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1927 Prosa Zeitschriften

Walter Mehring würdigt Rundfunkpionier

* ALFRED BRAUN *
DER FUNKDIRIGENT
VON
WALTER MEHRING
*

Portrait Alfred Braun

An dem langen Gang befanden sich zur Rechten einige mit Klubsesseln ausgestattete Zellen. Zur Linken die abgedichteten Türen des großen Operationssaales, aus dem manchmal ein wirres Geschrei drang. Als ich in die mir zugewiesene Zelle eintrat, lief dort ein langer, blonder Herr auf und ab, der in sichtbarer Erregung Worte wie: Kassiopeja . . . Alpha im Großen Bären . . . und Orionnebel . . . zur Decke schleuderte. Einen Moment unterbrach der Herr seine Suada, sah mich entgeistert an und bemerkte traurig: „Mein Gott! Es ist 7 Uhr 3 Minuten! Um 7 Uhr sollte ich beginnen. Was meinen Sie, ob ich die Sonnenflecke weglasse?“ . . ., um sich gleich danach wieder in die Milchstraße zu verirren.

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1927 Prosa

Walter Mehring: Schwarze Therapie

Verein Berliner Presse: Die Anekdote

Seit Averrhoes hat die arabische Medizin einen guten Ruf. In Sidi Okba konsultierte ich deswegen eine eingeborene Kapazität. Der Arzt, geisterhaft
hager, nahte, gestützt auf einen langen Wanderstab, bekleidet mit nichts als einem Hemd, gehüllt in Nimbus, unter gänzlicher Ausschaltung aseptischer
Methoden.

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1927 Prosa Zeitschriften

Impressionen von den Proben zu „Sahara“

Das Hörspiel „Sahara“ im Senderaum
Zur Abendveranstaltung am Sonnabend, den 12. November

Nachdem zwei der Reisehörspiele in Szene gegangen sind, scheint es angebracht, die Leitidee dieser beiden Versuche kurz zu fixieren. Beiden gemeinsam war das Bestreben, das Ohr „wandern und freisen“ zu lassen, d.h., die Handlung nur durch die Abwandlung der Hör-Plätze zu schaffen, wobei der – in Versen stilisierte – Text gleichsam das Vehikel bildete. Als Material zum ersten Hörspiel wurden Assoziationen einer See- und Landreise ganz allgemein verwendet: Bahnhof, Rhythmus des Zuges, Zollrevision, Speisewagen, Schiffssirene, Bordmusik, Sturm, Morseticken; die typischen Gespräche im Kupee und an der Reeling.

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1927 Rezensionen Uncategorized Zeichnungen

George Grosz lobt Walter Mehring als Grafiker

WALTER MEHRING ALS GRAPHIKER

War Walters Produktion als Schriftsteller kennt, weiß, daß er auch ein sehr guter Zeichner ist. Die meisten seiner dichterischen Werke sind von ihm selbst illustriert, und ich denke, dies ist wohl die ideale Illustration. Walter hat eigentlich immer gezeichnet, von Kindesbeinen an. Eine sogenannte Fachausbildung hat er nicht gehabt. Weder Aktzeichen mit Korrektur, noch Perspektive und Anatomie. Er ist Autodidakt. Mit der  schützenswerten Unbekümmertheit des passionierten Amateurs zeichnet er. Es in ein wenig Sonntagszeichnerei, aber sehr sympathische. Seine Zeichnungen haben den schwerbeschreibbaren Reiz, der oft den Zeichnungen Ungeübter so eine Art kindlichen Charme gibt. Auch das ungehemmt Erzählende, daß sich über Form- und Raum(Kompositions-) problem kühn hinwgesetzt, ist dem naiven Zeichnen des Kindes   verwandt. Auch ein klein wenig von den Zeichnungen Schizophrener ist mit dabei — ohne etwas hineingeheimnissen zu wollen. etwas von der reizvollen Fähigkeit einzelner Blätter Ensors oder des späten Ernest Josephson.

