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1957 Biografisches Dramatisches

Willy Haas erinnert sich an die Piscator Bühne

Sein eigenes Theater war einige Jahre hindurch ein Berliner Ereignis allerersten Ranges: unvergeßlich – aber auf eine seltsam kühle Art unvergeßlich. Die Desillusionsbühne – ein
kompliziertes Eisengerüst mit Vorsprüngen, Vorhängen, ausgesparten Räumen, Rampen, Gängen, Wendeltreppen – hatte er wohl von den frühen Theatermeistern des russischen „Proletkults“, Meyerhold, Tairoff und anderen übernommen. Was er damit anfing, war manchmal großartig. Ich erinnere mich an „Rasputin“ von Alexeij K. Tolstoj, an ein Drama von Leo Lanja, an Walter Mehrings „Kaufmann von Berlin , vor allem an Tollers „Hoppla – wir leben!“, die penetrante Satire auf die Politiker der Weimarer Republiksverfassung Politiker. Piscator spielte im Grunde auf einem Jahrmarktsgerüst wie es Goethe vom echten Theaterleiter verlangt hatte. Aber er setzte mit seiner Riesenmaschinerie das Firmament, Sonne, Mond und Sterne, Erde und zuletzt den Höllenschlund in Bewegung, er arbeitete mit mehreren Drehscheiben, mit versenkbarer Bühne,Wandelgürtel, Film, Scheinwerfern, Geräuschmusik . . . er ging auf die Nerven los, er hatte ein großartiges, unbesiegliches Bühnentemperament. In einer Vorstellung wie etwa „Rasputin“ begann er gleichsam mit der Schöpfung der Welt und des Klassenkampfes, dann kam Karl Marx, der Zar, Rasputin, Lenin, die Diktatur des Proletariats, die klassenlose Welt . . . es war eine abgekürzte Schulfibel der marxistischen Weltgeschichte.

Aber es war ungemein interessant. Es war trotz allem dramatisch, theatralisch, zuweilen ganz hinreißend. Die Blütezeit Piscators dauerte nicht lange – nur ein paar Jahre. Es kam dann das völlig abstrakte „Lehrstück“ Bert Brechts, das ganz primitive, naturalistische Thesendrama Friedrich Wolfs. Sie wurden von den Partei-Orthodoxen der KPD vorgezogen, nicht Piscators revuehafte Riesenpropaganda-Schau.

(Willy Haas: DIE LITERARISCHE WELT – ERINNERUNGEN; München: PAUL LIST VERLAG, 1957; S. 145f.)

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1979 Dramatisches

Pressetext zur Werkausgabe – Die Höllische Komödie

Walter Mehring
DIE HÖLLISCHE KOMÖDIE

Drei Dramen: Die höllische Komödie; Der Kaufmann von Berlin; Die Frühe der Städte
272 Seiten, geb., claassen Verlag GmbH, Düsseldorf, DM 32, —

Die höllische Komödie - Drei Dramen (1979)

Nach „Müller. Chronik einer deutschen Sippe“, „Die verlorene bibliothek. Autobiographie einer Kultur“ und „Wir müssen weiter. Fragmente aus dem Exil“ erscheinen nun – im vierten Band der Walter-Mehring-Werkausgabe und erstmals gesammelt publiziert die Dramen Walter Mehrings. Auch in diesem Teil des Werkes erweist sich Mehring als der genau beobachtende, sprachmächtige Satiriker, der „die Verhältnisse zum Tanzen bringt“.

Der „Kaufmann von Berlin“, ein „historisches Schauspiel“ um Inflationsgewinnler und den jüdischen Kaufmann Kaftan, der für 100 Dollar halb Berlin in die Tasche steckt und schließlich Schiebern aus dem Reichswehrministerium zum Opfer fällt, verursachte einen solchen Theaterskandal, daß das Stück abgesetzt werden mußte. In der deutsch-nationalen „Nachtausgabe“ vom 7.September 1929 wurde unter der Überschrift „Wo bleibt der Gerichtsarzt? Leichenschändung bei Piscator“ dem Staatsanwalt gerufen: „Es gibt Mörder und Leichenschänder, die aufgrund vertierter Neigungen nach den Begriffen normaler Gesetzgebung nicht für ihre Taten verantwortlich zu machen sind. Wer diese Szenen inszeniert hat, darf sich nicht wundern, wenn er unter die moralische Minderwertigkeit des § 51 des Strafgesetzbuches gerechnet wird.“

Auch die „Höllischen Komödie“ wurde abgesetzt – noch vor der Uraufführung 1933. Mehring, der ähnlich wie Tucholsky für eine demokratische Umgestaltung Deutschlands keine Chancen mehr sah, verlegt in diesem Drama den das politische Leben beherrschenden Kampf um die Monopole und wirtschaftliche macht in die Hölle, wo sich Beezebuth und Satan als „Vertreter der kapitalistischen Freihandelswirtschaft und der Klassengemeinschaft bis auf die Diktatur bekämpfen.“

Von ganz anderer Art ist Mehrings expressionistisches Stück „Die Frühe der Städte“, das 1918 in Herwarth Waldens „Sturm“ publiziert wurde. Es ist, wie (fast) alle expressionistischen Dramen, unspielbar und wurde im „Sturmkreis“ mit verteilten Rollen gelesen.

