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1925 1926 2008 Biografisches

Tom Reiss berichtet über die Freunde Essad Bey und Walter Mehring

Tom Reiss hat 2006 eine wunderbare Biografie über Essad Bey veröffentlicht. „Der Orientalist – Auf den Spuren von Essad Bey“ ist ein Buch voller Überraschungen und Verblüffungen, wie sie wahrscheinlich nur ein Leben im 20. Jahrhundert hervorrufen kann. Essad Bey war auch mit Walter Mehring gut bekannt, ja vielleicht sogar befreundet. Tom Reiss beschreibt in dem zitierten Stück unten das Leben in den Berliner Caféhauszirkeln:

„In diese verqualmten Räume, in denen verrückte Gedanken erblühten und man sich noch verrückter gebärdete, passte ein turbantragender aserbaidschanischer Literato mit Dolch namens Essad Bey gut hinein, obwohl den jeder irgendwie auch als Lev Nussimbaum kannte. Diese Welt der Kaffeehausreisenden war die ideale Bühne für Lev, auf der er seinen Auftritt als Orientale perfektionieren konnte, wobei aber dieser Auftritt niemandem etwas nützte außer ihm selber. Denn genau das war das Charakteristikum des Kaffeehauslebens: die Auftritte richteten sich im Wesentlichen immer nur an das eigene, verletzliche Ego. Hilfreich war dabei auch, dass hier niemand nach Geld oder Universitätsdiplomen fragte.

Der zehn Jahre ältere Walter Mehring war damals schon ein bekannter Mann, und wahrscheinlich hat Lev durch ihn den Zugang zur Kaffeehausszene gefunden. Aber auch Lev wirkte anregend auf seinen häufig depressiven Freund. Mehring war der wichtigste Verfasser der Couplets und frechen Sprüche jenes politischen Kabaretts gewesen, das Joel Grey später versuchte, in seinem Broadway-Musical und in dem Film Cabaret wieder aufleben zu lassen (die Darstellung im Film war allerdings ein Anachronismus, denn dieses bissig satirische Kabarett war schon Ende der zwanziger Jahre praktisch tot, als der Nationalsozialismus sich erst in den Anfängen befand). Seinen Höhepunkt hatte das politische Theater, so unwahrscheinlich es auch klingen mag, wohl im Berlin der Kaiserzeit erlebt; die Zensur machte die Witze lustiger. Mehring war der Star gewesen, als das Kabarett seine unbestrittene Blütezeit feierte, d.h. in den Jahren der Revolution von 1919 bis zum Ende des Inflationsjahres 1923. Danach glitten die Berliner Kabarettnummern auf ganz eigene Weise ins Varietehafte und Burleske ab, und das Revuetheater, in dem Mädchen als Soldaten, Ärzte, Sträflinge oder Eskimos auf der Bühne tanzten, trat an die Stelle der anspruchsvolleren, zum Nachdenken anregenden Unterhaltung der Jahre zuvor. Die Hauptkonkurrenz für das Revuetheater mit seinen Tanzgirltruppen stellte nicht das Kabarett dar, sondern eine Unterhaltungsform auf noch niedrigerer Stufe: Revuen, in denen die Tänzerinnen sich nackt präsentierten. 1927 warben in Levs Berlin bunte Neonreklamen ganz unverblümt: »Nackte Tatsachen, die Welt unverschleiert« oder »Potzblitz! 1ooo nackte Frauen!« Levs Schriftstellerkollegen Walter Benjamin und Siegfried Kracauer verbrachten viele vergnügliche Stunden damit, die verschiedenen Aspekte der sich in solchen menschlichen Darbietungen offenbarenden mechanischen Reproduzierbarkeit zu analysieren – kritisch, wie sich versteht.

