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1941 1942 1983 Biografisches Wissenschaft

John Russell Taylor beschreibt Mehrings Situation in Hollywood

John Russell Taylor: Fremde im ParadiesIn jenen Tagen waren 100 Dollar in der Woche ausreichend für den Lebensunterhalt, ja geradezu ein Geschenk des Himmels für Fremde in einem Land, die sonst über keinerlei ersichtliche Mittel verfügten, aber sie waren nichts im Vergleich zu dem, was die meisten Vertragsautoren verdienten. In seiner leicht verfremdeten Autobiographie „Links wo das Herz ist“ erinnert sich Leonhard Frank, daß ihn am Pier des New Yorker Hafens ein Angestellter von Warner Brothers erwartete, der ihm zweihundert Dollar Vorschuß überreichte und ihm mitteilte, er solle sich in einer Woche im Warner Brothers Studio in Hollywood melden. Dort stellte er fest, daß der amerikanische Filmautor im Büro nebenan 3500 Dollar die Woche verdiente. Von ihm erfuhr Frank auch, daß die Filmbosse den Wert von allem danach beurteilen, was sie dafür bezahlten. Es war also klar, daß jemand, dem man nur hundert Dollar die Woche bezahlte, für die Studios überhaupt keinen Nutzen hatte. Tatsächlich gab man Frank in den ersten drei Monaten nicht das geringste zu tun, ja nicht einmal zum Schein. Nach weiteren fünf Wochen bekam er schließlich den Auftrag, nach dem amerikanischen Roman Danger Signal ein Drehbuch zu schreiben. Doch da schon sämtliche hochbezahlten Filmautoren sich vergeblich damit abgemüht hatten, lag es auf der Hand, daß das kein ernstgemeinter Auftrag war.

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1940 1941 2017 Biografisches

Herbert Lackner schildert Mehrings Flucht aus Frankreich

Herbert Lackner: Die Flucht der Dichter und DenkerDie Fluchthilfe des American Rescue Committee rettete Walter Mehring das Leben. Varian Fry engagierte sich als Fluchthelfer. Dabei scheute er sich nicht, auch illegale Methoden zu wählen, wenn nur das Leben von Künstlern, Wissenschaftlern, Politikern gerettet werden konnte. Die Vertreibung der deutschen, der österreichischen, der tschechischen, französischen, belgischen, polnischen usw. Intelligenz aus Europa ist das Thema des aktuellen Buchs des  langjährigen Chefredakteurs des österreichischen Politik-Magazins „Profil“, Herbert Lackner. „Die Flucht der Dichter und Denker“ enthält alles, was auch heute wieder im Zusammenhang mit Asyl und Flucht diskutiert wird.

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1925 1929 1977 Biografisches Dramatisches Lieder Lyrik

Walter Mehring gibt Manuela Mühlthaler 1977 ein Interview

Manuela Mühlethaler: Wann haben Sie den Text „Oratorium von Krieg, Frieden und Inflation“ geschrieben?

Walter Mehring und Walter Stapper, der Manuela Mühlethaler zur Lektüre Mehrings inspirierte, 1977
Walter Mehring und Walter Stapper 1977

Walter Mehring: Das Oratorium war geschrieben für eine Aufführung im Piscator-Theater in Berlin. Und wurde von Eisler komponiert dort zum ersten Mal aufgeführt.

Manuela Mühlethaler: In welchem Jahr war das?

Walter Mehring: Das war 1929.

Manuela Mühlethaler: Und wann haben das Stück es geschrieben?

Walter Mehring: Wenn man das ein Stück nennen kann. Es war eigentlich ein episches Theaterstück, das ich schon 1925 im ersten Wurf fertig gestellt hatte. Dann wurde es von Piscator im Theater am Nollendorf Platz in der Werkstatt aufgeführt, allerdings in einer sehr veränderten Form, als ich es ursprünglich beabsichtigt hatte. Es war das erste Mal in Berlin, dass die SA das Theater gestürmt hatte und dass die erste Aufführung – die anderen folgten dann doch – nicht zu Ende geführt werden konnte.

