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1934 2023 Prosa

Endlich gibt es „Nazi-Führer sehen Dich an“ wieder

Neuauflage von "Nazi-Führer sehen Dich an"
Die Neuauflage von „Nazi-Führer sehen Dich an“ ist im wbg Theiss Verlag erschienen.

Der Titel ist eine Provokation: „Nazi-Führer sehen Dich an!“. Der Inhalt auch, vor allem, weil das Buch 33 führende Nationalsozialisten nüchtern und anhand von Akten und Fakten vorstellt. Im Jahr nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten erscheint im Pariser Exilverlag Editions du Carrefour dieses Buch anonym. Jetzt ist es erstmals neu aufgelegt worden – mit Nennung des Autors: Walter Mehring.

1934 lebt der Berliner Publizist, Schriftsteller, Kabarettautor und ehemalige Dadaist Walter Mehring im Pariser Exil. Mit dem letzten Zug gelang ihm in der Nacht des Reichstagsbrands die Flucht, weil er rechtzeitig vor seiner geplanten Verhaftung gewarnt worden war. Seine damalige Lebensgefährtin, die Schauspielerin Ilse Winter, hatte dort einen Job im Exilverlag von Willi Münzenberg gefunden. Der ehemalige Leiter des kommunistischen Pressekonzerns in Deutschland hatte die Editions du carrefour übernommen und schon 1933 ein weit beachtetes Buch herausgegeben: das „Braunbuch über Reichstagsbrand und Hitler-Terror.“ Mit „Nazi-Führer sehen Dich an“ setzte er die Aufklärung über die frische Diktatur der Nazis fort. Das Buch erschien wahrscheinlich anonym, weil mit Walter Mehring ein Intellektueller der Autor war, der nicht nur die Diktatur Hitlers, sondern auch die Stalins zutiefst ablehnte. Münzenberg wollte ein Bündnis aller Antifaschisten gegen Hitler, während Stalin zu diesem Zeitpunkt noch alle als Faschisten bezeichnete, die ihm und seiner Kommunistischen Internationale nicht folgten.

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1938 1997 Biografisches Wissenschaft Zeitschriften

Streit über Hilfsaktion für Mehring im Pariser Exil

1938, nach seiner Flucht aus Wien, lebte Walter Mehring wieder in Paris. Offensichtlich war seine finanzielle Situation prekär. Michaela Enderle-Ristori hat in ihrer umfangreichen Arbeit über die Literaturkritik in den Exilzeitungen Pariser Tageblatt und Pariser Tageszeitung auch auf Konflikte innerhalb der Pariser Exilpresse hingewiesen. Exemplarisch beschreibt sie einen Streit zwischen der »Pariser Tageszeitung« (PTZ) und der Zeitschrift »Die Zukunft«:

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1933 1934 1935 Biografisches

Die geplatzte Hochzeit von Walter Mehring und Ilse Winter in Paris

Gabriel Heim: Ich will keine Blaubeertorte, ich will raus„Schon im Sommer 1933 sind alle Berliner Theater unter neuer Leitung und viele jüdische Schauspieler und Regisseure arbeitslos. Ilse hört Schlimmes, fürchtet sich und beschließt, nach Paris zu fahren, wo sich schon viele Freunde aufhalten, auch Walter Mehríng, der seit Jahren zwischen Berlin und Paris hin und her lebt. Die beiden gefallen einander und ziehen zusammen, in kleine Hotels. llse liebt Abenteuer und ist womöglich auch froh, ihre Mutter auf Distanz zu haben.

Sie macht Gelegenheitsjobs und genießt, zweiundzwanzigjahre jung, das freie Leben. Sie verdient kleines Geld in den Synchronstudios von Joinville, Walter schreibt in den Boulevards. llse verkehrt in der Russischen Kolonie, lernt Ilja Ehrenburg kennen und übernimmt Gelegenheitsarbeiten im kommunistischen Verlag von Willi Münzenberg. (Münzenberg, der Medienzar der KPD, produziert im Pariser Exil die rote Agitationspresse; den Gegen-Angrıff und die Braunbücher, in denen die Verbrechen der Nazis denunziert werden.) Münzenberg ist ein bisschen in Ilse verknallt und geht gern mit ihr Russisches Billard spielen. Er füttert sie vormittags mit Croissants und beschwipst sie nachmittags mit Suze und Pastis. Bei guter Laune führt er Ilschen auch gemeinsam mit Walter zum  »Sattessen« aus.

