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1946 2009 Biografisches

George Grosz erinnert sich an Walter Mehring

George Grosz: Ein kleines Ja und ein großes NeinMit Walter Mehring wurde ich durch Theodor Däubler bekannt; der brachte ihn eines Tages in mein Atelier, das damals in Südende lag und eher einer romantischen Höhle glich. Wir verstanden uns gut, Walter und ich, vom Beginn unserer Freundschaft. Er war der Sohn eines Berliner-Tageblatt-Redakteurs und hatte von seinem Vater Witz, Sarkasmus und Berlinertum geerbt. Als ich ihn kennenlernte, stand er ein wenig unter dem Einflufi futuristischer Dichtung, doch hatte er schon damals seine eigene Linie und sein eigenes Talent für Tempo und dramatische Bewegung. Er war eine gute Mischung: ein Francois Villon von der Spree, mit etwas Heinrich Heine versetzt.  »Weiße mit Schuß«, würde der Berliner sagen.

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1956 1991 Biografisches

Marthe Kauer erinnert an eine Lesung Mehrings in der Katakombe

Marthe Kauer: Die Katakombe – Zürichs Literatenkeller 1940 – 1973Walter Mehring

Wir freuten uns, den Dichter Walter Mehring 1956 in der Katakombe begrüssen zu dürfen.

Er verdiente es, ein echter Poet genannt zu werden.

Er sagte uns, dass er «nie mit schiefem Seitenblick auf Glanz und Ruhm der Literaturgeschichte» geschrieben habe, aber «mit um so wacherem Herzen über die Tiefen des menschlichen Leides» und «mit dem Blick in die Gesichter der Verfolgten und Gequälten».

Nicht die bürgerliche Gesellschaft kritisiere er, sondern das üble Geschwisterpaar Tyrannei und ignorante Dummheit bedenke er überall mit den Trauergesängen seines ironisierenden Hasses.
Sein Bänkelsang und seine Lieder, seine angriffsheissen Stücke und Songs wurden vor dem Herabsinken der braunen Nacht von den berühmtesten Chansonetten Deutschlands als eindringliche Warn-Rufe in ein Land hinausgetragen, das gleich darauf seinen Dichtern den Scheiterhaufen zu den Bücherverbrennungen schichtete.

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1923 1924 1985 Biografisches Kunst

Mehring reagiert auf Eduard Arnhold allergisch

Michael Grüning: Der Wachsmann-ReportIm Buch „Der Wachsmann-Report“ zitiert Michael Grüning den Architekten Konrad Wachsmann. In der unten stehenden Szene geht es um den Besuch einer Kunstausstellung von Konrad Wachsmann und Walter Mehring, bei der sie dem Berliner Unternehmer und Kunstsammler Eduard Arnhold (1849 – 1925) begegneten. Die Begegnung wird vor 1924 oder früher stattgefunden haben, da Mehring im Jahr 1924 nach Paris zog. Wachsmanns Erinnerung öffnet einen schönen Blick auf Mehrings politische Haltung, die auch die Kunst mit einschloss.

Walter Mehring und ich besuchten eine Vernissage, auf der auch einige Kokoschkas gezeigt wurden, die für eine hitzige Diskussion sorgten. Plötzlich gesellte sich in unsere recht kontroverse Gesprächsrunde ein älterer, sehr sorgfältig gekleideter Herr, der sich ganz überraschend in das Pro-Kokoschka-Lager stellte. Dazu muß gesagt werden, daß Kokoschka damals ähnliche Reaktionen provozierte wie heute zum Beispiel Joseph Beuys.

Der alte Herr gefiel mir sofort. Er sprach unkonventionell, sachkundig und bediente sich einer geradezu atypischen Form der Bilddeutung. Zu meiner großen Überraschung kapitulierten vor seinen Argumenten selbst die hartnäckigsten und lautstärksten Kokoschka-Kritiker und zogen sich kleinlaut zurück. So blieben vor den heißdiskutierten Bildern nur Mehring, dieser mir unbekannte Mann und ich zurück. Er lächelte und kommentierte die  Auflösung der streitbaren Runde mit witzigen, geistvollen Bemerkungen. Schließlich unterhielten wir uns über die Berliner Kunstszenerie. Nur Mehring schwieg, ein böses Schweigen. Dazu hatte er wie ein Bajonett sein eigenartiges Lächeln aufgepflanzt, das ich als Ouvertüre zu Bissigkeiten kannte, die von unglaublicher Schärfe und meist auch  verletzendem Zynismus waren. Gerade überlegte ich noch, an welchen Pfeilen Mehring wohl spitzt, als der alte Herr uns ahnungslos zur Besichtigung seiner eigenen Sammlung aufforderte. Aber Mehring schüttelte den Kopf. Wir bedauern außerordentlich, Herr Kommerzienrat, aber Sie wissen ja: Zeit ist Geld! Sprach’s, faßte meinen Arm und zog mich fort.