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1929 1977 Biografisches Dramatisches Lieder Zeitleiste

Ein Schul-Referat führt Manuela Mühlethaler 1977 zu Walter Mehring

Am 8. Oktober 1977 ist die Bundesrepublik im Bann des Terrorismus. Die Schlagzeilen werden von der Entführung von Hanns Martin Schleyer dominiert. Schon im Juli war Jürgen Ponto ermordet worden, und im August scheiterte eine Anschlag auf die Bundesanwaltschaft. Manuela Mühlethaler ist zu diesem Zeitpunkt 26 Jahre alt. Sie besucht einer Berufsaufbauschule , um die Mittlere Reife nachzumachen. Hier wird ihr die Aufgabe gestellt, ein Referat über einen  Schriftsteller zu halten. Da sie durch den Liedermacher Walter Stapper mit Gedichten und Texten von Francois Villon, Kurt Tucholsky, Bert Brecht und Walter Mehring in Berührung kam, hatte sie sich eine Ausgabe von Mehrings «Großem Ketzerbrevier» gekauft.

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1957 Biografisches Zeitleiste Zeitschriften

Willy Haas erinnert an einen Scherz Mehrings über Proust

Willy Haas: Die Literarische Welt - Erinnerungen
Ich glaube, man wird mit mir übereinstimmen, daß man dieses Schriftstück ohne weiteres in sein großes Romanwerk ,,A la Recherche du Temps Perdu“ hineinstellen könnte, obgleich es viele Jahre älter ist. Wir haben hier auch schon den charakteristischen Satzbau von Marcel Proust, in dem es dann später immer schwerer und schwerer wird, den Weg vom Anfang zum Ende eines Satzes zu finden. Darüber hat in derselben Nummer der LITERARISCHEN WELT Walter Mehring einen reizenden Witz in Form einer Verlagsanzeige gemacht:

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1964 Biografisches

Walter Mehring erinnert sich an Ödön von Horváth

Walter Mehring spricht mit Michael Kehlmann über seine Erinnerungen an Ödön von Horváth anläßlich der Erstausstrahlung des Fernsehspiels „Geschichten aus dem Wienerwald“, BR 1964

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1940 1941 2016 Biografisches

Radio Prag erinnert an einen Fluchthelfer, der auch Walter Mehring helfen konnte

(Am 15. November 2016 hat Till Janzer für Radio Prag einen Beitrag über eine besondere Ehrung für den ehemaligen tschechoslowakischem Diplomaten Vladimír Vochoč veröffentlicht, der hier verlinkt und dessen Anfang hier zitiert wird. Ohne seine Hilfe wäre die Rettungsaktion Varian Frys nicht möglich gewesen. Pässe waren die Voraussetzung, um Visa zu erhalten. Ohne die unkonventionelle, ja illegale Fluchthilfe wäre wohl auch Walter Mehrings Flucht von Marseille in die USA unmöglich gewesen. A.O.)

Tschechoslowakische Pässe für die Flucht vor Hitler – Diplomat Vochoč geehrt

Vladimír Vochoč war von 1938 bis 1941 tschechoslowakischer Konsul in Marseille. In der südfranzösischen Hafenstadt half er Verfolgten, vor den Nationalsozialisten zu fliehen. Dafür ist Vochoč am Montag geehrt worden. Er erhielt von Israel posthum den Titel „Gerechter unter den Völkern“.