Es gilt, Walter Mehring auch als Dramatiker wiederzuentdecken. Dazu will der Band DIE HÖLLISCHE KOMÖDIE beitragen. Die West-Berliner „tribüne“ wird den „Kaufmann von Berlin“ in diesem Herbst in einer Inszenierung von Rainer Behrend herausbringen. Immerhin: ein Anfang ist gemacht.

Walter Mehring,
geboren 1896 in Berlin, entging seiner Verhaftung durch die SA nur knapp, emigrierte nach Frankreich, wurde 1939 interniert und konnte 1941 in die USA entkommen. Mehring lebt heute zurückgezogen in Orselina bei Locarno. Im Rahmen der Mehring-Werkausgabe im claassen Verlag sind bisher erschienen:
DIE VERLORENE BIBLIOTHEK – Autobiographie einer Kultur, MÜLLER – Chronik einer deutschen Sippe, WIR MÜSSEN WEITER – Fragmente aus dem Exil.

Die Pressesstelle des Claassen-Verlags hat diesen Pressetext als „Besprechungsunterlage“ mit dem Band für die Rezension verschickt. Zwei Belege der Rezension hat sich der Verlag von den Rezensenten erbeten. (A.O.)

Mehr Pressetexte zur Werkausgabe:
Müller / Die verlorene Bibliothek
Paris in Brand
Algier oder die 13 Oasenwunder – Westnordwestviertelwest
Verrufene Malerei – Berlin DADA
Chronik der Lustbarkeiten / Staatenlos im Nirgendwo
Die Nacht des Tyrannen

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1929 Dramatisches Zeitschriften

Mitglieder der Volksbühne debattieren über den „Kaufmann von Berlin“

Szene aus Mehrings "Kaufmann von Berlin"
Szene aus Mehrings "Kaufmann von Berlin"

Erwin Piscators Inszenierung von „Der Kaufmann von Berlin“ war nicht nur in rechten Kreisen umstritten. Wobei bei ihnen „umstritten“ zu wenig ist. Immerhin war Saalschutz notwendig, um zu verhindern, dass die SA die Aufführungen sprengte. Doch auch in linken Kreisen war die Begeisterung  über das Stück Walter Mehrings verhalten.

In den „Blättern der Volksbühne Berlin“ findet sich in dem Text „Die Mitgliederversammlungen der Volksbühne e.V.“, Heft 1, Jahrgang 1929/1930, S. 11, folgende Passage, die das verdeutlicht: „In der Diskussion stieß eine Minderheit, repräsentiert durch Wortführer der Gewerkschaftsjugend und der Sozialistischen Arbeiter-Jugend, stark mit der großen Mehrheit zusammen, die offenbar weiter links orientiert war. Im Mittelpunkt der Diskussion stand weniger die Volksbühne als die Piscator-Bühne. Ihr Eröffnungsstück (das war Mehrings „DerKaufmann von Berlin“; A.O.) für die neue Spielzeit wurde von verschiedenen Rednern als wenig glücklicher Griff bezeichnet. Aus der Kritik des Spielplans Piscators ergab sich eine längere Debatte über die Frage, ob es überhaupt genügend brauchbare und künstlerisch reife Stücke für das absolute Zeittheater gäbe.“

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1929 Dramatisches Rezensionen

Der Kaufmann von Berlin verwirrt „Die Literatur“

,,Der Kaufmann von Berlin.” Ein historisches Schauspiel aus der Inflationszeit von Walter Mehring. (Uraufführung im Berliner Theater am 6. September 1929.)

Walter Mehrings Schauspiel ist nichts, will aber auch nichts sein als Textbuch fiir eine Piscator-Inszenierung. Demzufolge ist die Anlage der Handlung nicht zentral, sondern peripherisch, die Schilderung nicht objektiv sondern politisch eingestellt.

Das Schicksal eines dieser Ostjuden, die mit einem Vorrat von Dollarnoten in dem Berlin der Inflation eintreffen, es schnell zu schwindelnden Reichtümern bringen, um vor dem Staatsanwalt zu enden — man denkt (und das eben babsichtigt Mehring!) an den einen und anderen berüchtigt gewordenen Kriminalfall. Nur hatten diese Fälle überlegene Klugheit, zum mindesten strategische Geschäftstüchigkeit verbunden mit bem unumgänglichen Maß an Skrupellosigkeit zur Voraussetzung. Mehring führt seinen Kaufmann von Berlin Waffernlieferungsschiebungen zu, er stellt ihm den deutschvökischen Schieber zur Seite, läßt ihn zu dessen willenlosen Werkzeug werden: das verlangte die politisch Tendenz. Man sieht  unmittelbar, wie die Tendenz die Linien der Reportage, aber auch die der Charakteristik verschob und verschieben mußte. Mehrings
„Kaufmann von Berlin“ ist auf die Charakteristik hin angesehen sentimentaler Nulpe.

