Mit Walter Mehring wurde ich durch Theodor Däubler bekannt; der brachte ihn eines Tages in mein Atelier, das damals in Südende lag und eher einer romantischen Höhle glich. Wir verstanden uns gut, Walter und ich, vom Beginn unserer Freundschaft. Er war der Sohn eines Berliner-Tageblatt-Redakteurs und hatte von seinem Vater Witz, Sarkasmus und Berlinertum geerbt. Als ich ihn kennenlernte, stand er ein wenig unter dem Einflufi futuristischer Dichtung, doch hatte er schon damals seine eigene Linie und sein eigenes Talent für Tempo und dramatische Bewegung. Er war eine gute Mischung: ein Francois Villon von der Spree, mit etwas Heinrich Heine versetzt. »Weiße mit Schuß«, würde der Berliner sagen.
Nur lebte Walter nicht wie Villon im Schatten von Notre—Dame, sondern im Schatten der Gedächtniskirche und der geschmacklosen, aber protzigen Häuserkulissen des Kurfürstendamms. Dort trug er seine Gedichte und Chansons vor — auf Friedrich Hollaenders Bunter Bühne, in Trude Hesterbergs Kleinkunsttheater, in Max Reinhardts Schall und Rauch. Für ein von Erwin Piscator inszeniertes Ernst-Toller-Drama schrieb er das Chanson »Hoppla, wir leben!«, das überall Sensation machte und von links bis ganz nach rechts Anstoß erregte.
Er wurde viel nachgeahmt, und seine Nachahmer unterboten nicht immer seine Preise, wenn auch meist sein Niveau. Walter Mehring hatte zum Chanson unserer Zeit etwas hinzugefügt, etwas aus moderner Dichtung Stammendes, denn ein richtiger, versteckter Dichter war er auch. Eine dichterische Form, die in Deutschland geschlummert hatte, wurde durch ihn wiedererweckt und auf eine neue literarische Höhe gebracht. Sein größter Schlager aber war und blieb ein Seemannslied, das überall gesungen wurde. Wie manche Nacht saßen wir in der Taverne und grölten:
———-Wir haben die ganze Welt gesehn,
———-Von Boston bis Trapezunt;
———-Wir sahen Walküren, wir sahen Feen —
———-Die Welt ist überall rund —!
Ja, rund ist die Welt — und so durchfuhr Walter sie denn auch bald auf dem kleinen, immer dem Umkippen nahen Boot seiner Lieder. Er fuhr nach Frankreich, das er von allen Ländern am meisten liebte und am Ende doch verlassen mußte, er fuhr über den Ozean, ins sagenhafte Hollywood, aber das war nichts für ihn.
Und dann fuhr er nach Manhattan und lebte jahrelang im Schatten der großn, kalten Häuser am Riverside Drive, die so ganz anders und doch ein bißchen so ähnlich aussahen wie die des Kurfürstendamms im fernen, verschollenen Berlin von 1923 …“
(aus: George Grosz: Ein kleines Ja und ein großes Nein; Frankfurt (Main) Schöffling & Co.; S. 225 ff.)