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1952 Brief

Erich Kästner empfiehlt Mehring als Übersetzer

München, den 29. 11. 52

Lieber Paul Kohner,
möglicherweise werden Sie durch die Agentur Stapller, Wien und durch Stefanie Jovanovic, München, gehört haben, dass ich zur Zeit ausserstande bin, nach Hollywood zu kommen und die deutsche Version des Drehbuchs »The Moon is blue« zu schreiben. Ihre Anregung nun, andere geeignete Kollegen für diese Aufgabe zu nennen, hat mir einiges Kopfzerbrechen bereitet. Wenn es sich nur darum handeln sollte, die englische Fassung des fertigen Drehbuchs in deutsch zu adaptieren, wüsste ich Ihnen keinen besseren vorzuschlagen als den in New York lebenden Walter Mehring (50 West 76, New York 23). Andererseits glaube ich, dass die Firma die deutsche Fassung in H. nur herstellen will, um in Deutschland eingefrorene Gelder an den Mann zu bringen und mit D Mark wäre wahrscheinlich nicht gedient.

So möchte ich Ihnen als anderen Vorschlag den folgenden machen: setzen Sie sich mit Günther Goerke, Berg am Starnberger See/Obb. in Verbindung. Unter dem Pseudonym Martin Morlock ist er der einzige echte Nachwuchs seit 1945 für Kabarett-Texte, Filmkritik usw.

Ich habe mit ihm telefoniert, und er wäre keineswegs abgeneigt, die Arbeit zu übernehmen. Es tut mir leid, dass wir uns infolge meiner Terminarbeiten diesmal
nicht in Hollywood sehen werden, aber aufgeschoben ist ja nicht aufgehoben. Vielleicht gibt es auch mal eine Arbeit, die mich mehr reizen würde als dieses Stöffchen.

Grüssen Sie bitte auch Herrn Preminger von mir. Ich sah ihn, es ist noch gar nicht so lange her, in den Münchener „Vier Jahreszeiten“, mit Max Ophuels am Tische. O. war gestern zum Kaffeeklatsch bei mir, und ich hoffe, ihn über Weihnachten in Paris zu sehen, wo wir mit Hermann Kesten gemeinsam Weihnachten und Sylvester zu feiern gedenken.

Sollte Robert Thoeren wieder in Ihrer Filminetropole gelandet sein, so grüssen Sie bitte auch ihn herzlich. Es tut mir sehr leid, dass ich so wenig Zeit hatte, mit ihm  zusammenzusein. Denn ich habe die netten Erinnerungen an ihn in unserer gemeinsamen Leipziger und Berliner Zeit keineswegs vergessen.

Mit den besten Grüssen
Ihr Erich Kästner

Der Produzent Paul Kohner ist auf den Vorschlag von Erich Kästner nicht zurückgekommen. Als „Jungfrau auf dem Dach“ ist der Film „The Moon Is Blue“ 1953 in die deutschen Kinos gekommen. Die deutschen Dialoge stammen von Carl Zuckermeyer. Insofern liefen sämtliche Empfehlungen Kästners in die Leere. (aus: Erich Kästner: Dieses Na ja!, wenn man das nicht hätte! – Ausgewähle Briefe von 1909 bis 1972 (Hg. v. Sven Hanuschek) Zürich: Atrium Verlag 2003) A.O. 

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1923 Kabarett Lieder

Hans Reimann parodiert Walter Mehring

Hans Reimann: Von Karl Marx bis Max Pallenberg in 60 Minuten
LATERNA TRAGICA
Nach Walter Mehring

Blandine saß auf einem Stein!
Jerum 0 Jerum!
Blañdine saß auf einem Stein!
Im pikfein blanken Mondenschein!
Links unten war ganz nackt sie
Sie hatte weder Striimpf noch Schuh
Wild tanzt im Ragtime -Takt sie!
Dann machten die Kaschemmen zu
Ju Ju
Länge den Kapell’n
Hört sie die Engel vom Dache bell’n:
Müde bin ich geh‘ zu Ruh!

