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Herrmann-Josef Fohsel beschreibt den Beginn von DADA

Der Künstlercafés Berlins sind vielfach beschrieben worden. H.J. Fohsel veröffentlichte 1996 einen schönen Band über das Café des Westens und das Romanische Café. In ihm schildert er auch, wie DADA in Berlin in die Welt kam:

Am 12. April 1918 startete die »Neue Sezession« in der Galerie Macht mit einer Soirée die erste von zwölf öffentlichen Veranstaltungen des Berliner »Club Dada«: »Der Gipfel der Auflehnung wurde erreicht, als Else Hadwiger die Kriegsgedichte von Marinetti vortrug, die Huelsenbeck mit einer Holzknarre und auf einer Kindertrompete zur Illustration begleitete. Ein Soldat in feldgrauer Uniform wälzte sich in epileptischen Krämpfen am Boden, und das Publikum tobte. Mein Text Das neue Material in der Malerei löste eine solche Bewegung aus, daß die Saalleitung, die für die ausgestellten Bilder an den Wänden fürchtete, mir mitten im Satz das elektrische Licht ausdrehte und ich in der Finsternis zum Schweigen verurteilt War. Ein herrlicher Abend und ein DADAistischer Erfolg«, erinnert sich Raoul Hausmann in »Am Anfang war Dada«.

Nach diesem herrlichen Abend konnte man dann den gesamten »Club Dada« im Romanischen Café, auf der gegenüberliegenden Straßenseite, debattieren sehen. Man malte sich aus, wie die Presse darauf reagieren Wird, welche Breitseiten an Verbalinjurien abgeschossen würden und wie dies alles zu einem neuen »Dada-Abend« benutzt werden könnte.

Und die Presse ließ sich nicht lumpen. In der »Berliner Zeitung am Mittag« konnte man am 13. April lesen: »In dem über- und überfüllten Sezessionssaal wurde gestern von Herrn Richard Huelsenbeck der Dadaismus 1 1/2 Stunden lang erläutert; Diese allerjüngste Richtung literarischer Mauldrescherei ist im militärischen Cabaret Voltaire in Zürich entstanden. Daraus leitet der Dadaismus sich das Recht ab, Maschinengewehrfeuer im Vortragssaal durch Kinderratsche zu imitieren. Er ist aber auch geistige Drückebergerei, entlehnte Theorie – Dadaismus gibt vor, Urform der künstlerischen Lebensempfindung zu sein; Dada (Kinderlallen) ist das Urwort des ersten Lebensbewußtseins – und so ganz ohne jede Produktion, daß er sich die schon veralteten Futuristen-Gstanzeln . .] ausleihen mußte.«

Begonnen hatte die Geschichte von »Berlin Dada« im Jahre 1916 im Kreis der »Neuen Jugend« um Wieland Herzfelde. An ihr arbeiteten seit Beginn alle späteren Berliner Dadaisten mit. Am 22.Januar wagte der Kreis um die »Neue Jugend« den Sprung ins kalte Wasser. Im »Graphischen Kabinett« des Kunsthändlers J.B. Neumann am Kurfürstendamm 232 (heute zum Komplex des Kaufhauses Wertheim gehörend) fand ein Vortragsabend mit Theodor Däubler, Max Herrmann-Neiße, Richard Huelsenbeck und Hans Heinrich Twardowski statt, der die eigentliche Geburtsstunde des Berliner »Club-Dada« war. Am 26.Januar stand in der Beilage der »Berliner Börsen-Zeitung«:

»Ein Autoren-Abend zwischen den – teilweise sehr feinen – Bildern Erich Heckels im Graphischen Kabinett. Herr Richard Hülsenbeck, vor einem Jahr noch der (verschollenen) Neuen Jugend Lärmprediger wider die Dicken, veranstaltete eine Sympathiekundgebung für die allerneueste Kunstrichtung, die ihre Führer, wohl weil nur die Kindgewordenen Anwartschaft auf das Himmelreich besitzen, Da-Da-ismus getauft haben. In Zürich haben sich, mitten im Weltkrieg, ein paar erlesene Geister aus vielen feindlichen Völkern brüderlich verbunden: nicht etwa, um Pazifismus zu treiben, sondern aus tiefinnerlicher Kriegsbegeisterung und heißem Willen, den Krieg (von Anderen!) fortsetzen zu lassen. Sie selbst leugnen die klassizistische Lügenpest, die Kantilene, den bel canto; überspringen die Grenzen zwischen den Künsten; schreien, heulen, johlen, pfauchen in allen erdenklichen und unerdenklichen Tonarten.

Ein paar Gedichte des Programmredners zeigten, wohin der Weg gehen soll: in organisierten Wahnsinn, in restlosen Vernunftmord, in vollkommene Vernichtung von Schönheit, Schönheit, Größe, Geistigkeit, Musik. Aus ehrlicher Überzeugung von besessenen Flagellanten? Aber zwei – gänzlich epigonale, obwohl glatt geformte und gut klingende – Gott-Lieder dieses Herrn Hülsenbeck offenbaren die grenzenlose Unechtheit, mit der hier mußenreiche Schreier, die sehr wohl auch anders können, übelstem Snobismus frönen. Hohl, unernst, rüpelhaft, seelenlos, witzfern ist der Da-Da-ismus, der den Aeternismus sehr rasch abgelöst zu haben scheint. Des Psychiaters, nicht des Kunstrichters, Zuständigkeit unterworfen -.«

George Grosz machte sich übrigens in jener Zeit den Spaß, mit einer Maske aus Pappmaché als »dadaistischer Tod« durch das Romanische Café zu laufen oder auf der Terrasse zu sitzen.

Als die dadaistische Zeitung »Jedermann sein eigner Fußball« verboten wurde – Walter Mehring erinnert sich, daß »gegen uns ein Strafverfahren eingeleitet [wurde] wegen Verächtlichmachung der Reichswehr und Verbreitung unsittlicher Schriften. […] In dem Prozeß, der vor dem Moabiter Amtsgericht, Berlin-Mitte III, stattfand, hatte die Staatsanwaltschaft […] je acht Monate Gefängnis beantragt […]; wogegen die Verteidigung auf Zubilligung mildernder Umstände plädierte; unter Berufung auf das medizinische Gutachten des Dichter-Arztes Dr. med. Gottfried Benn, der […] ein Referat über den Zusammenhang von Sexualpathologie und Satire hielt, das sich leider nicht in seinen gesammelten Werken findet.

Nach dem letzten Wort der Angeklagten […] fällte ein Hoher Gerichtshof einen von uns wirklich unverschuldeten Freispruch, den ich bis heute noch nicht verschmerzt habe.«

Danach also gründete man stante pede eine neue Zeitung: »Die Pleite«, noch einmal Walter Mehring, »erhielt ihren Namen von Carl Einstein, eines Januarmorgens 1919 im Atelier Grosz, nach einer stürmischen Nachtberatung […]. Wir planten eine illustrierte Verschwörerzeitschrift […] und zankten uns, wie sie heißen sollte. […] Die Pleite, entschied Carl Einstein, schmunzelnd in Tabakswolken gehüllt. Verbieten werden sie ja Euch auf jeden Fall und dann sollen sie mal bekanntgeben: Verboten – die Pleite! Und so geschah es . . .!«

(aus: H.J. Fohsel: Im Wartesaal der Poesie – Zeit- und Sittenbilder aus dem Café des Westens und dem Romanischen Café; Berlin: Das Arsenal 1996; S. 57 ff.)

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