Ilse verbringt aufregende Tage auf dem legendären Schriftstellerkongress in den überfüllten Hallen der Mutualité, lässt sich noch ein Kind  » wegmachen«, diesmal von einer Engelmacherin in der Banlieue Marnes la Coquette, und kümmert sich um den »verbrannten Dichter« Arthur Holitscher in seinem Elendsquartier in der Rue de Rennes. (Holitscher stirbt 1941 einsam in einem Männerheim der Heilsarmee in Genf. Die Totenrede hält Franz Musil.)

Noch ein letztes Mal reist Ilse nach Berlin: im Sommer 1934. (…)

In ihrem zweiten Jahr hausen Ilse und Walter in einem kleinen Zimmer unter dem Dach des Hotels Trianon in der Rue de la Harpe, wo auch Jean Genet zeitweise wohnt. Sie beschließen zu heiraten. Im Frühjahr 1935 erscheinen Ilse Winter und Walter Mehring vor dem Standesbeamten des VI. Arrondissements. Marie (Ilse Winters Mutter; A.O.) wird benachrichtigt und erhält eine Reisegenehmigung aus »besonderem Anlass«, um für drei Tage dabei zu sein, wenn ihr einziges Kind das Ja-Wort sprechen wird. Sie kennt Mehring aus Berlin und hat sich »weiß Gott« einen anderen zum Schwiegersohn gewünscht, einen, der Ilse die Flausen aus dem Kopf treiben kann und ein Ziel im Leben hat. Mehring ist für Marie ein brotloser Literat und Hungerkünstler aus dem »verdammten« Theatermilieu, das ihre Tochter auf dem Gewissen hat. Mehrings Mutter, die Sängerin Hedwig Löwenstein, eine strenge alte Dame wilhelminischer Prägung, die ihren Sohn vergöttert und der jede Frau in seiner Nähe suspekt ist, reist gar nicht erst an. In letzter Minute fürchtet sich Ilse vor einem Leben in den kleinen Hotels und einer prekären Zukunft an der Seite von Mehring. Die Boheme am Rand der Armut macht ihr Angst. So sagt sie denn vor dem Standesbeamten auf die Frage, ob sie Monsieur Walter Mehring zum Gatten nehmen möchte, spitz »Non!«, was Walter und Ilse nicht im Geringsten daran hindert, wieder in ihr kleines Hotel zurückzukehren. Das Leben hat ihr die Männer immer vorgesetzt.

ln solcher Ménage lebt Mademoiselle Winter noch ein halbes Jahr, bis sie sich entschließt, im Spätsommer 1935 nach Wien zu Tante Annie, der jüngeren Schwester ihrer Mutter, zu reisen, um wieder am Theater zu arbeiten. Sie nimmt den Nachtzug, den zur selben Zeit auch Ilja Ehrenburg auf dem Weg nach Moskau besteigt.“

(zitiert aus: Gabriel Heim: Ich will keine Blaubeertorte, ich will nur raus – Eine Mutterliebe in Briefen; Berlin: Quadriga Verlag 2013, S. 57 – 62)

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1929 Dramatisches Zeitschriften

Mitglieder der Volksbühne debattieren über den „Kaufmann von Berlin“

Szene aus Mehrings "Kaufmann von Berlin"
Szene aus Mehrings "Kaufmann von Berlin"

Erwin Piscators Inszenierung von „Der Kaufmann von Berlin“ war nicht nur in rechten Kreisen umstritten. Wobei bei ihnen „umstritten“ zu wenig ist. Immerhin war Saalschutz notwendig, um zu verhindern, dass die SA die Aufführungen sprengte. Doch auch in linken Kreisen war die Begeisterung  über das Stück Walter Mehrings verhalten.

In den „Blättern der Volksbühne Berlin“ findet sich in dem Text „Die Mitgliederversammlungen der Volksbühne e.V.“, Heft 1, Jahrgang 1929/1930, S. 11, folgende Passage, die das verdeutlicht: „In der Diskussion stieß eine Minderheit, repräsentiert durch Wortführer der Gewerkschaftsjugend und der Sozialistischen Arbeiter-Jugend, stark mit der großen Mehrheit zusammen, die offenbar weiter links orientiert war. Im Mittelpunkt der Diskussion stand weniger die Volksbühne als die Piscator-Bühne. Ihr Eröffnungsstück (das war Mehrings „DerKaufmann von Berlin“; A.O.) für die neue Spielzeit wurde von verschiedenen Rednern als wenig glücklicher Griff bezeichnet. Aus der Kritik des Spielplans Piscators ergab sich eine längere Debatte über die Frage, ob es überhaupt genügend brauchbare und künstlerisch reife Stücke für das absolute Zeittheater gäbe.“