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1931 Film Zeitschriften

Carl von Ossietzky empört die Zensur von „Das Lied vom Leben“

Ufa verbietet die Konkurrenz von Celsus

Bei uns spielt die Filmzensur mit verteilten Rollen. In der ersten Instanz legt irgend ein Fachmann namens der Fachgruppe C III Verwahrung gegen ein belangloses Detail ein. Erst in der zweiten Instanz findet die Zensur ihr historisches Vokabular wieder: „unsittlich“, „die Familie herabwürdigend“, „politisch bedenklich“.

Bei dem Granowsky-Film „Das Lied vom Leben“ protestierte zunächst einmal ein Sanitätsrat im Interesse der Volksgesundheit gegen Szenen aus einer gynäkologischen Klinik, weil deren quälende Einzelheiten die F rauen von einer lebensrettenden Operation abschrecken könnten. Das war schon seltsam genug, aber die Kammer folgte dem. Doch in der zweiten Instanz. bei Herrn Ministerialrat Seeger, scheint davon nicht mehr viel die Rede gewesen zu sein. Denn hier wird das Verbot hauptsächlich damit begründet, daß der Film „eine Herabwürdigung der Ehe“ bedeute. Das ist beste alte Terminologie. Doch der Genauigkeit halber sei hinzugefügt, daß auch die erste Instanz kaum etwas Andres gemeint hat.

Das Verbot hat keine gesetzliche Unterlage und wirkt ganz kindlich, wenn man sich an den vorliegenden Sachbestand hält, es erhält jedoch seinen Sinn, wenn man es aus den Tendenzen entwickelt, die augenblicklich das Reichsinnenministerium beherrschen. Herr Doktor Wirth ist durch den sogenannten Kulturbolschewismus kopfscheu gemacht, dazu kommt noch die Nervosität des Katholiken, der die Kirche heute den heftigsten Angriffen von ganz rechts und ganz links ausgesetzt sieht. Herr Doktor Wirth hat vor Jahren einmal, als ihm die Berührungspunkte von Nietzsche und Hitler noch nicht so geläufig waren, die großen revolutionären Demokraten Heinrich Heine und Ludwig Börne in einer Rede gefeiert und ist dafür von Herrn Hussong furchtbar ausgeschmiert worden, weil sich das für einen gläubigen Katholiken nicht gehöre. Inzwischen hat sich die Distanz zwischen den Herren Wirth und Hussong erheblich verringert, und der Herr Minister denkt nicht daran, den legitimen Abkommen des Kulturbolschewismus von 1830 den Lorbeer auf die Stirn zu drücken, den er für ihre verblichenen Ahnen übrig hat. Für die Zensurkammern handelte es sich weniger um den Inhalt des Films als vielmehr um die Leute, die ihn präsentierten. Alexis Granowsky, der moskauer Regisseur, und Walter Mehring, der Verfasser der Chansons, gelten als suspekte Figuren. Man will wieder eine „deutsche“, eine „bodenständige“ Kunst, wie sie der zum Schaf gewordene Schäfer proklamiert hat und an der auch ein Fechter sich erheben kann. Granowsky und Mehring, diese Leute riechen nach „Zersetzung“. Vielleicht wäre es mit Arthur Rebner statt Walter Mehring besser gegangen.