Blandine saß auf einem Stein
Mit sieben Siegeln!
Blandine saß auf einem Stein
Und putzt ihr Hakenkreuzlein rein!
Am Untergrund der Panke
Die Schmiere kreist mit Satyrin.
Sie sticht dich in die Flanke!
Odol, Pebeco, Burgeff Grün!
Muh Muh
Länge den Kapell’n
Hörst du die Spatzen vom Dache gell’n
Müde bin ich, geh zu Ruh!

Blandinchen saß auf einem Stein
Ohropax vobiscum!
Blandinchen kreuzte Bein mit Bein
Und schmetterte die Wacht am Rhein!
Als ob sie gänzlich toll wär!
Nick Carter springt herbei und
Zerkracht mit dem Revolver
Nen stummen Polizeihund
Huh Huh!
Längs den Destill’n
Hört man die Engel vom Daches brüll’n:
„Müde bin ich, geh zu Ruhnke!“

(aus: Hans Reimann: Von Karl May bis Max Pallenberg in 60 Minuten; München: Kurt Wolff Verlag  1923; S. 32 f.)

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1929 Brief

Kurt Tucholsky schreibt Mehring über Brecht, Bronnen und Kerr

An Walter Mehring. Läggesta, 25.5.1929

Post: Weltbühne

25-5-29

Lieber Walt Merin,

ich bin zwar schon ganz rammdösig vom Tippen – aber das wollen wir doch noch mal. Item:

Schönen Dank für Ihren Brief. Um Gussys Anblick habe ich Sie sehr beneidet – ich hoffe immer noch im stillen, daß die heilige Familie hier raufmacht, wo ER ungeheuer pompulehr ist – dann führe ich sofort nach Stockholm.

Ja, Bronnen. Also Sie sollten, wenn man überhaupt soll – daran knabbere ich noch. Nicht etwa wegen Rowohlts; der ist darin sehr anständig, er weiß, daß ich das Buch ablehne. Nein – wegen des Helden selbst. Ist das eine Reklame für ihn? Im Waschzettel «Ein umstrittenes Buch»  Andererseits: mich juckt es furchtbar. Meine Notizen sind in Ordnung, aber ich weiß noch nicht. Daher kann ich nicht so ohne weiteres Ihnen zuraten – obgleich Sie das besser machen als ich: Sie haben für diese Fälle eine pfeifende, tödliche Ironie, die in meinem Fett nicht wohnt ~ da bleibt dann aber wirklich kein Auge trocken. Wenn Sie es tun, dann schlagen Sie zu, daß die Fetzen fliegen. Sie brauchen nicht lange zu suchen – das Buch besteht nur aus „Stellen“ – es ist beispiellos: an innerer Verlogenheit; an Gemeinheit; an sexueller Schweinerei – das ist wirklich eine, wo man sich die Nase zuhält – von mir aus kann in jeder viel gevögelt werden … aber das ist nur zum Speien. Eine tolle Nummer.

Ich fand Kerrs Angriff gegen diese ganze Gesellschaft prachtvoll bei allen Einwänden – er ist ja doch einer. Was ist das für eine Umfrage, bei der Sie auch geantwortet haben? Kann ich die mal haben – ich schicke sie sofort zurück.

Daß Brecht Sie vernichten will, ist in Ordnung. Ich hoffe, in Ihrem Sinne gehandelt zu haben – ich habe mal meinen ganzen Kummer herauslaufen lassen. Sie kommen natürlich auch drin vor.

Was ist das nun -: mir hat nie einer was getan; der Doktor Klein hat mich geschäftlich äußerst korrekt behandelt, sogar mehr als das; von Piscator und Gasbarra bekomme ich nur diskutierbare und anständig gemeinte Vorschläge … und ich kann nicht. Ich danke immer dem lieben Gott, daß ich kein Talent fürs Theater habe – es wäre mir unmöglich, auch nur zwei Stunden mit diesen Menschen zusammenzuarbeiten. Nicht nur wegen der pekuniären Unzuverlässigkeit – aber diese Atmosphäre von Betrug, Hysterie, Wahnwitz, Weiberkram – also ich nicht. Mein Leben verläuft anders. Jeder seins.

