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1905 1915 1918 1920 1988 2008 Biografisches Wissenschaft

Helen Adkins zur Freundschaft von Erwin Blumenfeld und Walter Mehring

Helen Adkins, Erwin Blumenfeld, I was nothing but a Berliner, Rudolf Arnheim, Around 1905, Walter Mehring and Paul Citroen met on Derfflinger Strasse, on the “asphalt of which we were raised together“ (Walter Mehring: Citroen Dada; in: Die Weltwoche 1980). In an early letter to Paul Citroen, Mehring drafted the plan for a vaudeville show in which Blumenfeld was to be given the tailor—made role of an improviser. His friendship with „Wee-wee-Dada,” as Blumenfeld called Mehring, was more of a personal, than of an artistic nature. Until the fall of 1916, the three friends Erwin, Paul, and Walter often sat together in the evenings in the Café des Westens. When Blumenfeld returned from the war in November 1918, he stayed with his poet friend.“ (Erwin Blumenfeld; A.O.)

In February 1921, on the occasion of Blumenfeld’s honeymoon in Berlin, the friends came together once more as authors of the work Cafe’ Berlin. The etching renders the dense atmosphere of a literary cafe in Berlin: the guests are smoking, drinking, and polemicizing. Citroen was the only one to command the technique of etching; overall, however, his hand is only recognizable in the drawing of the bride and groom.  The various signatures under the image do not coincide with the depicted figures and suggest that the image was made in commemoration of the evening, maybe even with the idea of it hanging on the wall of Cabaret Grossenwahn.“

Like so many artists of his generation, Mehring aspired to move to Paris: “I must say in advance that throughout four years of war. . . I had planned my ascent of Montparnasse and sworn to myself that I would do it as soon as the Hohenzollern monarchy was overthrown“ (Walter Mehring: Verrufene Malerei). In 1922 he implemented his plan and arranged to meet Tristan Tzara in Paris. At the end of the 1920s, Mehring visited the Blumenfelds in Zandvoort, as recorded in Blumenfeld’s contact prints (Fotografie; A.O.).

Not only did Erwin Blumenfeld love to read and write, he also ardently enjoyed reading out loud. In 1913, he founded a clique together with Citroen and Mehring. The group first comprised boys only; the core members consisted of Rudolf (Rudi) Arnheim, Walter Seliger, Martin Wasserzug, Ernst Kirschbaum, and Walter Joseph; all were enthusiasts of literature, theater, and the visual arts (Fotografien; A.O.). Among the girls later also tolerated in the clique, we find Lotte Herzfeld, to whom Blumenfeld devoted short stories,
poems, and letters. It was Blumenfeld who organized the meetings that took place at everyone’s home in turn. On these occasions, he would either read from his newest literary discoveries or from his own repertoire. In this context, however, he emphasized that he was unable to read out Schiller or Goethe, since he could only recite what he lived.

Walter Mehring was the all-important link between Herwarth Walden’s ”Sturm community” and Berlin Dada; he was also enthralled by the work of George Grosz. Mehring found mention in almost every letter by Erwin Blumenfeld to George Grosz and vice versa. But Blumenfeld was sometimes quite depreciative of his friend, who spent all his life as a bohemian poet par excellence and was maybe not cosmopolitan enough for Erwin’s taste: „Everything here stays Wee-wee Holland, as if Mehring had conceived
it.” (Erwin Blumenfeld 1930; A.O.) And in their correspondence of the 1930s, when commenting on Mehring’s hard circumstances, the tone is more mocking than worried.

Blumenfeld met many of his friends and good acquaintances in the Cafe des Westens in Berlin, called “Café Grossenwahn” (Café Megalomania) by the regulars. It is there, for instance, that he got to know Salomo Friedlaender-Mynona in 1913. He considered this philosopher and writer, born in 1871, as his spiritual father: „It was from his lips that I first heard the magic words ‘psychoanalysis’ and ‘relativity’ and the name of Montaigne. He showed me the emergency exit out of my parent’s home through the ‘Café Megalomania’ (Café des Westens)“ (Erwin Blumenfeld 1999; A.O.) Friedlaender-Mynona’s grotesque Rosa, die schöne Schutzmannsfrau was a very special book for Blumenfeld. He read it out to his clique and wrote one of his own poems on the front page of his personal copy.

