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1934 Brief

Max Herrmann-Neiße besucht mit Mehring 1934 Alfred Kerr

An Leni Herrmann

Zürich, Mittwoch, 19. September 1934

Max Herrmann-Neiße: Briefe 2
Max Herrmann-Neiße: Briefe 2

(…) Vor 4 kam Mehring, wir gingen erst noch ins Café Terrasse, wo er eine kurze Verabredung mit dem Regisseur Lindtberg hatte, dann fuhren wir trotz Regens mit der Bahn zach Küsnacht. Da saßen wir mit dem wirklich sehr, sehr »umgänglichen« Kerr (die Frau zeigte sich, gottlob, überhaupt nicht) erst bei einem Clävener im gemütlichen Schänkstübchen und besprachen die Dinge dieser Welt, sehr, sehr pessimistisch, und dann, da es etwas nachließ im Regen, gingen wir durch hübsche Gäßchen, die ich noch nicht kannte, mit schönen alten Häusern, zu einer Art Mole, wo der See nun in der Abendstimmung dieses grauen, bis tief herab mit Wolken verhangenen Zustandes etwas wie auf manchen holländischen Bildern hatte. Gegen 7 brachte Kerr uns noch zur Bahn, ja, bis an die Coupétür, und ich will bestimmt noch mal zu ihm, so lange er noch in Küsnacht ist; in 8 Tagen fährt er ab; denn wer weiß, ob und wann man sich wiedersieht.

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1926 Brief

Walter Mehring gratuliert Maximilian Harden zum 65.

Walter Mehring gratuliert Maximilian Harden

 

Hochverehrter Herr Harden!

Gestatten Sie mir, daß ich mich als „Verehrer mit geschmackvollen Absichten“ an Sie dränge, um Ihnen zu Ihrem 65. Geburtstag zu gratulieren.

Ich gratuliere Ihnen ferner zu dem außergewöhnlichem Erfolge in der Voßischen Zeitung (die, wenn ich mich recht erinnere, früher einige Beiträge von Ihnen abgedruckt hat.)

Aufmerksame Leser konnten daraus auch erfahren, daß Sie Herausgaber einer Zeitschrift waren. Ob diese Zeitschrift die Vielfalt moderner Magazine erreichte, ist mir nicht bekannt, zumal Sie – laut Voß – oft gezwungen waren, alle Beiträge allein zu schrieben.

Aber ich gehe wohl in der Annahme nicht fehl, daß Ihre Tätigkeit ein Steinchen zu dem großen Bau fügte, den unser Meister Emil Ludwig später ausführte.
Und deshalb gestatte ich mir, den zahlreichen Glückwünschen, die Ihnen heute von den Spitzen der Republik zugehen werden, auch den meinen hinzuzufügen.

In zweckvoller Verehrung
Ihr
Sehr ergebener
Walter Mehring
Berlin, den 20. Nov. 26

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1944 Brief

Walter Mehring unterstützt Erika Mann mit Sarkasmus

New York, 20.4.1944
Hotel Park Plaza

Verehrte Erika Mann:

Erika Mann: Briefe und Antwortengestatten Sie mir, Ihnen auf Ihre „Ablehnung“ – folgende Entgegnungen zu senden:
1) Sie sind nicht objektiv genug …
2) Haben Sie vergessen, daß auch Hans Sachs, die Marlitt und
der Struwelpeter Deutsche waren?
3) Die Deutschen sind im Grunde nie Nazis geworden, ihre Zahl ist sehr gering und arbeitet in der überwiegenden Majorität heimlich für die Untergrundbahnbewegung…
4) Das Volk ist irrtümlich verführt worden und hat die Polen, Tschechoslowaken und Juden bloß deswegen ausgerottet, weil es sich so sehr über den Versailjer Schandfrieden und den Oberbürgermeister Böss gekränkt hat.
5) Man muß das deutsche Volk, das im Gegensatz zu andern Völkern unter Hitler so gelitten hat, durch Güte erziehen, damit es wieder ein gleichberechtigtes Mitglied der Aufrüstung wird. Dann können die andern noch was von ihm lernen.
6) Es gibt nicht nur Hitler-Deutschland – es gibt auch ein „anderes Deutschland“. Für uns kann es garnicht genug Deutschlands geben…
7) Sie sind nicht objektiv …