Und Ihr -? Kaufmann von Berlin? Geht das Buch bei Fischer gut? Was tut sach sonst?

Das teile mal an einem schönen Sommerabend mit

Ihrem ergebenen

Mitglied des Reichs-Wildschützen-Vereins
Kassenführer im Verband Deutscher
päpstlich geweihter Präservativfabriken

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1940 1941 Lyrik

Mehring liest einen Brief aus der Mitternacht

Der X. Brief aus der Mitternacht ist wohl der beeindruckendste des Gedichtzyklusses. Im Exil an seine Freundin Hertha Pauli geschrieben fassen die zwölf Gedichte die Stimmungslage und die Erlebnisse der Jahre 1940 und 1941 von der Flucht aus Paris bis zum Januar 1941 in Marseille zusammen. Von der Abreise nach Martinique und der Weiterreise in die USA ist in dem Zyklus noch nichts zu ahnen. Der X. Brief ist von einer traurigen, fast schon sprachlosen Erinnerung an zwölf inzwischen verstorbene Freunde und Kollegen geprägt. Wobei die Sprachlosigkeit natürlich in Worte gefasst ist. Sie ist der Eindruck, der beim Lesen, beim Hören entsteht, weil diese sprachmächtigen Freunde von Erich Mühsam über Carl von Ossietzky, Kurt Tucholsky, Ernst Toller, Joseph Roth über Ernst Weiss, Ödon von Horvath, Carl Einstein und Rudolf Olden, Walter Hasenclever bis zu Theodor Lessing ihre Sprache, ihr Leben verloren haben. Weil diese Schriftsteller von den Nazis ermordet oder auf der Flucht ihr Leben verloren haben, beziehungsweise sie es sich wie Ernst Toller nahmen, weil sie das Exil und die Aussichtslosigkeit nicht mehr ertrugen.

 

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1929 Dramatisches Fotos Übersetzungen

Walter Mehring bei den Heidelberger Festspielen 1929

Fotografie aus dem Festspielbuch der Heidelberger Festspiele 1929
Fotografie aus dem Festspielbuch der Heidelberger Festspiele 1929

Das „Festspielbuch“ der Heidelberger Festspiele 1929 enthält dieses Foto von Walter Mehring. Im Mittelteil des kleinen Büchleins, nach den einführenden Texten und vor den umfangreichen Anzeigen, sind „Bilder der Spielstätten / Bildnisse der Leiter / Darsteller / Mitarbeiter“. Hier findet sich dieses Porträt. Aber sonst ist weder im Festspielbuch noch im „Spielzettel“ zu den drei Inszenierungen von „Sommernachtstraum“, „Troilus und Cressida“ und „Florian Geyer“ ein Hinweis auf Walter Mehring.

In der Weltbühne vom 13. August 1929 findet sich aber ein Hinweis: „Walter Mehring hat für die Heidelberger Festspiele Shakespeares ‚Troilus und Cressida‘ bearbeitet. Doch dieser Prolog ist gestrichen worden…“

Auf gewacht! Auf gewacht! 
                       Seit sieben Jahren 
ZerrcßBen unsre Nacht die Blutfanfaren! 
Wenn es den Herren paßt — droht uns Verderben, 
Bis sie den Sieg von unsern Knochen erben. 
Seit sieben Jahren pariern wir ihnen stumm! 
Und warum? Und warum? 
        Nur weil ein Weib gehurt 
        Von adliger Geburt, 
        Hat uns das Vaterland hierher verfrachtet — 
        Für Sold am fremden Strand 
        Verdreckt man ungenannt, 
        Weil eine Fürstlichkeit nach Kriegsruhm trachtet. 

