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1919 Rezensionen Zeitschriften

Klabund bespricht „Die Pleite“

"Die Pleite", Dada-Zeitschrift von Wieland Herzfelde.
"Die Pleite", Dada-Zeitschrift von Wieland Herzfelde.

„Deutschland ist pleite. Europa wird es bald sein. Der Pleitegeier ist der heraldische Vogel  dieser Epoche. Er schwebt, wie einst Noahs Taube, über der Sintflut der Kriege und Resolutionen, ein Bündel preußische Konsols im Schnabel. Der Malikverlag in Berlin-Halensee hat ihn sich zum Wappentier erkoren für eine satirische Zeit- und Streitschrift: „Die Pleite“ benannt. Seitdem die „Jugend“ vorzeitig gealtert und vergreist ist, die Bulldogge des „Simplizissimus“ sich in ein zahmes Wachtelhündchen verwandelt hat, das nur den Mond noch, nicht mehr diese Erde anzubellen wagt, ist diese in den Preußenfarben schwarz und weiß gedruckte kleine Zeitschrift die einzige, welche mit rabiatem Witz und agressivem Geist die innerpolitische Satire vertritt. Walter Mehring attackiert „immer stieke mit Musike die deutsche Republike“. Er ist ein berlinischer Beranger en miniature. Georg Groß wirft mit ein paar bösen kinderhaften Strichen -die Marloh, Reinhardt, Noske aufs‘ Papier. ‚Sie müssen ihm Modell liegen. Er kniet auf ihnen.‘ Er ist der Daumier von Plötzensee. Wieland Herzfelde gibt die „Pleite“ heraus. Er edierte nebenbei eine Broschüre über seine Schutzhafterlebnisse, die alle ehemaligen Schutzhäftlinge wie ein Stück ihrer eigenen Biographie lesen werden.“

Klabund (i.e. Alfred Henschke) in der „Neuen Bücherschau“, Heft 6, 1919, S. 6.

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1998 Wissenschaft

Bettina Widners Dissertation untersuchte Mehrings „Müller“

1998 hat Bettina Widner ihre Dissertation „Die Stunde des Untertanen – Eine Untersuchung zu satirischen Romanen des NS-Exils am Beispiel von Irmgard Keun, Walter Mehring und Klaus Mann“ an der Freien Universität Berlin vorgelegt. Sie selbst fasst die Arbeit folgendermaßen zusammen:

„Die Dissertation behandelt selten rezipierte, in satirischer Schreibweise verfasste Romane aus dem NS-Exil der dreißiger Jahre. Es sind Romane, die nach den Voraussetzungen der Nazi-Herrschaft suchen. Sie weisen einer Gesinnungslosigkeit, die selbstverschuldeter Schwäche entspringt, ein hohes Maß an historischer Verantwortung zu. Die Exilromane stehen in der Aufklärungstradition deutscher Kleinbürgersatire seit Georg Christoph Lichtenberg und Heinrich Heine. Begriff und Bild des „Untertanen“, wie ihn Heinrich Manns Roman skizziert, belehnen alle untersuchten Exilsatiren.

Der Figur des Untertanen, des potenziell faschistischen, für antidemokratische Ideologie empfänglichen Kleinbürgers, werden schöpferische Charaktergestalten gegenübergestellt, Außenseiter, Schelme. In diesen Norm setzenden Figuren verkrusten sich bürgerliche Idealvorstellungen. Das kleinbürgerliche Denken des Untertanen ist als Schwundstufe bürgerlicher Existenz zu begreifen, die Nonkonformisten, indem sie bürgerliche Tugenden im Extrem ausleben, als die Gesinnungslosigkeit herausforderndes Gegenstück.

Einen offen der Ratio im emphatischen Sinne abschwörenden Gegner wie den Faschismus zu verlachen scheint auf den ersten Blick töricht. Doch ermöglicht das Lachen, unter Aufhebung reflexiv logischen Verhaltens, überhaupt auf die Realität gewalttätiger Willkür zu reagieren und den Widersinn, das Factum brutum NS, zunächst einmal als gegeben
wahrzunehmen – jenseits eines bloßen Verstummens.