Mitte der zwanziger Jahre war aus dem echten Berliner Kabarett eine durch und durch politische Veranstaltung geworden. Auf der einen Seite gab es die Darbietungen kommunistischer Agitpropgruppen, auf der anderen die pronationalsozialistischer, völkischer Unterhaltungskünstler. Die ursprünglichen Dadaisten wie Walter Mehring hatten genug davon, sie hatten die Schnauze voll. Vielleicht war es ja Lev, der Mehring vorschlug, Berlin zu verlassen und eine Reise durch Algerien anzutreten. Ganz gleich, wie er auf den Gedanken kam, die Reise wirkte sich belebend aus und führte zu Mehrings erstem Prosawerk: Algier oder die 13 Oasenwunder. Das Buch Exodus habe ihn auf seinem Weg in die Pyramidenstadt Ghardaja in der Sahara, im algerischen M’zab begleitet, wo die Abaditen mit ihren islamischen golus leben, erinnerte sich Mehring. Bei ihnen hätten die letzten authentischen Israeliten gewohnt, die sich selber Ishuruni, die Aufrechten, nannten. (Auffallend ist, dass der Kaffeehausorientalist, wohin er seine Schritte auch lenkte, immer wieder auf eigenartige Juden stieß. Ganz besonders dann, wenn er selber ein Jude war, und so wie Lev oder auch Walter Mehring, versuchte, seine Identität zu verbergen.)

Lev schrieb eine begeisterte Kritik über das Buch seines Freundes in der Literarischen Welt. Darin sagte er, die meisten Reisebeschreibungen seien für Europäer so enttäuschend, weil sie dem Orient seine Seele nähmen, in diesem Buch jedoch, dessen Verfasser es besser wusste, obwohl er sich bis zu dem Zeitpunkt nie weiter nach Osten vorgewagt hatte als bis nach Budapest, könne der Leser den wahren Orient entdecken. Der Grund dafür sei, dass Walter Mehring überall Poesie sah und hörte, und »dass es keinen Orient mehr (gibt), oder sehr wenig von ihm übrig geblieben (ist) oder er sich verborgen (hat) und nur den Augen des Dichters sichtbar (wird) … Wer nie im Orient war, wer von dem Lande des Halbmondes nur träumen kann, der lese keine Reisebeschreibungen, der lese nicht die Mitteilungen der zahlreichen königlichen und nichtköniglichen Akademien der Wissenschaften, der lese die 13 Oasemvunder von Walter Mehring …«

Aber man las nicht Mehring, man las Essad Bey.

Bis Lev im Alter von achtundzwanzig Jahren die Literarische Welt verließ, hatte er 144 Artikel für die Zeitung geschrieben, mehr sogar als Walter Benjamin, der ebenfalls zu Willy Haas’ Lieblingen zählte. Außerdem hatte er noch ein gutes Dutzend sehr erfolgreicher Bücher publiziert. Sein Freund und späterer Mitarbeiter George Sylvester Viereck schrieb einmal, Essad Bey könne ein Zimmer betreten und käme schon nach wenigen Stunden mit einem fast fertigen neuen Manuskript wieder heraus. Das mag zwar etwas übertrieben sein, aber Lev produzierte so viel und so flüssig, dass es schon beinahe nicht mehr anständig war. 1934 schrieb Werner Schendell, sein Verleger und Agent, ihm einem Brief, in dem er ihn um etwas bat, was ein Autor sicherlich nicht oft zu hören bekommt, und schon gar nicht, wenn es sich bei dem Autor um den Verfasser von äußerst erfolgreichen Büchern handelt, der stolz darauf sein durfte, dass siebzehn seiner Werke auch im Ausland verlegt wurden. Schendell bat seinen Autor, »nicht mehr so viel Bücher herauszubringen … Man darf nicht als Vielschreiber gelten … besser immer mal wieder ein Jahr dazwischen eine Pause machen«.

(…)

Haas und Mehring sowie Levs andere Kollegen wussten wahrscheinlich über seine wahre Herkunft Bescheid, d.h. bis 1930 wussten sie es ganz sicher, doch in der Öffentlichkeit sprachen sie nie darüber. Als sein erstes »autobiographisches« Werk, Öl und Blut im Orient, erschien, begann der nicht genannte Verfasser seine Besprechung des Buchs in der Literarischen Welt folgendermaßen: »Man kennt Essad Bey aus der >L.W.<, aber man kannte ihn bis heute noch nicht, man dachte bisher bei seinem Namen an ein Pseudonym, und steht staunend vor diesen seltsamen Lebensaufzeichnungen eines in Baku in Aserbeidjan geborenen Asiaten, Sohn eines mohammedanischen Feudalen und einer russischen, revolutionären Intellektuellen.« Ob nun Haas nur so tat, als ob der Herausgeber tatsächlich im Unklaren war über die Herkunft seines aus Russland geflohenen Kollegen im kaukasischen Kostüm, lässt sich unmöglich sagen. Die meiste Zeit seines Lebens redete Lev mit seinen Autorenkollegen stets in einem witzelnden Ton über seine »Verwandlung« von Lev in Essad, bis ihn das Schicksal schließlich an einen Ort verschlug, an dem er über solche Dinge nicht mehr scherzen konnte. “

Tom Reiss: Der Orientalist – Auf den Spuren von Essad Bey; Berlin: Osburg Verlag 2008, S. 256 ff. 