Dies wünscht Ihnen
Ihr herzlichst ergebener Walter Mehring

(Mann, Erika: Briefe und Antworten; Hg. v.: Prestel, Anna Zanco; München: Edition Spangenberg 1984; Bd. 1, S. 189 ff.

"Eine Ablehnung", Artikel von EM in: Aufbau, Jg. 10, H. 16, New 
York 21.4.1944, S. 7:
"Sie bitten mich, im »Aufbau« zum Problem des »anderen«, des 
»gute« Deutschland Stellung zu nehmen und meine - ablehnende - 
Haltung seinen Aposteln gegenüber für Ihre Leser zu begründen.

Gut denn: das Gebaren der »Freien Deutschen« in diesem Lande miß-
billige ich zutiefst, weil dem A und O ihrer Umtriebe, - ihrer
These von der Verschiedenartigkeit der Nazis und der Deutschen - 
täglich von den Tatsachen aufs blutigste widersprochen wird. Bis 
zum Tage des Kriegsausbruches mochte man an ein »anderes« 
Deutschland glauben, mochte sich einreden, daß eine Majorität »gu-
ter«, wenngleich verblüffend inaktiver Deutscher von den Nazis 
niedergehalten sei. Mir selbst waren derlei Vorstellungen nicht 
fremd, wiewohl an ihnen festzuhalten von Jahr zu Jahr schwieriger
wurde. Als aber ein bis zu den Zähnen bewaffnetes Reich, weit da-
von entfernt, seine Waffen gegen seine »Versklaver« zu erheben,
über Europa hergefallen war, zerstob der Wunschtraum. In der Ge-
genwart, soviel war deutlich geworden, zählte dies »andere« 
Deutschland nicht. Deutlich geworden, wem? Nicht den exilierten 
deutschen Politikern, die selbst heute noch der von Deutschland 
zerrütteten Welt von der Unschuld des deutschen Volkes schwätzen. 
Schuld ist Hitler! Die Gestapo ist schuld! Was, angesichts dieser
Deutschen, sollten die Deutschen tun? Nur, was, trotz der Gestapo,
die Völker Europas - machtlose, entwaffnete, hungernde, unterwor-
fene Völker - seit langem tun: ihr Äußerstes und Bestes, um dem 
Unsäglichen ein Ende zu machen. Stattdessen tun sie ¬ noch immer 
und bis zum Ende - ihr Äußerstes und Bestes für Hitler und seinen 
Krieg. Wie die Löwen kämpfen sie an allen Fronten. In grauenvoller
Einhelligkeit betreuen sie daheim die Kriegsmaschine des »Führers«
und, während in den besetzten Gebieten die Sabotage-Akte der Pa-
trioten sich häufen, wissen selbst unsere exilierten Politiker von
den Taten der deutschen Antifaschisten kein Lied zu singen. Ihr 
Lied beschimpft die Welt, die es schließlich müde geworden ist, 
dem feinen Unterschied zwischen Nazis und Deutschen nachzuträumen,
- müde, im Kampf gegen Deutschland.