Norwegisches Fischerboot
Norwegisches Fischerboot, wie es schon zu der Nibelungen Zeiten in Gebrauch war. Heute baut man Motoren ein, die Anthrazit-Öfen gleichen.
Melika
Melika, eine der fünf Mozambiten-Siedlungen in der Sahara. Ganz im Vordergrunde: typischer Brunnen mit dem von ihm bewässerten winzigen Grasfleck.
Sogne-Fjord
Landschaft im Sogne-Fjord. Zur Rechten die Stelle, wo Ibsen am ,,Peer Gynt“ dichtete.

Nach der längst erfolgten Heiligsprechung des malenden Kleinbürgers Rousseau hat ja auch heute die offizielle Kritik einen Blick für diese merkwürdigen graphischen Feinheiten, die oft hart an der Grenze des Diletantischen liegen. Walter zeichnet auf, notiert aus der Erinnerung und dem Wissen — manchmal berichterstattet er sozusagen. Ein gewaltiger Felsenkegel, ein norwegisches Tal mit schwarzen Straßen, Beduinen, ein Tisch mit Frohkosten in Schweden, alles wird mit spitzer, ein bißchen verstimmter Börsenfeder  eingeritzt und hingekritzelt. Von links wird begonnen, rechts wird aufgehört. Oder er  zeichnet eine Kette untergehakter Matrosen, die, nach langer Abwesenheit vom  Heimatlandd — voll Freude und ein wenig bezecht nach einem Haus mit übergroßer Nummer Ausschau halten. Mit großer zeichnerischer Begabung ist hier das schwankende Gehen ausgedrückt  — graphisch gut übersetzt. Darauf kommt es an. Mehring zeichnet ja nicht einfach ab, er hebt alle seine Augeneindrücke in eine für ihn sehr charakterisische ironisch-hypochondrische Ebene. Spielt das, was er widergibt, leicht verzaubert ein Tönchen höher oder tiefer, aber niemuals in banalen Klavierschul-Akkorden.

George Grosz

Freudengasse der Oase Biskra
Die Freudengasse der fashionablen Oase Biskra, frequentiert von Soldaten und Cookforschern. (Bei jedem Cooktransport werden die Mädchen zwangskommandiert.)

(Das StachelschweinGrosz, George: Walter Mehring als Graphiker; in: Das Stachelschwein Heft 1, Oktober 1927; S. 12 ff.)

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1927 Prosa Rezensionen Zeitschriften

Essad Bey feiert Algier oder die 13 Oasenwunder

WALTER MEHRING
ALGIER ODER DIE 13 OASENWUNDER
(Verlag „Die Sclımiede“, Berlin)

Algier oder Die 13 Oasenwunder (1925)Es gibt Bücher, die man in einer Nacht, ohne sie aus der Hand zu legen, ausliest und dann irgendeiner Freundin schenkt. Es gibt auch solche, deren Weisheit man in langen Wochen in sich einsaugt, und die man dann im Bücherschrank versteckt , damit sie kein fremdes Auge sieht. Es gibt aber auch Bücher, die man in einer Nacht auslesen möchte,  und die man doch nicht ausliest, weil man sie auch morgen und übermorgen und noch nach drei Tagen lesen will, und die man nie einer Freundin schenken würde.

Ein solches Buch ist „Algier“ von Walter Mehring.

