New York, 20.4.1944
Hotel Park Plaza
Verehrte Erika Mann:
gestatten Sie mir, Ihnen auf Ihre „Ablehnung“ – folgende Entgegnungen zu senden:
1) Sie sind nicht objektiv genug …
2) Haben Sie vergessen, daß auch Hans Sachs, die Marlitt und
der Struwelpeter Deutsche waren?
3) Die Deutschen sind im Grunde nie Nazis geworden, ihre Zahl ist sehr gering und arbeitet in der überwiegenden Majorität heimlich für die Untergrundbahnbewegung…
4) Das Volk ist irrtümlich verführt worden und hat die Polen, Tschechoslowaken und Juden bloß deswegen ausgerottet, weil es sich so sehr über den Versailjer Schandfrieden und den Oberbürgermeister Böss gekränkt hat.
5) Man muß das deutsche Volk, das im Gegensatz zu andern Völkern unter Hitler so gelitten hat, durch Güte erziehen, damit es wieder ein gleichberechtigtes Mitglied der Aufrüstung wird. Dann können die andern noch was von ihm lernen.
6) Es gibt nicht nur Hitler-Deutschland – es gibt auch ein „anderes Deutschland“. Für uns kann es garnicht genug Deutschlands geben…
7) Sie sind nicht objektiv …
Dies wünscht Ihnen
Ihr herzlichst ergebener Walter Mehring
(Mann, Erika: Briefe und Antworten; Hg. v.: Prestel, Anna Zanco; München: Edition Spangenberg 1984; Bd. 1, S. 189 ff.
"Eine Ablehnung", Artikel von EM in: Aufbau, Jg. 10, H. 16, New York 21.4.1944, S. 7: "Sie bitten mich, im »Aufbau« zum Problem des »anderen«, des »gute« Deutschland Stellung zu nehmen und meine - ablehnende - Haltung seinen Aposteln gegenüber für Ihre Leser zu begründen. Gut denn: das Gebaren der »Freien Deutschen« in diesem Lande miß- billige ich zutiefst, weil dem A und O ihrer Umtriebe, - ihrer These von der Verschiedenartigkeit der Nazis und der Deutschen - täglich von den Tatsachen aufs blutigste widersprochen wird. Bis zum Tage des Kriegsausbruches mochte man an ein »anderes« Deutschland glauben, mochte sich einreden, daß eine Majorität »gu- ter«, wenngleich verblüffend inaktiver Deutscher von den Nazis niedergehalten sei. Mir selbst waren derlei Vorstellungen nicht fremd, wiewohl an ihnen festzuhalten von Jahr zu Jahr schwieriger wurde. Als aber ein bis zu den Zähnen bewaffnetes Reich, weit da- von entfernt, seine Waffen gegen seine »Versklaver« zu erheben, über Europa hergefallen war, zerstob der Wunschtraum. In der Ge- genwart, soviel war deutlich geworden, zählte dies »andere« Deutschland nicht. Deutlich geworden, wem? Nicht den exilierten deutschen Politikern, die selbst heute noch der von Deutschland zerrütteten Welt von der Unschuld des deutschen Volkes schwätzen. Schuld ist Hitler! Die Gestapo ist schuld! Was, angesichts dieser Deutschen, sollten die Deutschen tun? Nur, was, trotz der Gestapo, die Völker Europas - machtlose, entwaffnete, hungernde, unterwor- fene Völker - seit langem tun: ihr Äußerstes und Bestes, um dem Unsäglichen ein Ende zu machen. Stattdessen tun sie ¬ noch immer und bis zum Ende - ihr Äußerstes und Bestes für Hitler und seinen Krieg. Wie die Löwen kämpfen sie an allen Fronten. In grauenvoller Einhelligkeit betreuen sie daheim die Kriegsmaschine des »Führers« und, während in den besetzten Gebieten die Sabotage-Akte der Pa- trioten sich häufen, wissen selbst unsere exilierten Politiker von den Taten der deutschen Antifaschisten kein Lied zu singen. Ihr Lied beschimpft die Welt, die es schließlich müde geworden ist, dem feinen Unterschied zwischen Nazis und Deutschen nachzuträumen, - müde, im Kampf gegen Deutschland. Die deutsche Niederlage, der sie gespalteten Gefühls entgegense- hen, trachten sie schon heute in eine reinigende, alles sühnende Revolution umzufälschen, - als ob der totale Zusammenbruch eines fürchterlich geschlagenen Volkes mit Revolution auch nur etwas zu tun hätte. Und schon heute vertreten sie, die Bankrotteure der deutschen Republik, die Machtinteressen des »geläuterten« Reiches. Mitten im Kriege und in Ländern, die ihnen Gastfreundschaft gewäh- ren, gründen sie ihre Vereine, verfassen sie ihre Proklamationen und scheuen sich nicht, die Menschheit mit dem dritten deutschen Weltkrieg zu bedrohen, für den Fall nämlich, daß ihre Ratschläge refusiert werden sollten. Das deutsche Verbrechen, das sie ein Nazi-Verbrechen nennen, hätte die Welt verhüten können und müssen. Sie aber tun, als tilge das Versagen der Polizei die Schuld des Verbrechers, gegen den sich in Zukunft zu sichern, ja, dem auch nur eine Bewährungsfrist zu setzen, sie verbrecherisch schelten. Der Krieg, den sie so hitzig führen, ist nicht unser Krieg. Es ist, ich muß es aussprechen, ein Jammer und eine Schande und denkbar ungeeignet, Zeugnis abzulegen für ein besseres Deutsch- land. Die Welt wäre glücklich, es geboren und sich bewährenzu sehn. Die Welt kämpft und wartet." )

Nur fünf Euro für einige Gedichte Walter Mehrings. Das ist das Angebot der Reihe „Poesiealbum“ an Leser, die sich für Lyrik interessieren. Den Umschlag schmückt eine Farblithografie von Conrad Felixmüller mit dem Titel „Kohlenbergarbeiter“ (1920). In der Mitte wird der 36 Seiten dünne Band mit einem Holzschnitt („Holzlesen – Berlin“ von 1948) ergänzt.