Die deutsche Niederlage, der sie gespalteten Gefühls entgegense-
hen, trachten sie schon heute in eine reinigende, alles sühnende 
Revolution umzufälschen, - als ob der totale Zusammenbruch eines 
fürchterlich geschlagenen Volkes mit Revolution auch nur etwas 
zu tun hätte. Und schon heute vertreten sie, die Bankrotteure der 
deutschen Republik, die Machtinteressen des »geläuterten« Reiches.
Mitten im Kriege und in Ländern, die ihnen Gastfreundschaft gewäh-
ren, gründen sie ihre Vereine, verfassen sie ihre Proklamationen 
und scheuen sich nicht, die Menschheit mit dem dritten deutschen 
Weltkrieg zu bedrohen, für den Fall nämlich, daß ihre Ratschläge 
refusiert werden sollten. Das deutsche Verbrechen, das sie ein 
Nazi-Verbrechen nennen, hätte die Welt verhüten können und müssen.
Sie aber tun, als tilge das Versagen der Polizei die Schuld des 
Verbrechers, gegen den sich in Zukunft zu sichern, ja, dem auch 
nur eine Bewährungsfrist zu setzen, sie verbrecherisch schelten. 
Der Krieg, den sie so hitzig führen, ist nicht unser Krieg.

Es ist, ich muß es aussprechen, ein Jammer und eine Schande und 
denkbar ungeeignet, Zeugnis abzulegen für ein besseres Deutsch-
land. Die Welt wäre glücklich, es geboren und sich bewährenzu 
sehn. Die Welt kämpft und wartet." )
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1934 Brief Kabarett

Walter Mehring stellt Erika Mann eine Rechnung

25.8.1934

Teuerste E.M. Ausrufungszeichen

Aus Ihren werten Mustern hab ich mir das tapfere Schneiderlein ausgesucht und sende ich Ihnen selbes gleich zur Anprobe.
Mit dem Schneiderlein ist natürlich ….. gemeint, was ich energisch ableugne, weil es ganz unpolitisch ist.
Ich habs meiner (sehr häßlichen) Nervenverfassung direkt abgeboxt. Würden Sie mir das Eintreffen des tapferen, leicht monomanen Schneiderleins melden?
Und herrlich wärs, Sie dächten mal an mich aus den Geleisen Geratenen. Hier ist nämlich natürlich garnichts mehr zu wollen.
Wissen Sie nicht was in Zürich?
Und schönste Grüße an Ihren ganzen Thespiskarren
von Ihrem WM.

Und nun gehen Sie bitte mal raus und schicken Sie mir die Frau Derektern rein!

 Geehrte Dame,
 erlaube mir anbei eine Figur nach Maß nebst quittierter
 Rechnung zu senden:
 Eine Figur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  0,75 Rappen
 19 Reime à 50 Francs . . . . . . . . . . . . . . . . . 950 Francs
 Stundenlohn (Stunde 1 Franc)                   7 Francs 80 Rappen
 Zugaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Franc 15 Rappen
 _________________________________________________________________
                                              959 Francs 70 Rappen
Selbige Summe (Ausnahmepreis) bitte ich, mir höflichst anläßlich 
meiner baldigen Geschäftsreise nach der Schweiz auf mein Schweizer
Bankkonto überweisen zu wollen!
Hochachtungsvoll                                     Mehring & Co.

So Sie dürfen wieder eintreten! Ich hab bloß Ihrer Prinzipalin die Rechnung präsentiert; ne, ganz bescheiden, weils doch für Sie ist! Sind doch ’ne alte Kundin von mir! Schärfen Sie ihr doch bitte noch mal ein, daß sie mir die paar Pfennige in der Schweiz auszahle, wohinnen ich komme!                Derselbigte