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1981 Biografisches Zeitschriften

Fritz J. Raddatz gratuliert Mehring zum 85. in der ZEIT

„Die Fleißer und (auf anderem Feld) Walter Mehring sind von den Jüngeren die stärksten Könner.“

Alfred Kerr 1929

Bei der Verhaftung meinte der Dorfpolizist des südfranzösischen Fleckens Perpignan gewiß, in dem abgerissenen Vagabunden mit falschem Paß einen großen Fang gemacht zu haben; daß er einen modernen Villon fast ans Messer lieferte, konnte er nicht wissen. Das war 1941, Walter Mehring lebte seit 20 Jahren in Paris, aber der Sichtvermerk der „Sûreté Nationale Marseille“, mit dessen Hilfe er dem Sammellager für staatenlose Ausländer und dem ganzen mordhungrigen Kontinent Europa entkommen konnte, liest sich wie eine Überschrift für sein Leben: „Gültig zur einmaligen Ausreise – sans idée de retour…“

So hat er sich selber stets gesehen. Als Willy Haas seine Arbeiten einmal charakterisierte: „und doch kommt Mehring von anderswo her und mündet anderswo .. schrieb er dem Kritiker einen Brief: „Nun, wo auch immer, jedenfalls bei keiner herrschenden Anschauung.“ Das war die Querköpfigkeit, die ihm schon der Deutschpauker des Königlichen Wilhelmgymnasiums in Berlins Bellevuestraße bescheinigt hatte – ein Heft wurde stets neben den Stapel der Aufsätze auf den Katheder gelegt: „Die meisten haben das Thema, richtig behandelt – nur unser Freund Mehring ist natürlich anderer Meinung.“ Er war immer „anderer Meinung“, und er hat dann „das Thema richtig behandelt“, hat den Mann – der dem Primaner Mehring noch kürz vor der Einberufung zu einem Ersatzbataillon einen „Verweis wegen unpatriotischen Verhaltens erteilte – zum Typ gemacht in seiner Untertan-Fabel „Müller – Chronik einer deutschen Sippe“.

Der ganze Text von Fritz J. Raddatz findet sich hier im ZEIT-Archiv…

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1929 Biografisches Zeitschriften

Walter Mehring und die Frau, die ihn ins Kino lockt

„Auf Ihre dringliche Anfrage: Welche Frau imstande ist, mich immer wieder ins Kino zu locken, beeile ich mich, Ihnen mitzuteilen: nur eine verfügt über solche Qualitäten, daß sie mich Regie und Art des Films vergessen macht – ob Ton oder koloriert, ob er den Verlust von Heidelberger Herzen oder die Paarung der Weinbergschnecken behandelt – wenn sie nur neben mir sitzt. Den Namen Ihnen mitzuteilen, bin ich nicht befugt.
Mit vorzüglicher Hochachtung,
Walter Mehring“

1929 hat Walter Mehring diese Antwort auf eine Umfrage in einer Zeitung gegeben. „Welche Frau lockt Sie ins Kino?“, lautete sie. Die meisten nannten Namen wie Great Garbo, aber einer nahm die Frage eher amüsiert auf: Walter Mehring.

