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1950 Brief

Erich Kästner schreibt für Mehring an Suhrkamp

München, den 26. 9. 1950

Lieber Herr Suhrkamp,

entschuldigen Sie bitte die heutige Störung; aber ich wende mich in einer Angelegenheit an Sie, die mich selber nicht unmittelbar betrifft, und in solchen Fällen stört man andere vielbeschäftigte Menschen leichter und lieber.

Es handelt sich um folgendes:

Walter Mehring war neulich auf einem ganz kurzen Deutschlandbesuch zwei Tage in München und klagte darüber, daß er noch stärker als andere Dichter der Emigration in Deutschland unbekannt sei. lch versprach ihm, da er sofort wieder nach New York zurück musste, mich seiner Sache ein wenig anzunehmen.

Als erstes Buch, das er gern hier herausgebracht sähe, hat er einen Chanson-, Gedicht- und Liederband zusammengestellt, der aus einigen, und zwar den bewährtesten seiner alten Texte, sowie aus einer grösseren Anzahl in der Emigration entstandener Gedichte besteht. Das Material wird mir demnächst zugänglich gemacht werden.

Was ich heute gern wüsste ist, ob Sie im Prinzip bereit wären, in absehbarer Zeit, einen solchen Band Mehrings herauszubringen.

Ich wäre Ihnen ausserordentlich dankbar, wenn Sie mir rasch Antwort zukommen lassen könnten, und bin mit den besten Grüssen und Wünschen,

lhr

Erich Kästner

(Erich Kästner hat sich 1950 auch mit einem Brief an den Piper-Verlag versucht, Walter Mehring eine Publikationsmöglichkeit zu finden. Aber weder bei Piper, noch bei Suhrkamp hat es geklappt. „Arche Noah SOS“ ist als erstes Buch Mehrings seit seiner Flucht aus Deutschland 1951 bei Rowohlt in Hamburg erschienen) A.O.

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1950 Brief

Erich Kästner hilft Walter Mehring bei der Verleger-Suche

München, den 4. 8. 1950

Lieber Mehring,

besten Dank für Ihren Brief, woran mich besonders die aufsteigenden Schriftstellen erfreut haben, da dies ja unter Graphologen für ein Zeichen von unerschöpflichem Optimismus gilt. Davon befeuert habe ich mich sofort mit dem in München stationierten Piper-Verlag in Verbindung gesetzt, und der Cheflektor dieses angesehenen Unternehmens, ein Dr. Albrecht Knaus (München 13, Georgenstr. 4), zeigte sich, soweit sich das am Telefon erspähen lässt, recht interessiert. Er hätte, sagte er, gern einmal ein paar Ihrer lyrischen Bände studiert, und ich sagte ihm, er könne sich bei mir zu diesem Behufe das „Ketzerbrevier“ und den bei S. Fischer erschienenen Band „Chansons, Lieder“ abholen lassen. Von „lassen“ wollte er nichts hören, sondern höchst selbst vorbeikommen.

Da er weder gestern noch heute höchst selbst vorbeikam, werde ich morgen oder übermorgen das Telefon erneut bemühen. Im Piper-Verlage sind ja Morgenstern und Owlglass erschienen, womit also eine gewisse Kontinuität gegeben ist.

Der Endesunterfertigte hofft, Ihnen bald Weitere Nachricht zu geben, hoffentlich eine solche, die die Aufwärtsrichtung Ihrer Schriftlinien ins Ungewisse steigert.

Mit den herzlichsten Grüssen, unbekannterweise auch an Ihre Frau, immer

Ihr

Erich Kästner

1950 weilte Walter Mehring für einige Tag ein Deutschland. Dabei begegnete er auch Erich Kästner. Dieser hat ihm versprochen, bei der Suche nach einem Verlag zu helfen. Wie dieser Brief Erich Kästners an Walter Mehring zeigt, hat er sein Versprechen auch sofort umgesetzt. (aus: Erich Kästner: Dieses Na ja!, wenn man das nicht hätte! – Ausgewähle Briefe von 1909 bis 1972 (Hg. v. Sven Hanuschek) Zürich: Atrium Verlag 2003, S. 168)  A.O.