(Helen Adkins: Erwin Blumenfeld – I was nothing but a Berliner. Dada Montages 1916 – 1933; Ostfildern: Hatje Cantz 2008; S. 33 ff.)

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1953 Brief Prosa Zeitschriften

Walter Mehring: Keine „Drugstore -Amerikaner“

Keine  „Drugstore -Amerikaner“

Sehr geehrte Redaktion!

Erich Franzen behauptet in seinem Aufsatz „Europa blickt auf Amerika“ (Heft 50):

„Walter Mehring scheint anzunehmen, daß sich in Amerika die Liebe
nur in der Öffentlichkeit abspiele. Er widmet ihr das Gedicht: 
„Der Drugstore“, in dem folgende Verse stehen:

,Der Held -- der Herzensbrecher
 Der Stratosphären-Cherub,
 Der gestern fremde Dächer
 Unter Bomben begrub:
 __Nun hockt er linkisch in der Reih
 __Und lauscht dem kindischen Geschrei
 ____Heim von Doughhoy-Geplänkeln --
 ____Errötend vor zwei Schenkeln
 ____Ein naseweiser Bub ...'

Was Walter Mehring einige Schwierigkeiten bereiten muß - über die
er sich in seinem Gedicht hinwegsetzt - ist der Gedanke, daß diese 
Drugstore-Amerikaner nicht anders als die Europäer im Kriege wie 
Männer gekämpft haben.“

Es mag Herrn Erich Franzen einige Schwierigkeiten bereiten, Lyrik zu interpretieren, darin, um Verlaine zu zitieren, das Ungewisse sich dem Genauen vermählt…

Der Monat 52Um es in diesem Fall genau zu sagen: weder ist mein Gedicht „Der Drugstore“ „der Liebe in Amerika“ gewidmet, noch habe ich in diesem oder in den insgesamt 15 Gedichten der zusammenhängenden Versfolge „Transatlantischer Psalter“ die schwachsinnige Ansicht verfochten, daß sich in Amerika die Liebe nur in der Öffentlichkeit abspiele. Es schien mir ein kleines Sinnbild der Jugend, daß ein junger Soldat, der „des Krieges Höllenpein durchschritt“, so linkisch und errötend bei einem Ice-cream Soda im Kleinstadt-Drugstore seiner Angebeteten den Hof macht. Ich habe mich in Gedanken nicht „darüber hinweggesetzt“, daß „diese Drugstore-Amerikaner“ — der Ausdruck stammt nicht von mir, er ist mir neu — „nicht anders als die Europäer im Krieg wie Männer gekämpft haben“. Daß amerikanische Bürger, jung und alt, die Menschenrechte verteidigt, ja besser verteidigt haben als viele Europäer, darüber setze ich mich nicht hinweg, da ich genau so gut wie Herr Erich Franzen vor den Verfolgungen einer Diktatur, die den zweiten Weltkrieg entfesselte, in den United States of America eine gesicherte Zuflucht fand – und eine Heimat…
New York

 Walter Mehring

(Walter Mehring:  Keine „Drugstore-Amerikaner“; in: Der Monat, Heft 52/5. Jg. vom Januar 1953; S. 459. )

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1936 1948 Biografisches Lyrik

PEM: WALTER MEHRING MACHT EIN GEDICHT AUF MICH

WALTER MEHRING MACHT EIN GEDICHT AUF MICH

Roland von BerlinNichts ist schwerer, als einen Artikel über sich selbst zu schreiben; aber in diesem Falle lohnt es sich. Wenn ich es nämlich nicht tue, so geht ein Gedicht verloren, das zu den  literarischen Kuriositäten gehört, denn in noch so „gesammelte Werke“ paßt es nicht hinein. Und es hat den besten Berliner Chansonnier zum Verfasser — Walter Mehring.
Das muß kurz nach dem ersten Weltkrieg gewesen sein, als wir uns trafen. Ich hatte schon reimlose Verse von Mehring in der „Aktion“ und in Mynonas „Der Einzige“ gelesen, und wie aktuell waren diese Gedichte:

 

