehrbare Freigeister“ nannte, findet sich eine geradezu unglaubliche Vielfalt lyrischer und satirischer Formen. Dabei hat der Autor hier immer wieder auch religiöse Motive benutzt, so etwa in der „Litanei“, in der es heißt: „Kyrie eleison – Alle Stätten/ die dich loben/ die uns ketten/ an das Droben/ mit Gelübden/ und Geboten/ in den Krypten/ der Zeloten/ von der Qual/ und allem Jammer/ in Spital/ und Folterkammer/ Alle, die dich loben, Gott,/ blutverwoben und bigott/ Herr, befreie uns davon -/ Kyrie eleison!

1933 zeichnete Mehring in einem seiner bekanntesten Gedichte, der „Sage vom Großen Krebs“ – die Vorlage dafür ist tatsächlich eine alte Sage -, die Gefahr einer Rückkehr in die mittelalterliche Barbarei der Folterkammern und Scheiterhaufen durch das NS-Regime in kunstvollen Versen. Wenn der am Boden des Mohriner Sees angekettete Krebs loskäme, „dann kreiste zurück die Jahrhundertuhr/ zur ewigen Mitternacht -/ und wenn die berauschte Kreatur/ vom Traum erwacht/ geht alles rückwärts und verquer, rückwärts und verquer/ zu Hexenbränden und Judenpogrom/ Hosiannah! Gott geb’s,/ daß nimmermehr loskom/ der Große Krebs!“ Dieses Gedicht erschien in der letzten Ausgabe der von Carl von Ossietzky herausgegebenen „Weltbühne“ am 27. Februar 1933, dem Vorabend des Reichstagsbrandes.

Walter Mehring entging, anders als andere bedeutende Antifaschisten, im letzten Moment den Nazis und ging ins Exil – zunächst nach Österreich. In einem chiffrierten Brief aus Deutschland wurde ihm die Nachricht übermittelt, daß die Gestapo seine Wohnung zerstört hatte: „… gestern hatten wir noch spät abends Besuch, der sehr ungehalten war, Dich nicht anzutreffen. Es ging recht ausgelassen zu, so daß wir heute früh uns sehr plagen mußten, um die Scherben und die Möbelfetzen und die Bibliothek Deines seligen Vaters wieder zusammenzuräumen.“

Der den Häschern und Folterern knapp Entkommene hatte in unzähligen Gedichten, Aufsätzen, Satiren vor dem Hitler-Faschismus gewarnt. Dies galt auch für andere Autoren, die dem Genre der „Neuen Sachlichkeit“ zugeordnet wurden, wie Tucholsky und Kästner. Aber Walter Mehring zeigte noch stärker als die anderen Schriftsteller anhand der Sprache der Nazi-Größen den fatalen Rückschritt in die längst vergangen geglaubten Zeiten. In einer der ersten Ausgaben der Exilzeitschrift „Das Neue Tage-Buch“ zu Beginn des Jahres 1933 erschien unter dem Titel „Der Hexenhammer“ ein Aufsatz Mehrings, der sprachliche, inhaltliche und ideologische Parallelen zwischen diesem spätmittelalterlichen Buch und den „Haupt-Büchern“ der NS-Bewegung, nämlich Hitlers „Mein Kampf“ und Alfred
Rosenbergs „Der Mythos des 20. Jahrhunderts“, verdeutlicht.

In seinem zuerst 1952 erschienenen Erinnerungsbuch „Die verlorene Bibliothek. Autobiographie einer Kultur“, das eine umfangreiche, weithin bissige und sicher in mancherlei Hinsicht auch ungerechte Auseinandersetzung mit Schriftstellern des 19. und 20. Jahrhunderts darstellt, deren Werke in der Bibliothek seines Vaters standen, die durch die Nationalsozialisten zerstört wurde, hat Mehring dargestellt, wie er den „Hexenhammer“ entdeckte. Dieses Buch habe, so schreibt er, „ein ungeheiltes Jugendtrauma, eine unvergeßliche Schockwirkung“ in ihm hinterlassen. Dabei hat er sich der vollständigen Lektüre dieses Werkes ausgesetzt, „wollüstig angeekelt die erpreßten, flagellantischen Selbstzerfleischungen genossen“, „diese Lektüre verschlungen“.