In allen von mir untersuchten Werkgeschichten wirkt das Exil politisch radikalisierend. Am Ende eines solchen auktorialen Bewußtwerdungsprozesses steht nicht, wie zuweilen behauptet wurde, automatisch der Volksfrontgedanke. Der satirische Gestus ist eher einer der individualistischen Dogmenfeindlichkeit, gespeist aus Skepsis und Pessimismus. Doch wenn das provisorische Ich der Kritik in der Satire noch einmal einen Standort der  Perspektive findet, dann nur auf Kosten der Fortschrittsidee selbst. Die Romane legen offen, was der Nationalsozialismus der Literatur abfordert – die Aufwärtsbewegung der Kultur, des Geistes, der Zivilisation zu leugnen.

Die satirischen Exilromane sind als das demokratische Gegenstück zum sozialistischen  Widerstandsroman zu begreifen. In seiner jeweiligen Verarbeitung offenbart das Motiv „Kleinbürgerkritik“ den Dissens des Satirikers zur KP-Strategie.“

Hier ist der Link zur Zusammenfassung…

 

Vita | 1921 bis 1925

Hier entsteht ein Lebenslauf Walter Mehrings, in dem biografische und bibliografische Daten chronologisch gesammelt werden. Hinweise und Ergänzungen sind herlich willkommen (info@walter-mehring.info).

1920 ->
– „Das politische Cabaret“ erscheint. Die Sammlung von Chansons und Couplets ist das erste Buch Walter Mehrings
– bis 1924 Mitarbeit an der „Weltbühne“

1921 ->
– „Das Ketzerbrevier“ ist das zweite Buch mit einer Sammlung von Kabarett-Texten
– Trude Hesterberg eröffnet in Souterrain des Theaters des Westens die „Wilde Bühne“. Walter Mehring wird Hausautor des Kabaretts.
– 20. Oktober: Premiere in der „Wilden Bühne„, unter anderen wird „Die kleine Stadt“ aufgeführt.

1922 ->
– Mehrere Reisen nach Paris

1923
– „Wedding.Montemerte“ erscheint als drittes Buch

1924
– „In Menschenhaut – Um Menschenhaut – Um Menschenhaut herum“ erscheint als erster Prosa-Band mit Erzählungen und Grotesken
– „Europäische Nächte“ ist der vierte Lyrik-Band Mehrings
– Mehring übersetzt sein erstes Buch: Honoré de Balzacs „Schnurrige, knurrige affentheuerliche und pantagreuliche …   Trollatische Geschichten …“  im Rahmen einer Werkausgabe bei Rowohlt
– Die zweite Übersetzungsarbeit des Jahres sind die „Französischen Revolutionslieder“ von Pottier/Clement für die Malik-Bücherei
– Mehring reist nach England (was in „Westnordwestviertelwest“ verarbeitet werden wird)
– Mehring zieht von Berlin nach Paris

1925 ->
– Mit der Novelle „Westnordwestviertelwest“ erscheint der zweite Prosa-Band
– „Neubestelltes Abenteuerliches Tierhaus“ heißt der dritte Prosa-Band
– Walter Mehring beginnt für das Tage-Buch von Leopold Schwarzschild zu arbeiten

1896 bis 1920
1921 bis 1925
1926 bis 1930
1931 bis 1935
1936 bis 1940
1941 bis 1945
1946 bis 1950
1951 bis 1955
1956 bis 1960
1961 bis 1965
1966 bis 1970
1971 bis 1975
1976 bis 1981

 

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1922 2003 Biografisches Lyrik

Marcellus Schiffer charakterisiert Walter Mehring

Marcellus Schiffer: Heute nacht oder nie
Marcellus Schiffer: Heute nacht oder nie

Marcellus Schiffer (1892 – 1932), einer der großen Chansontexter der 20er-Jahre, arbeitete bei einigen Kabarettprogrammen mit Walter Mehring zusammen. Am 20. Oktober 1922 hatte an der „Wilden Bühne“ von Trude Hesterberg (1892 – 1967) ein Programm Premiere, zu dem beide Texte beisteuerten. Der folgende Text ist ein Auszug aus Schiffers Tagebuch vom 20. Oktober 1922. Es enthält auch eine unverteilhafte Beschreibung Mehrings, die auch von Neid geprägt ist. Noch wenige Monate vorher, versuchte er sich mit Mehring gut zu stellen, weil er ihn als Fürsprecher benötigte. Die „Wilde Bühne“ hatte Trude Hesterberg 1921 im Souterrain des Theaters des Westens eröffnet. Am 24. Oktober 2011 entüllte Berlins Kulturstaatssekretär André Schmitz eine Gedenktafel an das Kabarett am Theater des Westens. In ihr werden viele Akteure, Texte und Autoren aufgeführt. Der Name des Berliners Walter Mehring fehlt in der Pressemitteilung der Staatskanzlei von Klaus Wowereit.

