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1946 Lieder Lyrik

Erich Grisar hält Walter Mehring 1946 für tot

Erich Grisar (Hg.): Denk ich an Deutschland in der Nacht - Eine Anthologie deutscher Emigrantenlyrik Aber auch jene Dichter, die die Tiefe ihrer Gefühle hinter der strengen Sachlichkeit ihres Stils zu verbergen trachten, haben schwer an der Verlassenheit getragen, in die das Schicksal sie gestoßen. So bekennt Walter Mehring – der doch vor 1933 schon lange Jahre in Paris lebte und mit dieser Stadt so verwachsen war, daß er ihr einen Roman widmete -, daß er manchmal im Schlaf berlinert, und als man Alfred Kerr die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannte, dichtete er:

Deutschland, kein winselndes Abschiedsweh!
Liebe dich doch wie eh und jeh.
Bin aus dir (nicht von dir) verbannt,
Wende den Fuß nun anderwärts,
Bist du dereinst nicht Hitlerland,
Drück ich dich wieder ans Herz.

Es mußten viele Jahre voll schmerzlichen Geschehens vergehen, ehe diese Hoffnung sich erfüllen durfte. Mancher hat die Spannung der langen Trennung nicht ausgehalten und seinem Leben ein vorzeitiges Ende bereitet, wie Kurt Tucholski (sic!), Ernst Toller, Walter Mehring, Stefan Zweig und Ernst Weiß. Andere wie Max Hermann Neiße, Joseph Roth und Robert Musil sind gestorben, ohne die Heimat wiederzusehen, ein Schicksal, das ebenso Georg Kaiser und Franz Werfel widerfahren ist, wenn sie auch das Ende des Regimes, das sie aus dem Lande trieb, noch erleben konnten.

Wenn zu der hier getroffenen Auswahl noch einige Worte gesagt werden dürfen, so ist zu betonen, daß alle vorgelegten Gedichte aus der ersten Zeit des Hitlerreiches stammen. Das bedingt, daß manches von ihnen stofflich überholt ist. Doch eben das war der Grund, die
Gedichte, die bisher nur in Abschriften in Umlauf waren, neu vorzulegen; denn sie sind unverwischbare Zeugen einer Zeit, die uns damals unerträgliche Barbarei zu sein dünkte und die, wie wir zu unserem Leid erfahren mußten, doch nur das uns heute fast harmlos scheinende Vorspiel einer Epoche war, die Schuld und Verbrechen ins Maßlose häufte.

Die Art des Entstehens dieser Sammlung führte dazu, daß mancher bekannte Name fehlt, aber neben den Lücken wird der Leser auch auf manches Wertvolle Gedicht stoßen, das heute an keiner anderen Stelle mehr auffindbar sein dürfte; denn obwohl mehr als ein Jahr vergangen ist, seit der furchtbare Alp von uns gewichen ist, der länger als ein Dutzend Jahre auf uns allen lastete, ist doch (von Glaesers Roman „Der letzte Zivilist“ und Langhoffs Moorsoldaten“ abgesehen) noch so gut wie keins der Bücher, die in der Emigration geschrieben Wurden, in Deutschland neu herausgegeben worden. Dieser Tatsache entnehmen Verlag und Herausgeber die Berechtigung, diese kleine Sammlung vorzulegen, um dem deutschen Leser einen Hauch von jenem Geiste zu vermitteln, der jenseits der deutschen Grenzen lebendige Wirklichkeit gewesen ist und den die Menschen innerhalb der Grenzen so lange nicht mehr haben spüren können.
Dortmund, im Juli 1946.
ERICH GRISAR.