Kleine Gebrauchsanweisung: man kann selbiges Chanson leicht und einfach szenisch gestalten, indem daß man die übliche Schneiderpuppe aufstellt, sich außerdem einer großen Schere und einer Nadel bedient, auch eines Lappens, um nach den Fliegen zu schlagen.
Man trage das Chanson unpathetisch vor und etwas keifend, dergestalt, daß der Diktatorfimmel des Schneiderleins lächerlich wirke.
In der ersten Strophe wird genäht – Refrain Anfang parlando; der Schluß wieder gesungen.
Zweite Strophe wird anprobiert – Spiel mit der Schneiderbüste und dem daran hängenden Rock – bei: Oh es kneift Sie im Schritt wird das Schneiderlein wieder ängstlich und devot…
(Sieben Fliegen) wütend gesummt…
Es waren ihrer sieben – das war nicht übertrieben: zum Publikum als Einwand auf jeglichen Protest…
In der dritten Strophe hantiert das Schneiderlein zuschneidend wild mit der Schere Refrain: erste beide Zeilen ganz parlando, sehr einfach konstatierend gesprochen (bloß nich pathetisch!).
Zu den letzten zwei Zeilen: die Schere mit der Rechten aus der linken Hand ziehen wie ein Schwert aus der Scheide und die Schere dann zum Schluß hochhalten wie ein Schwert!

Erika Mann: Briefe und Antworten(Dieser Brief Walter Mehrings ist erschienen in: Mann, Erika: Briefe und Antworten; Hg. v.: Prestel, Anna Zanco; München: Edition Spangenberg 1984; Bd. 1, S. 52 ff. 
Das Chanson, um das es in dem Brief geht ist „Die Vogelscheuche“.)

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1936 Brief

Henri Lichtenberger antwortet Mehring in Neuen Tage-Buch

Ein Brief von  Henri Lichtenberger

In Nr. 31 des NTB besprach Walter Mehring das neueste Buch Henri Lichtenbergers, des bedeutenden Germanisten der Sorbonne, in dessen Schule eine ganze Generation von Franzosen über das klassische und moderne Deutschland unterrichtet wurde. Mehring hatte, wie den Lesern erinnerlich sein wird, die Arbeit betrübend einseitig gefunden. Jetzt ist ihm ein Brief des Gelehrten zugegangen, der veröffentlicht zu werden verdient.

Lieber Herr Mehring,
von einer Reise zurückgekehrt, finde ich auf meinem Arbeitstisch den Artikel, den Sie meinem Buche „La Nouvelle Allemagne” gewidmet haben. Er überrascht mich nicht. Während ich das Buch schrieb, hatte ich selbst das Empfinden, dass ich nicht genügend Platz jenen einräumte, die die Opposition gegen Hitlerdeutschland verkörpern. Um „gerecht“ zu sein (wie ich das Wort verstehe), hätte man tatsächlich zwei Bände schreiben müssen: einen über die Legende des Nationalsozialismus, so wie ich es unternommen habe, sie wiederzugeben und darzustellen, – den andern über das Deutschland der Emigration und über jenes Deutschland, das schweigt und wartet. Von diesen beiden Büchern habe ich nur das erste geschrieben, und zwar zunächst, weil mein Werk nicht einen gewissen Umfang überschreiten durfte, sodann aber, weil gerade Hitlerdeutschland bedeutend schwerer für uns Franzosen zu begreifen ist (ich trug Sorge, eine ganze Reihe
von Punkten aufzuzählen, in denen es mir unanwendbar – „inassimilable“ – für uns scheint). So habe ich mir den Anschein gegeben, den Leiden, den Gewissenskonflikten des anderen Deutschlands nicht genügend Rechnung getragen zu haben. Ich begreife, dass man mir das vorwirft. Und Sie haben tausend Mal recht, ein Buch wie: Das Deutsche Volk klagt an” als notwendige Ergänzung zu dem meinen zu bezeichnen.

Bleibt die Frage zu erörtern, ob das meine deswegen als nutzlos oder tendenziös zu gelten hat. Eine tragische Frage, gewiss, und schwer zu lösen! Ist das Hitlertum eine vorübergehende Krise der deutschen Seele, ohne Zukunft? (Und lohnt also aus diesem Grunde nicht der Versuch, es begreifen zu wollen, sondern ist in erster Linie von Bedeutung, es zu bekämpfen?) Oder ist das Hitlertum eine Enthüllung gewisser sehr charakteristischer Züge der deutschen Seele (in welchem Falle es verdiente, studiert und nicht nur widerlegt zu werden) ?

