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1931 1932 Rezensionen Zeitschriften

Karl Kraus ereifert sich über Mehrings Fassung der „Herzogin von Gerolstein“

Offenbach-Schändungen

Gesprochen in Berlin am 15. Dezember

Dem ersten Vortrag von Offenbachs und meinem Vert-Vert, den Sie hier am 8. Januar und am 14. durch den Rundfunk hören können, war das Folgende vorangeschickt:

Kein Zeitstück! Ein toter Papagei wird begraben und erhält seinen Nachfolger. Es geht nichts vor, es geht uns nichts an, aber es ist schön. Schöner als die »Schöne Helena« des Offenbach-Schänders Reinhardt, die Herrn Lunatscharsky entzückt hat, der mich schon gar nichts angeht. Nicht weil er ein Kommunist ist, sondern weil er kein Kommunist ist. Um »Hoffmanns Erzählungen«, die  spannender sind als die seinen, umzubringen, war soeben in Berlin der folgende Apparat aufgeboten:
– – 973 Personen sind in emsiger Tätigkeit, um die Zauberwelt der Offenbachschen Oper lebendig zu machen. Numero 1 (natürlich I), der Regisseur Max Reinhardt persönlich. Dann die beiden Kapellmeister Leo Blech und Manfred Gurlitt. Reinhardts oberster Helfer Dr. Hock, dann Direktor Gerner. Des weiteren arbeiten zwölf Musikassistenten, 75 Orchestermitglieder, 35 Solisten, der Choreograph Dolin, 112 Tänzer und Tänzerinnen, Chorsänger und -Sängerinnen. 56 Komparsen, der technische Leiter Dworsky, acht Bühnenmeister, zehn Inspizienten, 14 Requisiteure, 36 Beleuchter, 48 Bühnenarbeiter, 25 Stukkateure, 93 Mann Garderobepersonal für die Bühne, 84 für den Zuschauerraum, 120 Arbeiterinnen in den Werkstätten. 23 Bureaukräfte und nicht weniger als elf Portiers.
Ein Kollektiv, das Herrn Lunatscharsky begeistern dürfte. So etwas werde ich heute nicht brauchen. Außer mir habe ich meinen ausgezeichneten Begleiter. Wie viel Garderobepersonal mitwirkt, weiß ich nicht. Ein Portier genügt.

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1919 Dramatisches Kabarett

George Grosz und John Heartfield machen für Mehring Puppen

Am 8. Dezember 1919 wurde das dritte „Schall undRauch“-Kabarett eröffnet. Es war im Keller des Berliner GroßenSchauspielhauses untergebracht. Oben lief die „Orestie“ von Aischylosund unten die Parodie darauf. So hatte es der Intendant des Theaters undRegisseur der „Orestie“, Max Reinhardt, selbst bei Walter Mehringbestellt. Der damals 23jährige lieferte ein echtes DADA-Produkt ab – inZusammenarbeit mit George Grosz und John Heartfield. Mehring schrieb dasPuppenspiel „Einfach klassisch! Eine Orestie mit glücklichemAusgang“, Grosz entwarf das Bühnenbild und die Marionetten und Heartfieldschuf die Puppen.

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1929 Dramatisches Rezensionen Zeitschriften

Carl von Ossietzky über Mehrings „Kaufmann von Berlin“

„Der Kaufmann von Berlin“ war einer der größten Theaterskandale der Weimarer Republik. Das lag zum einen an dem Text, den Walter Mehring geschrieben hatte. Aber auch die Inszenierung von Erwin Piscator trug einen erheblichen Teil dazu bei. Carl von Ossietzky, der Herausgeber der „Weltbühne“, hat dies in seiner Rezension des Stückes gut analysiert. Aber er beschäftigt sich nicht nur mit der Inszenierung, sondern auch mit den Mechanismen des Geldverdienens im Theater und bei S. Fischer, dem Verlag des Stückes:

DIE KAUFLEUTE VON BERLIN ,

„In einer Bahnhofshalle, nicht für es gebaut“, nämlich für das Drama, spielt Piscator ein Stück, das gewiß Beschleunigung und Straffung verlangt, aber keine Apparatur, deren Knirschen seine innere Musik übertönt. Der alte Streit zwischen Regisseur und Dichter‘ wird hier jusqu’au bout (A.O.: bis zum Ende) ausgefochten, wobei der Regisseur den Erbfeind des Theaters siegreich schlägt. Piscator benutzt die Gelegenheit zu einer Mustermesse seiner technischen Errungenschaften. Die Bühne rotiert, versinkt, entschwebt. Oberhalb der Szene fliegt Wanderschrift vorüber. Film in doppelter Ausfertigung – auf einem Gazevorhang und einer zweiten Leinewand dahinter. Selige Beruhigung fürs Auge tritt ein, wenn für Minuten nur ein paar Personen auf dem Laufband vorübergleiten. Aber blickst du zufällig nach oben, so kommt schon ein drohendes Eisenskelett herunter, eine kolossale Hängebrücke, eine gespenstische Brooklyn-Brücke, ‚ein Vorortbahnhof von Metropolis.

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1919 Rezensionen Zeitschriften

Klabund bespricht „Die Pleite“

"Die Pleite", Dada-Zeitschrift von Wieland Herzfelde.
"Die Pleite", Dada-Zeitschrift von Wieland Herzfelde.

„Deutschland ist pleite. Europa wird es bald sein. Der Pleitegeier ist der heraldische Vogel  dieser Epoche. Er schwebt, wie einst Noahs Taube, über der Sintflut der Kriege und Resolutionen, ein Bündel preußische Konsols im Schnabel. Der Malikverlag in Berlin-Halensee hat ihn sich zum Wappentier erkoren für eine satirische Zeit- und Streitschrift: „Die Pleite“ benannt. Seitdem die „Jugend“ vorzeitig gealtert und vergreist ist, die Bulldogge des „Simplizissimus“ sich in ein zahmes Wachtelhündchen verwandelt hat, das nur den Mond noch, nicht mehr diese Erde anzubellen wagt, ist diese in den Preußenfarben schwarz und weiß gedruckte kleine Zeitschrift die einzige, welche mit rabiatem Witz und agressivem Geist die innerpolitische Satire vertritt. Walter Mehring attackiert „immer stieke mit Musike die deutsche Republike“. Er ist ein berlinischer Beranger en miniature. Georg Groß wirft mit ein paar bösen kinderhaften Strichen -die Marloh, Reinhardt, Noske aufs‘ Papier. ‚Sie müssen ihm Modell liegen. Er kniet auf ihnen.‘ Er ist der Daumier von Plötzensee. Wieland Herzfelde gibt die „Pleite“ heraus. Er edierte nebenbei eine Broschüre über seine Schutzhafterlebnisse, die alle ehemaligen Schutzhäftlinge wie ein Stück ihrer eigenen Biographie lesen werden.“

Klabund (i.e. Alfred Henschke) in der „Neuen Bücherschau“, Heft 6, 1919, S. 6.