(Dieser Text von Erich Grisar ist ein Auszug aus dem Vorwort für die Anthologie „Denk ich an Deutschland in der Nacht, in der Lyrik aus dem Exil 1946 in Deutschland vorgestellt wurde. Erich Grisar zählt Mehring in dem Text zu denen, die sch im Exil das Leben nahmen. Dass ihm die Flucht über Frankreich in die USA geglückt war, war dem dem Dortmunder Autor, der während des Dritten Reichs ebenfalls mit Publikationsverbot belegt war, nicht bekannt. Etwas mehr als ein Jahr nach der Kapitulation ist der schmale Band erschienen und war einer der ersten, der sich mit dem Schaffen der Eimgranten beschäftigte.

Erich Grisar (Hg.): Denk ich an Deutschland in der Nacht – Eine Anthologie deutscher Emigrantenlyrik; Karlsruhe: Verlag Volk und Zeit 1946; hier: Nazi-Zoo, S.44 f; Das Tränenfass, S. 46 f., Ode an Berlin, S. 48 f., Erich Mühsam, S. 50.)

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1963 1964 Biografisches

Walter Mehring: Zu Haus bin ich überall

Hermann Kesten (Hg.): Ich lebe nicht in der Bundesrepublik„Unsere Leser“, schreiben Sie mir, „sollten erfahren, warum Sie, geehrter Herr, nicht in der Bundesrepublik leben . . .” Hm! Ich muß mal rasch überlegen, wie ich’s begründen, wie ich mich rechtfertigen soll . . . Einst nannte ich mein eigen: eine ererbte Bibliothek; mir unersetzlich in ihrer einmaligen, nie wieder herstellbaren Auswahl – eine Kunstsammlung von Bildern, Graphiken, Collages damals verrufener, heut weltgerühmter Maler – ein Archiv, Schränke voll, von Privatbriefen nun schon klassisch gesprochener Zeitgenossen – an meinen Vater und mich. Auch gelegentlich ein Daheim. All das fiel, in einer Stunde, einer SA-Haussuchungsplünderung zu Beginn des zirka tausendjährigen Dritten Reiches anheim. Seitdem mochte ich nichts mehr besitzen. Wenn einer ein Bein verloren hat, kann es ihm nicht mehr nachlaufen. Wenn einer sein Herz verloren hat, bleibt ihm nichts übrig, als sich einen Vers draus zu machen – auf die Geliebte: seine Sprachheimat, seine ihm allein teure Vergangenheit . . .
Item: Ich lebe nicht in der Bundesrepublik, weil ich, seit meiner Geburt (1896 in Berlin), „auf Reisen” lebe – via Exil bis zu meinem exitus letalis – weil Heimweh die einzig  eingebildete Krankheit ist, an der ich bisher noch nie gelitten habe – weil die, zur Zeit, zeitgemäße, neudeutsche Literatur kein Resonanz-(Blut und)-Boden für mich ist . . .

In einem schmalen Buch hat Hermann Kesten 1963 all jenen Exilierten Platz geboten, die nach dem Krieg nicht in die Bundesrepublik kamen. Die Liste derer, die in dem band zu Wort kamen, liest sich wie ein Who is Who des Exils. Verdienstvoll ist auch der kurze Anhang, der auf acht eng beschriebenen Seiten eine Liste der bedeutenden Vertriebenen aus dem Dritten Reich enthält. Das Buch macht deutlich, wie schwer für viele die Rückkehr war. Vor allem, wenn sie auch nicht in die DDR wollten, wie die meisten derer, die zu dem Buch einen Text beisteuerten. Das erschien im Jahr des Auschwitz-Prozesses. Hermann Kesten (Hg.): Ich lebe nicht in der Bundesrepublik; München: List Taschenbücher, 1964; S. 113. (A.O.)

