Relativ kurz nach der Rückkehr Walter Mehring aus dem Exil veruchte er, Kontakt mit der Gruppe 47 aufzunehmen. Er fühlte sich den jungen Autoren verbunden. Über seinen alten Freund Hermann Kesten gelang es ihm, bei der Mainzer Tagung 1953 zu lesen. Für Walter Mehring endete die Lesung in einem Desaster, das er zeitlebens nicht richtig verarbeiten konnte. Die maßgebliche Figur bei dieser Lesung war der damals noch junge Kritiker Joachim Kaiser. Selbst 35 Jahre später erinnerte er sich selbstzufrieden und ohne jeden Hauch von Selbstkritik an seinen Auftritt:
„(Joachim) Kaiser hat anlässlich der großen Ausstellung über die Gruppe 47 in der Berliner Akademie der Künste im Iahr 1988 dem Kurator Jürgen Schütte ein großes Interview gegeben. Er mokiert sich darin ein bisschen über »jenen nostalgisch-verkitschten Berliner Ton, jenen zweitklassig pseudo-brillanten Stil« Mehrings und konstatiert, dass es »eine Ausnahme, vielleicht eine etwas sentimentale Ausnahme« gewesen sei, dass Mehring überhaupt lesen durfte: »Mehring hatte sehr gebeten: er wollte unbedingt einmal lesen, sich den jungen Deutschen vorstellen. Hans Werner Richter also ließ ihn lesen und hatte nun das Pech, daß da der junge Joachim Kaiser saß, dem Mehrings Literatur nicht gefiel. Ich nahm mich sehr zusammen, machte mir Notizen. Und als Mehring dann fertig war, meldete ich mich. Richter hatte wohl das Gefühl: na, fragen wir den, der war ja das erste Mal so zurückhaltend. Und da legte ich, Punkt für Punkt dar, so logisch ich konnte, warum ich diese Art von Prosa nicht in Ordnung finde, warum ihre Form auf etwas ganz anderes zu zielen scheint als auf das, was ungenau ausgedrückt wird, und warum mir vieles schlecht feuilletonistisch vorgekommen ist, wenig durchdacht und einfach flüchtig. Als ich fertig war, hatten viele Zuhörer offenbar den Eindruck, ich hätte ungefähr das verbalisiert, was sie auch empfunden hatten. Und es war auch nicht ‚böse‘ gemeint gewesen. Ich hatte alles sehr höflich gesagt. Aber das Höfliche kann ja besonders schneidend wirken. Iedenfalls: Mehring reagierte daraufhin ungeheuer bestürzt, reiste wohl auch gleich ab. Ein paar sagten dann: also, der junge Mann argumentiert ja ausgezeichnet. Aber dann kam der Christian Perber auf mich zu und blaffte ziemlich ruppig zu dem Neuling: wir lassen uns doch von Ihnen den Mehring nicht kaputtmachen!«“
(zitiert aus: Helmut Böttiger: Die Gruppe 47 – Als die deutsche Literatur Geschichte schrieb. München: Deutsche Verlags-Anstalt 2012, S. 164).



Er ist klein und zart und zäh. In ihm personifizieren sich die zwanziger Jahre Berlins, wie in nur wenigen anderen. Er ist ein Satiriker und ein Polemiker. Ein Chanson-Dichter und ein Essayist. Er hat Dramen geschrieben (»Der Kaufmann von Berlin«) und kesse Lieder-Texte; Er War Autor der »Weltbühne« und vorher noch beim »Sturm« und bei Hardens »Zukunft«. Er ist ein Literat, wie ihn nur die vehemente, aufbrechende, revoltierende Zeit des Umbruchs vom Kaiserreich zur Republik hervorbringen konnte. Er war der »Bänkelsänger von Berlin«, nicht minder aggressiv, als seine heutigen Nachfahren, doch von kultivierterem Geschmack. Er rezitierte seine Gedichte dort, wo Berlin am Berlinischsten war, am Wedding und er gehörte in den Kreis der Tucholsky, Brecht, Klabund, Piscator, Kästner und Walden. Berlin war ihm die Heimat, die er liebte und deren Gesellschaft er attackierte: »… Mach Kasse! Mensch! Die Großstadt schreit! Keine Zeit! Keine Zeit! Keine Zeit…« Und der Wedding war sein Montmartre. Ein »Asphalt-Literat« – welch ein Ehrentitel. Und jetzt wird er 70 Jahre alt, am 29. April 1966. Doch ist dies nur die eine Seite dieses Mannes, dessen Büchern die Ehre widerfuhr, 1933 auf den Scheiterhaufen zu Wandern: Noch 193 3 hatte er mit seiner »Sage vom großen Krebs« warnend seine Stimme erhoben. Mehring ist überdies ein Kunstkenner von Graden. Er hat Kunstgeschichte studiert und in den letzten Jahren hat er seine Aufmerksamkeit mehr und mehr der bildenden Kunst zugewandt. Nach dem Kriege trat er in Deutschland zum ersten Mal wieder mit seiner »Verlorenen Bibliothek« in Erscheinung, die er die »Autobiographie einer Kultur« nennt – Rekonstruktion der väterlichen, verlorenen Bibliothek, die ihn nach den Werten suchen ließ, welche »weiter für uns gültig sind«. Seine Bücher sind verstreut erschienen, bei Rowohlt, Kiepenheuer & Witsch und im Diogenes Verlag und anderswo. So hat auch sein Werk kein rechtes, festes Haus gefunden. Zwar sind für ihn die langen Jahre des Exils, die ihn über Frankreich in die Vereinigten Staaten führten, zu Ende. Er lebt jetzt in der Schweiz und fühlt sich dort zu Hause, wie überall, wo er an einem »Schreibtisch sitzen darf – gedankenfrei, träumend und hoffend auf ein Diesseits und Jenseits der alten und neuen Welt; in einer American Democracy; in der Deutschen Bundesrepublik; grenzenlos; außerhalb jeder Diktatur – als ein freier Schriftsteller«. Aber sein Berlin wird er, vermutlich, doch noch gelegentlich vermissen.

meinen besten Dank für Ihren Antwortbrief –
Margarete Hannsmann: Fersehabsage – Gedichte; Düssendorf: Claassen 1974; S. 54 ff.