Granowsky probiert – von Rudolf Arnheim
Unter den guten Filmen verdienen diejenigen besondre Begünstigung und Nachsicht, die nicht nur mit erprobten, sichern Mitteln eine unanfechtbare und befriedigende Leistung bieten sondern dem Filmapparat neue Ausdrucksformen abzuringen suchen, experimentieren, wagen, und sei es auch ohne viel Sorge um Stileinheit und geschlossene künstlerische Wirkung. Ein Film vom erstern Typ ist Liebmann-Siodmaks „Voruntersuchung“: gute Tendenz, geschickte Szenenführung, ausgezeichnete Schauspieler und das geschmackvollste happy end (wenn schon happy end), dessen ich mich erinnere – „Gerda!“ sagt der junge Mann zögernd ins Telephon, wendet sich ab,
verbirgt den Hörer vor den Zuschauern und Mitspielern, man hört nichts weiter, und das Spiel ist aus. Mit einem solchen Film kann man zufrieden sein, aber vor Granowskys „Lied vom Leben“ sitzt man aufgeregt, geschüttelt, wütend, begeistert, höhnisch ablehnend und kindlich staunend. Denn hier ist siebzehnhundert Meter lang alles durcheinandergeschüttet, was ein eifriger, neugieriger, übermütig spielender Filmarbeiter nur irgend erdenken kann, um sein geliebtes Handwerkzeug auszubeuten. Alle Möglichkeiten der Montage sind verwendet, Zerrlinsen, drehbare Multiplikationslinsen, Zeitraffer- und Zeitlupenaufnahmen, nachsynchronisierter Dialog, Geräuschmusik. Illustrierte Songs, Spiegelaufnahmen, rückwärts laufende Tonstreifen, zerschnittene Wortbänder. Dieser Film ist nicht in drei Atelierwochen forsch heruntergedreht sondern in Monaten zusammengebastelt, er ist mit Gehalt gemästet, ist höchst lehrreich. Und wenn es viel gegen ihn einzuıwenden gibt,
so gilt da für die Kunst dasselbe wie für die Wissenschaft: nichts ist förderlicher, aber nichts ist auch seltner als gute Beispiele dafür, wie mans nicht machen soll. Granowsky gibt uns ein Vorbild und viele Gegenbeispiele.

In jenen Tagen waren 100 Dollar in der Woche ausreichend für den Lebensunterhalt, ja geradezu ein Geschenk des Himmels für Fremde in einem Land, die sonst über keinerlei ersichtliche Mittel verfügten, aber sie waren nichts im Vergleich zu dem, was die meisten Vertragsautoren verdienten. In seiner leicht verfremdeten Autobiographie „Links wo das Herz ist“ erinnert sich Leonhard Frank, daß ihn am Pier des New Yorker Hafens ein Angestellter von Warner Brothers erwartete, der ihm zweihundert Dollar Vorschuß überreichte und ihm mitteilte, er solle sich in einer Woche im Warner Brothers Studio in Hollywood melden. Dort stellte er fest, daß der amerikanische Filmautor im Büro nebenan 3500 Dollar die Woche verdiente. Von ihm erfuhr Frank auch, daß die Filmbosse den Wert von allem danach beurteilen, was sie dafür bezahlten. Es war also klar, daß jemand, dem man nur hundert Dollar die Woche bezahlte, für die Studios überhaupt keinen Nutzen hatte. Tatsächlich gab man Frank in den ersten drei Monaten nicht das geringste zu tun, ja nicht einmal zum Schein. Nach weiteren fünf Wochen bekam er schließlich den Auftrag, nach dem amerikanischen Roman Danger Signal ein Drehbuch zu schreiben. Doch da schon sämtliche hochbezahlten Filmautoren sich vergeblich damit abgemüht hatten, lag es auf der Hand, daß das kein ernstgemeinter Auftrag war. 