Heutzutage ist es Sitte, daß jeder Europäer, der an einer Cook-Rundreise nach dem Orient
teilnahm und kein literarischer Analphabet ist, ein Buch (und zwar ein schlechtes Buch) über den Orient schreibt. So steht man jeder Neuerscheinung auf diesem Gebiete etwas skeptisch gegenüber: Denn es gibt keinen Orient mehr, oder es ist sehr wenig von ihm übriggeblieben, oder er hat sich verborgen und wird nur den Augen eines Dichters sichtbar; und ein solcher Dichter ist Walter Mehring. Das, was der Reisende in Algier sieht, sind schmutzige Straßen, verlauste Kinder, zerstörte Moscheen, neuerbaute Hotels und kommunistische Flugblätter, die jemand als „Teppich des erwachenden Asiens“ bezeichnete. Das, was Walter Mehring in Algier sah (oder nur fühlte), war nicht nur der Staub von heute, sondern es war auch der Orient, der letzte Fetzen jenes Orients, der einst die Moscheen von Buchara erbaute, auf den Teppichen der Alhambra Verse rezitierte an Lepra erkrankt, und zuletzt das schöne Wort „Backschisch“ erfand. Dabei bleibt Walter Mehring ein moderner Dichter des 20. Jahrhunderts, der seine romantische Pietät gut unter den Schleier des ironischen Lächelns zu verbergen weiß. Er macht das wie Ehrenburg, sein großer russischer Kollege, dem man auch nie die Gedanken ablesen kann.

Wer nie im Orient war, wer von dem Lande des Halbmonds nur träumen kann, der lese
keine Reisebeschreibungen, der lese nicht die Mitteilungen der zahlreichen königlichen und nichtköniglichen Akademien der Wissenschaften, der lese die 13 Oasenwunder von Walter Mehring, denn das, was darin steht, ist nicht nur Algier, sondern das ganze Araberland, von den Bergen des Atlas bis zu den Schneegipfeln des Libanon.

(Essad Bey: Walter Mehring: Algier oder Die 13 Oasenwunder; in: Die literarische Welt, Nr. 22, 1927.)

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1927 Brief

Kurt Tucholsky stellt Bedingungen für eine gemeinsame Revue

An Walter Mehring. Paris, 3.8.1927
Paris XVI
5 Avenue du Colonel Bonnet
Auteuil 44-24

Sehr verehrter Herr Strafanstaltsdirektor,

möchte Herrn Direktor mal schreiben, weil seitdem ein viel besserer Mensch geworden, seitdem bei Herrn Direktor mein lebenslänglich abgebüßt habe. Fühle mich seitdem wie im Himmel und kann dasselbe jedermann nur aufs Wärmste empfehlen.
Abgesehen davon:
1.) Sie müssen mehr haben; denn ich will hooptsächlich Kuhplehs machen und nur hier und da etwas Scene.
2.) Condotion sine que non: Urheberrecht wird nicht übertragen, sodaß sie also nichts ändern können, wenn wir nicht wollen. Verlagsrecht auch nicht.
3.) Jach hab mer gedacht, 3000 Mark. Das ist vorher zu bezohlen. Begründung: wir haben unsere Zuverlässigkeit seit Dschahrenden bewiesen – der Rendant des neuen, noch nicht einmal bestehenden Theaters hat das erst zu tun. Kein Mißtrauensvotum gegen Piscator – äußerstes Mißtrauen gegen alles geschäftliche Drumherum eines neuen Unternehmens. Haben wir das, dann ärgern wir uns nicht mehr. (Ausprobiert.)
4.) Der Herr müßten aber schon herkommen. Sieh mal, Großer, anders ist nicht. Und zwar müßten Sie gerherkommen, wenn Sie schon was haben. Und ich auch was. Über das Grundsätzliche kann man sich einig werden. Es brroocht Ihnen nicht gesagt werden, daß die eigentliche Arbeit dann erst losfangt. Wa?

(Dieser Brief ist eine Antwort Tucholskys an Walter Mehring. Der hatte ihn zuvor in einem Brief gefragt, ob er mit ihm zusammen eine Revue für Erwin Piscator schreiben würde. Tucholsky besteht auf die Einhaltung des Urheberrechts, da es Erwin Piscator damit nicht so genau nahm. Seine Skepsis gegenüber dem Projekt kommt in seinem Ton zum Ausdruck. Wobei es im Briefwechsel von Tucholsky und Mehring oft zu solchen Formulierungen, Persiflagen und Camouflagen kam. A.O.)