Ich bin pessimistisch genug, mindestens die Möglichkeit der zweiten These in Betracht zu ziehen und zu erweisen, dass, um Deutschland zu kennen, es nicht genügt, Lessing, Goethe und Nietzsche zu kennen, sondern dass es wesentlich ist, auch Wagner und Chamberlain, ja selbst Rosenberg, Schacht und Hitler nicht zu übergehen. …Es handelt sich da nicht um Sympathien, um Wahlverwandtschaften (Sie Wissen sehr gut, auf Welcher›Seite die meinen sind). Die Frage, um die es geht, ist, die Bedeutung eines Faktums abzuschätzen (möge dieses Ihnen nun behagen oder nicht behagen, das spielt keine Rolle).

Habe ich es nötig, Ihnen zu sagen, dass ich es nicht im geringsten bedauern würde, wenn die Ereignisse meinem Pessimismus Unrecht gäben, und wenn meine „objektive“ Studie in einigen Monaten oder einigen Jahren definitiv ungültig geworden wäre?

Mit allerherzlichstem Gedenken
Henri Lichtenberger.
22. Oktober 1936.

(Lichtenberger, Henri: Ein Brief, in: NTB H44/4.Jg. vom 31. 10. 1936; S. 1077.
Henri Lichtenberger bezieht sich auf Mehrings Rezension Die Objektivität (in NTB H. 31/4. Jg. vom 01. 08. 1936, S. 738-740))

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1941 1942 Biografisches Brief

Thomas Mann setzt sich für Mehring und Kollegen ein

An Louis B. Mayer                                                                               Pacific Palisades, California
740 Amalfi Drive
[Oktober 1941]

Dear Mr. Mayer:
Es ist nicht meine Gewohnheit, mich in Angelegenheiten einzumischen, die mich nicht unmittelbar angehen; dennoch möchte ich mir die Freiheit nehmen, Ihnen eine Sache, die mir am Herzen liegt, und mir, wie vielen anderen wohlwollenden Leuten Sorge macht, vertrauensvoll vorzutragen.
Es war eines cler schönsten und verdienstlichsten Vorkommnisse während der letzten turbulenten und so viel Leben und Glück zerstörenden Jahre, ein Vorkommnis, das gewiß niemals vergessen werden wircl, wenn man die phantastische Geschichte der Auswanderung cler europäischen Kultur erzählt, daß zwei große Filmgesellschaften in  Hollywood sich entschlossen, einer Reihe von deutschen und österreichischen Schriftstellern Notverträge zu geben, die diese Männer nicht nur in den Stand setzten, in die Vereinigten Staaten einzuwandern, sondern ihnen auch, wenigstens für eine gewisse Frist, die Grundlage ihrer Existenz sicherten. Der Übersichtlichkeit wegen setze ich Ihnen hier die Namen der fünf Autoren auf, deren sich M.G. M. in so generöser Weise angenommen hat, und füge die Anfangs- und Enddaten ihrer Verträge hinzu.

Alfred Döblin 8. Oktober 1940 – 7. Oktober 1941
Alfred Polgar 24. Oktober 1940 – 23. Oktober 1941
Hans Lustig 10. Dezember 1940 ~ 9. Dezember 1941
Wilhelm Speyer 1o. März 1940 – 9. März 1942
Walter Mehring 5. April 1941 ~ 4. April 1942