Es ist heute nicht am Platze, sich mit einem Film ästhetisch auseinanderzusetzen, den die Zensur der Öffentlichkeit vorenthält. Weil er aber den Wenigsten nur bekannt ist, müssen hier ein paar Worte über Form und Inhalt gesagt werden. Zunächst, das „Lied vom Leben“ ist, trotz des russischen Regisseurs. kein Kampffilm, ganz ohne soziale Schlachtmusik, ganz fern dem, was man heute Zeitkunst nennt. Gemessen an den verwegenen Experimenten der pariser Surréalisten wirkt Granowskys Film ziemlich zahm, gemessen jedoch an der deutschen Tonfilm-Produktion bildet er unbestreitbar vorgerückteste Avantgarde. Eine dünne, allzu dünne Handlung verschwebt, à la Pirandello, zwischen Traum und Wirklichkeit, die einzelnen Elemente sind nicht akzentuiert, sollen es, nach dem Willen des Regisseurs, nicht sein. Eine junge Frau flieht von der Hochzeit, um einem widerwärtigen Gatten zu entgehen. Von Angstvisionen gepeitscht, will sie ins Wasser gehn. Sie wird im letzten Augenblick zurückgehalten, und ihre Retter steigen mit ihr in den Tragkorb des großen Krans und zeigen ihr, hoch über dem Hafen schwebend, die unermeßliche Schönheit der Welt. Später finden wir sie als übermütige Braut am Badestrand in den Armen des Geliebten, dann als junge Gattin. Wir finden sie in der Gebärklinik, an der Wiege des Kindes, endlich als Mutter, den Sohn ans Schiff begleitend. das ihn übern Ozean trägt. Traumhaft gleitet das alles vorüber. Aber ist es der Traum einer Selbstmörderin in den Sekunden des Versinkens oder ist es die wirre Phantasie der auf den Operationstisch Geschnallten? Hier wird nichts klar, soll nichts klar werden. Der Film ist eine lyrische Rhapsodie vom Aufgang und Verklingen des Lebens, ein jauchzendes Bekenntnis zur Natürlichkeit, ein Hymnus auf die Welt, die so viel besser ist als die Gesellschaft, die der törichte Mensch sich als Gefängnis errichtet hat. Grade diese Partien werden von den Versen Mehrings stark getragen.

Und worin, zum Teufel, soll eine Herabwürdigung der Ehe zu erblicken sein? Gewiß, in den einleitenden Bildern, dem ersten Meisterstück Granowskys als Filmregisseur, wird der bürgerlichen Gesellschaft heftig zugesetzt. Aber es kommt doch darauf an, von welcher Ecke und wie opponiert wird. Diese Opposition bleibt sachlich: sie klagt nicht an, sie zeigt auf. Es gibt keine jener Frivolitäten und Zoten, von denen jede Tonfilm-Operette wimmelt, diese
Opposition sticht gegen die Unvernunft und Öde bourgeoiser Lebensform. Wir blicken auf eine Hochzeitstafel, das heißt, wir sehen zunächst nur den kauenden, mahlenden, schmatzenden Mund jedes der Teilnehmer. Dann erst wird sichtbar. wie die Frackmänner fein tun, wie die Damen läppisch kokettieren. Ein Hogarthscher Einfall. Doch dann biegen sich die Kerzen langsam und vertropfen, und vor schwarzem Hintergrund sitzen grinsende Totenskelette um den Tisch. Der Spuk entschwindet, der Saal ist wieder hell, es geht zum Tanz. Eine scheußliche alte Megäre im Lehnsessel zwischen Silberleuchtern wie auf dem Katafalk, läßt sich den Hof machen, ein Kavalier tastet einer jungen Dame den üppigen Rückenausschnitt ab, der glückliche Bräutigam, ein Jammergestell, aus dessen trüben Augen die Erinnerung an eine nicht ganz sicher abgelaufene Quecksilberkur wehklagt, versucht die Eröffnung ehelicher Vertraulichkeiten, und die junge Braut rafft die Schleppe und läuft, wie von tausend Hunden gehetzt, davon, und unsre heißen Glückwünsche begleiten sie. Wie gesagt, die Zensoren nennen das „Herabwürdigung der Ehe“. Möglich, daß sich einer der Herren Beisitzer, der aus einer verunglückten Hochzeitsnacht eine Weltanschauung gemacht hat, dadurch touchiert fühlt. Wer aber wagt die Behauptung, es sei eine Verunglimpfung von Ehe und Familie. wenn ein junges Weib, grade rechtzeitig noch, einem Gatten entrinnt, der Lues oder Tabes in das amtliche registrierte Bett trägt? Wo bleibt da der protestierende Repräsentant der Volksgesundheit? Granowskys Film feiert Leibesgesundheit, Bewegung und Sport, Liebesbund junger wohlgewachsener Menschen. also: gute Rasse.