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1966 Lieder Lyrik

Kleiner Leitsatz für alle Exile

Kleiner Leitsatz für alle Exile

„…Wir wollen uns lieber mit Hyänen duzen
als drüben mit den Volksgenossen heuln…“

Kleiner Leitsatz für alle Exile
aus
dem Emigrantenchoral
[Arche Noah SOS – zweiter Teil]

Walter Mehring
Wien 1. Juni 1966

Dieses Autograph Walter Mehrings ist in einem kleinen Band erschienen. Erich Fitzbauer hat in ihm Faksimiles von Dichterwidmungen und Aphorismen veröffentlicht, die seine Frau und er gesammelt haben. Erich Fitzbauer (Hg.): Einkehr in ein älteres Haus – Aphorismen und Zitate in Vers und Prosa; Wien: Edition Graphischer Zirkel 2000.

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1940 1941 Lyrik

Mehring liest einen Brief aus der Mitternacht

Der X. Brief aus der Mitternacht ist wohl der beeindruckendste des Gedichtzyklusses. Im Exil an seine Freundin Hertha Pauli geschrieben fassen die zwölf Gedichte die Stimmungslage und die Erlebnisse der Jahre 1940 und 1941 von der Flucht aus Paris bis zum Januar 1941 in Marseille zusammen. Von der Abreise nach Martinique und der Weiterreise in die USA ist in dem Zyklus noch nichts zu ahnen. Der X. Brief ist von einer traurigen, fast schon sprachlosen Erinnerung an zwölf inzwischen verstorbene Freunde und Kollegen geprägt. Wobei die Sprachlosigkeit natürlich in Worte gefasst ist. Sie ist der Eindruck, der beim Lesen, beim Hören entsteht, weil diese sprachmächtigen Freunde von Erich Mühsam über Carl von Ossietzky, Kurt Tucholsky, Ernst Toller, Joseph Roth über Ernst Weiss, Ödon von Horvath, Carl Einstein und Rudolf Olden, Walter Hasenclever bis zu Theodor Lessing ihre Sprache, ihr Leben verloren haben. Weil diese Schriftsteller von den Nazis ermordet oder auf der Flucht ihr Leben verloren haben, beziehungsweise sie es sich wie Ernst Toller nahmen, weil sie das Exil und die Aussichtslosigkeit nicht mehr ertrugen.

 

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1937 Prosa Zeitschriften

Die Friedensgefahr

Man erfährt, daß die japanische Regierung, um den Frieden nicht zu gefährden, an die öffentliche Meinung die drakonische Bitte gerichtet hat, bei der unter Verwendung von Bombengeschwadern, Tanks, Panzerschiffen und anderen modernen Hilfsmitteln ausgeführten Erkundungsexpedition nicht gleich von einem japanisch-chinesischen Krieg zu reden, sondern schlicht von einem „chinesischen Konflikt“.

Wenn diese Methode, die bereits bei der Befriedung Abessiniens erfolgreich angewandt wurde, Allgemeingut wird, so steht ein alter Menschheitstraum vor der Verwirklichung: nämlich die Abschaffung der Kriege. Ganz einfach kraft Abschaffung des Ausdrucks.

Auch ist durch diese Methode stets von vornherein die Kriegsschuldfrage geklärt – zu Gunsten des Angreifers. Das ganze Unheil, der ganze Konflikt kommt daher, daß die Chinesen so tun, als ob der Krieg wäre und zurückschießen, obwohl es sich von Seiten Japans um eine militärische Operation zum Heile Chinas handelt. Hat man je erlebt, daß der Patient bei einer Operation dem Chirurgen den Blinddarm herausnehmen will?

Und die Chinesen haben es dabei nicht bewenden lassen! Aus ihren Reihen hat die Cholera auf die siegreichen japanischen Gäste übergegriffen, obwohl , wie der japanische Generalstab festgestellt hat, „der Gesundheitszustand der Truppen vorher durchaus befriedigend gewesen ist!“ Ein für allemal ist vor der Welt der Anstifter überführt worden. Kein einziger japanischer Patriot ist ausgezogen, um sich die chinesische Cholera zu holen. Hingegen haben die Chinesen, allen Geboten der Humanisierung von Konflikten zum Trotz, den friedlichen Eroberern statt des Landes ihre Epidemie abgetreten.