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1979 Brief Dramatisches

Walter Mehrings Anregungen zur Neuinszenierung vom Kaufmann von Berlin

Brief Walter Mehrings an das Berliner Theater "Tribüne"
Brief Walter Mehrings an das Berliner Theater „Tribüne“

Walter Mehring freute sich sehr über die Neuinszenierung seines „Kaufmanns von Berlin“ von Rainer Behrend. Die Berliner „Tribüne“ hatte schon vorher einige Programme mit kabarettistischen Texten in den 1970er-Jahren aufgeführt. Dieser Brief wurde in der Zeitschrift „Theater heute“ veröffentlicht. In ihr wurde auch der gesamte Text des Stückes abgedruckt.

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1956 Biografisches Brief

Mascha Kaleko berichtet von den Umständen der Rückkehr Mehrings nach Frankreich

Am 5. April 1956 schreibt Mascha Kalko in einem Brief an Chemjo Vinaver von einem Besuch in der Redaktion von DER MONAT. Walter Mehring hatte in ihr publiziert. Die Zeitschrift war ein Projekt, das auch mit Mitteln der US-Geheimdienste finanziert wurde, um der intelektuellen Auseinandersetzung mit Ostberlin etwas entgegenzusetzen. 

„War gestern gerade in der Redaktion DER MONAT, eine amerikanisch-deutsche Publikation vom Congress for Culture, sowie Kristols Blatt in England, die Redakteure Melvin  Laski und Dr. Helmut Jaesrich empfingen mich wie es sich gebuehrt, – Laski ist ein Brooklyner Jid, mit Baertchen à la Kurt List, den er gut kennt, und als die hoerten wir haben was mit Commentary waren wir gleich mittendrin, (das fuer Dich nur) sie waren zunaechst mal von mir entzueckt und wir sprachen fast 2 Stunden miteinander ueber alles. Laski ist 2 mal jaehrlich in NY, wird sich mal melden bei mir. Jaesrich sagte, Sie sind zu gescheit, um wie andre auf diesen herzlichen Empfang nun zu bauen. Mehring dachte, nun geht das so weiter und hatte schreckliche Enttaeuschungen, bis er verbittert nach Frankreich ging, wo seine Schwiegereltern aermlich fuer ihn und seine Frau sorgen.“

(zitiert aus: Mascha Kaleko: Sämtliche Werke und Briefe; Bd.2, S. 336. Hg. v. Jutta Rosenkranz; München: dtv 2012)

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1927 Brief

Kurt Tucholsky stellt Bedingungen für eine gemeinsame Revue

An Walter Mehring. Paris, 3.8.1927
Paris XVI
5 Avenue du Colonel Bonnet
Auteuil 44-24

Sehr verehrter Herr Strafanstaltsdirektor,

möchte Herrn Direktor mal schreiben, weil seitdem ein viel besserer Mensch geworden, seitdem bei Herrn Direktor mein lebenslänglich abgebüßt habe. Fühle mich seitdem wie im Himmel und kann dasselbe jedermann nur aufs Wärmste empfehlen.
Abgesehen davon:
1.) Sie müssen mehr haben; denn ich will hooptsächlich Kuhplehs machen und nur hier und da etwas Scene.
2.) Condotion sine que non: Urheberrecht wird nicht übertragen, sodaß sie also nichts ändern können, wenn wir nicht wollen. Verlagsrecht auch nicht.
3.) Jach hab mer gedacht, 3000 Mark. Das ist vorher zu bezohlen. Begründung: wir haben unsere Zuverlässigkeit seit Dschahrenden bewiesen – der Rendant des neuen, noch nicht einmal bestehenden Theaters hat das erst zu tun. Kein Mißtrauensvotum gegen Piscator – äußerstes Mißtrauen gegen alles geschäftliche Drumherum eines neuen Unternehmens. Haben wir das, dann ärgern wir uns nicht mehr. (Ausprobiert.)
4.) Der Herr müßten aber schon herkommen. Sieh mal, Großer, anders ist nicht. Und zwar müßten Sie gerherkommen, wenn Sie schon was haben. Und ich auch was. Über das Grundsätzliche kann man sich einig werden. Es brroocht Ihnen nicht gesagt werden, daß die eigentliche Arbeit dann erst losfangt. Wa?