Vielleicht darf man sagen, daß der Vorteil des Abkommens zwischen M.G.M. und diesen Schriftstellern nicht ganz allein auf Seiten der Letzteren war. Tatsächlich kann man nicht nur von einem gewissen ideologischen Gewinn sprechen, den die Firma dadurch hatte, daß sie diese angesehenen europäischen Namen mit dem ihren verband, sondern auch rein praktisch ist zum Mindesten in mehreren Fällen ein entschiedener Nutzen für die Studios der M. G. M. zu buchen.
Man versichert mir. daß zum Beispiel. Hans Lustig sich als ein wirklich wertvoller Writer erwiesen hat, und ich weiß, daß Gottfried Reinhardt und Sam Berman Alfred Polgar sehr warm empfehlen und zwar auf Grund seiner besonderen dialogischen Begabung, die er speziell bei der Mitarbeit am letzten Garbo-Film bewährte.
Was Döblin betrifft, so hat cr soeben eine story eingereicht, die bei Mr. Keneth McKenna großes Gefallen gefunden hat. Es ist Döblin ein American „Junior“ Writer zur Seite  gegeben worden, um seine story zu entwickeln. Auch in diesem Fall also hat sich bereits der Wert des Engagements für die Firma erwiesen.
Ich erwähne diese Dinge, die Sie wahrscheinlich so gut wissen wie ich, nur, um dem Vorwurf zuvorzukomınen, der der Firma gemacht werden könnte, wenn Sie den Kontrakt mit den Refugee-Schriftstellern erneuerte: daß nämlich fruchtloses Geld nur zu humanitären Zwecken ausgegeben werde. Und damit habe ich den Wunsch und die Bitte ausgesprochen, die mich und nicht nur mich allein bewegen. Die Zukunft dieser Männer, die in Europa sich durch ihre Schriften Ansehen und Lebensunterhalt erworben haben, macht uns Sorge, und meine, unsere Bitte an Sie, dear Mr. Mayer, geht dahin, Sie möchten das ausschlaggebende Gewicht Ihres Einflusses in die Wagschale werfen, um ein Engagement der genannten Schriftsteller für ein weiteres Jahr zu bewirken. In diesem Jahr kann sich viel ändern, und aus dem Wechsel der politischen Lage können sich neue Wirkungs- und Verdienstmöglichkeiten für die Refugees ergeben. Wenn M.G.M. bis dahin die Verbindung mit ihnen aufrecht erhält, so wäre das zweifellos von jedem Gesichtspunkt aus und vor jeder Kritik zu rechtfertigen. Denn erstens ist mit Bestimmtheit zu hoffen, daß auch Schriftsteller wie Speyer und Mehring sich mit der Zeit dem Studio wertvoll zu machen wissen werden, und zweitens scheint mir keine Frage, daß das Gehalt für einen Mitarbeiter wie Hans Lustig, wenn er nicht auf einen Refugee-Vertrag gekommen wäre, sich so viel höher belaufen würde, als es tatsächlich ist, daß er für mehrere Kollegen mitaufkommt.
Ich möchte noch etwas erwähnen. Zeitweise hörte man, daß die Screen Writers Guild dem Engagement der ausländischen Autoren opposed sei. Dies hat sich als ein vollkommener Irrtum erwiesen. Mir liegt ein Schreiben des Mr. Sheridan Gibney vor, in dem er ausspricht, daß »our organization is open to Writers of all nationalities who seek employment in the motion picture industry. We welcome new talent which scrves to enrich the industry and would consider it highly improper if the Guild should discourage the employment of any of its members for other than lawful or contractual reasons.«
Lassen Sie mich zusaniınenfassen: durch Ihr Eintreten für ein Wiederengagement der Refugee Writer würden Sie Männern einen unschätzbaren Dienst leisten, die im Kulturleben unserer Zeit eine ehrenvolle Rolle gespielt haben und mutmaßlich wieder werden spielen können, wenn man ihnen über diese kritische Zeit hinweghilft, und ich würde den Entschluß dazu sowohl für menschlich schön und dankenswert, als auch für klug halten. Denn das Wenigste, was man sagen kann, ist, daß er der Gesellschaft nicht zum Schaden gereichen würde.
Verzeihen Sie mir den Freimut dieser Worte, aber ich hielt es für meine Pflicht, für diese gefährdeten Kollegen mich einzusetzen und sie Ihrem weitbekannten Wohlwollen zu empfehlen.
Ihr sehr ergebener
Thomas Mann

Ich wäre jederzeit bereit Sie zusanımcn mit Mrs. Dieterle, die sich dieser Sache annimmt , aufzusuchen, wenn Ihnen an einer mündlichen Besprechung gelegen ist.