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1968 Biografisches

Gisela Zoch-Westphal erinnert sich an Mascha Kaleko und Walter Mehring

Auf der Frankfurter Buchmesse ist eine neue Gesamtausgabe der Werke Mascha Kalekos erschienen. Water Mehring war mit ihr befreundet. Regelmäßig schrieben sie sich Briefe, waren miteinander in Kontakt. Susanne Burg führte für Deutschlandradio Kultur anläßlich des Erscheinens der Kaleko-Ausgabe ein Interview mit ihrer langjährigen Freundin Gisela Zoch-Westphal. In ihm erinnert sie sich an einen Abend im Jahr 1968, als sie neben Walter Mehring saß und Mascha Kaleko kennenlernte. Zwar unterlaufen ihr zwei Fehler – Mehring erinnert sich an einen Abend 1933 und Mehring war kein Kommunist – dennoch sind die Sätze lesenswert:

Zoch-Westphal: Das war ein Abendessen, das der deutsche Konsul Dr. Christoph Niemöller gab in einem der berühmten Zunfthäuser in Zürich. Es waren nur mit Mascha Kaléko und ihrem Mann zwölf Gäste. Ich war allein dort und mein Tischnachbar war Walter Mehring. Und das darf ich vielleicht doch rasch erzählen: Nach der Suppe griff Walter Mehring sein Glas, klopfte ans Glas und sagte, ich trinke auf Mascha Kaléko, ohne sie wäre ich nicht hier, Mascha Kaléko verdanke ich mein Leben!

Und er erzählte kurz eine Szene von 1934 aus dem Romanischen Café, dort waren Gestapo-Leute in Zivil aufgetaucht, fragten nach Mehring, Mascha hatte das gerade so mitgekriegt, gab Mehring ein Zeichen, der kapierte sofort, stand auf, ohne zu zahlen, verließ das Café, lief zum nächsten Bahnhof, das war Bahnhof Zoo, stieg in den nächsten Zug, der fuhr nach Paris. Er war den Häschern entgangen! Und Mascha Kaléko hat mit denen noch herumgeschäkert. Sie war ja ungeheuer attraktiv und mit einer starken erotischen Ausstrahlung. Sie war gefährdet, sie war Jüdin! Walter Mehring war Kommunist, wurde verfolgt!

Das gesamte Interview auf dradio.de…

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1956 Biografisches Fotos Zeichnungen

Friedrich Dürrenmatt malt Walter Mehring

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Friedrich Dürrenmatt, Porträt Walter Mehring, Gouache, 1960, © Centre Dürrenmatt Neuchâtel / Schweizerische Eidgenossenschaft

Neujahr 1956 besucht Walter Mehring in Neuchatel Friedrich Dürrenmatt. In den 50er-Jahren wächst eine Freundschaft zwischen den beiden Autoren. Das hier abgebildete Proträt ist an diesem Tag entstanden. Es ist das erste selbstgemalte Porträt des Schweizers. Es hing immer in dessen Arbeitszimmer – und hängt noch heute dort, im Centre Dürrenmatt Neuchâtel, das die Veröffentlichung hier im Blog dankenswerter Weise genehmigt hat. Dürrenmatt hat über Mehring und das Porträt folgendes geschrieben: „Zu meinen Portraits: Sie sind schnell entstanden, außer den beiden ersten. Ich bin froh, daß mir von Walter Mehring wenigstens in der Malerei ein Portrait gelang, schriftstellerisch ist es mir bis jetzt nicht gelungen. Dieser sprachgewaltige Lyriker hat in vielen seiner späteren Gedichte nicht sich, sondern uns überlebt. “ (Quelle: Friedrich Dürrenmatt: Persönliche Anmerkungen zu meinen Bildern und Zeichnungen (1978) Friedrich Dürrenmatt Werkausgabe, Bd. 32: Literatur und Kunst, Copyright ©1998 Diogenes Verlag AG Zürich; zu lesen auf der Webseite des Centre Dürrenmatt Neuchatel).

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1933 Biografisches

Feature des Bayerischen Rundfunks zur Bücherverbrennung

75 Jahre nach der Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 sendet der Bayerische Rundfunk dieses anschauliche Radiofeature. Eine Mischung aus Originaltönen, gelesenen Erinnerungen von Erich Kästner, Joseph Roth und Alfred Kantorowitz sowie einordnenden historischen Betrachtungen macht das Geschehen anschaulich – und löst beim Hörer noch immer Kopfschütteln, ja Entsetzen aus.

Mehrings zitierte Verse aus den „Briefen aus der Mitternacht“ bringen die Folgen auf den Punkt: „Der beste Jahrgang deutscher Reben / ließ vor der Ernte so sein Leben“.