Und auch damit nicht genug, ist hinter dem Rücken der bewaffneten japanischen Ausflügler im Augenblick, in dem sie ballistische Experimente an der chinesischen Ostküste anstellten, ein chinesischer Taifun über die japanische Westküste niedergegangen, hat 200 Fischerboote versenkt, 46 japanische Häuser mit Sturmbomben belegt, die Drähte der telegraphischen Siegesberichte zerstört, während die Zahl derjenigen, die Harakiri machten, weil sie vom nationalen Unglück verschont blieben, noch nicht bekannt ist.

Nur die eiserne japanische Disziplin ist es zu danken, daß die Nation, selbst angesichts einer Naturkatastrophe, ihre lächerliche Kaltblütigkeit bewahrt hat und sich nicht dazu heinreißen ließ, die Feindseligkeiten gegen die landfremden chinesischen Eingeborenen einfach einzustellen.

Die gelbe Gefahr, vor der Wilhelm der Zweite die Völker Europas gewarnt hat, bevor er Deutschland ins Exil schickte, ist, seit Japan den Krieg gebrochen und China mit Frieden überzogen hat, wieder akut geworden. Seit Jahren steigern die europäischen Staaten ihre Rüstungen für Friedenszwecke ins Unabsehbare; nur ein Mittel scheint es logischerweise zu geben, um diesem Wahnsinn ein Ende zu machen, das ist: der Krieg! Man zittert vor der Möglichkeit, daß wirklich ein Diktator auf die Idee kommen sollte, sich beim Wort nehmen und seinen Friedenswillen in die Tat umzusetzen.

(Diese Glosse „Die friedensgefahr“ Walter Mehrings ist am 18. September 1937 im Neuen Tag-Buch erschienen und bezieht sich auf die kriegerische Expansion Japans in China. Angesichts der aktuellen Ereignisse in der Ukraine, liest sie sich in Teilen – wenn man Japan gegen Russland und China gegen Ukraine austauscht – hochaktuell. A.O.)

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1950 Brief

Erich Kästner schreibt für Mehring an Suhrkamp

München, den 26. 9. 1950

Lieber Herr Suhrkamp,

entschuldigen Sie bitte die heutige Störung; aber ich wende mich in einer Angelegenheit an Sie, die mich selber nicht unmittelbar betrifft, und in solchen Fällen stört man andere vielbeschäftigte Menschen leichter und lieber.

Es handelt sich um folgendes:

Walter Mehring war neulich auf einem ganz kurzen Deutschlandbesuch zwei Tage in München und klagte darüber, daß er noch stärker als andere Dichter der Emigration in Deutschland unbekannt sei. lch versprach ihm, da er sofort wieder nach New York zurück musste, mich seiner Sache ein wenig anzunehmen.

Als erstes Buch, das er gern hier herausgebracht sähe, hat er einen Chanson-, Gedicht- und Liederband zusammengestellt, der aus einigen, und zwar den bewährtesten seiner alten Texte, sowie aus einer grösseren Anzahl in der Emigration entstandener Gedichte besteht. Das Material wird mir demnächst zugänglich gemacht werden.

Was ich heute gern wüsste ist, ob Sie im Prinzip bereit wären, in absehbarer Zeit, einen solchen Band Mehrings herauszubringen.

Ich wäre Ihnen ausserordentlich dankbar, wenn Sie mir rasch Antwort zukommen lassen könnten, und bin mit den besten Grüssen und Wünschen,

lhr

Erich Kästner

(Erich Kästner hat sich 1950 auch mit einem Brief an den Piper-Verlag versucht, Walter Mehring eine Publikationsmöglichkeit zu finden. Aber weder bei Piper, noch bei Suhrkamp hat es geklappt. „Arche Noah SOS“ ist als erstes Buch Mehrings seit seiner Flucht aus Deutschland 1951 bei Rowohlt in Hamburg erschienen) A.O.