(Dieser Brief ist eine Antwort Tucholskys an Walter Mehring. Der hatte ihn zuvor in einem Brief gefragt, ob er mit ihm zusammen eine Revue für Erwin Piscator schreiben würde. Tucholsky besteht auf die Einhaltung des Urheberrechts, da es Erwin Piscator damit nicht so genau nahm. Seine Skepsis gegenüber dem Projekt kommt in seinem Ton zum Ausdruck. Wobei es im Briefwechsel von Tucholsky und Mehring oft zu solchen Formulierungen, Persiflagen und Camouflagen kam. A.O.)

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1941 Biografisches Brief

Thomas Mann setzt sich für Mehring und andere ein

Thomas Mann hat sich im amerikanischen Exil sehr für verfolgte Schriftsteller eingesetzt. Er war maßgeblich bei der Rettungsaktion des Emergency Rescue Committee beteiligt. Er kümmerte sich auch um Anstellungen von Schriftstellern wie Walter Mehring bei den großen Hollywood-Studios. Diese sicherten zwar für ein Jahr ein Einkommen, waren aber meist sehr frustrierend, das die Studios an der Arbeit der einst erfolgreichen Autoren kein wirkliches Interesse hatten. Im Oktober 1941 schreibt Thomas Mann an Louis B. Mayer in dieser Angelegenheit:

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1933 Brief Kabarett

Walter Mehring antwortet Erika Mann im Januar 1933

Berlin, 7.1.1933

Liebwerte Künstlerin,

Verzeihen Sie mir, daß ich nicht von mir hören ließ, aber die Arbeit an „Weltbühne“ und „Völkischem“ – denn so einfach, wie Sie sich das vorstellen, ist es nicht, zweimal pro Woche die Gesinnung zu wechseln – der Satz geht weiter ließ mich nicht zum Schangsonmachen kommen. Weißdergoebbels: es fällt mir in letzter Zeit nichts Chansonartiges ein; was ich anpacke, wird Prosa. Aber vielleicht wissen Sie ein Sujetchen -und dann will ich versuchen, die Reime hinten heranzumachen. Schade, daß Ihre Schenke so weit liegt; wäre sonst schon längst ein mal auf einen Sprung vorbeigekommen. Werden Sie nicht – wie es doch Großunternehmer zu tun pflegen – wieder in der Landeshauptstadt auftauchen, um einigen Zuwachs für Ihr p.p. Etablissement zu erwerben? Es ist schön und edel auf jeden Fall, daß Sie meiner noch gedenken.

Mit pruzzischem: Hie Zollern allewege Ihr W. Mehring

Heute ist ich glaube der siebente Januar 33

Dieser Brief Walter Mehrings ist erschienen in: Mann, Erika: Briefe und Antworten; Hg. v.: Prestel, Anna Zanco; Bd. 1, S. 32.
Offensichtlich hatte Erika Mann angefragt, ob Walter Mehring für ihr Kabarett „Pfeffermühle“ schreiben könne. Mehring entschuldigt sich humorvoll und voller Sarkasmus wegen der Zeitumsdtände. Selbstverständlich hat er nie für den „Völkischen Beobachter“ geschrieben, wohl aber für die „Weltbühne“. Allerdings waren die Umstände kurz vor der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten so angespannt, dass er selbst mit seinen Mitteln, dem Schreiben, in Berlin wirken wollte und nicht in Zürich.