(Dieser Brief Walter Mehrings ist erschienen in: Mann, Erika: Briefe und Antworten; Hg. v.: Prestel, Anna Zanco; München: Edition Spangenberg 1984; Bd. 1, S. 52 ff.
Wir nehmen jeden der spärlich gebenen Bände Lyrik zögernd und zitternd zur Hand; zögernd, weil wir der Gegenwart nicht zutrauen, daß sie Lyrik zu gestalten erlaube; zitternd, weil wir, nach allzuvielen Enttäuschungen, auf den Klang der Poesie, auf strömenden Melos, auf reiche und reine Gestaltung warten. Uns interessiert nicht „Zeitlyrik“, wenn sie nichts ist, als der krampfhafte Versuch, mit aktuellen Requisiten die überlebten Formen und die vergangene Mentalität und Sentimentalität aufzufrischen. Das Kriterium der „Zeit-Nähe“, allzu sehr mißbraucht für die Beurteilung dramatischer und epischer Dichtung, besagt nichts für den Wert lyrischer Poesie. Etwas anderes aber – wir verwechseln es gern ¬ ist geeignet, schöpferische Dichtung zu indizieren: nicht Organ haben für die Zufälligkeiten aktueller Erscheinungen, sondern: einen Standpunkt haben . .. der Zeit, der Welt, dem eigenen Ich gegenüber. Der lyrische Dichter ist der isolierteste, der einsamste Mensch. Er reproduziert nicht die Objektwelt und legitimiert sich nicht durch adäquates Dokumentieren. Er saugt alles, Gefühle und Dinge, nach innen und faßt tausend Wirklichkeiten der Seele und der Sinne in einen Vers …
Ein Buch, das einer weder auf österreichischem, noch auf katholischem Boden heimischen, ja vielleicht allzusehr vernachlässigten Spezies angehört: der des satirischen Romans. Diese Vernachlässigung ist kein Zufall, sondern sie beruht auf einer begründeten Skepsis gegen das nur Negative, das Nicht-Aufbauende. Diese Skepsis ist an sich gesund, aber sie kann auch übertrieben Werden, und der Katholizismus deutscher Sprache, zumal in Oesterreich, befindet sich möglicherweise in der Gefahr der Uebertreibung, was sich in einer gewissen sterilen Unlebendigkeit katholischer Publizistik und einer noch gefährlicheren Angst vor der entschiedenen, und sei es negativen Stellungnahme gegen zu negierende Dinge auswirkt, die an dieser Stelle einmal treffend der „Immerhin-Komplex“ genannt wurde. Für diesen Komplex ist ein Buch wie das vorliegende von Walter Mehring, geradezu Medizin. Eine Medizin kann ja auch bitter sein und süß und angenehm ist dieser satirische Roman, der die Geschichte einer deutschen Sippe von Tacitus bis Hitler in kurzen, treffend gezeichneten Bildern bringt, sicher nicht. Wir möchten ihn in der Hand vieler Oesterreicher und Katholiken sehen, – nicht, weil er irgendwie österreichisch oder katholisch wäre (davon ist der Autor trotz vieler gleichlautender Urteile weit entfernt), sondern weil in ihm Dinge stehen, die für Oesterreicher und Katholiken gut und gesund zu hören sind. Und zwar nicht nur, obwohl, sondern weil dieses Buch notwendigerweise bei beiden Anstoß erregen muß. Denn dieser Anstoß zwingt zur Auseinandersetzung, – zur Auseinandersetzung mit dem satirischen Weg, einen Feind anzugreifen, im allgemeinen und mit der These dieses satirischen Romans im besonderen. Diese These ist, kurz gesagt, die logische Entwicklungslinie im deutschen Wesen, die schließlich bis zum Nationalsozialismus geführt hat. Daß Deutschtum und Nationalsozialismus nicht dasselbe sind, wissen wir, – aber dieses Buch meint ja nur das Negative, die Schattenseite und zeigt in ihr eine Linie, die Luther und Hitler, Preußentum und Nationalsozialismus in ihren spezifischen Mängeln, Schwächen und Gefahren miteinander verbindet (wobei bemerkt werden muß, daß die Durchführung dieser These für unser Gefühl für Gegenwart, Nachreformationszeit und für das vorchristliche