Kategorien
1981 Kabarett Lieder Lyrik

Pressetext zur Werkausgabe – Chronik der Lustbarkeiten / Staatenlos im Nirgendwo

Walter Mehring
CHRONIK  DER LUSTBARKEITEN
Die Gedichte, Lieder und Chansons 1918-1933
536 Seiten, Pappband, claassen Verlag GmbH, Düsseldorf, DM 38,–

STAATENLOS IM NIRGENDWO
Die Gedichte, Lieder und Chansons 1933-1974
276 Seiten, Pappband, claassen Verlag GmbH, Düsseldorf, DM 28,–

Beide Bände zusammen in Kassette: DM 58,–

Walter Mehrings Hauptwerk, die Gedichte, Lieder und Chansons aus über 50 Jahren, verstreut publiziert in 15 Gedicht- und Auswahlbänden sowie in zahlreichen Zeitungen und Zeitschriften, erscheinen nun zum ersten Mal gesammelt.

Chronik der Lustbarkeiten (1981)
Chronik der Lustbarkeiten (1981)

Der erste Band, die CHRONIK DER LUSTBARKEITEN, enthält die Gedichte von 1918 bis 1933: von den ersten, in Herwarth Waldens „Sturm veröffentlichten expressionistischen „Verben-Kaskaden“ bis zu der berühmt gewordenen „Sage vom großen Krebs“, die in der „Weltbühne“ erschien, als Mehring bereits im Zug nach Paris saß und einem mehr als 20jährigen Exil entgegenfuhr. Viele dieser Gedichte, insbesondere die skandalträchtigen Dada-Verse und die politischen Satiren, sind später nie wieder gedruckt worden. Der Leser wird also Entdeckungen machen können und neben den „Schlagern“ aus Mehrings ( beraus erflolgreicher) Kabarettzeit unbekannte (zum Teil in Buchform noch nie publizierte) Gedichte und Songs finden. Er wird feststellen, daß Mehring sehr viel mehr ist als der Kabarettdichter aus Max Reinhards (sic!) „Schall und Rauch“ oder Trude Hesterbergs „Wilder Bühne“. Er wird einen Lyriker entdecken, der in seiner Poesie neue und auf verblüffende Weise moderne Ausdrucksformen gefunden hat. Mit welcher intuitiven Sicherheit er Litanei, Bänkelsang, Gassenhauer, Chanson, Couplet und Ballade auf ganz eigene, bisher nie dagewesene Weise verwendete, macht die CHRONIK DER LUSTBARKEITEN schlagend deutlich.

Mehrings Balladen und Chansons über die großen und kleinen Leute, über Polizeipräsidenten, Kaiser, Seeleute, Fememörder, Spießer und politische Rattenfänger enthalten „akkurat die krasse Wahrheit“ (Max Herrmann-Neiße), und fast visionär nehmen viele vorweg, was 1933 politische Wirklichkeit werden sollte. Provozierend und sensibel trafen sie die Zeitstimmung, spiegeln eine ganze Epoche, und sind doch – heute wieder gelesen – viel mehr als Zeitgedichte: die „herrlich gereimten Lieder von einem in Deutschland fast nie gesehenen Wortreichtrum“ (Tucholsky) gehören zum festen Bestand der Poesie dieses Jahrhunderts. Nicht nur Brecht hat von Mehring gelernt; Tucholsky schrieb in einer begeisterten Rezension: „unfaßbar die Technik, wie der Refrain an die Vorstrophe herangeflogen kommt – vom Himmel hoch, da kommt er her. (…) Grund genug, diese Chansons doppelt zu lieben.“

Staatenlos im Nirgendwo (1981)
Staatenlos im Nirgendwo (1981)

Die Gedichte des zweiten Versbandes, STAATENLOS IM NIRGENDWO, sind fast ausschließlich im Exil entstanden. Mit trotziger Melancholie und tönender Verzweiflung über „das bißchen Vaterland“ und das, was im Reich passierte, schrieb Mehring Verse, die das Lebensgefühl der Exilierten paradigmatisch zum Ausdruck brachten. Die „Ode an Berlin“, „Die kleinen Hotels“ oder der „Emigrantenchoral“ gehören neben den schon im amerikanischen Exil berühmt gewordenen 12 „Briefen aus der Mitternacht“ sicher zum besten, was zwischen 1933 und 1945 zu diesem Thema geschrieben wurde.

Auch im zweiten Band sind zahlreiche Gedichte, nach Hitlers Machtantritt in verschiedenen antifaschistischen Zeitschriften in Prag, Paris, Zürich, New York, Buenos Aires u.a. erschienen, zum ersten Mal in Buchform veröffentlicht. Zwei Gedichte, eines aus dem amerikanischen Exil und ein weiteres aus dem Jahre 1966, sind Erstveröffentlichungen.

Die CHRONIK DER LUSTBARKEITEN ebenso wie STAATENLOS IM NIRGENDWO enthalten Gedichtfassungen in endgültiger Textgestalt. Die Anmerkungen geben zu den einzelnen Gedichten bibliographische und inhaltliche Hinweise (Erstdruck, Überarbeitungen, zeitgeschichtliche Erläuterungen). Ein ausführliches Nachwort des Herausgebers zu jedem Band führt den Leser in Biographie und Werk Mehrings ein. Im Anhang sind jeweils zeitgenössische Kritiken zu den einzelnen Versbänden abgedruckt, u.a. von Kurt Tucholsky, Max Herrmann-Neiße, Joseph Roth, Hans Sahl, George Grosz u.v.a.

Grosz hat Mehring den „Villon von der Spree“ genannt, andere haben ihn mit Heinrich Heine verglichen, und doch ist die vielschichtige, frappierend „heutige“ Poesie Mehrings mit solchen Kategorisierungen kaum zu fassen. Der Leser hat nun zum ersten Mal die Möglichkeit, sich ein eigenes Bild zu machen von diesem großen Dichter Walter Mehring, der sich als Satiriker radikal mit seiner Zeit auseinandergesetzt hat und mit seinem Werk doch weit über sie hinausweist – wie alle große Dichtung.

Walter Mehring
wurde am 29. April 1896 in Berlin geboren. Die ersten Gedichte veröffentlichte er 1918 in Herwarth Waldens „Sturm“ und in verschiedenen Dada-
Zeitschriften. Seine Gedichte, Lieder und Chansons machten ihn früh berühmt und bald bei den Nationalsozialisten verhaßt. 1933 entging Mehring nur knapp seiner Verhaftung durch die SA, er emigrierte, wurde 1939 und 1940 in Frankreich interniert und entkam 1941 in die USA. Nach dem Kriege kehrte er nach Europa zurück. Heute lebt er in einem Pflegeheim in Zürich.

In der Walter-Mehring-Werkausgabe bei claassen sind erschienen: „Müller. Chronik einer deutschen Sippe“. Roman; „Die verlorene Bibliothek“. Autobiographie einer Kultur; „Wir müssen weiter“. Fragmente aus dem Exil; „Die höllische Komödie“, Drei Dramen; „Paris in Brand“. Roman; „Algier oder Die 13 Oasenwunder/Westnordwestviertelwest“. Zwei Novellen; Die Walter-Mehring-Werkausgabe wird herausgegeben
von Christoph Buchwald.

