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Werter Schänder,
schönen Dank für Ihren Brief. Sie haben mir, mit Verlaub zu sagen, aus dem Herzen geschrieben. Vor allem freut es mich ungeheuer mächtig, daß Sie dem Nürnbergisch Ey nicht antworten wollen – das ist famos und klug und richtig. Ich habe den Angriff nicht gelesen, nur von ihm gehört – mich interessiert das nicht. Der einzige Effekt, den dieser Schulmeister ausübt, ist: unsern völkischen Beobachtern Waffen in die Hand zu geben. Griffe er nur unsere Qualität an, so wäre diese Einrede blödsinnig – denn dann wäre ja jede Kritik unmöglich. Dieses Geschrei mit der Tapferkeit … also, lieber Mann, Sie wissen ja, daß unter meinen schlechten Eigenschaften die olympische Geste mal nicht dabei ist. („Wer mich angreift, den zerschmettere ich“) — I wo, ich zerschmettere gar nicht. Was aber meine Haltung angeht, so wird die nicht in Wien bestimmt, sondern nur von einem einzigen: von Ossietzky. Winkt der, bin ich da. Er winkt aber nicht. Und ich gedenke keinesfalls, mich gegen dieses Geschrei zu verteidigen – weil darin nämlich eine Anerkennung seiner Legitimation läge – und die hat Kraus nicht. Es hat ihn keiner eingesetzt, uns zu beaufsichtigen – das mag der Kille seiner Verehrer imponieren, ich finde es nur dumm und hinterhältig. Seit ich mir erlaubte ein Theaterstück von ihm zu kritisieren u. seit Sie sich erlaubt haben Offenbach zu bearbeiten – seitdem erst sind wir Schädlinge. Vorher nicht. Mensch, ist das weit fort – es hallt kaum zu mir herüber. Das ist kein Getue (Ach, sind wir europäisch!), sondern es ist der Ausdruck ehrlichster Gelangweiltheit – mich berührt das überhaupt nicht. Sicher wird es aufgegriffen – sicher insceniert er gegen Sie und gegen mich eine Hetze – und ebenso sicher werden wir länger leben als er, nämlich physisch – und ich habe dauernd das Gefühl, wie wenn ein kleiner Hund mir auf die Stiebel Pipi macht: Spiel doch mit mir! beachte mich doch! Wie sagte Kerr, ah Voulez-vous jouer avec moä aufgeführt wurde! „Offengestanden nein.“
Sie haben tausendmal recht. Ärgern Sie sich nicht – das ist die Sache nicht wert. Außerdem ist Offenbach kein Gott; es ist sehr bezeichnend für Kraus, daß er sich an den Exponenten einer schwer bürgerlichen Epoche hält, der keineswegs ein zeitloses Genie gewesen ist, sondern ein bezauberndes Talent zeitgebundener Heiterkeit. Kurz, dieses Spiel wird er wohl mit sich allein spielen müssen und ohne mich und hoffentlich auch ohne Sie.
Was tut sich bei die Welschen! Das sind keine Fremden, herrlich – ist es jetzt wenigstens alles sehr billig?
Proust im Ritz, zum Portier: „Geben Sie mir mal 50 Francs!“ – Bitte, Herr Proust. „Vous pouvez les garder – c’est pour vous.“
Mit Achtung
Ihr Oberdeserteur
Ober-Landesverräter
(Zitiert aus: Kurt Tucholsky: Gesamtasgabe – Texte und Briefe, Bd. 19, S. 353; Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2005. Tucholsky bezieht sich auf einen nicht erhaltenen Brief Mehrings. Er mokiert sich auf den Text „Karl Kraus und die Offenbach-Renaissance“ von Rolf Nürnberger in: Der Scheinwerfer (Jg. 5, H. 12, März 1932, S. 4f.) und auf Textstellen von Karl Kraus selbst, die sich mit Mehrings Übersetzung der Operette „Die Großherzogin von Gerolstein“ von Jacques Offenbach beziehen.)
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