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1929 Lyrik Rezensionen

Wolf Zucker sieht Mehrings Lyrik ganz anders als Walter Benjamin

In der „Literarischen Welt“ entdeckt Wolf Zucker in „Die Gedichte Lieder und Chansons des Walter Mehring“ das wirklich Besondere. Anders als Walter Benjamin, konzentriert sich Zucker auf die Wirkung und die große Bandbreite der Tonalität in Mehrings Lyrik. Dieser unideologische Blick ist denn auch mehr als 80 Jahre nach entstehen des Textes erhellend:

Walter Mehring gehört zu jenen Autoren, deren Wirkung viel weiter geht, als sie selber ahnen. Ohne daß sein Name genannt wird, sind seine Chansons weit über den engen Kreis der Literaturfreunde hinaus bekannt. Es gibt kein schöneres Lob für seine Gassenhauer, als daß sie wirklich in Kneipen bruchstückhaft gesungen werden. Dabei sind die Chansons, Legenden und Balladen mit einer so raffinierten Klugheit und Beherrschung aller sprachlichen Register geschrieben, daß sie oft naturgewachsene Wunderwerke an Ausdrucksfähigkeit zu sein scheinen. Mehring, dessen Wortschatz von der Grenadierstraße bis zum Boulevard de Clichy, von Oberammergau bis hinter die Reeperbahn reicht, hat etwas fertig gebracht, was es in deutscher Sprache sehr selten gibt:
Gedichte im „Volkston“. Gewöhnlich verstand man ja darunter eine gewisse künstliche Naivität, die auf ihre abgebrauchten Phrasen stolz war, die „Maienblüte“ und .‚Lerchensang“ als volkstümlich ausgab. Mehring ist auch nicht der Versuchung des neuromantischen Maschinenkjtschs erlegen, ist weder Naturalist noch Symbolist, sondern etwas ganz und gar Eigenes.
Was Paul Whitman für die Musik, das hat Mehring für das moderne Chanson geleistet: Die Verjazzung von Rhythmus und Melos. Jener synkopische Versstil, den schon Liliencron gelegentlich hatte, wird bei Mehring zur letzten Konsequenz ausgebaut. Aber eine solche Verwendung technischen Raffinements bleibt bei ihm nicht mechanisch. Gerade die völlige Durchdachtheit seiner Strophen gibt den Gedichten ihren besonderen Charakter. Bei allem Temperament hat Mehring jene sprachliche Disziplin, die für das Chanson Vorbedingung ist. Sein „‘ck bin jefiehllos, ’ck bin Poet!“ könnte als Motto über einer Theorie der Mehringschen Lyrik stehen. Und man würde damit sagen, daß hier ein Dichter mit Gefühl aber nicht „jefiehlvoll“ geschrieben hat.

Wolf Zucker: Die Gedichte, Lieder und Chansons des Walter Mehring; in: Die Literarische Welt Nr. 30, 5. Jg. vom 26. Juli 1929, S. 9.

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1968 Biografisches Brief Zeitschriften

Walter Mehring an Arnold Kübler

Walter Mehrings Brief an Arnold Kübler vom 8. Mai 1968
Walter Mehrings Brief an Arnold Kübler vom 8. Mai 1968

Die Zentralbibliothek Zürich hat einige ihrer Bestände online gestellt. Unter anderem diesen Brieg Walter Mehrings Brief an Arnold Kübler vom 8. Mai 1968. Kübler war Chefredakteur der Zeitschrift „Du“. Und Mehring war imemr auf der Suche nach der Möglichkeit veröffentlichen zu können. Zum einen, weil er kaum Geld hatte, zum anderen, weil das Publizieren das Lebenselexier schlechthin für ihn war. Hier geht es zum Original der Bibliothek…

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1934 Brief Lyrik Rezensionen Zeitschriften

Joseph Roth schreibt Mehring einen Brief im Neuen Tage-Buch

Joseph Roth im Jahr 1918. Quelle: wikipedia.de
Joseph Roth im Jahr 1918. Quelle: wikipedia.de

Schon 1934 ist Walter Mehrings Band „Und Euch zum Trotz“ erschienen. In ihm sind Gedichte, die zu den wichtigsten des deutschen Exils gehören, etwa der „Emigranten Choral“. Joseph Roth hat das Buch im Neuen Tage-Buch besprochen. Dazu wählte er die Form eines Briefes an seinen Freund, mit dem er schon in Berlin viele Stunden am Caféhaustisch verbrachte – und bis zu seinem Tod im Pariser Exil noch viele weitere verbringen sollte. Erschienen ist der Text am 17. Juli 1934 in Heft 28 des 2. Jahrgangs:

 

Lieber Walter Mehring,

ich danke Ihnen für Ihr Buch und ich beglückwünsche Sie dazu. Sie hätten es nicht: ,,Euch zum Trotznennen sollen, sondern: „Uns zum Trost“. Denn es ist ein Trost, zu sehen, wie reif und stark Sie geworden sind, seitdem Ihr Vaterland unreif, ohnmächtig, lächerlich und bestialisch erscheint. Ihre neuen Gedichte haben die Kraft, die dem Dichter das unverschuldete Unglück verleiht, die Gnade des ironisierenden Hasses, den weiten klingenden Atem der grossen echten Trauer, in der die Welt lebt, seit Deutschland sich selbst geschändet hat. Das schönste Gedicht in Ihrem Buch: Brief im Exil“ erreicht die schmerzliche Vollkomrnenheit, die sich in manchen Gedichten Heines findet. (Man schämt sich zu Unrecht und aus einer Art snobistischer Furchtsamkeit, lebende Dichter, mit denen man sich im Kaffeehaus trifft, mit grossen Toten zu vergleichen.). Also setzten Sie in würdiger Schönheit die unsterbliche Reihe jener Männer fort die das deutsche Vaterland verlassen müssen und die es nicht vergessen können, die seinen Glanz noch dann verbreiten, wenn es selbst in Finsternis und Nacht versinkt, und den grossartigen Duft der deutschen Sprache durch die Welt strömen lassen, in den trostlosen Jahren, in denen es in Deutschland stinkt. Klage, Anklage, Heimweh, Liebe, Trostlosigkeit, Musik: Sie haben alle Elemente des Dichters und der Dichtkunst in Ihrem Buch. Befreit von der Notwendigkeit, jenes armselige deutsche ,.Kabarett“ mit „Chansons“ zu versorgen, das Kabarett, das niemals in Deutschland den Mut hatte, scharf und kritisch zu sein, die Feigheit der „Revolution“ und die Bestialität der „Reaktion“ anzukündigen, sind Sie, lieber Mehring, heimgekehrt in Ihre wirkliche Heimat: in die Einsamkeit, die dem Dichter ziemt – und in das Exil, das jedem anständigen Deutschen ziemt, der nicht im Konzentrationslager gefangen ist. In Ihrem Gedicht „Mirakel
des heiligen Bürokratius“ haben Sie ein grossartiges Wort geschaffen, um das ich  Sie beneide:

„Die Wache gab ihm einen Stoss –
Da stand der Mann im Staatenlos“

Das Land „Staatenlos“ : dort sind. wir zu Hause. Dort und in der deutschen Sprache, unserer einzigen Heimat, seitdem sie heimatlos in Deutschland geworden ist, von arischen Mauschlern geschändet, von „jüdischen“ Dichtern allein noch verteidigt, von toll gewordenen 60 Millionen gelallt, von Brandbuben als Zunder missbraucht.

Ihr selbst, der Sprache, meine ich, verhelfen Sie in der Welt zu ihrem alten Klang und Glanz. Ich weiss nicht, wie lange diese törichte europäische und amerikanische Welt noch das wahnsinnige Heulen zu begreifen sich bemühen wird, das innerhalb der Grenzen Deutschlands tobt und stürmt. Aber ich wünsche, dass jener Teil der Welt, der noch die alte deutsche Sprache kennt, Ihre Gedichte mit der Genugtuung liest, die sie mir bereiten.

Ihr ganz ergebener

Joseph Roth

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1937 Biografisches Zeitschriften

Gründungsanzeige des Bundes Freie Presse und Literatur 1937

Gründungsanzeige des Bundes Freie Presse und Literatur 1937
Gründungsanzeige des Bundes Freie Presse und Literatur 1937

Am 24. Juli 1937 wurde im Neuen Tagebuch (5. Jg, Heft 30) die Grünung des Bundes Freie Presse und Literatur vermeldet. Am 7. Juli fand die Gründungsversammlung statt. Walter Mehring war eines der Gründungsmitglieder der Organisation, die sich dezidiert gegen jede Art von Bevormundung verwahrte. Deshalnb wurde die Vereinigung von der kommunistischen Exilpresse massiv angegriffen.