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1950 Brief

Erich Kästner hilft Walter Mehring bei der Verleger-Suche

München, den 4. 8. 1950

Lieber Mehring,

besten Dank für Ihren Brief, woran mich besonders die aufsteigenden Schriftstellen erfreut haben, da dies ja unter Graphologen für ein Zeichen von unerschöpflichem Optimismus gilt. Davon befeuert habe ich mich sofort mit dem in München stationierten Piper-Verlag in Verbindung gesetzt, und der Cheflektor dieses angesehenen Unternehmens, ein Dr. Albrecht Knaus (München 13, Georgenstr. 4), zeigte sich, soweit sich das am Telefon erspähen lässt, recht interessiert. Er hätte, sagte er, gern einmal ein paar Ihrer lyrischen Bände studiert, und ich sagte ihm, er könne sich bei mir zu diesem Behufe das „Ketzerbrevier“ und den bei S. Fischer erschienenen Band „Chansons, Lieder“ abholen lassen. Von „lassen“ wollte er nichts hören, sondern höchst selbst vorbeikommen.

Da er weder gestern noch heute höchst selbst vorbeikam, werde ich morgen oder übermorgen das Telefon erneut bemühen. Im Piper-Verlage sind ja Morgenstern und Owlglass erschienen, womit also eine gewisse Kontinuität gegeben ist.

Der Endesunterfertigte hofft, Ihnen bald Weitere Nachricht zu geben, hoffentlich eine solche, die die Aufwärtsrichtung Ihrer Schriftlinien ins Ungewisse steigert.

Mit den herzlichsten Grüssen, unbekannterweise auch an Ihre Frau, immer

Ihr

Erich Kästner

1950 weilte Walter Mehring für einige Tag ein Deutschland. Dabei begegnete er auch Erich Kästner. Dieser hat ihm versprochen, bei der Suche nach einem Verlag zu helfen. Wie dieser Brief Erich Kästners an Walter Mehring zeigt, hat er sein Versprechen auch sofort umgesetzt. (aus: Erich Kästner: Dieses Na ja!, wenn man das nicht hätte! – Ausgewähle Briefe von 1909 bis 1972 (Hg. v. Sven Hanuschek) Zürich: Atrium Verlag 2003, S. 168)  A.O.

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1979 Biografisches Prosa

Pressetexte zur Werkausgabe – Wir müssen weiter

Walter Mehring

WIR MÜSSEN WEITER
Fragment aus dem Exil
160 Seiten, geb., claassen Verlag GmbH, Düsseldorf, DM 19,80

Wir müssen weiter - Fragmente aus dem Exil (1979)
Wir müssen weiter – Fragmente aus dem Exil (1979)

Walter Mehrings Erinnerungen an Flucht und Exil in Österreich, Frankreich und USA umfaßten ursprünglich 800 Seiten. Das Manuskript, das unter dem Titel „Topographie einer Hölle – Reportagen der Unter-Weltstädte“ veröffentlicht werden sollte, ging 1976 „irgendwo zwischen München und Zürich“ verloren. Erhalten geblieben sind ca. 400 meist handgeschriebene Manuskriptblätter: Entwürfe, Notizen, Durchschläge einzelner Manuskriptseiten, aus denen sich einige Zeitabschnitte rekonstruieren ließen.

Unter dem Titel „Hitler saß uns auf de Versen“ beschreibt Mehring die Stationen seines Exils in Österreich und Frankreich und die Apokalypse seiner Flucht vor den Deutschen. So enthält der Band Kapitel über

– den Ausnahmezustand in Wien kurz nach dem Attentat auf Dollfuß, die letzten Stunden vor dem Anschluß Österreichs,

– Schicksale der in der „buckligen Fremdengaststätte und Exilkommode“ wohnenden Emigranten,

– Horvaths Tod,

– die Treffs der Pariser Bohême,

– die letzten Tage von Paris vor dem Einmarsch der „boches“,

– die Flucht von Paris über Bayonne und Toulouse nach Marseille,

– Paßfälscher, Denunzianten und die um freie Caféhausplätze streitenden Literaten in Marseille,

– das demütigende Anstehen vor den Polizeipräfekturen um Übersee- und Niemandslandpässe,

– die Verhaftung in Marseille und die Internierung im Lager St. Cyprien,

– die Flucht mit einem Frachtdampfer in die USA.