____„Schon revoltieren die ersten amerikanischen Lebensmmittel
____im Magen der Kapitalisten.
____Berlin --
____Dein Tänzer ist der Tod.“

Dann gab es da eine illustrierte Zeitschrift „Bühne und Film“, in der Mehring zu schreiben begann. Einmal sandte man ihn zu einem Boxkampf, und er nahm sich, einen Zeichner mit, der seinen Artikel bebildern sollte. Der Chef warf ihn fristlos mit der Begründung hinaus:
„Wir brauchen keine Kinderzeichnungen“, und dieser Künstler war doch George Groß (sic!) gewesen. Ein paar Jahre später hörten wir Mehrings Chansons im „Schall und Rauch“; Gussy Holl und Paule Grätz waren seine Interpreten; und Spolianski, Holländer und Allen Grey seine Musikanten. Schließlich entdeckten ihn Maximilian Harden in der „Zukunft“ und Kurt Tucholsky in der „Weltbühne“ für eine größere Öffentlichkeit. Man stelle sich vor: Tucholsky, der selbst Chansons schrieb, entdeckte sich einen Konkurrenten…

Mehring schrieb viele, viele unvergeßliche Gedichte, die ich heute noch auswendig kann. „In Hamburg an der Elbe, gleich hinter dem Ozean …“ für Lambertz-Paulsen, und „In diesem Hotel der Erde, ist die Kreme der Gesellschaft zu Gast …“ für Kate Kühl.

Und nun also sitzt Walter Mehring in New York, und ich halte ein Gedicht in den Händen, das nirgends erschienen ist, weil es sehr privat ist. Wir sahen uns viel in Wien, wo wir im Exil lebten. Und zu einem meiner vielen Geburtstage brachte er mir ein Gedicht — und zur Erklärung habe ich nur zu sagen, daß ich in dem Ruf stehe, ein gutes Gedächtnis zu haben. Hier ist es, damit es nicht verlorengeht:

Unserem Eckermann Pem

Eviva Heil. Und Juden raus.
Noch ein Protest -- dann ist es aus.
__Dann wird es alles aufnotiert
__in Leder -- mehrfach illustriert.

Adolf. Benito ... Wer war noch?
Ein großes Loch. Ein großes Loch.
__Wer war's, der in dasselbe kroch?
__Wen hat die Garbo einst umgarnt?
__Wer hat die Kohns beim Film getarnt? 

Wer wèiß, wie wirklich Bronnen hieß?
Wo stand der Stammtisch der Genies?
__Wer lebte im Exil? - Wovon?
__Ein Sternlein steht im Lexikon.

Als Quelle: Unter anderem
Besiehe PEM - Besiehe PEM.
Wann rückte Kerr aus - in den Krieg?
Wann war die deutsche Republik?
__Wann lebte Goebbels' Großmama?
__Wer siegte wann bei Adua?

Wer hat Teutschlands Geschick gelenkt?
Von wann bis wo? Geschenkt. Geschenkt.
__Doch wer hat ddauernd umgeschwenkt?
__Olympisch sich mit Ruhm bekleckt
__und ständig über's Ziel geleckt?

Wer hat sich gleichgeschaltet -- und
quatschte heroisch aus'm Mund?
__Wie lebt der Emigrant... wovon?
__Das steht dann nie im Lexikon...

Er lebt aus Dawke und Bestemm
Besiehe Pem - Besiehe Pem.

Mehring hat es 1936 in Wien geschrieben, und was für ein Prophet er war
____________________________________________________PEM (LONDON)

(PEM: Walter Mehring macht ein Gedicht auf mich; in: Roland von Berlin, Heft 39/1948 vom 26. September 1948; S. 22 f.; PEM ist das Pseudonym von Paul Marcus.)