ARD Mediathek

Download:
http://cdn-storage.br.de/mir-live/podcast-migration/audio/podcast/import/2008_05/2008_05_18_17_09_51_podcast_radiowissen_buecherver_a.mp3

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1939 1940 2006 Biografisches

Norbert Flörken beschreibt das Lager Saint-Cyprien

Norbert Flörken hat 2006 auf seinem Blog ausführlich über die französischen Internierungslager im Roussillon, auch über Saint Cyprien, wo Walter Mehring von September bis November 1940 interniert war, geschrieben. Auf der Seite sind auch eine Reihe von Links – und Fotos. Walter Mehring kommt auch zu Wort.

„Die Strände des Roussillon: heute ist die französische Mittelmeerküste, kurz vor der spanischen Grenze, touristisch erschlossen und Urlaubsziel sonnenhungriger Einheimischer und Ausländer – vor 70 und mehr Jahren waren die breiten Sandstrände von Argelès, Saint-Cyprien und Barcarès für zehntausende Menschen ein Alptraum, und viele haben die Wochen oder Monate ihres Aufenthaltes nicht überlebt.

Erwin Brünell aus der Hippolytusstrasse 4 in Troisdorf und Alfred Meier aus Sieglar sind für ein halbes Jahr dort gewesen; Erwin Brünell wurde über Gurs und Drancy nach Auschwitz deportiert und dort am 10. August 1942 ermordet; Alfred Meier konnte fliehen und hat später sogar den Holocaust überlebt.

In den ersten Februartagen des Jahres 1939 strömen über 500.000 Männer und auch Frauen aus Spanien über die Pyrenäen nach Frankreich. Sie fliehen vor den Franco-Faschisten, die den spanischen Bürgerkrieg für sich entschieden haben – unterstützt unter anderem von Hitler-Deutschland. Diese Massenflucht benennt man nach dem spanischen Wort „Retirada“.

Die grosse Zahl der Flüchtlinge stellt die französische Regierung unter Präsident Albert Lebrun vor erhebliche Probleme. Erstens ist das Grenzland auf den Ansturm keineswegs vorbereitet und zunächst auch organisatorisch überfordert; zweitens sind die Spanienkämpfer, die im Winter über die Pässe, z.B. bei Le Perthus, marschieren, nicht erwünscht – handelt es sich doch zum grossen Teil um Männer, die – wie Ernest Hemingway, Ernst Busch oder Erich Weinert – Seite an Seite mit Kommunisten und Anarchisten für die Republik und gegen die Faschisten gekämpft haben.

Also leiten die französischen Behörden den Strom von 250.000 Menschen auf die leeren Strände von Argelès, Saint-Cyprien und Barcarès um (Recatala 1999), kleine und ärmliche Ortschaften südlich von Perpignan, in denen die Einheimischen von Landwirtschaft und Fischfang leben.“

Zitiert vom Blog www.floerken.de Hier finden sich auch die Fortsetzung und die weiterführenden Links.

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1940 1941 Biografisches

Lisa Fittko schildert, wie Mehring Hilferdings Martinique-Passage bekam

Lisa Fittko war in Marseille eine wichtige Fluchthleferin, da sie mit ihrem Mann etliche Verfolgte über die Pyrenän führte. Sie arbeitete mit Varian Fry zusammen – genauso wie Walter Mehring.

Sommer 1940

Rudolf Breitscheid, Mitglied des Reichstags und SPD-Fraktionsvorsitzender bis zur Machtübernahme Hitlers, und Rudolf Hilferding, Mitglied des Reichstags und Reichsfinanzminister, halten sich in Marseille auf. Beide haben „Visitor-Visen“ für die USA. Man beschafft ihnen tschechische Pässe auf falsche Namen sowie spanische und portugiesische Transitvisen. Da sie keine französischen Ausreisevisen haben, müssten sie die französisch-spanische Grenze illegal überqueren. Sie weigern sich.