WIR MÜSSEN WEITER ist keine Biographie einer außer Rand und Band geratenen Zeit, sondern ein sehr persönliches, manchmal zorniges, manchmal satirisches, manchmal dadaistisches, manchmal pamphletisches Erinnerungsbuch eines Betroffenen.

Mehring zerstört die Legende von der antifaschistischen Einheitsfront, zeigt politische Widersprüche unter den emigrierten Intellektuellen, schildert Fehden um Ausreisepapiere, macht eindringlich deutlich, was Emigration heißt – jeden Tag die angstvolle Frage: was bringt der nächste Tag? Werden wir durchkommen?

Walter Mehring,
geboren 1896 in Berlin, entging seiner Verhaftung durch die SA nur knapp, emigrierte nach Frankreich, wurde 1939 interniert und konnte 1941 in die USA entkommen. Mehring lebt heute zurückgezogen in Orselina bei Locarno. Bisher sind erschienen:
MÜLLER und DIE VERLORENE BIBLIOTHEK.

Die Pressesstelle des Claassen-Verlags hat diesen Pressetext als “Besprechungsunterlage” mit dem Band für die Rezension verschickt. Zwei Belege der Rezension hat sich der Verlag von den Rezensenten erbeten. (A.O.)

Mehr Pressetexte zur Werkausgabe:
Die Höllische Komödie
Paris in Brand
Algier oder die 13 Oasenwunder – Westnordwestviertelwest
Verrufene Malerei – Berlin DADA
Chronik der Lustbarkeiten / Staatenlos im Nirgendwo

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1978 Biografisches Prosa

Pressetext zur Werkausgabe – Müller / Die verlorene Bibliothek

Walter Mehring
MÜLLER – CHRONIK EINER DEUTSCHEN SIPPE
Roman
272 Seiten, geb., claassen Verlag GmbH,
Düsseldorf, DM 28,–

DIE VERLORENE BIBLIOTHEK
Autobiographie einer Kultur
320 Seiten, geb., claassen Verlag GmbH,
Düsseldorf, DM 29,80

Die Bucher Walter Mehrings, nach dem K iege meist in fehlerhaften Ausgaben oder in schlechten Reprints herausgebracht, erscheinen nun zum ersten Mal in einer sorgfältig edierten und vom Autor durchgesehenen Werkausgabe. Der ctaassen-Verlag verbindet mit dieser Ausgabe die Hoffnung, daß Mehring, „einer der wenigen großen Satiriker, die Deutschland in diesem Jahrhundert hervorgebrach hat“ (Jürgen Serke), endlich den ihm gebührenden Platz in der deutschen Literatur findet. Denn der Tucholsky-Freund, den Hermann Kesten mit Heine und Villon verglich, ist bei uns immer noch ein weitgehend Unbekannter, ein zwischeen allen Stühlen sitzender ‚Exilierter‘.