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1938 1962 1990 Biografisches Brief Zeitschriften

Hans Sahl erinnert sich an den Antikommunisten Walter Mehring

1990, einen Monat nach der Wiedervereinigung, hat Hans Sahl (20. Mai 1902 – 27. April 1993) in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung einen langen Text über die Lage der Intellektuellen in Deutschland geschrieben. Darin erinnert er an die Spaltung der Exilschriftsteller durch die Kommunistische Partei. In ihm zitiert er auch einen Brief Walter Mehrings an ihn aus dem Jahr 1962. Hans Sahl machte sich im Berlin der späten 1920er und frühen 1930er Jahre einen Namen als Kritiker. Im Exil gründete er auch mit Walter Mehring aus Protest gegen die Ausgrenzung Leopold Schwarzschilds den Bund Freie Presse und Literatur.

„Zu fragen wäre jedoch: Wer befragt die Befrager? Hatte man nicht, nach 1945, in der Bundesrepublik alle Hände voll zu tun, sich mit Hitler auseinanderzusetzen, und mußte deshalb die Auseinandersetzung mit Stalin bis auf weiteres verschieben? Man knüpfte also dort wieder an, wo man 1933 aufgehört hatte, ohne sonderlich davon Kenntnis zu nehmen, daß es inzwischen Autoren wie Ignacio Silone, George Orwell, Czeslaw Milosz, Arthur Koestler und andere gegeben hatte, die sich darum bemühten, eine Literatur der Auseinandersetzung mit dem Stalinismus zu entwickeln.

ln diesem Zusammenhang sollte auch die 1938 erfolgte Revolte gegen den von Moskau manipulierten Schutzverband deutscher Schriftsteller im Exil in Paris erwähnt werden, die dazu führte, daß namhafte Autoren, unter ihnen Alfred Döblin, Bruno Frank, Leonhard Frank, Konrad Heiden, Hermann Kesten, Klaus Mann, Walter Mehring, Ernst Erich Noth, Karl Otten, Joseph Roth, Hans Sahl, Leopold Schwarzschild, sich zu einem ››Bund freie Presse und Literatur« (Verband unabhängiger deutscher Schriftsteller und Journalisten im Exil) zusammenschlossen, der mit folgendem Gründungsaufruf an die Öffentlichkeit trat:

Deutsche Schriftsteller und journalisten im Exil, in deren Vollmacht die Unterzeichneten sprechen, haben sich zu einem Bunde zusammengeschlossen.

Sie halten geistige Freiheit, moralische Sauberkeit und Verantwortungsgefiihl fiir die Grundlage jeder öffentlichen geistigen Wirksamkeit.

Sie haben um dieser Überzeugung willen die Verbannung auf sich genommen. Sie wollen diese Überzeugung auch in der Verbannung nicht antasten lassen.

Sie wollen alle sammeln, die sich aufrichtig zu den gleichen Grundsätzen bekennen. Sie glauben, daß die Sache der deutschen Freiheit nur in dieser geistigen Haltung vor der Welt vertreten werden kann. Sie sind überzeugt, daß der Kampf gegen die Unterdrückung der Freiheit in Deutschland nur mit diesen Grundsätzen zu gewinnen ist.

Sie fordern alle Schriftsteller und Journalisten, die gleicher Gesinnung sind, auf, sich ihnen anzuschließen.

Es scheint wichtig, diesen Aufruf noch einmal in Erinnerung zu bringen, weil er zeigt, daß es bereits vor fünfzig jahren Schriftsteller deutscher Sprache im Exil gab, die darauf verzichteten, sich jenen anzuschließen, die, wie Anna Seghers, Bert Brecht, Bodo Uhse und
andere, nach 1945 in die DDR gerufen wurden, um dort als Kämpfer gegen den Faschismus gefeiert und mit den entsprechenden Preisen und Privilegien ausgestattet zu werden.

