Fotografie aus dem Festspielbuch der Heidelberger Festspiele 1929
Das „Festspielbuch“ der Heidelberger Festspiele 1929 enthält dieses Foto von Walter Mehring. Im Mittelteil des kleinen Büchleins, nach den einführenden Texten und vor den umfangreichen Anzeigen, sind „Bilder der Spielstätten / Bildnisse der Leiter / Darsteller / Mitarbeiter“. Hier findet sich dieses Porträt. Aber sonst ist weder im Festspielbuch noch im „Spielzettel“ zu den drei Inszenierungen von „Sommernachtstraum“, „Troilus und Cressida“ und „Florian Geyer“ ein Hinweis auf Walter Mehring.
In der Weltbühne vom 13. August 1929 findet sich aber ein Hinweis: „Walter Mehring hat für die Heidelberger Festspiele Shakespeares ‚Troilus und Cressida‘ bearbeitet. Doch dieser Prolog ist gestrichen worden…“
Auf gewacht! Auf gewacht!
Seit sieben Jahren
ZerrcßBen unsre Nacht die Blutfanfaren!
Wenn es den Herren paßt — droht uns Verderben,
Bis sie den Sieg von unsern Knochen erben.
Seit sieben Jahren pariern wir ihnen stumm!
Und warum? Und warum?
Nur weil ein Weib gehurt
Von adliger Geburt,
Hat uns das Vaterland hierher verfrachtet —
Für Sold am fremden Strand
Verdreckt man ungenannt,
Weil eine Fürstlichkeit nach Kriegsruhm trachtet.
Tretet an! Tretet an!
Seit sieben Jahren
Vermehrn sich Mann für Mann die Totenscharen!
Seit sieben Jahren füllen wir die Reihen
Mit frischem Leben, das wir von uns speien.
Seit sieben Jahren schinden wir uns krumm!
Und warum? Und warum?
Weil es Soldaten gibt,
Die bei den Fraun beliebt,
Wenn sie sich morden, einer Frau zu Ehren!
Wenn einer von uns rallt,
Dann kommt der nachste Held —
Weil Frauen stets nach neuem Trost begehren!
Abmarschiert! Abmarschiert!
Zu wieviel Jahren
Hat sich der Tod verschworn, uns aufzusparen?
Seit sieben Jahren ziehn wir, die Stadt berennen,
Von deren Fraun und Freuden wir nichts kennen!
Wenn wir einziehen, wird sie untergehn!
Und für wen? Und für wen?
Denn eine Helena
Ist für die Herren da —
Und was von ihren Taten zu vermelden,
Erzählt der Schlachtbericht —
Wir aber zahlen nicht!
Auf unsern Grabern betten sich die Helden!
Fast wirkt es so, als hätten sich die Verantwortlichen der Festspiele über ihren Mut, neben dem etablierten Gerhart Hauptmann auch Walter Mehring in den Kreis der Bearbeiter, Regisseure und Schauspieler mit aufgenommen zu haben, so sehr erschreckt, dass sie auch noch vergessen haben, sein Bild aus der FEstschrift zu entfernen. Wenn schon der Name nicht auftaucht.
…Der beste Jahrgang deutscher Reben ließ vor der Ernte so sein Leben… Walter Mehring 1896 – 1981
Diese Verse aus dem Refrain des zehnten Briefes aus der Mitternacht hat die Künstlerin Renate Sendler-Peters 1982 unter ihr Porträt Walter Mehrings gesetzt. Auch wenn diese Worte gut 40 Jahre nach ihrem Entstehen auf den überlebenden Mehring nicht ganz passen, sind sie doch so wie das ganze Gedicht bewegend. Die Radierung ist in einer kleinen Auflage gedruckt worden. Sendler-Peters hat sehr viele Schriftsteller-Porträts gestaltet, etwa für den Insel-Verlag.
Derfflingerstraße 3 in Berlin-Tiergarten lautete die Anschrift der Familie Mehring. Hier verbrachte Walter Mehring seine Kindheit. Und hier lebte seine Mutter bis zur Deportation. Allerdings ist das Haus zerstört worden. Der Eingang zur Derfflingerstraße 3 ist heute einer zu einem Mehrfamilienhaus aus der Nachkriegszeit. Nichts erinnert an Walter Mehring, Vater Sigmar Mehring oder Mutter Hedwig Stein; keine Gedenktafel, kein Stolperstein. Das gilt auch für Walter Mehrings Jugendfreund Paul Citroen, der Maler und Fotografen, der in der Derfflingerstraße 21 aufwuchs.
Das Café Herrenhof in Wien war einer der wichtigsten Treffpunkte der literarischen Szene in den Jahren, in denen Walter Mehring in Wien lebte. Zwischen 1934 und 1938 verbrachte er die meiste Zeit in der österreichischen Hauptstadt. Auch sein letzter Aufenthalt in einem Wiener Caféhaus war im Herrenhof.
Blick durch die Lobby in die Café-Bar im Hotel Herrenhof.
Gisa Hausmann (* 1942) hat sich als Künstlerin mit Literatur mehrfach auseinandergesetzt. In mehreren Zyklen hat sie Radierungen von Schriftstellern geschaffen. Der hier abgebildete ist aus dem Zyklus „Ihre Bilder wurden verbrannt“.
Dr. Lucie Schauer schreibt darüber: „Hellsichtigkeit und Transparenz des Geschehens werden auf den graphischen Arbeiten durch die Kunst des Radierens erreicht. Ein Gesicht scheint sich aufzulösen im weichen Schatten der Wangen und zu härten im wissenden Blick der Augen. Gisa Hausmann betont das Malerische vor der Linie, die Vielseitigkeit und Hintergründigkeit vor der eindeutigen Aussage. Haardünner Strich und schartige Kerbe kreuz und quer, hier sanft, dort wild zerhackend, geätzte Flächen in feinsten Nuancierungen dringen wissend in das Wesen des Vorgangs ein. Es vollzieht sich eine Art von Transsubstantiation, eine Verdinglichung der geistigen Aura, bevor die physische Existenz dem Untergang anheim fällt. Was bleibt und überlebt ist der Geist.“(Der gesamte Text steht hier…
(Auf ihrer Homepage bietet Gisa Hausmann ihre Radierungen auch als Drucke an.)
Walter Mehring, sitzend mit Hut, betrachtet die Werke seine Freundes Paul Citroen in dessen elterlicher Wohnung in der Berliner Derfflinger Straße. Foto: Erwin Blumenfeld
Im Oktober 1915 stellte Paul Citroen (r.) das erste Mal seine Bilder aus. Seine Eltern ermöglichten ihm dies in der eigenen Wohnung in der Derfflinger Straße in Berlin-Tiergarten. Erwin Blumenfeld, der in den 40er- und 50er-Jahren einer der wichtigsten Modefotografen wurde und für Haparts’s Bazar und Vanity Fair arbeitete, hat die Aufnahme gemacht. Drei noch nicht einmal 20 Jahre alte Berliner, die sich alle auf ihrem Feld einen großen Namen erarbeiteten, sind an diesem Bild beteiligt.