Müller - Chronik einer deutschen Sippe (1978)
Müller – Chronik einer deutschen Sippe (1978)

Walter Mehring hat – und das ist bezeichnend für ihn – den MÜLLER-Roman als Band 1 der Werk-Ausgabe ausgewählt. Die CHRONIK EINER DEUTSCHEN SIPPE, Parodie und Paraphrase auf Gustaf Freytags „Ahnen“, ist eine – wie es scheint: zeitlose Satire auf den ewigen Untertan. Gleichgültig, ob sie Milesius, Mülibert, Mulobrad oder Mühlicher hießen, immer haben sich die Müllers getreu dem preußischen Kasernenhof-Dogma „Nur nicht auffallen!“ durch die Geschichte geschlagen, „haben das Heidentum abgeschworen, als es die Staatsraison von ihnen verlangte, dem Teufel widerstanden, als er auf Erden umging, sie wurden gut lutherisch zugleich mit ihren Fürsten, haben jeder Einberufung zum Heerdienst Folge geleistet, ihrem Herrn und Kaiser gedient unter der Monarchie wie in der Republik.“ (Walter Mehring)

Grundlage des Romans sind die Chroniken, Urkunden und Dokumente, auf die der Pg un Tacitus-§pezialist Dr. Armin Müller, Oberlehrer im Berliner Kgl. Wilhelmsgymnasium, 1933 gestoßen ist, als er im Zuge der allgemeinen Forderung nach Rassenreinheit den Beleg seines Ariertums zu erbringen hatte. Walter Mehring hat die Chronik der Müllers mit großem Einfühlungsvermögen in die literarischen Stile der Epochen und mit dem toternsten Witz des Satirikers aufgezeichnet. Das Buch wird bleiben, solange es MÜLLERS gibt…

Die verlorene Bibliothek, Autobiografie einer Kultur (1978)
Die verlorene Bibliothek, Autobiografie einer Kultur (1978)

Als die 1951 in New York herausgebrachte LOST LIBRARY als DIE VERLORENE BIBLIOTHEK. AUTOBIOGRAPHIE EINER KULTUR erstmals in deutscher Sprache erschien, schrieb Walter Mehring über die Entstehung des Buches: „Der Entschluß, die Lebensgeschichte einer Literatur – genauer gesagt: die Fabel einer mir verwandten Bibliothek – zu erzählen, kam mir auf der anderen Erdhälfte in Amerika, auf einer New England-Farm, deren Entlegenheit… mich wieder lehrte, Schritt für Schritt des Gelesenen mich zu erinnern.“

DIE VERLORENE BIBLIOTHEK zeigt Walter Mehring als den großen Kenner der Weltliteratur. Seine AUTOBIOGRAPHIE EINER KULTUR ist Literatur- und Kulturgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, ist zugleich – und das macht ihren besonderen Reiz und ihre Authentizität aus – e r l e b t e L i t e r a t u r aus der Feder eines Z e i t g e n o s s e n, der mit der Berliner Dada-Bewegung da-da-i-sierte, zu Herwarth Waldens „Sturm“-Kreis gehörte, Mitbegründer des Max Reinhardt-Kabaretts ‚Schall und Rauch‘ war und mit den „Dichtern und Denkern“ seiner Zeit (streitbaren) Umgang pflegte. Erinnerungen und Begegnungen – und doch nicht nur das.

Walter Mehring nimmt die Werke von Dante, Büchner, Balzac, Hegel, Fichte, Freud u.v.a. aus den Regalen der väterlichen Bibliothek und legt vor dem verblüfften Leser literarische Traditionslinien frei, streitet im Geiste des aufgeklärten Europäers, kommentiert als unbeugsamer Humanist. Dabei ist DIE VERLORENE BIBLIOTHEK kein Werk trocken philosophierender Gelehrsamkeit, sondern ein literarisch-kritisches Feuerwerk, das in seiner Anschaulichkeit, Lebendigkeit und Sprachgewalt in der – europäischen Literatur ohnegleichen ist.

MÜLLER. CHRONIK EINER DEUTSCHEN SIPPE und DIE VERLORENE BIBLIOTHEK. AUTOBIOGRAPHIE EINER KULTUR sind die ersten beiden Bände der Walter-Mehring-Werkausgabe im claassen-Verlag. 1979 wird von Walter Mehring als dritter Band der Werkausgabe das noch nicht veröffentlichte Buch, das er jetzt vollendet hat, „WIR MÜSSEN WEITER… Fragmente aus dem Exil” erscheinen. Die Werkausgabe wird herausgegeben von Christoph Buchwald.

