«Jeder ist Dadaist, ob er will oder nicht. Wenn Sie sich eine Wurst kaufen, werden Sie selbst zum Dadaisten. ››
Walter Mehring. Vor 15 Jahren stirbt der Mann, der so gerne Maler geworden wäre, als Journalist, Poet, Chansonnier, Dramatiker und Spotter im städtischen Altersheim Erlenhof in Zürich, zwischen Neubauten und Bahngleisen.
Heute ist Mehring kaum mehr eine Zeile wert. Warum? Weil er nie «politisch korrekt» war? Weil er so gern ein «entarteter Maler» geworden wäre, es «aber nur zum Schriftsteller gelangt hat››? Weil er bekennender Sozialist bis zu seiner letzten Zigarette geblieben ist?
Walter Mehring – der 1896 in Berlin Geborene und seit seinem Tod 1981 sträflich leichtsinnig Vergessene – stand stets «Am Rande der Zeit››.
Rolf Herschel hat das Programmheft zum 2. Programm der Leipziger Pfeffermühle gestaltet. „Heute geschlossene Gesellschaft“ war ein Nummerprogramm mit Texten aus den 1920er-Jahren. Darunter „Der Angeklagte hat das letzte Wort“ und „Zum blauen Affen“ von Walter Mehring.
Fotografie aus dem Festspielbuch der Heidelberger Festspiele 1929
Das „Festspielbuch“ der Heidelberger Festspiele 1929 enthält dieses Foto von Walter Mehring. Im Mittelteil des kleinen Büchleins, nach den einführenden Texten und vor den umfangreichen Anzeigen, sind „Bilder der Spielstätten / Bildnisse der Leiter / Darsteller / Mitarbeiter“. Hier findet sich dieses Porträt. Aber sonst ist weder im Festspielbuch noch im „Spielzettel“ zu den drei Inszenierungen von „Sommernachtstraum“, „Troilus und Cressida“ und „Florian Geyer“ ein Hinweis auf Walter Mehring.
In der Weltbühne vom 13. August 1929 findet sich aber ein Hinweis: „Walter Mehring hat für die Heidelberger Festspiele Shakespeares ‚Troilus und Cressida‘ bearbeitet. Doch dieser Prolog ist gestrichen worden…“
Auf gewacht! Auf gewacht!
Seit sieben Jahren
ZerrcßBen unsre Nacht die Blutfanfaren!
Wenn es den Herren paßt — droht uns Verderben,
Bis sie den Sieg von unsern Knochen erben.
Seit sieben Jahren pariern wir ihnen stumm!
Und warum? Und warum?
Nur weil ein Weib gehurt
Von adliger Geburt,
Hat uns das Vaterland hierher verfrachtet —
Für Sold am fremden Strand
Verdreckt man ungenannt,
Weil eine Fürstlichkeit nach Kriegsruhm trachtet.
Tretet an! Tretet an!
Seit sieben Jahren
Vermehrn sich Mann für Mann die Totenscharen!
Seit sieben Jahren füllen wir die Reihen
Mit frischem Leben, das wir von uns speien.
Seit sieben Jahren schinden wir uns krumm!
Und warum? Und warum?
Weil es Soldaten gibt,
Die bei den Fraun beliebt,
Wenn sie sich morden, einer Frau zu Ehren!
Wenn einer von uns rallt,
Dann kommt der nachste Held —
Weil Frauen stets nach neuem Trost begehren!
Abmarschiert! Abmarschiert!
Zu wieviel Jahren
Hat sich der Tod verschworn, uns aufzusparen?
Seit sieben Jahren ziehn wir, die Stadt berennen,
Von deren Fraun und Freuden wir nichts kennen!
Wenn wir einziehen, wird sie untergehn!
Und für wen? Und für wen?
Denn eine Helena
Ist für die Herren da —
Und was von ihren Taten zu vermelden,
Erzählt der Schlachtbericht —
Wir aber zahlen nicht!
Auf unsern Grabern betten sich die Helden!
Fast wirkt es so, als hätten sich die Verantwortlichen der Festspiele über ihren Mut, neben dem etablierten Gerhart Hauptmann auch Walter Mehring in den Kreis der Bearbeiter, Regisseure und Schauspieler mit aufgenommen zu haben, so sehr erschreckt, dass sie auch noch vergessen haben, sein Bild aus der FEstschrift zu entfernen. Wenn schon der Name nicht auftaucht.
…Der beste Jahrgang deutscher Reben ließ vor der Ernte so sein Leben… Walter Mehring 1896 – 1981
Diese Verse aus dem Refrain des zehnten Briefes aus der Mitternacht hat die Künstlerin Renate Sendler-Peters 1982 unter ihr Porträt Walter Mehrings gesetzt. Auch wenn diese Worte gut 40 Jahre nach ihrem Entstehen auf den überlebenden Mehring nicht ganz passen, sind sie doch so wie das ganze Gedicht bewegend. Die Radierung ist in einer kleinen Auflage gedruckt worden. Sendler-Peters hat sehr viele Schriftsteller-Porträts gestaltet, etwa für den Insel-Verlag.
Der französische Fernsehsender France 2 widmet sich in einer Serie kurzer Filme der Kunst. Jedesmal wird in eineinhalb bis zwei Minuten ein Bild vorgestellt – und eine Geschichte zum Bild erzählt, die darüber hinaus geht. In dieser Ausgabe wird das Porträt Walter Mehrings von George Grosz aus dem Jahr 1925 vorgestellt.
Karikaturen von Schriftstellern in der Literarischen Welt
Heilig Abend 1926 überreichte die Literarische Welt einen Blumenstrauß aus Dichter-Zeichnungen an die Leser. In der zweiten Reihe von oben ist Walter Mehring ziemlich in der Mitte zu sehen.