Die Pressesstelle des Claassen-Verlags hat diesen Pressetext als “Besprechungsunterlage” mit dem Band für die Rezension verschickt. Zwei Belege der Rezension hat sich der Verlag von den Rezensenten erbeten. (A.O.)

Mehr Pressetexte zur Werkausgabe:
Die Höllische Komödie
Paris in Brand
Müller / Die verlorene Bibliothek
Algier oder die 13 Oasenwunder – Westnordwestviertelwest
Verrufene Malerei – Berlin DADA
Die Nacht des Tyrannen

Kategorien
1983 1991 Biografisches Prosa Wissenschaft

Anthony Heilbut ist über „Die verlorene Bibliothek“ erstaunt

Anthony Heilbut, der Sohn emigrierter deutscher Eltern, hat 1983 eine große Monografie über die Emigration in die USA vorgelegt. In ihr bespricht er auch „Die verlorene Bibliothek“. Zwar stimmen nicht alle Fakten. So war Richard Huelsenbeck Herausgeber des Dada-Almanach von 1920. Er ist also nicht Walter Mehrings Buch, auch wenn Mehring Texte beisteuerte. Dennoch ist der Auszug aus dem 480 Seiten starken Taschenbuch lesenswert, weil er den Blick auf Mehring nicht mit der rein deutschen Brille wirft. Und in einem Jahr, in dem „Die verlorene Bibliothek“ neu im Elster-Verlag aufgelegt wurde, sind solche Fundstellen umso lesenswerter. (A.O.)

Den vielleicht wehmütigsten Abgesang auf die Emigrantenkultur stimmte unerwarteterweise Walter Mehring an. Im Unterschied zu den anderen Schriftstellern war er ein echter  Berliner, dort geboren und Sohn des Zeitungsverlegers Franz Mehring, der einst Rosa Luxemburg unterstützt hatte [Mehrings Vater war Sigmar Mehring. Der Fehler steht so in Heilbuts Text.]. Sein kulturelles Debüt hatte Walter Mehring im Alter von zweiundzwanzig Jahren gegeben, als er zusammen mit seinem Freund George Grosz eine Dada-Matinee auf die Bühne brachte. Höhepunkt der Show war ein Wettrennen zwischen einer Nähmaschine und einer Schreibmaschine. Zwei Jahre später erschien, illustriert von George Grosz und verlegt von Wieland Herzfelde, sein Dada-Almanach von 1920. Mehrings Gedichte erinnern an Pop-Lyrik („Berlin, dein Tänzer ist der Tod – Foxtrott und Jazz -„), und das Kabarett war ihr Forum. Als Berlins führender Kabarett-Dichter fand Mehring bald Eingang in die Kreise um Brecht, Grosz und Reinhardt. Lange vor der überschätzten, unausgegorenen Pop-Poesie der sechziger Jahre schuf Mehring etwas wirklich Neues, verflocht Töne und Bilder zu Rhythmen seiner Stadt – ein Foxtrott am Rande des Abgrunds.

Mehrings Talent war nicht nur, wie Grosz vermerkte, beseelt von François Villon und Heine, sondern auch von anderen, überraschend literarischen Vorbildern. Der französische  Vaganten-Dichter und der frankophile deutsche Jude waren in der Tat angemessene geistige Ahnen. Mehring selbst verbrachte die zwanziger Jahre zum großen Teil in Paris. Tucholsky pries ihn als den ersten, der Berlin so sehe, wie die Welt gewöhnt sei, Paris zu sehen. Anfang der dreißiger Jahre wollten die Nazis ihn verhaften. Sie fanden ihn wie gewöhnlich in einem Café, doch Mehring gab vor, nicht er selbst zu sein, entkam seinen Häschern und kehrte nach Paris zurück. Dort verlebte er die dreißiger Jahre inmitten seiner Mitexilanten, und der Galgenhumor, mit dem er sie unterhielt, ließ auch den alten Berliner Kabarett-Geist  überleben. Während dieser Zeit entfremdete er sich zunehmend seinen marxistischen Freunden, die ihre Ideologie je nach Weisung Moskaus änderten. Der loyale Kommunist
Wieland Herzfelde hat Mehring die Abwendung von der Sowjetunion nie verziehen und warf ihm vor, deren Krieg mit Finnland (1939) ganz einfach mißverstanden zu haben. In einem Brief, den er Mehring zum fünfzigsten Geburtstag schrieb, nannte er ihn einen „bastard“.

Aus Frankreich entkam Mehring über Marseille und erreichte 1941 die USA. Er verbrachte die übliche unerfreuliche Zeit in Hollywood und ging dann nach New York, wo auch seine alte Freundin Hertha Pauli und ehemalige Dadaisten-Kollegen wie Huelsenbeck, Grosz und Herzfelde lebten. 1944 erschien eine Sammlung seiner Gedichte, illustriert von George Grosz und übersetzt von einem linken amerikanischen Freund Erwin Piscators.  Vorübergehend arbeitete Mehring auch für die Propaganda-Abteilung des Office of Strategic Service und brachte sich später als Arbeiter in einer Fabrik auf Long Island durch.

1951 veröffentlichte er The Lost Library: Autobiography of a Culture, das er zum Teil auf der Tabakfarm eines Pazifisten und Jazzmusikers in New England geschrieben hatte. Wer hätte solch ein Buch von ihm erwartet? Mehring gedenkt der Berliner Bibliothek seines Vaters und bekennt sich damit zu der gelehrten humanistischen Tradition, der er  entstammte und die er mit seinem eigenen populären Stil einst schmähte. Aber irgendwie brachte die amerikanische Umgebung eine Annäherung zwischen Vater und Sohn, hoher Kultur und Kabarett. Mehring beschwört die Tradition mit jenem echten Berliner Ton, keck, dicht und sehr smart. Wenn er will, weiß er mit literarischer Mimesis so sorgsam umzugehen wie Erich Auerbach. Doch öfter noch ist er von ganz erdgebundener Respektlosigkeit: Marx ist ein unlesbarer alter Langeweiler, Nietzsche und Schopenhauer hat die Syphilis den Verstand geraubt. Mit Melancholie hat er als typischer Emigrant nichts im Sinn. Gegen den Kummer über die verlorene Bibliothek empfiehlt er gute Laune und guten Sex, nicht ein besseres Buch, sondern einen besseren Orgasmus.

Doch trotz seines smarten Tons ist es kein glückliches Buch, und am traurigsten ist es da, wo Mehring in literarischen Schätzen schwelgt und zugleich erkennt, wie nichtig und ohne Wert sie in der gegenwärtigen Zeit waren. Als Kabarettdichter und -komponist verstand Mehring sich auf sprachliche Rhythmen. Er sah, daß sich eine Veränderung der Wirklichkeit in der Grammatik widerspiegeln kann, noch bevor die Betroffenen sie wahrnehmen. Sprache vermag nicht viel, aber sie kann den Leser auf das vorbereiten, was in der Zukunft auf ihn wartet. Davon war Mehring überzeugt, und darum nahm er auch gegen Gide Partei für Proust. Gide hatte dem Jüngeren „willkürliche Behandlung der Zeiten“ und „verschwenderischen Mißbrauch des Subjunctivs“ vorgeworfen. Gide, so Mehring, sah nicht, daß Proust der Grammatik und der Syntax von Weissagung und prophetischen Träumen folgte und daß sein Subjunctiv der „Subjunctiv des Zweifels“ war. Dieser letzte glänzende Gedanke ist nicht nur gültig für die Ereignisse in Prousts Roman, er trifft auch das Emigrantenleben, denn im Bewußtsein vergangenen Verrats und Betrugs – „der Korruption aller Bindungen“ – weckte jeder erfüllte Wunsch Argwohn. Der Subjunctiv des Zweifels mißbilligte sehnendes Verlangen und gestattete eine schützende Distanz zu der inneren Gewißheit, daß unsere Hoffnungen entweder banal oder zum Scheitern verurteilt sind.