In der Bundesrepublik jedoch schien wenig Interesse für jene verlorenen Einzelgänger vorhanden zu sein, die bereits damals sozusagen die Perestrojka und Glasnost vorweggenommen hatten. So kam es, daß beispielsweise Alfred Döblins Roman »November 1918«, über dessen Schicksal in dieser Zeitung vor kurzem berichtet wurde, kaum ein Echo fand, daß ein so hervorragender Schriftsteller wie Leopold Schwarzschild, Herausgeber des Tage-Buchs, das er in das Pariser Exil herüberrettete und mit dem er das Weltgewissen gegen Hitler wachhielt, sowie Autor eines kritischen Buches über Karl Marx, „Der rote Preuße“, bis heute kaum die verdiente Würdigung fand.

Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen und würde auch den Dichter Walter Mehring einbeziehen, diesen unvergefšlichen Bänkelsänger einer sterbenden Republik, der selbst beinahe anonym in einem Züricher Altersheim starb. Seine Werkausgabe ließe sich durch einen Korrespondenzband ergänzen, der unter anderem auch folgenden Brief von Mehring an mich enthalten müßte (datiert Venedig, 12. September 1961):

Dear Hans, but: ich schrieb Dir einen Dankebrief für die Monat-Kritik (die ich mir schließlich aus Zürich beschaffte) … Das erste Mal – Deine Adressenangabe war fast unleserlich – durch Regen (oder Tränen?) verwischt – kam er zurück; das zweite Mal nicht…

Es ist selbstverständlich, daß ich Dir stets antworte, antworten werde – zumal Du mich (und noch dazu lobend) in einer deutschen Zeitschrift erwähnt hast …

Das ist für mich Rarität!

Denn da ich nicht zu den West-Ost-Kulturaustäuschern gehöre – ja Einladungen dieser Cliquen (PEN etc.) protestierend zurückgewiesen hatte, hin ich im »Bierverschiß« der westdeutschen Journaille und Literatur, die so heroisch, so furchtlos die Zensur der Meinungsfreiheit, den Terror, die Radioaktivität der Bundesrepublik angreift. (Die
 Atomzerfallprodukte des USSR-Proletariats und der B. B.recht Lehrstücke sind bekanntlich wunderheilsam.)

– What are you doing?

– I give up!

Mit aufrichtigem Bedauern, nach Venedig desertiert, zu Tintoretto und Carpaccio, Dich versäumt zu haben – und mit – denn das gibt es noch! – kollegialen Grüßen, Dein Walter (Walt Merin)

Zitiert aus Hans Sahl: Profiteure der Zweideutigkeit oder Jeder ist Mitwisser – Zur Situation der Intellektuellen in unserer Zeit; Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 5. November 1990; auch in: Hans Sahl: „Und doch…“ – Essays und Kritiken aus zwei Kontinenten; Frankfurt am Main: Sammlung Luchterhand 1991, S. 30 ff.