(Thomas Mann: Briefe 1937 – 1947; Frankfurt (Main): S. Fischer 1963, S.211 ff.)

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1975 Biografisches Brief

Mehring bedauert gegenüber Hans Bender mangelndes Interesse der Verleger

München, den 11.4. 75

Verehrter, lieber Hans Bender,

Hans Bender (1979), gezeichnet von Dieter Steinmeinen besten Dank für Ihren Antwortbrief –

Meine Ungeduld hängt wohl mit meiner Situation zusammen – Fehlschläge, Enttäuschungen…

Nichts Wesentliches ist – seit meiner Rückkehr aus den U.S.A. über meine Arbeiten berichtet worden  »Ein vergessener Autor« – »oft verblüffender Reimkünste« – [so etwa wie: Paganini konnte den Teufelstriller auf einer Saite spielen …]

Soweit die Druckerschwärze reicht, keine Spur von einem Verleger für meinen  Abschlußband [-LOST LIBRARY – Verrufene Malerei – Ketzerbrevier] …

[für = Arbeitstitel »Nachttagebuch aller Exile] — dessen erste Fassung ich bei meiner Einlieferung in’s Krankenhaus schon einmal aufgeben mußte …

Die »WM-Chronik« würde mein erster authentischer Zeitbericht sein = dokumentarisch; biographisch …

[»gewissenhaft genau – und so muß man auch sein wenn man mit dem Worte umgeht …« And I quote you! =

Mit besten Grüßen und vielen Wünschen
Ihr
Walter Mehring

Volker Neuhaus (Hg.): Briefe an Hans Bender; Köln: Kulturkreis der Deutschen Industrie e.V. 1984; S. 169

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1975 Biografisches Brief

Walter Mehring freut sich auf eine Ausgabe der AKZENTE

München, den 8. 6. 75

Verehrter, lieber Herr Hans Bender,

sobald das AKZENTE-heft mit meinem Beitrag erscheinen sollte, senden Sie doch, bitte ein Exemplar an mich id est:
das Hôtel Opera
Dufourstraße
CH 8008 Zürich

(- bitte, aufbewahren -!)

Ich bin zur Zeit – überarbeitet – befaßt mit der Lieferung eines – termingebundenen, umfangreichen Manuscriptes – und ich will mich in ein romantisches Kleinstädtchen – in der Nähe von Zürich – zurückziehen …

Das Akzente-heft wird wohl der erste Bericht sein – seit meinem »Comeback to Europe« – der sich authentisch – subjektiv – objektiv – mit meinen literarischen Arbeiten befaßt …

Mit freundlichsten Grüßen

Ihr
Walter Mehring

Volker Neuhaus (Hg.): Briefe an Hans Bender; Köln: Kulturkreis der Deutschen Industrie e.V. 1984; S. 170

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1975 Brief

Mehring bittet Hans Bender um Antwort

München, den 7.4.75

Verehrter Hans Bender,

Volker Neuhaus (Hg.): Briefe an Hans Bender»Sie wissen«, schrieben Sie mir – am 1. Februar – »daß ich demnächst in »Akzente« einen Aufsatz von Dr. Dencker veröffentliche …« = Wissen möchte ich doch gern, was daraus – ob etwas daraus geworden ist-?- Denn Dr. Dencker, der in vielen anderen Aufsätzen mich betreut hat, hat diesmal nichts von sich hören lassen =