Tretet an! Tretet an! 
                        Seit sieben Jahren 
Vermehrn sich Mann für Mann die Totenscharen! 
Seit sieben Jahren füllen wir die Reihen 
Mit frischem Leben, das wir von uns speien. 
Seit sieben Jahren schinden wir uns krumm! 
Und warum? Und warum? 
        Weil es Soldaten gibt, 
        Die bei den Fraun beliebt, 
        Wenn sie sich morden, einer Frau zu Ehren! 
        Wenn einer von uns rallt, 
        Dann kommt der nachste Held — 
        Weil Frauen stets nach neuem Trost begehren! 

Abmarschiert! Abmarschiert! 
                         Zu wieviel Jahren 
Hat sich der Tod verschworn, uns aufzusparen? 
Seit sieben Jahren ziehn wir, die Stadt berennen, 
Von deren Fraun und Freuden wir nichts kennen! 
Wenn wir einziehen, wird sie untergehn! 
Und für wen? Und für wen? 
       Denn eine Helena 
       Ist für die Herren da — 
       Und was von ihren Taten zu vermelden, 
       Erzählt der Schlachtbericht — 
       Wir aber zahlen nicht! 
       Auf unsern Grabern betten sich die Helden!
(Prolog zu Troilus und Cressida)

Fast wirkt es so, als hätten sich die Verantwortlichen der Festspiele über ihren Mut, neben dem etablierten Gerhart Hauptmann auch Walter Mehring in den Kreis der Bearbeiter, Regisseure und Schauspieler mit aufgenommen zu haben, so sehr erschreckt, dass sie auch noch vergessen haben, sein Bild aus der FEstschrift zu entfernen. Wenn schon der Name nicht auftaucht.

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1937 Prosa Zeitschriften

Die Friedensgefahr

Man erfährt, daß die japanische Regierung, um den Frieden nicht zu gefährden, an die öffentliche Meinung die drakonische Bitte gerichtet hat, bei der unter Verwendung von Bombengeschwadern, Tanks, Panzerschiffen und anderen modernen Hilfsmitteln ausgeführten Erkundungsexpedition nicht gleich von einem japanisch-chinesischen Krieg zu reden, sondern schlicht von einem „chinesischen Konflikt“.

Wenn diese Methode, die bereits bei der Befriedung Abessiniens erfolgreich angewandt wurde, Allgemeingut wird, so steht ein alter Menschheitstraum vor der Verwirklichung: nämlich die Abschaffung der Kriege. Ganz einfach kraft Abschaffung des Ausdrucks.

Auch ist durch diese Methode stets von vornherein die Kriegsschuldfrage geklärt – zu Gunsten des Angreifers. Das ganze Unheil, der ganze Konflikt kommt daher, daß die Chinesen so tun, als ob der Krieg wäre und zurückschießen, obwohl es sich von Seiten Japans um eine militärische Operation zum Heile Chinas handelt. Hat man je erlebt, daß der Patient bei einer Operation dem Chirurgen den Blinddarm herausnehmen will?

Und die Chinesen haben es dabei nicht bewenden lassen! Aus ihren Reihen hat die Cholera auf die siegreichen japanischen Gäste übergegriffen, obwohl , wie der japanische Generalstab festgestellt hat, „der Gesundheitszustand der Truppen vorher durchaus befriedigend gewesen ist!“ Ein für allemal ist vor der Welt der Anstifter überführt worden. Kein einziger japanischer Patriot ist ausgezogen, um sich die chinesische Cholera zu holen. Hingegen haben die Chinesen, allen Geboten der Humanisierung von Konflikten zum Trotz, den friedlichen Eroberern statt des Landes ihre Epidemie abgetreten.

Und auch damit nicht genug, ist hinter dem Rücken der bewaffneten japanischen Ausflügler im Augenblick, in dem sie ballistische Experimente an der chinesischen Ostküste anstellten, ein chinesischer Taifun über die japanische Westküste niedergegangen, hat 200 Fischerboote versenkt, 46 japanische Häuser mit Sturmbomben belegt, die Drähte der telegraphischen Siegesberichte zerstört, während die Zahl derjenigen, die Harakiri machten, weil sie vom nationalen Unglück verschont blieben, noch nicht bekannt ist.