Die Bibliothek ist verloren. Die Weisheit, die sie enthielt, ist verstreut in Zeit und Raum, unendlich weit entfernt von einer New-England-Farm des Jahres 1950. „All diese Dinge existieren nur noch im Plusquamperfekt oder in einem passé defini“: Die Angelegenheit hat ihre grammatische Form gefunden und ist damit erledigt. Kundig zu lesen sei des Emigranten größtes Talent, schreibt Mehring, doch gibt er zu, daß die Besinnung auf Vergangenes ein müßiges Unterfangen sei, obwohl doch sein Buch beweist, daß es gerade jene Besinnung war, die den Emigranten half, durchzuhalten. Was bleibt? Was hat noch Sinn? Politisches  Engagement jedenfalls nicht, wenn es nach Mehring geht. Am besten ist es noch, nach „Korrektur seiner selbst“ zu streben: ein Rückzug oder Ausweg, der nicht weniger in die Enge führt als der Weg von Berlin auf eine Tabakfarm. Das Nächstbeste ist die Fähigkeit, andere zu unterhalten. In einer letzten Berliner Posse verrät man seine ernsthafte Seite und zieht sich auf die Komödie zurück. Einen Galgenhumoristen hängt man nicht: Die Emigration hat ihn gelehrt, daß es sich auszahlt, sein Innerstes zu verbergen.

(Anthony Heilbut: Kultur ohne Heimat – Deutsche Emigranten in den USA nach 1930; Reinbek: rororo 1991; S. 281-283).

Kategorien
1934 Biografisches

Johannes R. Becher berichtet von seinem Paris-Aufenthalt im Exil

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten flohen viele Politiker, Intelektuelle, Künstler ins Exil. Unter ihnen waren viele Kommunisten, Sozialdemokraten und viele politisch unabhängige, aber in klarer Opposition zu den Nazis befindliche Menschen wie Walter Mehring. Der Schriftsteller und Kommunist Johannes R. Becher will wie viele andere zunächsteine Einheitsfront von Kommunisten und Sozialdemokraten mitschmieden. Von der Komintern in Moskau erhält er den Auftrag, eine literarische Einheitsfront zu formen. Dafür reist er viel und hält sich sehr lange in Paris auf. Im folgenden Textauszug erinnert sich Johannes R. Becher daran. Der Text zeigt auch, was der Komintern und den Kommunisten 1935/1935 wichtig war. Unter anderem berichtet Becher auch, dass er sich mit Walter Mehring getroffen hat. Der Text zeigt exemplarisch wie eingeschränkt die Offenheit der Kommunisten für Andersdenkende war. (A.O.)

Besonders in Paris macht es sich bemerkbar, daß meine Reise gerade in die Monate fiel, wo besonders die prominenten Schriftsteller verreist waren. Auch von unseren Genossen waren im Anfang nur wenige in Paris anwesend, so daß ich längere Zeit mit Warten verbringen mußte.

Viele von den Genossen (Seghers, Schönstedt, Toni, Kantorowicz etc.) sind meistens mit einigen Funktionen belastet, so daß ihr Einsatz für den Bund und für den Schutzverband Deutscher Schriftsteller verhältnismäßig gering ist. Die meisten Genossen waren an der Herstellung des „Braunbuchs” beteiligt und somit die letzten Monate besonders stark in Anspruch genommen. Sowohl in der Arbeit des Bundes wie in der Arbeit des Schutzverbandes war während der Sommermonate eine vollkommene Pause eingetreten. Die Stärke der Mitglieder des Bundes proletarisch-revolutionärer Schriftsteller betrug ca. 30 Genossen, die des Schutzverbancles ungefähr 150 Kollegen. Nach einer kurzen Vorbesprechung mit der Fraktionsleitung beschlossen wir, eine mehrtägige Konferenz über die wichtigsten Fragen abzuhalten. In dieser Konferenz wurden die wichtigsten praktischen, ideologischen und organisatorischen Fragen durchgesprochen. Es zeigte sich eine ziemlich bedeutende Ungleichheit in der Entwicklung der verschiedenen Genossen. Genossen, die in Deutschland keine Beziehung zum Bunde hatten, sind heute im Bunde und müssen innerhalb der kurzen Zeit und dazu in der Emigration, losgelöst von der direkten Beziehung zur Arbeiterbewegung, all die literarisch-theoretischen Erkenntnisse nachholen, die die Organisierten, das heißt andere Genossen, innerhalb von vielen Iahren sich errungen hatten. Wir beschlossen daher, sofort zwei Arbeitsgemeinschaften einzurichten, und zwar eine über literaturtheoretische Probleme, in der ganz besonders auch die Geschichte des Bundes und seiner literaturtheoretischen Entwicklung, insbesondere die Frage des Trotzkismus in der Literatur, systematisch behandelt werden soll. In der zweiten Arbeitsgemeinschaft, unter der Leitung des Genossen Weinert, sollen besonders die neuen Formen praktiziert Werden. In einer Besprechung ınit dem Vertreter der deutschen Partei äußerte auch dieser den Wunsch, daß die Ortsgruppe Paris gerade in dieser Richtung der deutschen Partei behilflich sein sollte.

(…)

Unsere Genossen belieferten in Paris insbesondere auch zwei Zeitschriften: „Die Aktion” und die „Blauen Hefte“. Die Mitarbeiten an der „Aktion“ werden in letzter Zeit eingestellt, nachdem sie ganz offen französisch-imperialistische Interessen vertritt, und die Mitarbeiten an den „Blauen Heften” erscheinen ebenfalls zweifelhaft, um so mehr, als ihr Redakteur ein gewisser Ullmann – Pseudonym für Lherman – ist, ein sowohl in Deutschland wie in Österreich wegen Betrugs vorbestraftes Subjekt, und da auch hier die Gefahr besteht, daß die Geldquellen aus der französischen Regierung nahestehenden Kreisen stammen. Im übrigen stellen die „Blauen Hefte” ein buntes Mischmasch klar von parteifeindlichen Beiträgen und Beiträgen unserer eigenen Schriftsteller, von zionistischen Apologien usw. usw. – Wie tief teilweise das theoretische Niveau unserer in Paris lebenden Schriftsteller steht, zeigt ein Beitrag von Kantorowicz in der früheren „Aktion”, wo er von dem „freien und glücklichen Land, das Frankreich ist“, spricht und vorschlägt, die deutschen Emigranten sollten von Französischen Familien eingeladen werden, um auf diese Weise die beiden besten Vertreter der deutschen und französischen Kultur miteinander zu verschmelzen. Die theoretische Unklarheit kommt ebenfalls in dem Kulturteil des „Braunbuchs” zum Ausdruck, wo ziemlich unterschiedslos alle verbrannten und verbannten Schriftsteller behandelt werden.