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1982 Lyrik

Gedichtfragment aus dem Nachlaß – von Walter Mehring

Alle Verbrechen;
ausnahmslos alle Laster,
__________________ja, sogar die Freien Künste
ließen sich,
________in ein
monotheistisches / monarchistisches / sowjetisches
________Einheitssystem
_______________untergebracht,
mit anderen, umgekehrten Vorzeichen (Paragraphen)
________allgemeinnützlich
_______________auswerten
(wie in der Musik, durch
________ein # oder b
beliebig
________erhöhen oder erniedrigen) . . .
die Lektüre irgend einer Tageszeitung,
________(ganz gleich auf
_______________welche Gesinnung
___________________man abonniert ist)
der Gesellschafts-Skandal- und Kriminalchronik –
__welch sinnlos-unsinnliche
________Vergeudung
_______________animalischer,
___________________vitaler Geschlechtstriebkräfte,
__welch unnötiger
____________Unkosten-Aufwand
da vertan wird,
______um erotoman veranlagte (talentierte)
Lustmörder
__zu isolieren, statt ihr
____Sperma
______zur Daıwinistischen Zuchtwahl
____zur „Reinkultur einer Herrenrasse“
____________(Dr. Joseph Goebbels)
______zur „inneren Züchtigung“ (Gottfried Benn)
________zu konservieren,
__________statt CS
____________an ein
______________sexualnotleidendes
________________Proletariat
__________________(zu verhökern)

(Gedichtfragment aus dem Nachlaß; in: Die Horen, Ausgabe 125, Bd. 1/27. Jg. vom Frühjahr 1982; S. 24)

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1929 2010 Dramatisches Wissenschaft

Torsten Blume stellt das Bühnenbild für „Der Kaufmann von Berlin“ vor

Festakt – 120 Jahre Volksbühnenbewegung – Vortrag von Torsten Blume – Raumapparate. Moholy-Nagy und das Theater der Totalität from Volksbühne Berlin on Vimeo.

 

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1933 1934 1935 Biografisches

Die geplatzte Hochzeit von Walter Mehring und Ilse Winter in Paris

Gabriel Heim: Ich will keine Blaubeertorte, ich will raus„Schon im Sommer 1933 sind alle Berliner Theater unter neuer Leitung und viele jüdische Schauspieler und Regisseure arbeitslos. Ilse hört Schlimmes, fürchtet sich und beschließt, nach Paris zu fahren, wo sich schon viele Freunde aufhalten, auch Walter Mehríng, der seit Jahren zwischen Berlin und Paris hin und her lebt. Die beiden gefallen einander und ziehen zusammen, in kleine Hotels. llse liebt Abenteuer und ist womöglich auch froh, ihre Mutter auf Distanz zu haben.

Sie macht Gelegenheitsjobs und genießt, zweiundzwanzigjahre jung, das freie Leben. Sie verdient kleines Geld in den Synchronstudios von Joinville, Walter schreibt in den Boulevards. llse verkehrt in der Russischen Kolonie, lernt Ilja Ehrenburg kennen und übernimmt Gelegenheitsarbeiten im kommunistischen Verlag von Willi Münzenberg. (Münzenberg, der Medienzar der KPD, produziert im Pariser Exil die rote Agitationspresse; den Gegen-Angrıff und die Braunbücher, in denen die Verbrechen der Nazis denunziert werden.) Münzenberg ist ein bisschen in Ilse verknallt und geht gern mit ihr Russisches Billard spielen. Er füttert sie vormittags mit Croissants und beschwipst sie nachmittags mit Suze und Pastis. Bei guter Laune führt er Ilschen auch gemeinsam mit Walter zum  »Sattessen« aus.

Ilse verbringt aufregende Tage auf dem legendären Schriftstellerkongress in den überfüllten Hallen der Mutualité, lässt sich noch ein Kind  » wegmachen«, diesmal von einer Engelmacherin in der Banlieue Marnes la Coquette, und kümmert sich um den »verbrannten Dichter« Arthur Holitscher in seinem Elendsquartier in der Rue de Rennes. (Holitscher stirbt 1941 einsam in einem Männerheim der Heilsarmee in Genf. Die Totenrede hält Franz Musil.)