Nur die eiserne japanische Disziplin ist es zu danken, daß die Nation, selbst angesichts einer Naturkatastrophe, ihre lächerliche Kaltblütigkeit bewahrt hat und sich nicht dazu heinreißen ließ, die Feindseligkeiten gegen die landfremden chinesischen Eingeborenen einfach einzustellen.

Die gelbe Gefahr, vor der Wilhelm der Zweite die Völker Europas gewarnt hat, bevor er Deutschland ins Exil schickte, ist, seit Japan den Krieg gebrochen und China mit Frieden überzogen hat, wieder akut geworden. Seit Jahren steigern die europäischen Staaten ihre Rüstungen für Friedenszwecke ins Unabsehbare; nur ein Mittel scheint es logischerweise zu geben, um diesem Wahnsinn ein Ende zu machen, das ist: der Krieg! Man zittert vor der Möglichkeit, daß wirklich ein Diktator auf die Idee kommen sollte, sich beim Wort nehmen und seinen Friedenswillen in die Tat umzusetzen.

(Diese Glosse „Die friedensgefahr“ Walter Mehrings ist am 18. September 1937 im Neuen Tag-Buch erschienen und bezieht sich auf die kriegerische Expansion Japans in China. Angesichts der aktuellen Ereignisse in der Ukraine, liest sie sich in Teilen – wenn man Japan gegen Russland und China gegen Ukraine austauscht – hochaktuell. A.O.)

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1950 Brief

Erich Kästner schreibt für Mehring an Suhrkamp

München, den 26. 9. 1950

Lieber Herr Suhrkamp,

entschuldigen Sie bitte die heutige Störung; aber ich wende mich in einer Angelegenheit an Sie, die mich selber nicht unmittelbar betrifft, und in solchen Fällen stört man andere vielbeschäftigte Menschen leichter und lieber.

Es handelt sich um folgendes:

Walter Mehring war neulich auf einem ganz kurzen Deutschlandbesuch zwei Tage in München und klagte darüber, daß er noch stärker als andere Dichter der Emigration in Deutschland unbekannt sei. lch versprach ihm, da er sofort wieder nach New York zurück musste, mich seiner Sache ein wenig anzunehmen.

Als erstes Buch, das er gern hier herausgebracht sähe, hat er einen Chanson-, Gedicht- und Liederband zusammengestellt, der aus einigen, und zwar den bewährtesten seiner alten Texte, sowie aus einer grösseren Anzahl in der Emigration entstandener Gedichte besteht. Das Material wird mir demnächst zugänglich gemacht werden.

Was ich heute gern wüsste ist, ob Sie im Prinzip bereit wären, in absehbarer Zeit, einen solchen Band Mehrings herauszubringen.

Ich wäre Ihnen ausserordentlich dankbar, wenn Sie mir rasch Antwort zukommen lassen könnten, und bin mit den besten Grüssen und Wünschen,

lhr

Erich Kästner

(Erich Kästner hat sich 1950 auch mit einem Brief an den Piper-Verlag versucht, Walter Mehring eine Publikationsmöglichkeit zu finden. Aber weder bei Piper, noch bei Suhrkamp hat es geklappt. „Arche Noah SOS“ ist als erstes Buch Mehrings seit seiner Flucht aus Deutschland 1951 bei Rowohlt in Hamburg erschienen) A.O.

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1950 Brief

Erich Kästner hilft Walter Mehring bei der Verleger-Suche

München, den 4. 8. 1950

Lieber Mehring,

besten Dank für Ihren Brief, woran mich besonders die aufsteigenden Schriftstellen erfreut haben, da dies ja unter Graphologen für ein Zeichen von unerschöpflichem Optimismus gilt. Davon befeuert habe ich mich sofort mit dem in München stationierten Piper-Verlag in Verbindung gesetzt, und der Cheflektor dieses angesehenen Unternehmens, ein Dr. Albrecht Knaus (München 13, Georgenstr. 4), zeigte sich, soweit sich das am Telefon erspähen lässt, recht interessiert. Er hätte, sagte er, gern einmal ein paar Ihrer lyrischen Bände studiert, und ich sagte ihm, er könne sich bei mir zu diesem Behufe das „Ketzerbrevier“ und den bei S. Fischer erschienenen Band „Chansons, Lieder“ abholen lassen. Von „lassen“ wollte er nichts hören, sondern höchst selbst vorbeikommen.