Nur peripherisch, in Zeit- und Lokalschilderungen weckt diese Reportage Interesse. Sie wird darüber hinaus in Einzelzügcn — zumal in Charakteristik und Schicksal des putschierenden Generals — zu geradezu verblüffender, geschikt legierter und polierter Dichtungs-Imitation, es ist ein alters Stück: ein Literat kann einen Dichter lehren.

Diese Rezension der Piscator-Inszenierung des „Kaufmanns von Berlin“ ist erschienen in: Die Literatur, 32. Jg. 1928/29, Heft 1, S. 44.

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1931 Dramatisches

Walter Mehring als Operetten-Übersetzer

In den Jahren nach seiner Rückkehr aus Paris 1928 arbeitete Walter Mehring in den vielfältigesten Projekten. Er erdeckte das Hörspiel, den Film und auch die Operette für sich. 1931 übersetzte er Teile von Jacques Offenbachs „Die Großherzogin von Gerolstein“. Arthur Maria Rabenalt und Wilhelm Reinking zeichneten für die Inszenierung an der Volksbühne im Theater am Bülowplatz verantwortlich.

Der Theaterzettel vom 21. Dezember 1931 enthält auch einen kleinen Text Mehrings, der seitdem (so viel ich weiß; A.O.) nicht wieder veröffentlicht wurde. Die Premiere war übrigens am 12. Dezember 1931.

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1998 Dramatisches

Walter Mehring als Teil eines Stückes für amerikanische Schüler

Das „Holocaust Teacher Resource Center“ hat 1998 bei Sean Price das Stück „Rescued from the Holocaust“ in Auftrag gegeben. In ihm spielt Varian Fry vom „Emergency Rescue Committee“ die zentrale Rolle. Genauso wie 1940/41 bei der Rettung Hunderter Intellektueller in Marseille. Die vierte Szene lässt auch Walter Mehring da Wort ergreifen:

Narrator D: Eventually, Meyerhof escapes and reaches the U.S. Meanwhile, Fry explores every means of getting people out of France. On a trip to Spain, he meets a British officer…
Major Torr: We’d love to loan you boats to help with the refugees. But we’re at war with Germany, and the British navy has no boats to spare. We still might be able to help, though.

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1929 Dramatisches Rezensionen Zeitschriften

Carl von Ossietzky über Mehrings „Kaufmann von Berlin“

„Der Kaufmann von Berlin“ war einer der größten Theaterskandale der Weimarer Republik. Das lag zum einen an dem Text, den Walter Mehring geschrieben hatte. Aber auch die Inszenierung von Erwin Piscator trug einen erheblichen Teil dazu bei. Carl von Ossietzky, der Herausgeber der „Weltbühne“, hat dies in seiner Rezension des Stückes gut analysiert. Aber er beschäftigt sich nicht nur mit der Inszenierung, sondern auch mit den Mechanismen des Geldverdienens im Theater und bei S. Fischer, dem Verlag des Stückes:

DIE KAUFLEUTE VON BERLIN ,

„In einer Bahnhofshalle, nicht für es gebaut“, nämlich für das Drama, spielt Piscator ein Stück, das gewiß Beschleunigung und Straffung verlangt, aber keine Apparatur, deren Knirschen seine innere Musik übertönt. Der alte Streit zwischen Regisseur und Dichter‘ wird hier jusqu’au bout (A.O.: bis zum Ende) ausgefochten, wobei der Regisseur den Erbfeind des Theaters siegreich schlägt. Piscator benutzt die Gelegenheit zu einer Mustermesse seiner technischen Errungenschaften. Die Bühne rotiert, versinkt, entschwebt. Oberhalb der Szene fliegt Wanderschrift vorüber. Film in doppelter Ausfertigung – auf einem Gazevorhang und einer zweiten Leinewand dahinter. Selige Beruhigung fürs Auge tritt ein, wenn für Minuten nur ein paar Personen auf dem Laufband vorübergleiten. Aber blickst du zufällig nach oben, so kommt schon ein drohendes Eisenskelett herunter, eine kolossale Hängebrücke, eine gespenstische Brooklyn-Brücke, ‚ein Vorortbahnhof von Metropolis.

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Dramatisches Lieder Lyrik

Ernst Busch singt „Über das Seefahren“

Ernst Busch singt hier „Über das Seefahren“. Die Musik ist von Hanns Eisler. Das Lied ist für den Film „Das Lied vom Leben“ von Alexander Granowski entstanden. Der Film ist 1931 produziert worden.