Noch ein letztes Mal reist Ilse nach Berlin: im Sommer 1934. (…)

In ihrem zweiten Jahr hausen Ilse und Walter in einem kleinen Zimmer unter dem Dach des Hotels Trianon in der Rue de la Harpe, wo auch Jean Genet zeitweise wohnt. Sie beschließen zu heiraten. Im Frühjahr 1935 erscheinen Ilse Winter und Walter Mehring vor dem Standesbeamten des VI. Arrondissements. Marie (Ilse Winters Mutter; A.O.) wird benachrichtigt und erhält eine Reisegenehmigung aus »besonderem Anlass«, um für drei Tage dabei zu sein, wenn ihr einziges Kind das Ja-Wort sprechen wird. Sie kennt Mehring aus Berlin und hat sich »weiß Gott« einen anderen zum Schwiegersohn gewünscht, einen, der Ilse die Flausen aus dem Kopf treiben kann und ein Ziel im Leben hat. Mehring ist für Marie ein brotloser Literat und Hungerkünstler aus dem »verdammten« Theatermilieu, das ihre Tochter auf dem Gewissen hat. Mehrings Mutter, die Sängerin Hedwig Löwenstein, eine strenge alte Dame wilhelminischer Prägung, die ihren Sohn vergöttert und der jede Frau in seiner Nähe suspekt ist, reist gar nicht erst an. In letzter Minute fürchtet sich Ilse vor einem Leben in den kleinen Hotels und einer prekären Zukunft an der Seite von Mehring. Die Boheme am Rand der Armut macht ihr Angst. So sagt sie denn vor dem Standesbeamten auf die Frage, ob sie Monsieur Walter Mehring zum Gatten nehmen möchte, spitz »Non!«, was Walter und Ilse nicht im Geringsten daran hindert, wieder in ihr kleines Hotel zurückzukehren. Das Leben hat ihr die Männer immer vorgesetzt.

ln solcher Ménage lebt Mademoiselle Winter noch ein halbes Jahr, bis sie sich entschließt, im Spätsommer 1935 nach Wien zu Tante Annie, der jüngeren Schwester ihrer Mutter, zu reisen, um wieder am Theater zu arbeiten. Sie nimmt den Nachtzug, den zur selben Zeit auch Ilja Ehrenburg auf dem Weg nach Moskau besteigt.“

(zitiert aus: Gabriel Heim: Ich will keine Blaubeertorte, ich will nur raus – Eine Mutterliebe in Briefen; Berlin: Quadriga Verlag 2013, S. 57 – 62)

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1929 Dramatisches

Verlagsankündigung für „Der Kaufmann von Berlin“

WALTER MEHRINGFischer Almanach 1930
Der Kaufmann von Berlin
Ein historisches Schauspiel aus der deutschen Inflation

Unser aller Erleben im Naclıkriegsberlin – das tragische Schicksal „Kaftans“, einer shakespearischeıı Gestalt von heute – blutvolle Gestalten und schaurige Schatten des
Pandämoniums der Inflation; dies alles beschwört Mehring in der Buchfassuııg seines neuen Stückes herauf, die halb Roman und halb Schauspiel ist – eine der originellsten
Schöpfungen unserer zeitgenössischen Literatur.

( S. Fischer Verlag (Hg.): Almanach 1930; Berlin: S. Fischer Verlag; S. 157 f.)

Der Kaufmann von Berlin (1929)

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2015 Prosa

„Die verlorene Bibliothek“ – ein aktuelles Buch?

Aus dem Arbeitsjournal von Sven j. Olsson:

Immer wieder gibt es Sätze in Mehrings „verlorener Bibliothek“, die, wie ein Stein im Bach, den Lesefluß bremsen, einen stocken lassen und bewegen innezuhalten. Sätze, die ob ihrer Formulierung oder ihrer Aussage ein zweites, drittes Lesen erfordern. Sätze, die in ihrer Schärfe weh tun und das Denken herausfordern. Sätze, die über den Zeitpunkt des Schreibens und Erscheinens von bedrückender Aktualität sind.

Zu diesen gehört: „Die Schwurformel, die ich aus dem Schlafe konnte, lautete: Bildung! – das »Sesam, öffne Dich!« zu der Schatzhöhle, wo der Stein der Weisen oder die »Leuchtende Materie«, das kosmische Strahlendiadem der Trinität, das pure Mehrwertsgold des Sozialismus sich befand und Macht über alle Naturkräfte und Gewalt über alle Menschennatur verlieh; und die Aladin-Wunderlampe der Wissenschaft, die ich nur blankzuputzen brauchte, und der Geist eines Buches würde mir mit Rat und Trost zur Seite stehen.
Doch im Todesjahr meines Vaters waren die Geister alle mobilisiert; …
 Zur Bibliothek kehrte ich nicht mehr zurück …“(Die verlorene Bibliothek, S. 194 f.)