Durch meine vorzeitige Abreise von Paris konnte ich leider den Zeitschriftenplan nicht mehr verwirklichen. Zu gleicher Zeit besprachen die Parteivertreter mit mir den Plan einer großen repräsentativen Tageszeitung, an der die Schriftsteller mit größter Intensität mitarbeiten könnten. Ich wies ihnen gegenüber hin auf die Notwendigkeit eines Feuilletons, was prinzipiell zugesagt wurde. In den Gesprächen mit dem Genossen Biha entwickelte dieser den Plan einer besonders für Deutschland bestimmten Kulturzeitschrift, so daß auch hier eine Möglichkeit fiir das Eingreifen der Schriftsteller vorhanden ist. Ganz besonders wichtig war in der Konferenz die eingehende Aussprache darüber, wieweit die in der Emigration lebenden Schriftsteller der deutschen Arbeiterbewegung zu Hilfe kommen könnten. Es wurde von mehreren Seiten betont, daß in Deutschland eine starke Stimmung gegen die emigrierten Schriftsteller vorhanden sei und daß man diese Stimmung auch dadurch liquidieren müsse, daß man von außen her Arbeiten für Deutschland liefere. Eine Anzahl solcher Projekte, illegale Kleinbüchlein usw., in der Emigration herzustellen, wurde besprochen und sollte in der Arbeitsgemeinschaft des Genossen Weinert systematisch weitergeführt werden. (…)  Besonders Genosse Kantorowicz möchte diese Zeit benutzen, um seine mangelnden theoretischen Fähigkeiten aufzufüllen. Mit Plivier und Walter Mehring hatten Genosse Kisch und ich längere Aussprachen, deren Ergebnis befriedigend war. Beide erklärten, sowohl an den „Neuen Deutschen Blättern” wie auch an der IL mitarbeiten zu wollen und andere Schriftsteller in weitestem Maße dafür zu interessieren. Plivier gab mir für die IL einen größeren Beitrag mit (…).

Ich sprach ferner noch mit einigen linksbürgerlichen Schriftstellern. Bei ihnen allen fand ich zwar eine Bereitschaft, mit uns zu arbeiten, aber gleichzeitig auch eine gewisse Furcht, in der Emigration hervorzutreten, aus Angst, ausgewiesen zu werden, oder aber, weil sie noch bestimmte Verbindungen mit Deutschland nicht preisgeben möchten.

(…)

Was die Emigrationsstimmung der Pariser Gruppe betrifft, so muß zunächst festgestellt werden, daß die Leitung der Parteifraktion außerordentlich schwach ist, daß man, wie mir mitgeteilt wurde, in der Parteifraktion darüber diskutiert: war der Volksentscheid richtig oder nicht, und daß verschiedene Fragen unserer Genossen unbeantwortet blieben. Wenn man bedenkt, daß die einzige in breiter Öffentlichkeit geführte Polemik gegen den Trotzkismus im „Gegen-Angriff” vom Genossen Frei gegen Schlamm geführt wurde, so muß man feststellen, daß diese Arbeit der Polemik absolut ungenügend war. Überhaupt macht sich die Tendenz, wie ich auch später in Prag feststellte, bemerkbar, daß die große Emigrationspanik sich sublimiert und jetzt in der Form trotzkistischer Fragestellung usw. auftritt, so daß man zunächst, wenn man noch die grobe Emigrationspanik in Erinnerung hat, sehr leicht geneigt ist anzunehmen, die Emigrationsstimmung sei völlig überwunden.“

(Johannes R. Becher: Publizistik I – 1912 – 1938; Berlin und Weimar: Aufbau-Verlag 1977 (i. e.: Johannes R. Becher: Gesammelte Werke, Bd. 15); s. 393 ff.

 

Kategorien
1938 2013 Biografisches

Mehrings letzter Besuch des Café Herrenhof in Wien

Hotel Herrenhof an der Stelle, wo einst das Café Herrenhof stand.
Hotel Herrenhof an der Stelle, wo einst das Café Herrenhof stand.

Es ist genau 75 Jahre her, dass der Anschluss Österreichs ans Deutsche Reich Adolf Hitlers erfolgte. Für Walter Mehring und viele andere Exilanten war dies etwas mehr als fünf Jahre nach der Machtübernahme durch Nationalsozialisten ein neuer Schock. Sie mussten an dem 12. März erneut die Verhaftung befürchten – genauso wie die Sozialdemokraten, Kommunisten, Demokraten Österreichs. Wien war für Mehring in den Jahren zwischen 1934 und 1938 zu einer Art Heimat geworden. Im Hotel Fürstenhof lebte er inmitten der Bibliothek seines Vaters, die nach Mehrings eigener Erinnerung drei Wände des Zimmers komplett einnahm. Und da Mehring in Wien Hertha Pauli kennen- und lieben lernte, ist im Exil trotz finanzieller Schwierigkeiten und dem Verlust der deutschen Öffentlichkeit sogar von so etwas wie Glück zu Hause.

Hertha Pauli und Walter Mehring haben in ihren autobiografischen Erinnerungsbüchern die dramatische Situation geschildert, die zur Flucht Mehrings mit dem Zug vom Westbahnhof in Richtung Schweiz und Paris führte. Sie stimmen sich nicht in allen Punkten überein. Aber sie zeigen, wie nah Mehring und Pauli den Ereignissen waren. Und das ausgerechnet in einem Caféhaus, dem Café Herrenhof in der Herrengasse fast neben der Hofburg, in der Österreichs Kanzler und Teile des Kabinetts damals ihre Büros hatten und heute haben.

Hertha Pauli und Walter Mehring waren verabredet: „Ein Rendezvous im Café Herrenhof – nicht mit Seyß-Inquart, den ich weder kannte, noch zu kennen wünschte, sondern mit zwei guten Freunden. Ich musste mich beeilen, weil ich mich verspätet hatte.“ (HP) Seit dem 15. Februar war Arthur Seyß-Inquart Innenminister im Kabinett Kurt Schuschniggs. Auch dies erfolgte schon auf Druck Adolf Hitlers, der die Beteiligung der Nationalsozialisten an der Wiener Regierung ultimativ gefordert hatte. An diesem 11. März 1938 saß Seyß-Inquart nun im Café Herrenhof. „Wenn man sich beeilt, kann man das Café Herrenhof vom Bristol aus in weniger als zehn Minuten erreichen, nicht aber an jenem 11. März 1938. (…) An jenem Tag hielten mich Polizeisperren auf, weil junge Nationalsozialisten vor der Oper aufzogen. ‚Heil Hitler!‘ brüllten sie. Fragend wandte ich mich an einen der Polizisten. Der zuckte die Achseln, aber ein zweiter – Polizisten gehen gern paarweise um – sah mich plötzlich scharf an. (…) Als ich im Herrenhof auftauchte, fand ich die Freunde besorgt. Die ‚Heil Hitler‘-Rufe drangen wie ununterbrochenes Hundegekläff zu uns herein. ‚Auch die Polizisten sind Nazis‘, flüsterte ich atemlos und verstummte, weil der Ober zu uns trat.“ (HP)