Wir verdanken der Filmzensur einen ganz neuen Rigorismus, den ihre Großtante, die gute, alte Theaterzensur, niemals gekannt hat. Da wird grade im Staatstheater der „Agamemnon“ gegeben, in dem bekanntlich der alte Aischylos die Ehe so weit herabwürdigt, daß er eine Gattin mit Hilfe des Buhlen den angetrauten Ehemann ermorden läßt. Mit der Heiligkeit von Ehe und Familie haben die Koryphäen der Weltliteratur überhaupt nicht viel im Sinn. Dabei ist es wohl noch keinem Teaterzensor eingefallen, Ödipus und Jokaste, Lears Töchter oder Hamlets Mutter zwischen die Schere zu nehmen. Wäre die Theaterzensur immer so reaktionär und engherzig gewesen wie das Geheimkabinett des Herrn Ministerialrats Seeger,  so müßten Sophokles, Shakespeare und Schiller schon lange hundertprozentig konfisziert sein, weil diese gewissenlosen Kulturbolschewisten vornehmlich die Familie zur Domäne ihrer moralabträglichen Tendenzen gemacht haben. Das Theater hat sich seine Freiheit immer wieder gegen die Zensur zu verteidigen gewußt. Und der Film?

Der deutsche Film ist nahe daran. in den tiefsten Niederungen zu versinken. Die Industrie bevorzugt Kitsch, weil das Risiko dabei am geringsten ist. Außenseiter werden nicht nur von der stärkern Konkurrenz getroffen, sie müssen sich auch gegen die künstlerische Reaktion zur Wehr setzen, die sich wieder hinter politischen Mächten verschanzt. Und damit auch nicht eine letzte Chance bleibt, kommt als gewichtigste Instanz die Zensur und verbietet kurzweg die Außenseiter und Experimentatoren. Bei diesem Kaiserschnitt am deutschen Film, von ungelenken Bureaukratenhänden ausgeführt, gehen Mutter und Kind zugrunde. Und so ganz nebenbei wird auch der letzte berliner Filmtheaterleiter mit künstlerischem Ehrgeiz, Hans Brodnitz, kaputt gemacht. Erst verbietet man ihm Remarque, dann Granowsky. Wer wagte es, zu behaupten, man habe ihm den Letztern vorzuführen verwehrt, weil er sich des Erstern angenommen? Niemand darf das wagen, denn die Zensur geht objektiv ihren Amtsweg, nicht nach rechts oder links blickend. Es beeinträchtigt ihre Objektivität auch nicht, wenn ein Angestellter der Ufa Beisitzer spielt, wie es bei der Prüfung des Granowsky-Films der Fall war. So bleibt auf weiter Flur nur der eine Gerechte übrig, der allmächtige Hugenberg, von Seeger mit dem Visum der Bravheit versehen, von Lampe für volksbildend und künstlerisch, also steuerfrei erklärt. Mögen die Herren der Zensur sich auch einbilden, Ehe, Vaterland und Gottweißwas zu retten, praktisch drücken sie das Niveau des deutschen Films, praktisch stützen sie nur das Monopol der Ufa, die auf diesem ganz legalen Weg unliebsame Konkurrenz zu unterdrücken in der Lage ist. Die ausübenden Bureaukraten sind alle makellose Leute, selbstverständlich, aber sie betragen sich so, als wären sie von Hugenberg gekauft.

(Celsus (i.e.: Carl von Ossietzky): Ufa verbietet die Konkurrenz; in: Die Weltbühne Nr. 12, XXVII. Jahrgang vom 24. März 1931; S. 433 ff.)

 

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