Germanentum weit besser und überzeugender gelingt, als für das christliche Mittelalter). Das Buch will nicht leugnen, daß dieser Schattenseite auch Lichtseiten gegenüberstehen, aber es abstrahiert von ihnen, wozu der Satiriker das Recht hat, um die Kritik desto schärfer herauszuarbeiten. Man kann der Satire ebensowenig Einseitigkeit, Uebertreibung des Negativen, Ueberbetonung einzelner Momente vorwerfen, wie der Karikatur, denn das ist ihr Wesen. Innerhalb dieses Rahmens und mit allen weltanschaulichen Vorbehalten, – die uns in ihren Konsequenzen manches unter die „Ahnen“ des -Nationalsozialismus zählen läßt, das Mehring nicht dazuzählt, und manches, insbesondere im Mittelalter, nicht, was er dazurechnet, – muß dieser satirische Roman in der Kürze und Treffsicherheit seiner Darstellung, der beißenden Schärfe seiner Ironie und den amüsanten Einfällen, die gerade in ihrer Zufälligkeit so gut herausarbeiten, was gemeint ist, – als ein gelungener Wurf bezeichnet werden, ein Buch, mit dem sich auseinanderzusetzen, jedenfalls lohnt, und dessen Thesen wir gerade in Oesterreich allen Anlaß haben, sehr zu beachten, auch wenn wir zu dem Schluß kommen, daß sie einseitig und übertrieben sind. Sie bieten, als ein Zeugnis von der „anderen Seite“ sozusagen die Probe aufs Exempel, ob unsere oft nur gefühlte und instinktmäßige Abneigung gegen eine gewisse deutschländische Entwicklung berechtigt ist oder nicht. Mit diesem Buch ist kein Verdikt gegen das Deutschtum gefällt, – auch nicht in seiner protestantischen und preußischen Form, etwa, weil beide den Nationalsozialismus vorbereitet hätten, sondern dieser ist entlarvt, weil er allen Gefahren und Schwächen des deutschen Wesens, des Preußentums und der Reformation zum hemmungslosen Durchbruch verholfen hat, ohne sie durch deren Gutes und Positives zu mildern.
Auf knappen 120 Seiten zusammengeballt und in einem eigenartigen, kraftvoll-unmittelbaren und dabei von Ironie geladenen Stil dargestellt, spielt sich hier zwischen Wirklichkeit und Fiebertraum das Leben eines Diktators ab. Zwischen Wirklichkeit und Fiebertraum, wie in unserer „Wirklichkeit“, die Schlimmer und wirklicher ist, als ein Fiebertraum. Das macht dieses kleine Büchlein so gewichtig, daß es wie ein Alptraum lastet, wenn man es weggelegt hat. Der Alptraum gestaltet, der tagtäglich auf uns lastet. Mehring zeigt hier, daß er mehr ist als nur polemischer Publizist und Satiriker. Und
Walter Mehrings Roman behandelt die Geschichte einer deutschen Sippe von Tacitus bis Hitler. Ein tolles Buch, tollerem Gegenstand gewidmet: beschwingt von Geist und Ironie, reißt es den Leser fort, der die Entstehung des Preußentums amüsant und erbittert miterlebt. Haß des Wissenden schwält in diesem Buch, das einen satirischen Großangriff gegen den Nationalsozialismus darstellt. Wenn ein österreichischer Verlag dieses Buch heraugbrachte, verdient er Dank: es weckt Erkenntnsi, wenn diese auch nur negativ ist. Wir wünschten, der Verfasser (Sohn des großen Marxforschers) schriebe nach dem messerscharfen Chronikbericht ein positives Gegenstück: Oestesrreich, das ihm Heimat gab und gerne gab, würde sich freuen, die großen Gaben Mehrings nach der notwendigen Erledigung des abwehrenden Teiles auf uns näherliegende Gebiete bewährt zu finden. Freunden und Kennern messerscharfer satirischer Auseinandersetzung sei der Ankauf empfohlen: wertvoll aber ist es — dies sei ganz besonders hervorgehoben! — vor allem als Geschenk für Menschen, die mehr links stehen: der ihnen vertraute Dialekt Mehrings wird hervorragend dazu beitragen, sie in die heute notwendigste Einheitsfront einzureihen, gegen den Nationalsozialismus.