Mehring hat in seinem Aufsatz die Entsprechungen zwischen dem Geist der Hexenjäger und der Nazi-Ideologie dargelegt: „Den Hexenwahn hat der Rassemythos ersetzt.“ Wurden im „Hexenhammer“ die Hexen als Personifizierung des Bösen gesehen, so geschah Vergleichbares in Hitlers „Mein Kampf“ mit den Juden: Er sei „in seiner Gemeinheit so riesengroß, daß sich niemand zu wundern braucht, wenn in unserem Volke die Personifikation des Teufels als Sinnbild alles Bösen die leibhaftige Gestalt des Juden annimmt“.

Bekanntlich war es zu der Zeit, als die Hexenverfolgungen in massiver Weise einsetzten, die schlimmste Ketzerei und ein Zeichen für Besessenheit vom Teufel, wenn jemand nicht an Hexen glaubte. Hier zeigt sich eine Entsprechung im Denken Hitlers, der ohne allen Sinn für die Realität die Auffassung vertrat, der Jude „begründe(t) die marxistische Lehre“. Es sei daran erinnert, daß die vierzehn Jahre der Weimarer Republik von führenden NS-Ideologen als die Zeit des „Marxismus in Deutschland“ bezeichnet wurden. Wurde von den Autoren des „Hexenhammers“ den Hexen jede nur denkbare Gemeinheit, jede nur vorstellbare Bosheit zugetraut und auf sie zurückgeführt, jedes menschliche Leid als Untat der Hexen eingestuft – etwa Krankheiten, unerwartete Todesfälle usw. -, so argumentierte Hitler mit Blick auf die Juden ähnlich: Er diffamierte alles jüdische als „Pestilenz“ und als „giftige Seuche“ und behauptete, daß durch das Judentum „nur der Wahnsinn zur Wirklichkeit zu werden vermag, niemals die Vernunft“.

Ehrsame Burger

Die lange Zeit vernachlässigte Verarbeitung des Themas „Hexenverfolgungen“, die erst im Laufe der achtziger Jahre durch Publizierung einer Vielzahl von Büchern und Aufsätzen zum Thema korrigiert wurde, hat inzwischen zumindest deutlich werden lassen, daß diese Massenverfolgungen und -hinrichtungen System hatten. Was Walter Mehring –  bereits 1933! – über den „Hexenhammer“-Autor Heinrich Institoris schreibt, klingt heute wie eine nachträgliche Analyse des Terrors und staatlich legitimierten Massenmordes unter Hitler: Es sei „das Martern von Menschen in ein geregeltes System gebracht“ worden, und Institoris sei der „Vorgänger des hygienischen Mords. Die Pedanterie wurde bis zum Exzess betrieben. Denn all diese Henkersknechte waren ja nicht verhungerter, rachedurstiger Pöbel. Ehrsame Bürger waren sie; pflichttreue Schinder, gewissenhafte Akademiker der Bestialität“.

Auch in anderen schriftstellerischen Arbeiten schon zu Beginn seines Exils zeigte Mehring eine große Fähigkeit, die nationalsozialistischen Phrasen und den pathetischen Sprachstil zu entlarven. In dem 1989 erschienenen Sammelband „Zu Hitler fällt mir noch ein Satire als Widerstand“ gehören die Beiträge Mehrings sicherlich zu den interessantesten und wichtigsten Texten, so etwa seine im Jahre 1935 im „Neuen Tage-Buch“ erschienene Version vom Rotkäppchen-Märchen, das er in die Hitlerzeit verlegt und das er angesichts der für die Exilierten bedrückenden Erkenntnis der Unterstützung des Hitler-Staates durch viele Regierungen mit dem bitteren Satz enden läßt: „Und soweit sie nicht gefressen sind, kreditieren sie ihm noch heute.“ Einige Jahre später, im April 1939, veröffentlicht Mehring im „Neuen Tage-Buch“ eine Satire auf die Nazis unter dem Titel „Schema der nächsten tausend Reden“ – auch hier eine inhaltlich und stilistisch glänzende Parodie dessen, was etwa Goebbels regelmäßig von sich gab.