 Bildung. Wissen. Die Kraft der Erkenntnis. Der Glaube an die Lernfähigkeit des Menschen, an die Vernunft im Sinne der Aufklärung. Und am Ende: der Autor entsagt der Bibliothek, dem Hort von Wissen und Erkenntnis. Ernüchtert stellt er fest, daß entgegen des Versprechens der humanistischen Bildung das große Schlachten des I._Weltkrieges stattgefunden hat. 

…Und hier geht es zum ganzen Text auf www.merin.de/…

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1969 Biografisches Kabarett Wissenschaft

Biografischer Abriss Walter Mehrings von Rudolf Hösch

Kabarett von gesternIn Berlin, der deutschen Hauptstadt, trafen die Klassengegensätze besonders hart aufeinander. Die Regierung Scheidemann-Noske blieb hier nicht bei der platonischen Verkündung der Parole „Ruhe ist die erste Bürgerpflicht“, sondern ging brutal mit Waffengewalt gegen das revolutionäre Proletariat vor, und von dem „Bluthund“ Noske gedeckt, ermordete die reaktionäre Soldateska die Führer der KPD Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Diese Ereignisse fanden ihre vielfältige Widerspieglung in der Literatur und im politischen Kabarett.

Walter Mehring, der in späteren Jahren, insbesondere nach dem zweiten Weltkrieg, von seiner damaligen fortschrittlichen Haltung abrückte, dichtete zornerfüllt den „Deutschen Liebesfrühling 1919“:

Herr Noske übt jetzt Volksversöhnung.
Mit Hülsenfreikorps, 5 Mark Löhnung.
Der letzte Mann, der Freiheit grölt,
Wird janz im stillen abgekehlt
Mit Eichenlaub und blut’ger Wade,
Begeistert brüllt die Wachtparade:
___Ach, Noske jib mir `n Frühlingsschmatz,
___Die deutsche Eiche jrünt.
___In Potsdam uff”n Rummelplatz
___Wird klotzig Geld vadient.

Wie genau Mehring die Bourgeoisie durchschaute, zeigt noch heute sein Pamphlet „Mit Samthandschuhen“:
„Seit mein Kaiser in Amerongen sitzt, kräht kein Bourgeois nach ihm, der ihn nicht täglich absetzte. Der Königsstürzer im Klubsessel und Heil-dir-im-Siegerkranz auf der Grammophonwalze, weil die Platte nu mal jekooft is. – Wir haben schließlich doch auch zugesehen, wie das Blut floß – aber man ist aufgeklärt – laßt sie doch die Kokarden tragen – das ist äußerlich. Und außerdem macht sichis sehr schön. – Und innerlich sind wir gut deutsch – schwarz-weiß-rot. Und gute Christen: Nur ein guter Christ kann ein guter Soldat sein, hat (zwar nicht Christus) gesagt (aber) Unser Kaiser. Nur ein guter Christ kann ein Demokrat sein, hat Scheidemann noch nicht gesagt. – Gelten lassen und Frieden! Wenn man uns nur das Geld läßt. Achtung! Die Bolschewisten kommen. Jetzt heißt`s zusammenkriechen. Kriechen! Ohne Rangunterschied: Um Gottes willen, Intellektuelle und Proletarier, vereinigt Euch, sonst geht die Kultur des Geldsackes flöten! Das wird Gott nicht wollen!“

Mehrings dichterisches Schaffen dieser Zeit fand seine Grenzen in der individuellen Sicht, aus der er die politisch-aktuellen Ereignisse betrachtete. Der 1896 geborene Dichter leistete aber trotzdem Entscheidendes zur Weiterentwicklung des literarischen Kabaretts in Deutschland. Dazu gehören vor allem seine Gedichte, die die „Weltbühne“ in der Zeit der Weimarer Republik veröffentlichte. Meisterhaft traf Mehring den Nerv der Zeit:

Oben woll’n se grad beraten –
Schnuppern am sozialen Braten,
Unten auf dem Königsplatze –
20 Mann im Heldensatze
Hat sich ’n Leutnant aufgepflanzt.
___Mitten in der Republike –
___Fesch und schnieke
___Geht’s: Heil dir im Siegerkranz!
___Vorne stehn se Kopp an Kopp,
___Hinten drängelt sich der Mob.
___Und die Claque brüllt sich heiser:
___Gebt uns wieder unsern Kaiser!