Da er weder gestern noch heute höchst selbst vorbeikam, werde ich morgen oder übermorgen das Telefon erneut bemühen. Im Piper-Verlage sind ja Morgenstern und Owlglass erschienen, womit also eine gewisse Kontinuität gegeben ist.

Der Endesunterfertigte hofft, Ihnen bald Weitere Nachricht zu geben, hoffentlich eine solche, die die Aufwärtsrichtung Ihrer Schriftlinien ins Ungewisse steigert.

Mit den herzlichsten Grüssen, unbekannterweise auch an Ihre Frau, immer

Ihr

Erich Kästner

1950 weilte Walter Mehring für einige Tag ein Deutschland. Dabei begegnete er auch Erich Kästner. Dieser hat ihm versprochen, bei der Suche nach einem Verlag zu helfen. Wie dieser Brief Erich Kästners an Walter Mehring zeigt, hat er sein Versprechen auch sofort umgesetzt. (aus: Erich Kästner: Dieses Na ja!, wenn man das nicht hätte! – Ausgewähle Briefe von 1909 bis 1972 (Hg. v. Sven Hanuschek) Zürich: Atrium Verlag 2003, S. 168)  A.O.

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1920 1979 1985 Biografisches

Konrad Wachsmann erinnert sich an seine erste Begegnung mit Mehring 1920

Als wir das Linden-Hotel verlassen, ist es warm, und die Straße riecht nach Frühling. Wachsmann ist gut gelaunt. Er geht mit offenem Mantel und pfeift eine fröhliche Melodie. An der Kreuzung Friedrichstraße/Unter den Linden bleibt er stehen, mustert das fünfgeschossige Gebäude mit den kursächsischen Schwertern an der Giebelfront.

„Gibt es dort Meißner Porzellan?“ fragt er und pfeift weiter. „Ich hätte Lust, hier in der Sonne zu dösen“, meint er dann lächelnd.

„Und die Zeit?“ frage ich erstaunt. „Oder wollen Sie nicht mehr in die Schumannstraße?“

„Doch“, sagt er lachend und singt: «Die Linden lang! Galopp! Galopp! Zu Fuß, zu Pferd, zu zweit! Mit der Uhr in der Hand, mit’m Hut aufm Kopp, keine Zeit! Keine Zeit! Keine Zeit! – Kennen Sie das?“ Wachsmann sieht mich neugierig an.

Ich überlege verzweifelt, wie der Text weitergeht. Dann fallt mir doch nur der Refrain ein: „Mach Kasse! Mensch! Die Großstadt schreit: Keine Zeit! Keine Zeit! Keine Zeit!“