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1939 2012 Biografisches Uncategorized Wissenschaft

Die Süddeutsche berichtet über Gedenken in Les Milles

Wie viele deutsche Intellektuelle wurde auch Walter Mehring in Frankreich nach Beginn des 2. Weltkrieges interniert. Zwar war er nicht in Les Milles wie viele andere deutsche Emigranten Er war in Camp de Falaise (Herbst 1939 bis Februar 1940) und St. Cyprien (September bis November 1940), so wie es Michael unten in seinem Kommentar richtig angemerkt hat. Joseph Hanimann hat in der Süddeutschen Zeitung am 10. September 2012 in einem großen Artikel am Les Milles erinnert. Auch wenn Walter Mehring nicht dort war, ist der Text dennoch lesenswert, weil er einen guten Einblick in die Zustände gibt:

Mahnmal Les Milles in Frankreich
Wo der Widerstand geholfen hat

„Zwischen Wissenschaft und politischem Engagement: An diesem Montag wird in Frankreich das ehemalige Internierungslager Les Milles als Mahnmal gegen Diskriminierung und Menschenverfolgung eröffnet. Doch die Aktualisierung von Geschichte stößt hier an ihre Grenzen.

Im Brennspiegel des Internierungslagers Les Milles frisst die Geschichte ein Loch ins Bild der République. Wahrscheinlich war deshalb die Herrichtung dieses Orts zur Gedenkstätte so langwierig. Als Jacques Chirac 1995 als erster französischer Präsident die Politik des État français unter Pétain in die Kontinuität der Dritten Republik stellte, war die Bemühung um dieses einzige noch erhaltene unter Frankreichs großen Internierungslagern schon seit zwölf Jahren im Gang. Es sollte dann weitere 17 Jahre dauern. Nun ist es so weit. An diesem Montag wird im Beisein des Premierministers Jean-Marc Ayrault das Camp des Milles als Mahnmal gegen Diskriminierung und Menschenverfolgung eröffnet. Die Aufarbeitung von Vichy geht weiter voran. In zwei Wochen soll auch im Pariser Vorort Drancy, wo einst die Züge nach Auschwitz abfuhren, ein vom Schweizer Architekturbüro Diener & Diener entworfenes Mahnmal als Außenstelle des Pariser Mémorial de la Shoah eröffnet werden.“

Der ganze Text bei sueddeutsche.de

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1962 Biografisches Zeitschriften

Die Deutsche Zeitung kommentiert Mehrings Absage an die DDR

 

Mehrings Absage an Ulbricht
Ein Schriftsteller bleibt konsequent

„Ich verzichte auf jede ostorientierte Lizenzausgabe meiner Arbeiten“, -. schrieb Walter Mehring aus Ascona an seinen westdeutschen Verleger, der ihm mitgeteilt hatte, der Ost-Berliner Aufbau-Verlag habe um die Lizenz für den Roman „Müller, Chronik einer deutschen Sippe von Tacitus bis Hitler“ nachgesucht. Das Angebot der Aufbau-Leute war verlockend genug: Fünftausend Westmark wollte der Pankower Staatsverlag zahlen, und darüber hinaus garantierte er eine Auflage von zehntausend Exemplaren.

Viel für einen Schrlftsteller, der zwar oft genannt, aber seltener gelesen wird. Viel für einen Mann, dessen Chansons für Kabaretts geschrieben wurden, die nicht mehr existieren; dessen Essays in Zeitschriften zu lesen waren, deren Namen längst literarhistorische Legende sind. Die Reaktion Mehrings auf den Vorschlag aus Ost-Berlin war denn auch
mehr als eine bloße Geste, sie bedeutet für ihn ein großes materielles Opfer.

Der Name des Sechsundsechzigjährigen ist für das breite Publikum heute „Schall und Rauch“. Für das Berlin der goldenen Zwanziger war er es auch. In Max Reinhardts berühmtem Kabarett nämllich sangen die großen Chansonetten seine Songs, die Jazz und Chanson, Rhythmus und Monlmarte, Elemente der Ballade und des Bänkelgesangs in sich tragen, dies alles auflösen und etwas ganz Neues, den Stil Walter Mehrings daraus entstehen lassen. Den „Bänkelsänger von Berlin“, ja den „Berlinischsten der Berliner
Bänkelsänger“ hat man ihn genannt. Und liest man „Heimat Berlin“ („… Mach Kasse! Mensch! die Großstadt schreit! Keine Zeit! Keine Zeit! Keine Zeit! …“) oder „Sechstagerennen“, spürt man: „… da lag Berlin ..“ Berlin, das den jungen Kunststudenten ebenso wie Klabund, Tucholsky, Brecht, Kästner und viele andere faszinirte noch ehe er
in den „Großen Krieg weißen Männer“ (Arnold Zweig) zog: Berlin, das 1916 in Herwarth Waldens expressionistischer Zeitschrift „Der Sturm“ seine ersten Gedichte las und ihn hernach als Rezitator im Wedding erlebte. Es war nur der Anfang: Bald sollten ihn Maximilian Harden für seine „Zukunft“ und Carl von Ossietzky für „Die Weltbühne“ entdecken und sollte Erwin Piscator 1929 seine Satire „Der Kaufmann von Berlin“ insze-
nieren. Großstadtdichter, „Asphaltliterat“, – junger Ruhm und jähes Ende. In der „Weltbühne“ erschien 1932 „Ein getretner, grober Schani … Mittelstandsheiland! … Knöcheltief durchs Blutmeer der Verräter zum Rasse-Eiland!“ Am 30. Januar 1933 war er in der Reichskanzlei. Vorbei? Noch nicht ganz. Am Tage vor dem Reichstagsbrand erregte die „Sage vom großen Krebs“ Aufsehen – letzte Warnung vor dem Unheil.