Mit 23 Jahren wurde Walter Mehring Hausdichter beim zweiten „Schall und Rauch“, dem ersten literarischen Kabarett der Nachkriegszeit. Hier fand er seinen Chansonstil: „Aus Unkenntnis dieser Kunstgattung, dessen spätere Popularität mich die Aufnahme in fast jede seriöse Literaturgeschichte kostete.“

Als Autor formvollendeter, großartiger Songs, Balladen und Chansons gehört Mehring zu den bedeutendsten Autoren des literarisch-politischen Kabaretts in Deutschland. Ausdruck, Rhythmik und die Suggestivkraft seiner Verse sind unverwechselbar. Eisiger  Hohn und schneidende Schärfe wehen aus diesen Strophengebilden entgegen, „aber wie wenige hören es zwischen den Zeilen Walter Mehrings schluchzen“, bemerkt Tucholsky. Mehrings damalige Haltung, seine kompromißlosen Attacken gegen die Bourgeoisie, machten ihn in jenen Jahren zum Mitkämpfer gegen Krieg, Reaktion und Militarismus, wenn es ihm auch nicht gelang, seine Protesthaltung mit der organisierten Kraft der revolutionären Arbeiterbewegung zu vereinen.

(Rudolf Hösch: Kabarett von gestern – nach zeitgenössischen Berichten, Kritiken und Erinnerungen, Bd. 1, 1900 – 1933; Berlin (Ost): Henschelverlag 1969; S. 164 ff.
Dieser Beitrag aus den späten 1960er-Jahren ist ein gutes Beispiel für die Bewertung des Werkes von Walter Mehring vor dem Hintergrund der Ideologien. Mehring, der sich selbst nie als Kommunisten begriffen hat und auch nie Mitglied einer Partei wurde, wurde genau dies schon seit den 1920er-Jahren immer wieder zum Vorwurf gemacht. Auch im Exil spielte die Frage, ob man für oder gegen die KP war, eine wichtige Rolle. Und nach dem Ende des Dritten Reiches mit der Gründung der beiden deutschen Teilstaaten ebenso. Umso bemerkenswerter ist es, dass Hösch hier auch und vor allem auf die literarische Qualität der texte Merhings abhebt. A.O.)

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1934 Zeitschriften

Österreich debattiert 1934 über „richtige“ Literatur

GEGEN DEN LITERARISCHEN AUSTROMARXISMUS.

Nach der sieghaften Niederkämpfung des militärischen und politischen, muß nunmehr auch die Ueberwindung des intellektuellen Austromarxismus erfolgen, der, zwar nicht aus eigenem, nicht kraft seiner selbst, sondern ausschließlich vermöge der ihn tragenden politischen Macht eine ihm nie gebührende Geistesherrschaft erlangt hat, die, da sie nicht aus dem Geiste, sondern aus der Macht geboren war, inquisitorisch jede Geistesfreiheit bekämpfte. So hat die austromarxistisch-intellektuelle Despotie als nahezu omnipotente Beherrscherin von Rundfunk, Theater und Buchhandel über der östereichisch-schöngeistigen Literatur eine Cliquenherrschaft aufgerichtet, deren fabelhaft funktionierender Vergötterungs-, Auszisch- und Totschweigeapparat fünfzehn Jahre hindurch zwar nicht über Wert und Wesen, jedoch über Wohl und Wehe von österreichischer Dichtung und österreichischem Dichter entschieden hat. Und wie sie entschied: das Urteil dieser Snobschreiberlinge, Hornbrillengiganten und Goldfüllfederbolschewiken galt dem vom austromarxistischen Kulturorganisationsapparat erfaßten Großteil des literarisch aufgeschlossenen österreichischen Publikums als autoritär.