Nach dem Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde Mehring, der den Nazis 1938 in Wien mit knapper Not entkommen war, in französischen Lagern interniert. Er entkam in die USA und kehrte erst 1953 nach Deutschland zurück. Aber die geringe Bereitschaft zur Aufarbeitung des Hitler-Terrors bei vielen Deutschen und das Gefühl, in diesem Land keine Heimat mehr zu haben, ließ ihn bald in die Schweiz übersiedeln.

Seine Odyssee als Exilant hat er – in Prosa und Versen -in dem Band „Topographie einer Hölle – Reportagen der Unterweltstädte“ dargestellt. Das Manuskript ging allerdings 1976 verloren, konnte jedoch anhand der (meist handschriftlichen) Erstfassung zum Teil rekonstruiert werden und erschien 1979 unter dem letztlich die ganze Problematik umfassenden Titel „Wir müssen weiter“. Es ist ein erschütterndes Dokument über das Schicksal eines Menschen, der permanent mit Blick auf das Schicksal von Freunden Nachrichten erhielt, in denen es hieß: „Verschollen! . . .  Verschleppt! . . . Ermordet!“

Am Ende dieses Lebens stand nicht der Haß, wohl aber die Verbitterung und die Einsamkeit. Am 3. Oktober 1981 stirbt der Dichter in einem Züricher Krankenheim. In seinem Zurückgezogensein wurde am Ende noch einmal das Lebensgefühl des Außenseiters deutlich, der zu Beginn seines schriftstellerischen Schaffens in einem Lied geschrieben hatte: „Doch trat ich außer Reih und Glied -/ ja, dann verzeiht!/ Hier steht ein Mann und singt ein Lied/ zum Trotz – am Rand der Zeit . . . “ 

(Tietze, Ulrich: Außer Reih und Glied – Walter Mehrings Sprachgewalt als Waffe des Gejagten; in: Lutherische Monatshefte H. 4/35. Jg. vom April 1996, S. 24f. Dem Autor vielen Dank für die Rechte, den Text hier veröffentlichen zu können.)

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1936 Brief

Henri Lichtenberger antwortet Mehring in Neuen Tage-Buch

Ein Brief von  Henri Lichtenberger

In Nr. 31 des NTB besprach Walter Mehring das neueste Buch Henri Lichtenbergers, des bedeutenden Germanisten der Sorbonne, in dessen Schule eine ganze Generation von Franzosen über das klassische und moderne Deutschland unterrichtet wurde. Mehring hatte, wie den Lesern erinnerlich sein wird, die Arbeit betrübend einseitig gefunden. Jetzt ist ihm ein Brief des Gelehrten zugegangen, der veröffentlicht zu werden verdient.

Lieber Herr Mehring,
von einer Reise zurückgekehrt, finde ich auf meinem Arbeitstisch den Artikel, den Sie meinem Buche „La Nouvelle Allemagne” gewidmet haben. Er überrascht mich nicht. Während ich das Buch schrieb, hatte ich selbst das Empfinden, dass ich nicht genügend Platz jenen einräumte, die die Opposition gegen Hitlerdeutschland verkörpern. Um „gerecht“ zu sein (wie ich das Wort verstehe), hätte man tatsächlich zwei Bände schreiben müssen: einen über die Legende des Nationalsozialismus, so wie ich es unternommen habe, sie wiederzugeben und darzustellen, – den andern über das Deutschland der Emigration und über jenes Deutschland, das schweigt und wartet. Von diesen beiden Büchern habe ich nur das erste geschrieben, und zwar zunächst, weil mein Werk nicht einen gewissen Umfang überschreiten durfte, sodann aber, weil gerade Hitlerdeutschland bedeutend schwerer für uns Franzosen zu begreifen ist (ich trug Sorge, eine ganze Reihe
von Punkten aufzuzählen, in denen es mir unanwendbar – „inassimilable“ – für uns scheint). So habe ich mir den Anschein gegeben, den Leiden, den Gewissenskonflikten des anderen Deutschlands nicht genügend Rechnung getragen zu haben. Ich begreife, dass man mir das vorwirft. Und Sie haben tausend Mal recht, ein Buch wie: Das Deutsche Volk klagt an” als notwendige Ergänzung zu dem meinen zu bezeichnen.