Das Rendezvous, wie es Hertha Pauli nannte, war mit Walter Mehring und mit Carl Frucht. Der eine war ihr Geliebter, der andere ihr Partner bei der „Österreichischen Korrespondenz“, einer Literaturagentur. „’Was darf’s sein?‘ fragte er (der Ober; A.O.) wie immer. Ich bestellte eine Schale Gold – nur Kaffee, denn mir war der Appetit vergangen.
Im Kreis meiner Freunde erholte ich mich. (…) ‚Du mußt jetzt rasch fort‘, riet ich ihm (Walter Mehring; A.O.) im Herrenhof. Seine Ausbürgerung stand auf der ersten Goebbelsliste, was ihn mit Stolz erfüllte. ‚Und du?‘ fragte er mich. ‚Bei uns ist es -doch etwas anderes‘, erwiderte ich, und  Carli setzte hinzu: ‚Wir müssen am Sonntag wählen.'“ (HP)

Carl Frucht und Hertha Pauli glaubten zu diesem Zeitpunkt noch, dass der Einmarsch der Deutschen und damit der Anschluss Östrerreichs durch den für den zwei Tage später angesetzten Wahltermin verhindert werden könnte. In Walter Mehrings Erinnerung liest sich das so: „Am Freitag morgen, einem anachronistisch strahlenden Vorfrühling, marschierte noch unentwegt weiter das alte Wien. Aber schon nahte der Termitenfraß der Nazifizierung dem Abschluß. Schon waren bis auf eine hauchdünne Zelluloseschicht die Mauern achthundertjähriger Kultur zerfressen. Die VF, die ‚Vaterländische Front‘, schien mit Fahnen, Abzeichen und Enthusiasmus die Stadt zu beherrschen. Doch nicht die Straße ist das Barometer, sondern das Caféhaus, das Wien dem vorletzten Barbarenansturm, der Türkenbelagerung, verdankt. Der größte Cafépalast der Innenstadt, Treffpunkt der Literaten, liegt zur Mittagsstunde wie verödet. Zwei Stammgäste nehmen am Nebentisch Platz. Seyß-Inquart und Glaise-Horstenau, der gerade aus Deutschland eintrifft. Der Ober, dessen Wohlwollen alle Gäste besonnt, Legitimisten und Illegale, Nazis und Juden, flüstert: ‚Der Seyß hat nur a Suppen bestellt. Jetzt, da wird’s ernst.'“ (WM)  Und an einer anderen Stelle noch die Ergänzung: „Und Göring hat aus Berlin angerufen!“ (WM)

Hertha Pauli hat noch eine weitere Erinnerung an diesen Mittag im Café Herrenhof: „Unser Gespräch wurde plötzlich unterbrochen. ‚Herr Dr. Seyß-Inquart, bitte‘, rief der Ober. ‚Berlin am Apparat!‘ Am Nebentisch erhob sich ein Herr und ging dicht an uns vorbei zum Telephon in die Garderobe. In diesem Augenblick wurde mir plötzlich bewußt: diesem Mann untersteht jetzt unsere Polizei! Auf dem Sims hinter unserm Ecktisch standen liebliche Barockengelein aus Bronze. Auf einen davon zeigend, flüsterte ich Mehring ins Ohr: ‚Soll ich ihn damit erschlagen?‘ Walter schüttelte den Kopf. ‚Hilft nichts – es sind zu viele.‘ Der Innenminister kam an seinen Tisch zurück, zahlte und eilte hinaus. Besorgt blickte der Ober ihm nach. ‚Sehr nervös, der Herr Doktor‘, bemerkte er vertraulich zu uns. ‚Dem schmeckt heut‘ net amal sei‘ Apfelstrudel.’“ (HP)

Die Passagen von Hertha Pauli sind in „Ein Riss der Zeit geht durch mein Herz“ von Hertha Pauli erschienen. Die von Walter Mehring in „Wir müssen weiter“.

Mehr zu Walter Mehrings letzten Stunden in Wien:
Mehrings letzter Besuch des Café Herrenhof in Wien 
Nachmittag und Abend des 11. März 1938 in Wien
Mehrings Vermieter hilft heute vor 80 Jahren bei der Flucht aus Wien

 

 

Kategorien
1934 1935 1936 1937 1938 Biografisches

Walter Mehrings Bibliothek im Wiener Hotel Fürstenhof

Hotel Fürstenhof in Wien
Hotel Fürstenhof in Wien

Vom Westbahnhof sind es nur einige Meter bis zum Hotel Fürstenhof. Es liegt am Neubaugürtel 4. Als Walter Mehring im September 1934 aus Paris kommend mit dem Zug in die österreichische Hauptstadt einfuhr, hat er als erste Unterkunft eine naheliegende Adresse gewählt. Aber offenbar hat es ihm in dem von Inhaber Julo Formanek in einem schönen Jugendstilhaus geführtem Hotel so gut gefallen, dass er dort blieb. Und das für immerhin dreineinhalb Jahre.

Vielleicht waren es anfangs auch ganz praktische Überlegungen, die ihn in den Fürstenhof führten. Dank der Nähe zum Bahnhof war der Weg für den Transport seiner Bibliothek nicht weit. Denn nach Wien wurde ihm die Bibliothek seines Vaters, die „Verlorene Bibliothek“, aus Berlin nachgeschickt – „ins Exil gerettet dank der Komplizität der Berliner Tschechoslowakischen Gesandtschaft, dank der Kollegialität ihres Attachés, des Lvrikers Camill Hoffmann (aus der Prager Dichterrunde der Werfel, Mevrink, Kafka, Capek, die alle etwas kabbalistisch angehaucht waren), – ihn aber hat man später in einem Brandofen vernichtet.“ (Walter Mehring: Die verlorene Bibliothek, Düsseldorf: Claassen Verlag, S. 17)

Nachdem Mehring in der Nacht des Reichstagsbrandes von Berlin nach Paris floh, war die Ankunft in Wien mehr als eineinhalb Jahre später wieder eine Rückkehr in den deutschen Sprachraum. Das Hotel Fürstenhof war auch deshalb mehr als ein Aufenthaltsort: „Gewohnt habe ich zum letzten Male wohl in Wien, bevor es stürzte. Denn dort hatte ich noch alle Bücher um mich, aus meines Vaters Bibliothek, und konnte mich zu Hause fühlen.“ (ebda.) Einen gewissen Anteil hat wohl auch der Fürstenhof daran gehabt. Das Leben im Hotel war für Mehring nichts ungewöhnliches, den größten Teil seines Lebens hat er so gelebt. Im Fürstenhof hat er nicht nur in einem Zimmer gehaust. Er hatte quasi Familienanschluss, denn es war damals üblicher, in Hotels zu leben. Pensionen und Hotels, in denen die Gäste richtig lebten, beschreibt zum Beispiel auch Joseph Roth in seinem Roman „Kapuzinergruft“.

Das Einwohnermeldeamt der Stadt Wien (Auskunft vom 23. Januar 2013) vermerkt fünf Meldeperioden Walter Mehrings im Fürstenhof. Vom 26. September 1934 bis zum 3. Januar 1935 währte der erste Aufenthalt. Vom 21. Februar bis zum 26. Mai 1936 war er wieder im Fürstenhof gemeldet. Ab dem 26. August desselben Jahres folgte bis zum 13. August 1937 , die nur vom 14. Januar bis zum 15. Februar 1937 unterbrochen wurde, die dritte Periode. Ein viertel Jahr später war er in Wien zurück. Vom 19.November 1937 bis zur Flucht aus dem nun nationalsozialistischen Wien am 11. März 1938 folgte der letzte Aufenthalt in dem Hotel gegenüber vom Westbahnhof. Die Zwischenzeiträume hat Walter Mehring in Paris verbracht. Das zumindest hat er bei den Wiener Meldebehörden angegeben.

