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Fritz J. Raddatz würdigt Walter Mehring

In der Weihnachtsausgabe des „Freitag“ vom 22. Dezember 2011 hat Michael Angele den Kritiker Fritz J. Raddatz interviewt. „Tucho über Alles“ heißt der Text, in dem die Bedeutung des Journalisten, Schriftstellers, Kritikers, Romanciers und politisch Denkenden herausgearbeitet wird. Raddatz erwähnt in ihm auch zweimal Walter Mehring.:

Michael Angele: Wo sehen Sie seine größte Stärke als Kritiker?
Fritz J. Raddatz: Er war ein Mann des absoluten Gehörs. Er hörte Schnoddrigkeiten oder Kleinkariertes in Sprache und Schrift sofort heraus. So schreibt er über Brecht eigentlich ganz positiv, sagt dann aber zu dem im Übrigen wunderschönen Gedicht Erinnerung an die Marie A., dass in der Zeile „Sie war sehr weiß und ungeheuer oben“ dieses „ungeheuer oben“ nicht stimmt, dass das ein Geschmäckle hat, wie wir heute sagen würden; dass es im Ungefähren zernebelt. Übrigens fand er die Schnoddrigkeit, mit der Brecht anstandslos fremde Texte übernahm, zumindest fragwürdig. „Das Stück ist von Brecht – aber von wem ist nun das Stück?“, schreibt er einmal. Andererseits hat er jemanden wie Walter Mehring bewundert, obwohl der auch ein Konkurrent war als Chanson- Autor. Er war von Mehring hingerissen, weil er merkte, dass die Sprachmelodie einfach stimmt.

[…]

Es gab natürlich auch andere, die über die Feme-Morde geschrieben haben, Emil Julius Gumbel oder Joseph Roth. Man gewinnt aber den Eindruck, dass diese Frühwarnsysteme relativ vereinzelt waren. Täuscht dieser Eindruck?
Nein. Es gab einen Karl Kraus – zwar in Österreich, aber doch in der Wirkung nach Deutschland hinein. Es gab den Chansondichter Walter Mehring, es gab einige, aber das waren eben Vereinzelte. Vergessen wir Heinrich Mann nicht. Und auch die Weltbühne, obwohl mit einer winzigen Auflage, in den besten Zeiten 15.000 Stück, war ein seismografisches Instrument, vor allem dank Tucholsky. Gar nicht so selten hatte er fünf Artikel in einer Nummer, man kann sich kaum noch vorstellen, wie man das schafft. Stellen Sie sich mal vor, Sie müssten im Freitag für jede Nummer fünf Artikel schreiben. Wenn man ihn Frühwarnsystem nennen darf, dann war er das empfindlichste.

Hier noch einmal der Link zum vollständigen Interview