Bleibt die Frage zu erörtern, ob das meine deswegen als nutzlos oder tendenziös zu gelten hat. Eine tragische Frage, gewiss, und schwer zu lösen! Ist das Hitlertum eine vorübergehende Krise der deutschen Seele, ohne Zukunft? (Und lohnt also aus diesem Grunde nicht der Versuch, es begreifen zu wollen, sondern ist in erster Linie von Bedeutung, es zu bekämpfen?) Oder ist das Hitlertum eine Enthüllung gewisser sehr charakteristischer Züge der deutschen Seele (in welchem Falle es verdiente, studiert und nicht nur widerlegt zu werden) ?

Ich bin pessimistisch genug, mindestens die Möglichkeit der zweiten These in Betracht zu ziehen und zu erweisen, dass, um Deutschland zu kennen, es nicht genügt, Lessing, Goethe und Nietzsche zu kennen, sondern dass es wesentlich ist, auch Wagner und Chamberlain, ja selbst Rosenberg, Schacht und Hitler nicht zu übergehen. …Es handelt sich da nicht um Sympathien, um Wahlverwandtschaften (Sie Wissen sehr gut, auf Welcher›Seite die meinen sind). Die Frage, um die es geht, ist, die Bedeutung eines Faktums abzuschätzen (möge dieses Ihnen nun behagen oder nicht behagen, das spielt keine Rolle).

Habe ich es nötig, Ihnen zu sagen, dass ich es nicht im geringsten bedauern würde, wenn die Ereignisse meinem Pessimismus Unrecht gäben, und wenn meine „objektive“ Studie in einigen Monaten oder einigen Jahren definitiv ungültig geworden wäre?

Mit allerherzlichstem Gedenken
Henri Lichtenberger.
22. Oktober 1936.

(Lichtenberger, Henri: Ein Brief, in: NTB H44/4.Jg. vom 31. 10. 1936; S. 1077.
Henri Lichtenberger bezieht sich auf Mehrings Rezension Die Objektivität (in NTB H. 31/4. Jg. vom 01. 08. 1936, S. 738-740))

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1935 1936 Biografisches Prosa Zeitschriften

Walter Mehring verabschiedet sich von Kurt Tucholsky

Abschiedsbrief an Kurt Tucholsky

Lieber Peter Panter,

Kurt Tucholsky in Paris 1928. Quelle: Wikipedia
Kurt Tucholsky in Paris 1928. Quelle: Wikipedia

nun schreibe ich Ihnen da zum letzten Male; und so sinnlos ist mir das Schreiben noch nie vorgekommen. Früher, wenn ich einen Brief an Sie in den Kasten warf – und als Sie in Ihrem Pariser Faubourg le Vésinet wohnten, ich in der Rue de Vaugirard, geschah das drei- bis viermal die Woche -, lächelte ich selig wie ein preußischer Säugling, dem man die erste Spielzeug-Handgranate ins Händchen gibt, im Vorgeschmack Ihrer Antwort. In deutscher Sprache hat keiner Briefe geschrieben wie Sie. Die an mich gerichteten hatte ich sorgfältig gesammelt, jedes Stück, jeden Zettel; auch jenes Couvert mit dem großen Tintenklecks drauf; Sie hatten ihn blau umrandet und dazu geschrieben: „Das hat die Post gemacht!“ Sie sind alle verloren! Es wäre einer der herrlichsten Tucholsky-Bände geworden.

Jede Zeile, jede Polemik von Ihrer Hand war ein Brief, gerichtet an die heroischen Dummköpfe, die Gangster mit Gymnasialbildung und die Sonnewendpriester in Gesundheits-Wollersatz-Wäsche. Die Adressaten konnten nicht einmal mogeln, sie hätten das Schreiben nicht erhalten. Es traf sie mit tödlicher Sicherheit. Man hat Ihnen den Empfang allseitig durch Ausbrüche zügellosen Hasses bestätigt.

Seit drei Jahren sind diese Briefe an die uns aufgezwungenen Zeitgenossen ausgeblieben; und vor einem Jahr kam der letzte private an mich. Hätten Sie gewußt, wie wir alle darauf gewartet haben; wie wir uns gesehnt haben, zu wissen: Was sagt Peter Panter dazu? Es hätte nichts mehr an dieser zum Zeitgeist beförderten dementia geändert. Aber wir wären jedesmal für ein paar Stunden den Albdruck losgeworden: Nein, wir träumen nicht! Es gibt noch ein gesundes Hirn, eine unbestechliche Vernunft!