Walter Mehring,
Lyriker, Essayist, Erzähler, Dramatiker, Film- und Funkautor und Übersetzer wurde am 29. April 1896 in Berlin geboren. Mehring gehört zu den Gründern des „Politischen Cabarets“ in Berlin und schrieb u.a. Texte für Max Reinhardts Kabarett „Schall und Rauch“. Seine von Tucholsky gerühmten Gedichte, Lieder und Chansons machten ihn früh berühmt und – verhaßt: viele seiner Bücher landeten am 10.Mai 1933 auf dem Scheiterhaufen. Walter Mehring entging seiner Verhaftung durch die SA nur knapp, emigrierte, wurde 1939 in Frankreich interniert und entkam 1941 in die USA. Nach dem Kriege kehrte Walter Mehring nach Europa zurück. Er lebt heute zurückgezogen in Zürich.

Die Pressesstelle des Claassen-Verlags hat diesen Pressetext als “Besprechungsunterlage” mit dem Band für die Rezension verschickt. Zwei Belege der Rezension hat sich der Verlag von den Rezensenten erbeten. (A.O.)

Mehr Pressetexte zur Werkausgabe:
Die Höllische Komödie
Paris in Brand
Algier oder die 13 Oasenwunder – Westnordwestviertelwest
Verrufene Malerei – Berlin DADA
Chronik der Lustbarkeiten / Staatenlos im Nirgendwo
Die Nacht des Tyrannen

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1983 Prosa

Pressetext zur Werkausgabe – Die Nacht des Tyrannen

Die Nacht des Tyrannen (1983)
Die Nacht des Tyrannen (1983)

Walter Mehring
Die Nacht des Tyrannen – Roman –
Herausgegeben von Christoph Buchwald
144 Seiten, geb.,
DM 24,–, Sfr. 22,30, Ös 182,40,
ISBN 3-546-46455-9

Walter Mehrings Abrechnung mit der Diktatur

„Als Martinez Llalado das Gebäude des Präsidenten verließ, sprang ein jugendlicher, schlanker Mann in hellgrauem Sakko aus der Reihe der Neugierigen und gab einige Schüsse aus nächster Nähe auf ihn ab.“

So beginnt Mehrings Roman, der zuerst 1937 in der Schweiz veröffenlicht wurde. Llalado ist der Typ eines Führers, der die Problematik der Tyrannis „rein“ verkörpert, unabhängig von allen zeitgenössischen Vorbildern. Er geht den Weg eines Außenseiters, der sich für die erlittenen Erniedrigungen rächt, indem er die unwissende Landbevölkerung gegen die Regierung, die Republik, die Zivilisation organisiert. Seine Gegner, die Sozialisten und die Republikaner konnten sich bislang nicht auf ein gemeinsames Vorgehen gegen ihn einigen. Nun, in der Nacht nach dem Attentat, entscheidet sich das Schicksal der Demokratie.

„Die Nacht des Tyrannen“ ist ein spannender, meisterhaft erzählter Roman, der nichts an Aktualität eingebüßt hat.

Autor:
Walter Mehring, geboren 1896 in Berlin, gestorben 1981 in Zürich. Im Rahmen der Werkausgabe liegen bisher vor: „Müller – Chronik einer deutschen Sippe“, „Die verlorene Bibliothek“, „Die  höllische Komödie“ , „Paris in Brand“, „Wir müssen weiter“, „Chronik der Lustbarkeiten“, „Staatenlos im Nirgendwo“, “Algier oder Die 13 Oasenwunder/Westnordwestviertelwest“ und „Verrufene Malerei/Berlin DADA.

Mehr Pressetexte zur Werkausgabe:
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Algier oder die 13 Oasenwunder – Westnordwestviertelwest
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