Sie wünschten, daß – – – »als neuer Text … am besten etwas Autobiographisches hinzukäme …« Ich sandte Ihnen Dokumentarisches, das zuverlässiger ist, als jede Selbstdarstellung = zu Ihrer Auswahl … Doch bestätigt haben Sie es mir nicht … es auch nicht abgelehnt – – – Ein paar Zeilen wäre es wohl wert gewesen – – –

Mit besten Grüßen
Ihr
Walter Mehring

P. S. zu Ihrem Brief: »… vor 3 Jahren nach meiner Müller-Rezension in der WELTWOCHE …«
= eben erhielt ich die Abrechnung des Fackelträger-Verlages: = »seit 1974 … kein Absatz…«

Volker Neuhaus (Hg.): Briefe an Hans Bender; Köln: Kulturkreis der Deutschen Industrie e.V. 1984; S. 167

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1937 1958 Biografisches Brief

Erich Kästner erinnert sich an ein Treffen mit Mehring 1937

AN TRAUGOTT KRISCHKE

München, den 1. 2. 58

Sehr geehrter Herr Krischke,
besten Dank für Ihren Brief vom 24. 1.

Daß Sie so vielseitig über Horváth arbeiten, ist zweifellos sehr verdienstlich und auch nach meiner Meinung durchaus angebracht. In den zwanziger Jahren, als er in Berlin war und als dort seine Stücke »Geschichten aus dem Wiener Wald« und »Kasimir und Karoline« gespielt wurden, trafen wir einander, wenn auch nicht regelmässig, so doch gar nicht so selten. Das war weiter kein Wunder, denn beispielsweise in dem Künstlerlokal Schwannecke traf »man« sich sowieso. Er war nicht nur ein hochbegabter, sondern auch ein geselliger und ungewöhnlich sympathischer Kollege, der auf dem besten Wege war, etwa in Zuckmayers Richtung Ruhm zu ernten. Von Zuckmayer unterschied ihn – ob das mit seiner ungarischen Herkunft zusammenhängt oder nicht, weiß ich nicht – eine spürbare Hintergründigkeit, die er doch, ohne Geheimnistuerei, in scheinbar nur vordergründigem Dialog zu plazieren wußte. Ausserdem war er, wohl auch, wieder Verglichen mit Zuckmayer, weniger optimistisch als dieser. Gerade die Geschichten aus dem Wiener Wald sind ja ein hervorragendes Beispiel für seine durch Humor gemilderte Menschenverachtung.
Als ich ihn 1937 traf – und ich traf ja damals ausser ihm auch Walter Mehring, Walter Trier und andere Emigranten – waren wir wiederum des öfteren zusammen. Ich erinnere mich noch gut, wie erschrocken er war, als er hörte, daß ich wieder ins Dritte Reich zurückführe, und er hielt diesen Plan für lebensgefährlich. Als ich dann von seinem merkwürdigen Ende erfuhr, erinnerte ich mich begreiflicherweise dieses Gesprächs sehr deutlich. Über die Datierung seiner Arbeiten und ähnliches kann ich Ihnen kaum Auskunft geben. Das dürfte nicht zuletzt darauf zurückzuführen sein, daß wir (…) zwar fleissig über Literatur sprachen, aber eigentlich nicht so sehr über unsere eigenen Pläne. Ich weiß, daß ich Ihnen mit diesen wenigen Zeilen keine sonderlich zweckdienlichen Angaben machen kann, wollte aber doch, so gut ich es eben kann, Ihrer Bitte entsprechen.
Mit den besten Grüssen und Wünschen für Ihre Arbeit
Ihr
Erich Kästner: Dieses Na ja!, wenn man das nicht hätte! – Ausgewähle Briefe von 1909 bis 1972 (Hg. v. Sven Hanuschek) Zürich: Atrium Verlag 2003, S. 168)