Wien aber blieb der Ort, indem er Hertha Pauli kennen- und lieben lernte. Und die Stadt, in der Walter Mehring in der Bibliothek seines Vaters lebte. Drei der vier Wände seines Zimmers im Hotel Fürstenhof waren nach eigener Darstellung voller Bücherregale. Die Bücher gaben ihm Zuflucht. Und die Erinnerung an das Auspacken uns Lesen der Bücher in Wien ist der Ausgangspunkt für seinen autobiografischen Band „Die verlorene Bibliothek – Autobiografie einer Kultur“: „Ausgeleert, Kiste um Kiste – Pandorabüchse des NachDenkers Epimetheus (mit einem trüben Bodensatz Hoffnung) – spukte ihr Inhalt auf den abgeschrubbten Dielen, dem ungemachten Hotelbett, dem rußigen Fensterbrett in der Lesegruft meines Wiener Voruntersuchungsexils.“ (ebda, S. 189)

Und der Moment der Wiederbegegnung mit diesen Büchern bleibt ihm so in Erinnerung: „Den ganzen ersten Tag über, vom Morgengrauen an, seit ein paar verdrossene Transportarbeiter Kiste auf Kiste abgeladen hatten, die sie wahrscheinlich in ihrer Wiener notleidenden Einbildung mit materiellen Genuß- und Luxusartikeln angefüllt glaubten, las ich mich sinnlos voll . . . Man kann dem Lesen so gesundheitsschädlich verfallen wie jedem anderen Rauschmittel, besonders als Europäer, der ja durch lange erbliche Belastung im gleichen Prozentsatz alkohol- wie büchersüchtig ist. Man greift zum Buche wie zum Glase, um sich über die deprimierende Nüchternheit der Zeitungssensationen – hinwegzutrinken, um den widerlichen Nachgeschmack der Medizinen, die man uns in den Spitälern der Zwangs-Heil- versuche eingibt, herunter zu spülen. Und nichts hilft so wie ein süffiges Getränk -, wie Genuß von abgelagertem Pathos, vorzüglich in Versen konzentriert, um sich gleich edler und erhabener zu fühlen. Doch hält man sich nicht lange an die guten, erlesenen Jahrgänge. Und beim Lesen wie beim Trinken steigert man allzu rasch den Spiritusgehalt, man  sucht nach Selbstbekräftigung und zugleich nach genereller Absolution. Abnorme Gelüste, deren man sich wie eines versteckten Geburtsfehlers, wie einer krankhaften Veranlagung geschämt hatte, findet man bei erhabensten Genies im Schaffensrausche ausgeplaudert.“ (ebda. 24)

 

 

Kategorien
1938 1962 1990 Biografisches Brief Zeitschriften

Hans Sahl erinnert sich an den Antikommunisten Walter Mehring

1990, einen Monat nach der Wiedervereinigung, hat Hans Sahl (20. Mai 1902 – 27. April 1993) in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung einen langen Text über die Lage der Intellektuellen in Deutschland geschrieben. Darin erinnert er an die Spaltung der Exilschriftsteller durch die Kommunistische Partei. In ihm zitiert er auch einen Brief Walter Mehrings an ihn aus dem Jahr 1962. Hans Sahl machte sich im Berlin der späten 1920er und frühen 1930er Jahre einen Namen als Kritiker. Im Exil gründete er auch mit Walter Mehring aus Protest gegen die Ausgrenzung Leopold Schwarzschilds den Bund Freie Presse und Literatur.

„Zu fragen wäre jedoch: Wer befragt die Befrager? Hatte man nicht, nach 1945, in der Bundesrepublik alle Hände voll zu tun, sich mit Hitler auseinanderzusetzen, und mußte deshalb die Auseinandersetzung mit Stalin bis auf weiteres verschieben? Man knüpfte also dort wieder an, wo man 1933 aufgehört hatte, ohne sonderlich davon Kenntnis zu nehmen, daß es inzwischen Autoren wie Ignacio Silone, George Orwell, Czeslaw Milosz, Arthur Koestler und andere gegeben hatte, die sich darum bemühten, eine Literatur der Auseinandersetzung mit dem Stalinismus zu entwickeln.

ln diesem Zusammenhang sollte auch die 1938 erfolgte Revolte gegen den von Moskau manipulierten Schutzverband deutscher Schriftsteller im Exil in Paris erwähnt werden, die dazu führte, daß namhafte Autoren, unter ihnen Alfred Döblin, Bruno Frank, Leonhard Frank, Konrad Heiden, Hermann Kesten, Klaus Mann, Walter Mehring, Ernst Erich Noth, Karl Otten, Joseph Roth, Hans Sahl, Leopold Schwarzschild, sich zu einem ››Bund freie Presse und Literatur« (Verband unabhängiger deutscher Schriftsteller und Journalisten im Exil) zusammenschlossen, der mit folgendem Gründungsaufruf an die Öffentlichkeit trat:

Deutsche Schriftsteller und journalisten im Exil, in deren Vollmacht die Unterzeichneten sprechen, haben sich zu einem Bunde zusammengeschlossen.

Sie halten geistige Freiheit, moralische Sauberkeit und Verantwortungsgefiihl fiir die Grundlage jeder öffentlichen geistigen Wirksamkeit.

Sie haben um dieser Überzeugung willen die Verbannung auf sich genommen. Sie wollen diese Überzeugung auch in der Verbannung nicht antasten lassen.

Sie wollen alle sammeln, die sich aufrichtig zu den gleichen Grundsätzen bekennen. Sie glauben, daß die Sache der deutschen Freiheit nur in dieser geistigen Haltung vor der Welt vertreten werden kann. Sie sind überzeugt, daß der Kampf gegen die Unterdrückung der Freiheit in Deutschland nur mit diesen Grundsätzen zu gewinnen ist.

Sie fordern alle Schriftsteller und Journalisten, die gleicher Gesinnung sind, auf, sich ihnen anzuschließen.

Es scheint wichtig, diesen Aufruf noch einmal in Erinnerung zu bringen, weil er zeigt, daß es bereits vor fünfzig jahren Schriftsteller deutscher Sprache im Exil gab, die darauf verzichteten, sich jenen anzuschließen, die, wie Anna Seghers, Bert Brecht, Bodo Uhse und
andere, nach 1945 in die DDR gerufen wurden, um dort als Kämpfer gegen den Faschismus gefeiert und mit den entsprechenden Preisen und Privilegien ausgestattet zu werden.

In der Bundesrepublik jedoch schien wenig Interesse für jene verlorenen Einzelgänger vorhanden zu sein, die bereits damals sozusagen die Perestrojka und Glasnost vorweggenommen hatten. So kam es, daß beispielsweise Alfred Döblins Roman »November 1918«, über dessen Schicksal in dieser Zeitung vor kurzem berichtet wurde, kaum ein Echo fand, daß ein so hervorragender Schriftsteller wie Leopold Schwarzschild, Herausgeber des Tage-Buchs, das er in das Pariser Exil herüberrettete und mit dem er das Weltgewissen gegen Hitler wachhielt, sowie Autor eines kritischen Buches über Karl Marx, „Der rote Preuße“, bis heute kaum die verdiente Würdigung fand.

Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen und würde auch den Dichter Walter Mehring einbeziehen, diesen unvergefšlichen Bänkelsänger einer sterbenden Republik, der selbst beinahe anonym in einem Züricher Altersheim starb. Seine Werkausgabe ließe sich durch einen Korrespondenzband ergänzen, der unter anderem auch folgenden Brief von Mehring an mich enthalten müßte (datiert Venedig, 12. September 1961):

Dear Hans, but: ich schrieb Dir einen Dankebrief für die Monat-Kritik (die ich mir schließlich aus Zürich beschaffte) … Das erste Mal – Deine Adressenangabe war fast unleserlich – durch Regen (oder Tränen?) verwischt – kam er zurück; das zweite Mal nicht…

Es ist selbstverständlich, daß ich Dir stets antworte, antworten werde – zumal Du mich (und noch dazu lobend) in einer deutschen Zeitschrift erwähnt hast …

Das ist für mich Rarität!

Denn da ich nicht zu den West-Ost-Kulturaustäuschern gehöre – ja Einladungen dieser Cliquen (PEN etc.) protestierend zurückgewiesen hatte, hin ich im »Bierverschiß« der westdeutschen Journaille und Literatur, die so heroisch, so furchtlos die Zensur der Meinungsfreiheit, den Terror, die Radioaktivität der Bundesrepublik angreift. (Die
 Atomzerfallprodukte des USSR-Proletariats und der B. B.recht Lehrstücke sind bekanntlich wunderheilsam.)

– What are you doing?

– I give up!

Mit aufrichtigem Bedauern, nach Venedig desertiert, zu Tintoretto und Carpaccio, Dich versäumt zu haben – und mit – denn das gibt es noch! – kollegialen Grüßen, Dein Walter (Walt Merin)

Zitiert aus Hans Sahl: Profiteure der Zweideutigkeit oder Jeder ist Mitwisser – Zur Situation der Intellektuellen in unserer Zeit; Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 5. November 1990; auch in: Hans Sahl: „Und doch…“ – Essays und Kritiken aus zwei Kontinenten; Frankfurt am Main: Sammlung Luchterhand 1991, S. 30 ff.

Kategorien
1935 Lieder

Die Tarnschrift „Deutsch für Deutsche“

Deutsch für Deutsche
Deutsch für Deutsche

 

VORWORT

Viele deutsche Schriftsteller waren gezwungen, ihr Vaterland zu verlassen, als der Nationalsozialismus zur Macht kam. Sie trugen nichts mit sich hinaus, als die Stimme der Freiheit ıınd das Herz der Freiheit. Aber in diesem Herzen trugen sie die gesammelte Hassglut eines erniedrigten und geschandeten Volkes.

Und die heraufgekommenen Usurpatoren schrieen ihnen ihren lauten H0hn über die Grenzen nach: Eure schwachen Stimmen der Zersetzung werden nicht mehr aufkommen gegen die Trommeln des nationalen Aubruchs; ihr habt euch wurzellos gemacht und werdet unbeachtet draussen verwelken.

Ach, sie bedachten es nicht und sie wissen es nicht, die Entarteten, dass man das Vaterland an seinen Wurzeln mitnimmt, wenn man fest in seiner Erde gestanden hat. Denn für die Aufrechten und Gerechten ist ja Vaterland immer ein anderes gewesen als für solche, die
nur auf dem üppigen Mistbeet gedeihen können, das sie Blut ıınd Boden nennen. Für diese ist Vaterland der Aufmarschplatz schreiender Paraden und Kriegsprozessionen, für jene aber ist es die mächtige und glühende Gemeinschaft derer, die man an seinem Segen nicht teilhaben liess, die aber den heissen und langen Kampf führen, um es zu besitzen.

Und dieser Gemeinschaft allein sind sie verbunden, die in die Verbannungen gingen, dieses Vaterland nährt sie aus zahllosen Adern mit seiner Lebensfülle, diesem Vaterland leiten sie die gewonnenen Krafte zurück als Wort der Wahrheit, des Menschenrechts, als Waffe.

Die Usurpatoren höhnen noch; aber ihr Hohn ist Angst. Sie haben es gespürt, dass die Kraft der Exilierten zunimmt, anstatt dass sie verwelke. Sie haben es nicht überhören können, dass über ihren tobenden Rauschgeräuschen die hellen, klaren Sturmglocken immer vernehmbarer werden. In ihrem ohnmachtigen Hass gegen die Stimme der Freiheit, die sie nicht greifen können, lassen sie ihre niedrige Rache an denen aus, die ihnen in die Hände gefallen waren. Es ist ein Angsthass, der sie trieb, die Tapfersten in ihren Marterkammern zu quälen, wie Ossietzky, und das bis zum grausamen Tode, wie Mühsam.

Aber je mehr sie rasen, um so klarer und drohender schallt die Stimme der Freiheit. Sie hatten gehofft, dass die Not der Emigration, dass die friedlosen Tage der Heimatlosigkeit, dass die lange Dauer des Exils die Aufrechten erschöpfe, zermürbe und sie resignieren mache. Sie haben sich tief getäuscht. Denn sie hatten es nie begriffen, dass, wer um der Freiheit seines Volkes Willen seine Heimat verlässt, ein Vielfaches an Kräften gewinnt. Es war eine kleine Hundertschaft der Aufrechten; aber sie hat hunderte von Werken in die
Welt gechickt.

Sie wurden aus ihren deutschen Verbänden ausgestossen, aber umso fester haben sie in der Emigration sich zusammengeschlossen. Ihre Werke, die man in Deutschland im Mai 1933 verbrannt hatte, sind gesammelt worden in der „Deutschen Freiheitsbibliothek”.

Ihr Schriftsteller in Deutschland, abgeschlossen von den Disputen der Welt, angeödet vom ewigwiederkehrenden Refrain des Propagandaleierkastens, ihr dürft die Stimme der Freiheit nicht Vernehmen. Aus diesem Büchlein soll ein heisser Hauch der kämpferischen Leidenschııft euch anwehen. Es sind hunderte Fetzchen nur aus dem Ganzen, aber hundert Feuerfetzen aus dem grossen Feuer, das in unseren Herzen brennt.

Es ist ein Kampf der Vernunft gegen den Unsinn, der Wahrheit gegen den Betrug, der Gesittung gegen die Hoheit, des Rechts gegen die Unterdrückung. Aber der Kampf der Aufrechten ist nicht allein ein Kampf in den Wipfeln der Geistigkeit; es ist ein Stück des gewaltigen Kampfes der geknechteten deutschen Arbeiterschaft, für deren Befreiung Thälmann, Renn, Mierendorf und zehntausend der Unsern standhaft alle Leiden ertragen und zu sterben bereit sind.

Das Feuer, dass aus diesem Büchlein euch anstrahlt, ist wortgewordener Wille von Millionen. Gebt es weiter, dass es die heissen Seelen lodern mache, dass es die kaltgewordnen neu entzünde!