Dank Ihnen waren wir ja nicht überrascht! Wer je Sie gelesen hatte, mußte wissen, daß es so und nicht anders kommen würde. Darf ich Sie zitieren?

„Lieber Mehring,
vielen schönen Dank für Ihren werten Schrieb! Ich bin schrecklich neugierig: haben Sie ein Heim? Wo wohnt das? Sieht man von da den sacré Kör? Haben Sie eine puanderie? Wie ist es überhaupt? Hei!

Des weiteren, lieber W. M. – ein chronischer Katarrh, wie er auf mir sitzt, mag ja das Weltbild stören. Aber jedennoch: so wenig wir von dem, was sich da ereignet, überrascht worden sind, je desto weniger kann ich noch mitmachen. Was die Nichtüberraschung angeht, so sehe ich uns noch beide schweren Schrittes auf der Gare St. Lazare herumstolpern, wir beredeten es alles, und es hatte etwas leicht Komisches: um uns brausten die Leute, und wir hatten es mit dem kl. Weltuntergang. Und wir haben doch Recht behalten, ein größerer steht bevor, und so sehr ich gegen die Leute bin, die, wie der gute O. gesagt hat, „eine Villa mit prachtvollem Weltuntergang“ besitzen, so klar sehen wir ja wohl, was nun kommen wird …“

Nein, ich zitiere nicht weiter. Es hören Leute zu, die darauf lauern, Ihre sublimsten Worte kotig zu interpretieren. Für solche Umwelt, mit der man sich erst wieder über das ABC
verständigen muß, war Ihre Schreibweise – zum höchsten Ruhme sei es Ihnen gesagt – nicht bestimmt. Und darum schwiegen Sie. Es sind Ihre Einwände:

„Denken Sie sich bitte, wir gingen noch einmal an unserer alten Penne vorbei, also jetzt, heute – und da seien durch ein Wunder noch dieselben Pauker am Werk. Wir kommen gerade in die Pause. Und wir hören die Gespräche: ,Au – Mensch – heute gibt er die Hefte zurück? Ob er sie zurückgibt? Ich habe sicher eine IVI“ usw. Also gut, wir grinsen ein bißchen wehmütig oder amüsiert- aber es ist doch ganz und gar ausgeschlossen, daß Sie oder ich mehr als eine kleine Anregung für ein paar Verse mit nach Hause nehmen. Es ist doch ganz und gar ausgeschlossen, daß wir das nochmal ernst nehmen könnten! Könnten wir? Sicher nicht…

Und nun soll ich das immer weitermachen? Immer wieder diesen albernen Jargon bewitzeln, über den ich auch in der Karikatur nicht mehr lachen kann  Mein Herz schlägt nicht mehr schneller. Ich lese nicht mehr die deutschen Zeitungen, seit Monaten habe ich keine mehr in der Hand gehabt. Es reizt mich gar nicht mehr. Ich weiß kaum mehr, wie die maßgebenden Schießbudenfiguren heißen …“

Sie würden sich eins lachen über die Punkte, durch die ich schamhaft einige Ihrer Sätze ersetze. Ich möchte nicht an Ihrem Grabe das Gemurmel mancher Leidtragender hören: also doch ein Drückeberger! Aus der Reihe getanzt! Haben Sie das gehört: Wir gingen ihn nichts mehr an! Die ganze Terminologie des Kasernenhofes, die so Viele mit auf die große Reise genommen haben.

Sie haben es mir immer und immer wieder bestätigt, daß das neue falsche Pathos Sie ebenso angeekelt hat wie das alte. Es ist, um einem noch die ganze Emigration zu verleiden! (Das sage ich nur hier, an Ihrem Grabe, Peter Panter! Es spitzen schon wieder die Unberufenen die Ohrenl) Sie haben es hinter sich! Und wir wissen nicht, was wir vor uns haben! Aber eins weiß ich, daß noch einmal – in zehn, in zwanzig Jahren – dieselben Leute, die Ihnen diese Konsequenz Ihres unbeirrbaren Verstandes heute ankreiden möchten, entdecken werden: Wie prophetisch recht hat Peter Panter damals gehabt, als er schrieb: „Und dann wieder alles, wie wenn nichts gewesen Wäre? Und so: ,Ach, wissen Sie, ich war ja im Herzen immer gegen Hitler – aber sehnsemah, die Umstände – – -.““