Was hast du gegen diesen Menschen? fragte ich ziemlich wütend. Viel, zischte Mehring und steuerte dem Ausgang zu. Er ist Eduard Arnhold, ein Freund des Kaisers. Hinter Kunstgesäusel und Mäzenatentum versteckt der Herr Kommerzienrat seine zutiefst konservative, kaisertreue und republikfeindliche Gesinnung. Mich jedenfalls fängt er mit seinen Bildern nicht!

Natürlich wußte ich, wer Eduard Arnhold war, nur gesehen hatte ich ihn noch nicht. Schon vor dem Krieg wurde er im Jahrbuch der Millionäre an herausragender Stelle erwähnt. Aber seinen Reichtum hatte er nicht ererbt, sondern im Boom der Gründerjahre mit unglaublicher Energie und Kraft erarbeitet. Dabei war Arnhold keineswegs nur ein schnöder Profitjäger. Die in seinen Unternehmen alltäglichen Sozialmaßnahmen galten vor und nach der Einführung entsprechender Gesetze in ganz Europa als beispielhaft.

Ausgesprochen unrühmlich waren jedoch seine politischen Ambitionen. Arnhold engagierte sich für die Großmacht- und Kanonenbootpolitik Wilhelms II. und gehörte sogar zu den engen Ratgebern des Kaisers, ohne jedoch ein Opportunist zu sein. Im Gegenteil. Mehring berichtete mit zornigem Vergnügen, daß es zwischen Arnhold und seinem Kaiserfreund sogar erhebliche Kontroversen gab, die oft Stoff für den „Ulk“ geliefert hatten.

Der Grund für die Reibereien zwischen dem blasierten Chef des Hohenzollernhauses und dem klugen, feinsinnigen Millionär war das desolate Kunstverständnis des Monarchen. Arnhold, den der Kaiser wegen seines außergewöhnlichen Kunstverstandes in die Ankaufskommission der Nationalgalerie berufen hatte, pflegte stets außer Fassung zu geraten, wenn sich Seine allergnädigste Majestät über Kunst und Künstler äußerten.

Eine der lustigen und zugleich demaskierenden Geschichten über das Kunstverständnis Wilhehns II. erzählte mir Hans Poelzig: Der alte Arnhold hatte sich für den Ankauf von vier französischen Impressionisten engagiert, die zu günstigen Bedingungen angeboten worden waren. Allerdings fehlten für den Kauf noch zweihunderttausend Mark, die er aus der Privatschatulle des Kaisers zu bekommen hoffte. Aber Wilhelm II. zeigte sich gleichermaßen empört wie knauserig, als er Arnholds Bittgesuch zu sehen bekam. Wo kommen wir da hin, schrieb er an den Rand des Arnholdschen Briefes, mit gleichem Recht wird Herr von Tschudi künftig Geld zum Kauf eines französischen Rennpferdes verlangen! Europa lachte, nur Arnhold nicht. Der trieb stillschweigend das Geld für die Bilder auf, die dann zur Ehrenrettung der Deutschen doch noch in den Bestand der Nationalgalerie kamen.

Für Mehring – und damals auch für mich – hatten die Kunstambitionen Eduard Arnholds lediglich eine Alibifunktion. Vielleicht irrten wir uns. Nur hatte sich Arnhold sehr fragwürdig benommen: Noch am Vorabend der Abdankung des Kaisers versicherte er dem sich schon mit Fluchtgedanken tragenden Wilhelm, daß er ihm jederzeit zur Seite stehe,
persönlich und mit seinem Vermögen. Wie eine Ironie des Schicksals muß es Arnhold getroffen haben, als ihn Brockdorff-Rantzau nach der Demissionierung des Kaisers in die
Gruppe der Versailler Friedensemissäre verpflichtete. Bei diesen Verhandlungen verlor der Berliner Millionär nämlich einige in den Ostprovinzen angelegte Millionen. Aber vielleicht hatte der Mann auch Charakter und konnte die Zeichen der neuen Zeit nicht verstehen. Sicher hätte man ihn näher kennen müssen, um seine Haltung zu begreifen. Leider habe ich jede Einladung Poelzigs abgelehnt, ihn in Arnholds Haus zu begleiten. Später, als ich Max Liebermann wiederholt in Verzückung geraten sah, wenn über Arnholds private Sammlung gesprochen wurde, kam meine Neugier auf diesen Mann zu spät. Was aus seiner berühmten Sammlung geworden ist, zu der neben Werken von Renoir, Cézanne, Degas, Manet und einigen Liebermann-Bildern auch Gemälde von Leibl, Böcklin, Lenbach, Menzel und Feuerbach gehörten, weiß ich leider nicht.

(Grüning, Michael: Der Wachsmann-Report – Auskünfte eines Architekten; Berlin (Ost): Verlag der Nation 1985, S. 236 ff.)