Juni 1935.
Schutzverband deutscher Schriftsteller
Deutsche Freiheitsbibliothek

Im Juni 1935 ist ein kleines Bändchen im Format acht mal zwölf Zentimeter im Exil erschienen. „Deutsch für Deutsche“ war eine Tarnschrift, die sich im Gewand der „Miniatur-Bibliothek“ des Leipziger Alber-Otto-Paul-Verlags für Kunst und Wissenschaft zeigte. Herausgegeben vom „Schutzverband deutscher Schriftsteller“ und der „Deutschen Freiheitsbibliothek“ versammelte das Buch neben vielen anderen Texte von Johannes R. Becher, Bert Brecht, Oskar Maria Graf, Max Hermann-Neiße, Heinrich Mann, Rudolf Olden und F. C. Weißkopf. Walter Mehring war mit dem „Lied der Arbeitsdienstler“ vertreten. Es wurde illegal in Deutschland verbreitet, um zu zeigen, wer, was im Exil veröffentlicht. In der Quellenangabe wird das Buch „Chansons-Balladen-Legenden“ angegeben. Das stimmt so nicht. Das Gedicht ist erstmals in „Das Neue Tagebuch“ (1. Jg. Nr. 3 vom 15. Juli 1933, S. 69 erschienen. Dann wurde es in den Band „Und Euch zum Trotz – Chansons, Balladen und Legenden“, Paris: Europäischer Merkur, 1934, aufgenommen. In der Tarnschrift ist die Originalfassung des Textes abgedruckt. Walter Mehring veränderte diesen Text nach dem Krieg. im „Großen Ketzerbrevier“ ist die zweite Hälfte abgeändert. 

Kategorien
Biografisches

Tom Reiss schildert Mehrings Flucht und Exil

In seiner Biografie „Der Orientatlist – Auf den Spuren von Essad Bey“ schildert der Amerikaner Tom Reiss, wie sich der „Anschluss“ Österreichs auf den in Wien lebenden Walter Mehring auswirkte. Reiss beschreibte zudem, wie Mehring mit Hertha Pauli, der damaligen Agentin Essad Beys, nach Frankreich und weiter in die USA floh:

„In seinem Buch Die verlorene Bibliothek schrieb Levs Freund Walter Mehring, dass Wien und die gesamte Doppeladlermonarchie in der Gefahr schwebten, von einer Lawine verschüttet zu werden. In dem Buch erfindet er eine imaginäre Bibliothek, die seines Vaters, die all die Werke jener Kultur birgt, die von den Nationalsozialisten und ihrer totalitären Revolution zerstört wurden:

Kategorien
1939 1940 2006 Biografisches

Norbert Flörken beschreibt das Lager Saint-Cyprien

Norbert Flörken hat 2006 auf seinem Blog ausführlich über die französischen Internierungslager im Roussillon, auch über Saint Cyprien, wo Walter Mehring von September bis November 1940 interniert war, geschrieben. Auf der Seite sind auch eine Reihe von Links – und Fotos. Walter Mehring kommt auch zu Wort.

„Die Strände des Roussillon: heute ist die französische Mittelmeerküste, kurz vor der spanischen Grenze, touristisch erschlossen und Urlaubsziel sonnenhungriger Einheimischer und Ausländer – vor 70 und mehr Jahren waren die breiten Sandstrände von Argelès, Saint-Cyprien und Barcarès für zehntausende Menschen ein Alptraum, und viele haben die Wochen oder Monate ihres Aufenthaltes nicht überlebt.

Erwin Brünell aus der Hippolytusstrasse 4 in Troisdorf und Alfred Meier aus Sieglar sind für ein halbes Jahr dort gewesen; Erwin Brünell wurde über Gurs und Drancy nach Auschwitz deportiert und dort am 10. August 1942 ermordet; Alfred Meier konnte fliehen und hat später sogar den Holocaust überlebt.

In den ersten Februartagen des Jahres 1939 strömen über 500.000 Männer und auch Frauen aus Spanien über die Pyrenäen nach Frankreich. Sie fliehen vor den Franco-Faschisten, die den spanischen Bürgerkrieg für sich entschieden haben – unterstützt unter anderem von Hitler-Deutschland. Diese Massenflucht benennt man nach dem spanischen Wort „Retirada“.

Die grosse Zahl der Flüchtlinge stellt die französische Regierung unter Präsident Albert Lebrun vor erhebliche Probleme. Erstens ist das Grenzland auf den Ansturm keineswegs vorbereitet und zunächst auch organisatorisch überfordert; zweitens sind die Spanienkämpfer, die im Winter über die Pässe, z.B. bei Le Perthus, marschieren, nicht erwünscht – handelt es sich doch zum grossen Teil um Männer, die – wie Ernest Hemingway, Ernst Busch oder Erich Weinert – Seite an Seite mit Kommunisten und Anarchisten für die Republik und gegen die Faschisten gekämpft haben.

Also leiten die französischen Behörden den Strom von 250.000 Menschen auf die leeren Strände von Argelès, Saint-Cyprien und Barcarès um (Recatala 1999), kleine und ärmliche Ortschaften südlich von Perpignan, in denen die Einheimischen von Landwirtschaft und Fischfang leben.“

Zitiert vom Blog www.floerken.de Hier finden sich auch die Fortsetzung und die weiterführenden Links.

Kategorien
1939 2012 Biografisches Uncategorized Wissenschaft

Die Süddeutsche berichtet über Gedenken in Les Milles

Wie viele deutsche Intellektuelle wurde auch Walter Mehring in Frankreich nach Beginn des 2. Weltkrieges interniert. Zwar war er nicht in Les Milles wie viele andere deutsche Emigranten Er war in Camp de Falaise (Herbst 1939 bis Februar 1940) und St. Cyprien (September bis November 1940), so wie es Michael unten in seinem Kommentar richtig angemerkt hat. Joseph Hanimann hat in der Süddeutschen Zeitung am 10. September 2012 in einem großen Artikel am Les Milles erinnert. Auch wenn Walter Mehring nicht dort war, ist der Text dennoch lesenswert, weil er einen guten Einblick in die Zustände gibt:

Mahnmal Les Milles in Frankreich
Wo der Widerstand geholfen hat

„Zwischen Wissenschaft und politischem Engagement: An diesem Montag wird in Frankreich das ehemalige Internierungslager Les Milles als Mahnmal gegen Diskriminierung und Menschenverfolgung eröffnet. Doch die Aktualisierung von Geschichte stößt hier an ihre Grenzen.

Im Brennspiegel des Internierungslagers Les Milles frisst die Geschichte ein Loch ins Bild der République. Wahrscheinlich war deshalb die Herrichtung dieses Orts zur Gedenkstätte so langwierig. Als Jacques Chirac 1995 als erster französischer Präsident die Politik des État français unter Pétain in die Kontinuität der Dritten Republik stellte, war die Bemühung um dieses einzige noch erhaltene unter Frankreichs großen Internierungslagern schon seit zwölf Jahren im Gang. Es sollte dann weitere 17 Jahre dauern. Nun ist es so weit. An diesem Montag wird im Beisein des Premierministers Jean-Marc Ayrault das Camp des Milles als Mahnmal gegen Diskriminierung und Menschenverfolgung eröffnet. Die Aufarbeitung von Vichy geht weiter voran. In zwei Wochen soll auch im Pariser Vorort Drancy, wo einst die Züge nach Auschwitz abfuhren, ein vom Schweizer Architekturbüro Diener & Diener entworfenes Mahnmal als Außenstelle des Pariser Mémorial de la Shoah eröffnet werden.“

Der ganze Text bei sueddeutsche.de