Zwar müssen wir loyalerweise zugestehen, daß der literarische Austromarxismus immerhin ein höheres Niveau pflegte, als etwa der Marxismus anderer Länder. Das jedoch ist keineswegs sein, des österreichischen Marxismus, Verdienst, sondern es dürfte mit der wesenhaft antinaturalistischen Anlage des österreichischen Menschen zusammenhängen, der, soferne er der Kunst zuneigt, einem plumpen Naturalismus – zum Klassenkampfe reizender Elendsschilderer oder sich als „Dichter“ gebenden Pansexualisten – keinerlei literarischen Geschmack abzugewinnen vermag. Hingegen ist seiner unmaterialistischen, leichten, sensiblen Art leider sehr der grazile, spielerische „wertfreie“ Aesthetizismus zugängig, der ja auch außer in dem Paris des l’art pour l’art, noch in dem Wien der Beer-Hofmann und Schnitzler seine Triumphe feiern konnte. Dieser Eigenheit der österreichischen Volkspsyche war sich der literarische Austromarxismus sehr bewußt und hat die ausgesprochen proletarische Literatur eigentlich weniger gepflegt, und wo er sie gepflegt hat, dort minder als Kunst, denn als platte Tendenzangelegenheit, als Agitation. So galten dem österreichischen Schöngeist marxistischer Provenienz auch die Becher, Barthel, Toller, Hasenclever, die Ehrenstein, Brecht, Kästner und Mehring keineswegs als Dichter, sondern als das, was sie waren, als marxistische Agitatoren; Dichter hingegen schienen ihnen, die den ästhetizistischen, dekadenten Wiener Impressionismus repräsentierenden Stefan Zweig, Felix Saltem und Ernst Lothar zu sein. Das zu betonen, ist sehr wichtig, denn der literarische Austromarxismus scheint, zumal er nie im tiefsten Schmutz der ausgesprochen proletarischen Kunst gewühlt hat, sich auch in einem neuen Oesterreich noch für existenzberechtigt halten. Doch: hätte es Oesterreich, die neben dem Flandern der Felix Timmermanns, Antoon Tlhiery, Stijn Sreuvels, Gert Walschap und Ernest Claas literarisch fruchtbarste Landschaft des Nachkriegseuropa, nötig, Macher und Routiniers zu fördern, wo es eine stattliche Zahl wesenhafter Dichter besitzt: Karl Kraus, Richard Schaukal, August Leifhelm, Heinrich Waggerl, Guido Zernatto, Max Mel, Julius Zerzer, J. G. Oberkofler, Georg Rendl und Rudolf List, Enrika v. Handel-Mazetti, Paula Grogger, Dolores Vieser, Erna Blaas und Veronika Rubatscher. Wie es auch sei: in einem christlichen Ständestaat Oesterreich darf für den ästhetizistischen Relativismus kein Raum sein.

Doch denken wir, die wir den Geistesterror der Gleichschaltung ablehnen, keineswegs daran, Bücher, die dem Großteil des literarischen Oesterreich noch für wertvoll gelten, zu verbrennen, wir wollen vielmehr dem Guten oder zumindest für gut Geltenden das Bessere gegenüberstellen: der Formalschönheit des ästhetizistischen Wiener  Impressionismus die Wesensschönheit gott- und volkverbundener Dichtung. Diese muß mehr und mehr durch Radio, Theater und Buchhandel gepflegt und verbreitet werden, und sie wird kraft ihrer selbst, vermöge ihrer Wesenheit über den Asphalt siegen. Indes genügte es keineswegs, nur die gesunde volkhafte österreichische Dichtung zu fördern, nein, wir müssen vielmehr unserer Verpflichtung für die gesamte Nationalliteratur, die heute größer ist denn je, Ausdruck verleihen und aus dieser Pflicht jene reichsdeutsche Literatur vornehmlich pflegen, die, da sie im Dienste der rechten Rangordnung der Werte steht, in einem Deutschland des Blutmythos nicht die ihr eigentlich zukommende Stellung einnimmt. Wir denken hier besonders an die Werke der Theodor Häcker, Ernst Thrasolt, Leo Weismantel, Franz Johannes Weinrich und Gottfried Hasenkamp.

W. Faber.

(Faber, N.: Gegen den literarischen Austromarxismus; in: Der Christliche Ständestaat nr. 13/1. Jg. vom Februar 1934; S. 23)