„Freitag, den 20. Oktober Kotzmiserabel und hoffnungslos. Alles scheint schiefzugehen wie gewöhnlich. Viel Ärger mit dem Engagement beim Rochus-Gliese-Film, das immer noch nicht zustande gekommen. Immer nur Versprechungen und sichere Zusagen, aber kein Vertrag. Wenn das wieder fehlschlägt, glaube ich an gar nichts mehr. Viele Proben in der Wilden Bühne, auch viel Ärger, weil unmögliche Menschen mit nicht gerade meinem Geschmack. Kein Wunder danach der Erfolg des Blauen Vogels. Von mir vier Couplets. Fliegentüten. Niveau für Dora Paulsen, eine eingebildete, mäßig begabte Anfängerin,
der es sich nicht einmal lohnt meine Meinung zu sagen, weil sie zu blöde ist. Charlot von Kate Kühl fabelhaft vorgetragen, und Die bessere Sache von Bendow unübertrefflich. – Walter Mehrings Sachen sehr gut – bis auf Gerrons, aber nach meinem Empfinden nicht so für Publikum geeignet. Man fragt: »Na und?« Bis auf Die kleine Stadt, die fabelhaft gemacht ist bis auf den letzten Vers, der sehr überflüssig und sentimental: alles schon dagewesen. Mehring selbst wie eine kleine Ratte oder so was, mißgünstig, ehrgeizig, unsympathisch, verbissen, verbittert, unzufrieden mit seinem Aussehen, wie mir scheint. Ein unsympathischer, aber fabelhaft begabter Mensch. – Heute abend ist Premiere des Programms. Sehr gespannt! Toi-toi-toi!“

Marcellus Schiffer: Heute nacht oder nie – Tagebücher, Erzählungen, Gedichte Zeichnungen hg. von Viktor Rotthaler; Bonn: Weidle Verlag 2003, S. 111.

Dramatische Werke

Diese Bibliografie will vollständig werden. Wenn Sie weitere Publikationen kennen, so teilen Sie mir diese bitte mit. Sie werden ergänzt. So kann das Wissen über Walter Mehring wachsen.

Die Frühe der Städte; in: Der Sturm H./9. Jg. vom Mai 1918. S. 25-29 und: Der Sturm
H. 3/9. Jg. vom Juni 1918, S. 36-41.

Einfach Klassisch. Eine Orestie mit glücklichem Ausgang. Puppenspiel; Berlin: Fürstner 1919.
– Neuausgabe hg. v. Didier Plassard; Siegen Universität – Gesamthochschule Siegen 1986 (= Vergessene Autoren der Moderne XVI). _

Sahara. Hörspiel; Gesendet 1927.
– Neuausgabe; Siegen: Universität – Gesamthochschule Siegen 1989 (= Vergessene Autoren der Moderne XXII). _

Der Kaufmann von Berlin; Berlin: S. Fischer 1929. –> _
– Neuausgabe in: Günther Rühle (Hg.): Zeit und Theater 1925 – 1933, Bd. IV, Von der Republik zur Diktatur; Frankfurt am Main, Wien, Berlin: Ullstein Verlag 1980; i.e. Ullstein-Buch Nr. 35031; S. 387 – 487. _
– Neuausgabe in: Drei jüdische Dramen – Mit Dokumenten und Rezeption; hg. v. Hans-J. Weitz; Göttingen: Wallstein 1995. _
– Neuausgabe; hg. und kommentiert v. Georg-Michael Schulz in Verbindung mit Anna Lina Dux und Paul Reszke. Tübingen: Max Niemeyer 2009 (= Conditio Judaica 77). _

Das Lied vom Leben; Film von Alexander Granowski in Zusammenarbeit mit Walter Mehring; Regie: Granowski 1931.