Und trotzdem: „Rheinsberg“ und das „Pyrenäenbuch“, „Mit 5 PS“ und „Lerne lachen ohne zu weinen“. – Das soll es nicht mehr geben? Lächelt die Mona Lisa nicht mehr? Verstummt Wendriner, unser Berliner Don Quixote? An den Sie mehr Herz verschwendet haben, als die meisten ahnten? …Kein Satz mehr des Wrobel, kein Vers mehr des Tigers, der uns verblüffend das Wort von der Zunge nahm? Andere betätigen sich als Gedankenleser ~ das ist ein einträgliches, weil unkontrollierbares Gewerbe. Sie lasen die Hintergedanken! Da gab es keine Ausflucht.

Dem kleinen Mann, dem Wedding-Knoten, dem Wendriner und dem General haben Sie aufs Maul gesehen! Und haben das Gröbste durch Ihren Geist geadelt! Berlin war nur einmal Weltstadt! Als Sie es schrieben!

Lieber Peter Panter!
Es ist plötzlich ganz dunkel um uns geworden, hier
draußen!
Ich schließe, wie Sie Ihren letzten Brief schlossen:

„Als Ihr guter, getreuer und herzlichst grüßender“
Walter Mehring

(Dieser Text ist im Neuen Tage-Buch am 6. Januar 1936 erschienen. In einem Radioessay aus den 1960er-Jahren erinnerte sich Mehring, wie er vom Tod Kurt Tucholskys erfahren hat: „In Wien, Dezember 1935, traf mich die telegraphische Nachricht des Pariser Neuen Tage-Buchs: ‚Tucholsky verstorben – Erwarten Nachruf‘. Die Wiener Weltpresse meldete sesantioneller: ‚Selbstmord eines bekannten Exilautors in Schweden…‘ (…) Der Selbstmord ist eine schleichende Gemütskrankheit, scheint mir, die letzte Ausflucht aus dem Ich-Selbst, und ein exitus letalis des Exils, den dreißig namhafte deutsche Schriftsteller nachher gewählt haben.‘ (Walter Mehring: Kurt Tucholsky; Berlin: Friedenauer Presse 1985, S. 13))

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1934 1935 1936 1937 1938 Biografisches

Walter Mehrings Bibliothek im Wiener Hotel Fürstenhof

Hotel Fürstenhof in Wien
Hotel Fürstenhof in Wien

Vom Westbahnhof sind es nur einige Meter bis zum Hotel Fürstenhof. Es liegt am Neubaugürtel 4. Als Walter Mehring im September 1934 aus Paris kommend mit dem Zug in die österreichische Hauptstadt einfuhr, hat er als erste Unterkunft eine naheliegende Adresse gewählt. Aber offenbar hat es ihm in dem von Inhaber Julo Formanek in einem schönen Jugendstilhaus geführtem Hotel so gut gefallen, dass er dort blieb. Und das für immerhin dreineinhalb Jahre.

Vielleicht waren es anfangs auch ganz praktische Überlegungen, die ihn in den Fürstenhof führten. Dank der Nähe zum Bahnhof war der Weg für den Transport seiner Bibliothek nicht weit. Denn nach Wien wurde ihm die Bibliothek seines Vaters, die „Verlorene Bibliothek“, aus Berlin nachgeschickt – „ins Exil gerettet dank der Komplizität der Berliner Tschechoslowakischen Gesandtschaft, dank der Kollegialität ihres Attachés, des Lvrikers Camill Hoffmann (aus der Prager Dichterrunde der Werfel, Mevrink, Kafka, Capek, die alle etwas kabbalistisch angehaucht waren), – ihn aber hat man später in einem Brandofen vernichtet.“ (Walter Mehring: Die verlorene Bibliothek, Düsseldorf: Claassen Verlag, S. 17)