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1993 Biografisches

Fritz J. Raddatz schildert Mehrings Warten auf die Flucht in Marseille

„Kaum waren einige gerettet, drängten sich andere. In den Straßen Marseilles sah man immer mehr der unheimlichen Gestalten in langen grauen Mänteln und hohen schwarzen Stiefeln. Nur flüsternd gab der eine dem anderen die Kunde von dem unbekannten Amerikaner und seinem anonymen Komitee. Manchmal trafen die ersehnten Visen ein – für Tote. Für Ernst Weiß, für Walter Hasenclever. „Kann man uns vielleicht an ihre Stelle setzen?“ fragten Walter Mehring und Leonhard Frank. Nein – auch dazu benötigte man eine Genehmigung. Carl Einstein, der Poet und Theoretiker der Negerplastik, erhängte sich in Marseille, als man ihn von der Grenze zurückgeschickt hatte. In der „Bar Mistral“ saßen Mehring und Frank und rätselten über ein Telegramm von Hermann Kesten aus New York: „Das amerikanische Visum? […] Die Antwort? Von Thomas Mann? Nicht direkt. […] Der Satz, über den die Dichter grübelten, lautete: ‚Rescue visa following, by messenger maybe.‘ […] Frank starrte auf das Blatt. Messenger heißt Bote, das weiß ich schon. Was aber heißt maybe?’ Walter sprang ungeduldig auf und begann wie in einem Käfig auf und ab zu gehen. ‚Das habe ich Ihnen doch schon gesagt‘, rief er, ‚maybe heißt: kann sein – vielleicht.’ Frank folgte ihm mit seinem durchbohrenden Blick: ‚Vielleicht, jaja – mehr ja oder mehr nein?’ Mit einem Ruck blieb Mehring vor ihm stehen und erwiderte scharf: .Vielleicht’. Und Frank wiederholte hartnäckig: ‚Mehr ja oder mehr nein? Was heißt maybe?‘“

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2003 Biografisches

Annette Hug findet Walter Mehrings Grabstein

In diesem Quartier, dem Stadtkreis 3 von Zürich, gibt es keine Parke und schon gar keine Promenaden, deshalb spazieren Familien, Rentnerinnen und Unausgeschlafene durch den Friedhof Sihlfeld. Da kann es passieren, dass eine Trauer, die noch keine Worte gefunden hat, einen Namen aus den Gräberreihen herausgreift und sich an einen fremden Stein heftet. Dazu eignen sich besonders die Gräber im Abschnitt A, von der Ämtlerstrasse aus gesehen vorne links. Hier sind die Verstorbenen versammelt, denen eine unbekannte Macht, wahrscheinlich eine Kommission, zugestanden hat, dass ihr Lebenswerk oder die künstlerische Gestaltung ihres Grabsteins einen Verbleib auf dem Friedhof über die 25 Jahre hinaus rechtfertigt, die Normalverstorbenen gewährt werden. Sie eignen sich deshalb, weil sich über die Namen auf diesen Steinen einfach Recherchen anstellen lassen, die der kaum wahrgenommenen Trauer zwar nicht die Worte verschaffen, die sie verständlich machen würden, aber doch eine Anwesenheit.

So ist es mir mit dem Grabstein des Schriftstellers Walter Mehring ergangen. 1981 ist er in Zürich gestorben, wo er im Zimmer 505 des Zürcher Hotels Opera gewohnt hatte. (Der vollständige Text findet sich hier…)

(Annette Hug: Der gefundene Grabstein von Walter Mehring; in: Neue Wege, Heft 2, 2003; S. 60 ff.)

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1946 2009 Biografisches

George Grosz erinnert sich an Walter Mehring

George Grosz: Ein kleines Ja und ein großes NeinMit Walter Mehring wurde ich durch Theodor Däubler bekannt; der brachte ihn eines Tages in mein Atelier, das damals in Südende lag und eher einer romantischen Höhle glich. Wir verstanden uns gut, Walter und ich, vom Beginn unserer Freundschaft. Er war der Sohn eines Berliner-Tageblatt-Redakteurs und hatte von seinem Vater Witz, Sarkasmus und Berlinertum geerbt. Als ich ihn kennenlernte, stand er ein wenig unter dem Einflufi futuristischer Dichtung, doch hatte er schon damals seine eigene Linie und sein eigenes Talent für Tempo und dramatische Bewegung. Er war eine gute Mischung: ein Francois Villon von der Spree, mit etwas Heinrich Heine versetzt.  »Weiße mit Schuß«, würde der Berliner sagen.