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1932 Brief

Tucholsky an Walter Mehring aus Hindas im März 1932

1-3-32

Werter Schänder,

schönen Dank für Ihren Brief. Sie haben mir, mit Verlaub zu sagen, aus dem Herzen geschrieben. Vor allem freut es mich ungeheuer mächtig, daß Sie dem Nürnbergisch Ey nicht antworten wollen – das ist famos und klug und richtig. Ich habe den Angriff nicht gelesen, nur von ihm gehört – mich interessiert das nicht. Der einzige Effekt, den dieser Schulmeister ausübt, ist: unsern völkischen Beobachtern Waffen in die Hand zu geben. Griffe er nur unsere Qualität an, so wäre diese Einrede blödsinnig – denn dann wäre ja jede Kritik unmöglich. Dieses Geschrei mit der Tapferkeit … also, lieber Mann, Sie wissen ja, daß unter meinen schlechten Eigenschaften die olympische Geste mal nicht dabei ist. („Wer mich angreift, den zerschmettere ich“) — I wo, ich zerschmettere gar nicht. Was aber meine Haltung angeht, so wird die nicht in Wien bestimmt, sondern nur von einem einzigen: von Ossietzky. Winkt der, bin ich da. Er winkt aber nicht. Und ich gedenke keinesfalls, mich gegen dieses Geschrei zu verteidigen – weil darin nämlich eine Anerkennung seiner Legitimation läge – und die hat Kraus nicht. Es hat ihn keiner eingesetzt, uns zu beaufsichtigen – das mag der Kille seiner Verehrer imponieren, ich finde es nur dumm und hinterhältig. Seit ich mir erlaubte ein Theaterstück von ihm zu kritisieren u. seit Sie sich erlaubt haben Offenbach zu bearbeiten – seitdem erst sind wir Schädlinge. Vorher nicht. Mensch, ist das weit fort – es hallt kaum zu mir herüber. Das ist kein Getue (Ach, sind wir europäisch!), sondern es ist der Ausdruck ehrlichster Gelangweiltheit – mich berührt das überhaupt nicht. Sicher wird es aufgegriffen – sicher insceniert er gegen Sie und gegen mich eine Hetze – und ebenso sicher werden wir länger leben als er, nämlich physisch – und ich habe dauernd das Gefühl, wie wenn ein kleiner Hund mir auf die Stiebel Pipi macht: Spiel doch mit mir! beachte mich doch! Wie sagte Kerr, ah Voulez-vous jouer avec moä aufgeführt wurde! „Offengestanden nein.“

Sie haben tausendmal recht. Ärgern Sie sich nicht – das ist die Sache nicht wert. Außerdem ist Offenbach kein Gott; es ist sehr bezeichnend für Kraus, daß er sich an den Exponenten einer schwer bürgerlichen Epoche hält, der keineswegs ein zeitloses Genie gewesen ist, sondern ein bezauberndes Talent zeitgebundener Heiterkeit. Kurz, dieses Spiel wird er wohl mit sich allein spielen müssen und ohne mich und hoffentlich auch ohne Sie.

Was tut sich bei die Welschen! Das sind keine Fremden, herrlich – ist es jetzt wenigstens alles sehr billig?

Proust im Ritz, zum Portier: „Geben Sie mir mal 50 Francs!“ – Bitte, Herr Proust. „Vous pouvez les garder – c’est pour vous.“

Mit Achtung
Ihr Oberdeserteur
Ober-Landesverräter

(Zitiert aus: Kurt Tucholsky: Gesamtasgabe – Texte und Briefe, Bd. 19, S. 353; Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2005. Tucholsky bezieht sich auf einen nicht erhaltenen Brief Mehrings. Er mokiert sich auf den Text „Karl Kraus und die Offenbach-Renaissance“ von Rolf Nürnberger in: Der Scheinwerfer (Jg. 5, H. 12, März 1932, S. 4f.) und auf Textstellen von Karl Kraus selbst, die sich mit Mehrings Übersetzung der Operette „Die Großherzogin von Gerolstein“ von Jacques Offenbach beziehen.)

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1974 Brief

1974 erinnert sich Mehring an die Uraufführung des Kaufmann von Berlin

Widmungsbrief Mehrings für eine Ausgabe des Kaufmanns von Berlin (1974)
Widmungsbrief Mehrings für eine Ausgabe des Kaufmanns von Berlin (1974)

Der Bankier Manfred Schienbein bat Walter Mehring um eine Widmung in die Erstausgabe  von „Der Kaufmann von Berlin“. Mehring schickte ihm dies am 6. Oktober zusammen mit einem Brief zurück. Zum Stück schreibt er, „…das ‚Kaufmann von Berlin‘ Exemplar ist das erste, das mir seit langen Jahren wieder zur Ansicht kam. Ich besitze keines mehr … Die Uraufführung war – ohne mich rühmen zu wollen – der sensationellste Misserfolg der 20.Jahre – in einer marxistisch umfunktionierten Inszenierung von Erwin Piscator … als Publikum Elite und S.A. …“

Dieser Brief stand am 12. April 2012 zur Auktion bei liveauctioneers.com.