Aber dann: Exil, Ausbürgerung, Verbot, der Bücher, Scheiterhaufen – Stationen des Zorns und des Heimwehs. „Mir habt ihr aus de Innung ausjeschlossen? Sach ma, Berlin, schämste Dir nich?“

In Osterreich entging Mehring beim deutschen Einmarsch knapp der Verhaftung, 1939 flüchtete er von Paris aus zu Fuß, durch Frankreich, aber die Internierung blieb ihm nicht erspart. In Marseille gelang ihm die Flucht nach Martinique und von dort nach den Vereinigten Staaten.

Die Kommunisten versuchten, Mehrings Kampf gegen den Nationalsozialismus für ihre Ziele auszuschlachten. Im Pariser und im New Yorker Exil wurden die deutschen Kommunisten in ihren Versuchen nicht müde, den Dichter durch Denunztation und Diffamierung, die mit Publikationsangeboten abwechselten, gefügig zu machen. Doch bereits 1932 hatte er Rotfront gefragt „Wer henkt wen?“ und sie antworten lassen: „Für uns denkt das Zentralkomitee!“ Nun nannte er die Kommunisten schlicht „Stalinagenten“
und blieb fest. Das hat die sowjetdeutschen Kulturfunktionäre nach 1945 nicht davon abgehalten, immer wieder laut zu verkünden, Walter Mehring sei einer der ihren. Damit hofften sie – ebenso wie mit der von ihnen organisierten Verehrung für Kurt Tucholsky -,
Zugang zu jener intellektuellen Elite Mitteldeutschlands zu finden, die, sich zwar sozialistischem Ideengut verpflichtet fühlt, aber sich von Pankow nicht so leicht korrumpieren läßt.

Als Mehring in den fünfziger Jahren nach Europa zurückkehrte, gab es das Berlin seiner frühen Erfolge nicht mehr, und in der Erinnerung seiner Zeitgenossen gewann die tote Zeit von Weimar den Glanz goldener, aber vergangener Jahre.

Das erklärt die geringe Resonanz, die Mehrings seit 1945 erschienenen sieben Bücher in der Bundesrepublik gefunden haben. In der politisch bedrückten, literarisch sterilen und deshalb rückwärtsgewandten Atmosphäre Mitteldeutschlands aber wurden die wenigen Exemplare seiner Bücher, die Verbot, Scheiterhaufen, Bombenangriffe und dann Postzensur oder Berlin-Kontrollen überstanden haben, zu einer Offenbarung der
Freiheit. Wogegen sich der tote Tucholsky nicht mehr wehren konnte, von Pankow für die Zwecke des Regimes ausgenutzt zu werden, dagegen verwahrte sich – stellvertretend auch für Tucholsky – der lebende Walter Mehring. Er erteilte dem Ost-Berliner Aufbau-Verlag eine Absage, weil er in ihm nur die „Propaqandainstitution eines sowjetrussischen Kolonialregimes“ sieht, „das sozialdemokratische Arbeiter verfolgt, Kleinbauern aushungert, Flüchtende abschießen läßt“. Damit beantwortete er gleichzeitig die
in der Zone so oft gestellte Frage, auf wessen Seite Kurt Tudiolsky heute leben würde.

Ulrich Planitz

Deutsche Zeitung, Nr. 186 vom 13. August 1962