Nachdem Mehring in der Nacht des Reichstagsbrandes von Berlin nach Paris floh, war die Ankunft in Wien mehr als eineinhalb Jahre später wieder eine Rückkehr in den deutschen Sprachraum. Das Hotel Fürstenhof war auch deshalb mehr als ein Aufenthaltsort: „Gewohnt habe ich zum letzten Male wohl in Wien, bevor es stürzte. Denn dort hatte ich noch alle Bücher um mich, aus meines Vaters Bibliothek, und konnte mich zu Hause fühlen.“ (ebda.) Einen gewissen Anteil hat wohl auch der Fürstenhof daran gehabt. Das Leben im Hotel war für Mehring nichts ungewöhnliches, den größten Teil seines Lebens hat er so gelebt. Im Fürstenhof hat er nicht nur in einem Zimmer gehaust. Er hatte quasi Familienanschluss, denn es war damals üblicher, in Hotels zu leben. Pensionen und Hotels, in denen die Gäste richtig lebten, beschreibt zum Beispiel auch Joseph Roth in seinem Roman „Kapuzinergruft“.

Das Einwohnermeldeamt der Stadt Wien (Auskunft vom 23. Januar 2013) vermerkt fünf Meldeperioden Walter Mehrings im Fürstenhof. Vom 26. September 1934 bis zum 3. Januar 1935 währte der erste Aufenthalt. Vom 21. Februar bis zum 26. Mai 1936 war er wieder im Fürstenhof gemeldet. Ab dem 26. August desselben Jahres folgte bis zum 13. August 1937 , die nur vom 14. Januar bis zum 15. Februar 1937 unterbrochen wurde, die dritte Periode. Ein viertel Jahr später war er in Wien zurück. Vom 19.November 1937 bis zur Flucht aus dem nun nationalsozialistischen Wien am 11. März 1938 folgte der letzte Aufenthalt in dem Hotel gegenüber vom Westbahnhof. Die Zwischenzeiträume hat Walter Mehring in Paris verbracht. Das zumindest hat er bei den Wiener Meldebehörden angegeben.

Wien aber blieb der Ort, indem er Hertha Pauli kennen- und lieben lernte. Und die Stadt, in der Walter Mehring in der Bibliothek seines Vaters lebte. Drei der vier Wände seines Zimmers im Hotel Fürstenhof waren nach eigener Darstellung voller Bücherregale. Die Bücher gaben ihm Zuflucht. Und die Erinnerung an das Auspacken uns Lesen der Bücher in Wien ist der Ausgangspunkt für seinen autobiografischen Band „Die verlorene Bibliothek – Autobiografie einer Kultur“: „Ausgeleert, Kiste um Kiste – Pandorabüchse des NachDenkers Epimetheus (mit einem trüben Bodensatz Hoffnung) – spukte ihr Inhalt auf den abgeschrubbten Dielen, dem ungemachten Hotelbett, dem rußigen Fensterbrett in der Lesegruft meines Wiener Voruntersuchungsexils.“ (ebda, S. 189)

Und der Moment der Wiederbegegnung mit diesen Büchern bleibt ihm so in Erinnerung: „Den ganzen ersten Tag über, vom Morgengrauen an, seit ein paar verdrossene Transportarbeiter Kiste auf Kiste abgeladen hatten, die sie wahrscheinlich in ihrer Wiener notleidenden Einbildung mit materiellen Genuß- und Luxusartikeln angefüllt glaubten, las ich mich sinnlos voll . . . Man kann dem Lesen so gesundheitsschädlich verfallen wie jedem anderen Rauschmittel, besonders als Europäer, der ja durch lange erbliche Belastung im gleichen Prozentsatz alkohol- wie büchersüchtig ist. Man greift zum Buche wie zum Glase, um sich über die deprimierende Nüchternheit der Zeitungssensationen – hinwegzutrinken, um den widerlichen Nachgeschmack der Medizinen, die man uns in den Spitälern der Zwangs-Heil- versuche eingibt, herunter zu spülen. Und nichts hilft so wie ein süffiges Getränk -, wie Genuß von abgelagertem Pathos, vorzüglich in Versen konzentriert, um sich gleich edler und erhabener zu fühlen. Doch hält man sich nicht lange an die guten, erlesenen Jahrgänge. Und beim Lesen wie beim Trinken steigert man allzu rasch den Spiritusgehalt, man  sucht nach Selbstbekräftigung und zugleich nach genereller Absolution. Abnorme Gelüste, deren man sich wie eines versteckten Geburtsfehlers, wie einer krankhaften Veranlagung geschämt hatte, findet man bei erhabensten Genies im Schaffensrausche ausgeplaudert.“ (ebda. 24)