„Gut“, sagt Wachsmann. „Nur haben Sie die Hälfte unterschlagen! Man knutscht, man küßt, man boxt, man ringt, een Pneu zerplatzt …“, singt er weiter, und wir lachen über die Passanten, die uns neugierig betrachten. „Walter Mehring in Berlin“, sagt er dann. „Das hätten Sie erleben müssen. Es gab kein Hotel, keine Kneipe, kein Café, in denen er nicht gesessen hatte, und es gab in Berlin auch kaum Leute, die er nicht kannte: Abgeordnete und Straßenmädchen, Galeristen und Künstler, Taxifahrer, Kellner, Journalisten, Schauspieler, Ladenmädchen, Regisseure und Buchhändler. Leider haben wir uns erst getroffen, als ich auf dem Berliner Parkett schon ein wenig laufen konnte – im Frühsommer 1920 in Reinhardts zweitem ‚Schall und Rauch‘. Dort war es immer krachend voll, und so bin ich versehentlich einem hinter mir Stehenden auf den Fuß getreten. Darauf flüsteıte mir dieser Mensch sehr bestimmt, sehr freundlich und sehr berlinerisch: Du Rindvieh! ins Ohr. Ich drehte mich um und konterte mit Affe. So ging es weiter, bis unsere zoologischen Kenntnisse erschöpft waren und wir zudem feststellten, uns schon gesehen zu haben. Natürlich im Romanischen Café. Also beschlossen wir, lieber etwas zu trinken. Sicher wäre es besser gewesen, das zu lassen. Aber dann hätte ich Walter Mehring erst viel später oder vielleicht gar nicht näher kennengelernt. Jedenfalls bin ich am nächsten Vormittag in seiner Wohnung wieder zu mir gekommen. Mein Zustand war noch immer furchtbar, und Mehring erschreckte mich mit Skandalen, die ich verursacht haben sollte. Da mir jegliche Erinnerung fehlte, glaubte ich natürlich alles: von eindeutigen Anträgen, die ich  wildfremden Damen gemacht, bis zu Prügeln, die ich deren entrüsteten Ehemännern angedroht hätte, und letztlich den Versuch, einen Schutzmann als Baum zu mißbrauchen. Zwei Stunden später saßen wir im Romanischen Café, und ich erfuhr unter dem Gelächter des Mehringschen Bekanntenkreises, daß er das alles erfunden hatte. Von dieser Stunde an gehörte ich im Romanischen Café zu den ‚Schwimmern‘ und lernte all jene Leute  kennen, die ich vorher nur anzustaunen gewagt hatte: Else Lasker-Schüler und Herwarth Walden, Däubler, den Schachweltmeister Emanuel Lasker, den Dichter John Höxter, der ein Morphinist war, und die Dadas natürlich, die Saison hatten.“

Konrad Wachsmann, einer der großen deutschen – später deutsche-amerikanischen – Architekten des 20. Jahrhunderts wurde 1901 in Frankfurt (Oder) geboren. Er lebte, studierte und arbeitete in den 1920er-Jahren in Berlin. Dort lernte er bereits 1920 Walter Mehring kennen. Michael Grüning führte 1979 ausgiebige Interviews mit dem damaligen Besucher Ost-Berlins. Aus diesen Gesprächen entstand das Buch „Der Wachsmann-Report“, eine Art Autobiografie in Vermittlung Grünings. In diesem Buch erzählt Wachsmann auch von einigen Begegnungen mit Walter Mehring. Die erste ist die oben zitierte, von der er Grüning bei seinem Besuch 1979 in Ost-Berlin erzählte. (Michael Grüning: Der Wachsmann-Report – Auskünfte eines Architekten; Berlin: Verlag der Nationen 1985; S. 46 f.)

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1922 Kabarett Lieder Lyrik Rezensionen

Max Herrmann-Neiße rezensiert das Ketzerbrevier

Walter Mehring: Das Ketzerbrevier

Das Ketzerbrevier (1921)
Das Ketzerbrevier (1921)