Die höllische Komödie; Bühnenmanuskript 1932.
– Neuausgabe; Zürich: Verlag Hans Rudolf Stauffacher o.J. _

Das dreigestrichene Fis; Gesendet in der Sendereihe „We fight backim jüdischen Sender WEVD, USA (vermutlich zwischen 1942 und 1953).

Das Dorf der sieben guten Nachbarn; Autoren: Wilhelm Bartholdy und Walter Mehring, Regie: Hans Rosenbauer; Norddeutscher Rundfunk und Radio Bremen; Erstsendung: 30. 05. 1960.

Der Freiheitssender; Gesendet in der Sendereihe „We fight backim jüdischen Sender WEVD, USA (vermutlich zwischen 1942 und 1953).
– Neuausgabe in:  Archiv für die Geschichte des Widerstandes und der Arbeit Nr. 14, Se. 233 – 238. Fernwald: Germinal Verlag 1996. _

Ralley of Hope; Entstehungszeit zwischen 1942 und 1953. Unveröffentlichtes Spiel für Kinder.

Die höllische Komödie. Drei Dramen. Die Frühe der Städte / Die höllische Komödie / Der Kaufmann von Berlin; hg. v. Christoph Buchwald. Düsseldorf: Claassen 1979 (= WMW, Bd. 4). _
– Taschenbuchausgabe; Frankfurt/M. – Berlin – Wien: Ullstein 1981 (= Ullstein
Buch 37024). _

Berlin. Hörfolge in 3 Teilen; hg. und mit einem Nachwort versehen von Georg Schirmers; Siegen Universität – Gesamthochschule Siegen 1992 (= Vergessene Autoren der Moderne LIII). _

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2010 Wissenschaft Zeitschriften

Dieter Mayer blickt auf Mehrings journalistische Arbeit

Der Literaturwissenschaftler Dieter Mayer hat sich 2006 und 2009 mit je einem Beitrag in der Zeitschrift „litertur für leser“ mit Walter Mehrings Arbeit als Journalist auseinandergesetzt. Der erste Beitrag behandelt die Zeit bis 1933, der zweite das Exil von 1933 bis 1939. Beide Beiträge sind in Dieter Mayers Sammelband „Kurt Tucholsky – Joseph Roth – Walter Mehring – Beiträge zu Politik und Kultur zwischen den Weltkriegen“ erschienen.

Mayer geht in beiden Texten sehr chronologisch entlang der Veröffentlichungen von allem in der „Weltbühne“, dem „Tage Buch“ und dem „Neuen Tage Buch“ vor. Dabei anaylisiert er sehr treffend die Beweggründe für Mehrings Arbeit. Der sehr deskriptive Ansatz fördert keine neuen Erkenntnisse, aber er stellt sehr schön zusammen, was Mehring wann und weshalb veröffentlichte. Leider fehlen einfache Querverweise auf die Prosa Mehrings, in der er viel seiner journalistischen Arbeit verarbeitete und vertiefte. Dennoch lohnt sich die Lektüre vor allem für Entdecker Walter Mehrings. Siene Konsequenz und Schärfe der Analyse des politischen Geschehens in Deutschlands sind erstaunlich. Die Kraft der Sprache immer wieder verblüffend. Dieter Mayer bietet einen guten Zugang dazu.

Dieter Mayer: Kurt Tucholsky, Joseph Roth, Walter Mehring – Beiträge zu Politik und Kultur zwischen den Weltkriegen. Frankfurt/M. e.a.: Peter Lang 2010.

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2008 Lyrik

Alexander Khuon rezitiert den Emigrantenchoral

Warum dieser Blog?

Walter Mehring ist einer der großen vergessenen Autoren. Neuerscheinungen halten sich in Grenzen. Biografische Texte gibt es so gut wie gar nicht.

Dieses Seite will diese Lücke schließen. Dazu benötigt sie die Mithilfe von Mehring-Lesern. Informationen, Texte, Bilder, Links über ihn oder von ihm sind herzlich erwünscht.

Denn walter-mehring.info will als offenes und vor allem wachsendes Projekt sichtbar machen, wo und wie Walter Mehring Spuren hinterlassen hat, damit diese nicht verwehen.

info@walter-mehring.info