Walter Mehrings neueste Coupletsamınlung gibt das Muster eines richtigen Kabarettabends mit Conference und vier Hauptabteilungen. Dieses Muster hat Vielfalt, geistigen wie artistischen Gehalt. Form, Gliederung, Originalität und Anarchie des Gedankens. Was Mehring vor allem zu seinem Metier befähigt, ist eine rhythmische Feinfühligkeit, eine Treffsicherheit, den richtigen Vortragsschwung jedem einzelnen Couplet gleich mitzugeben, daß schon im Takt die Situation sich ausdrückt und Melodik und Stimmung sich vollkommen decken. Seine Verse hämmern sich beim bloßen Lesen ein, sind auch fürs Auge allein schon komponierte Texte. Dabei ergibt sich die verschiedenen Gelegenheiten eine dementsprechende Abwechslung: eine Ahnung vom Tonfall Bruantscher Schreckenslieder „Die Kartenhexe“, „Zum Blauen Affen“, „Cabaret Schwalbennest“), die Kehrreimweise („Moralisches Glockengeläute,“ „Kinderlied“), eine Simultaneität, die von der »Fortgeschrittenen Lyrik« manches nutzte „Graduale“), und schließlich das originalste Produkt eines freien Rhythmusses der Couplet-Teclmik, wie es beispiellos leuchtet in „Die Reklame bemächtigt sich des Lebens“. Es muß einmal konstatiert werden, daß der nun so oft dünner nachgemachte Vortragselan, der die rasende Mechanik des Großstadtgetriebes exakt ausdrückt, und so etwas wie einen ››EXpressionismus« der Brettldichtung, eine im Automobiltempo losgelassene, gebremste und Kurven nehmende Momentaufnahme, zuerst und am intensivsten moussierte in solchen Mehringoriginalen wie „Achtung Gleisdreieck“, „Sensation“, „Salto mortale!“ Er erwischt alte und neue Medien gerade im rechten Moment, ladet sie mit seiner Elektrizität, und eine eigene tadellos funktionierende Walze ist perfekt. Er würfelt die ulkigsten Reime erster und zweiter Ordnung durcheinander, macht aus überstürzendem Radebrechen eines liebestollen Fremdlings die Note des „Kaukasierliedes“, mit aus Niggersong, Ragtime und Operettenrefrain einen „Jazzband“, eine mit Sätzen verübte Tanzorgie, und kurbelt die gute alte Populariät des Berliner Gassenhauers in eine ganz gegenwärtige Vehemenz.

Diejenigen, die zu Unrecht den Mehring nur als den poetischen Lokalreporter gelten lassen möchten, werden durch die Vielseitigkeit dieser Sammlung eines Besseren belehrt; aber das eine stimmt, daß Mehring, unter anderem, den Jargon des »Berliner Schlagers«
wie kein zweiter meistert, ihn für modernste Force gebrauchsfertig machte mit all seinem Mutterwitz, seinen pfiffigen Worteinfällen, dem derben Rotwelsch seiner Respektlosigkeit. Sein Bezirk ist nicht bloß ein Rummelplatz, nicht nur der größre Rummelplatz Berlin,
sondern die heutige Erdoberfläche schlechthin. Dies Buch zeigt die Internationalität seiner Sujets und beweist auch, daß Mehring sich nicht einmal auf ein einziges Temperament, auf eine einzige Gefülsnuance festlegen läßt. Mokante Kaltschnäuzigkeit, absolute Gemüstlosigkeit war die Signatur, mit der man ihn abstempelte, und nun beunruhigen hier in diesem Bändchen auf einmal so gar nicht ins Schema passende Sachen wie z. B. „Die Kälte“, wo ein schnoddriger Spötter – poetisch kommt! Ein Grundzug Mehrings ist schon die blutige Skepsis, die sich von keiner Illusion mehr zu Ehrerhietung anführen läßt und auf die Kaffrigkeit der lieben Umwelt spuckt, aber schonungslosen Zynismus und krasse Verachtung bringt erst der auf, der im Tiefsten einer zarteren Besaitung tödlich enttäuscht wurde. Solches Getroffensein wächst zum diabolischen Aufschrei des Puppenspiels „Die schwarze Messe“. Ein so scharfer Revoltedrang in diesem Schlußstück rumort oder in den Geißelliedern „Litanei“ und „Schwarze Ostern“ – es scheint mir eine Gefahr des Menschenmißtrauens, daß es in der Wirkung das Aufrührerische verliert und dem Publikum als eine bequeme Weltanschauung, die jedes Passivbleiben deckt, wohl eingeht. Alles gleichermaßen zum Speien finden, heißt: sichs allzu leicht machen. Mehring sollte, diesem Verdacht zu entgehn, nicht ganz ohne Route sein. Sonst sieht, was als Gegenteil geplant war, wie Kompromiß aus, der Durchschnitt hört sich doch bloß heraus, was ihm paßt, aus dem „Nekrolog“: „Hetzern . . . uns uffzuwiegeln“ und aus dem Berliner Tempo eine lokalpatriotische Bestätigung.

Max Herrmann-Neiße: Walter Mehring: Das Ketzerbrevier; erschienen in: Berliner Börsen-Courier, Nr. 213 vom 7. Mai 1922.