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1981 Biografisches Zeitschriften

Fritz J. Raddatz gratuliert Mehring zum 85. in der ZEIT

„Die Fleißer und (auf anderem Feld) Walter Mehring sind von den Jüngeren die stärksten Könner.“

Alfred Kerr 1929

Bei der Verhaftung meinte der Dorfpolizist des südfranzösischen Fleckens Perpignan gewiß, in dem abgerissenen Vagabunden mit falschem Paß einen großen Fang gemacht zu haben; daß er einen modernen Villon fast ans Messer lieferte, konnte er nicht wissen. Das war 1941, Walter Mehring lebte seit 20 Jahren in Paris, aber der Sichtvermerk der „Sûreté Nationale Marseille“, mit dessen Hilfe er dem Sammellager für staatenlose Ausländer und dem ganzen mordhungrigen Kontinent Europa entkommen konnte, liest sich wie eine Überschrift für sein Leben: „Gültig zur einmaligen Ausreise – sans idée de retour…“

So hat er sich selber stets gesehen. Als Willy Haas seine Arbeiten einmal charakterisierte: „und doch kommt Mehring von anderswo her und mündet anderswo .. schrieb er dem Kritiker einen Brief: „Nun, wo auch immer, jedenfalls bei keiner herrschenden Anschauung.“ Das war die Querköpfigkeit, die ihm schon der Deutschpauker des Königlichen Wilhelmgymnasiums in Berlins Bellevuestraße bescheinigt hatte – ein Heft wurde stets neben den Stapel der Aufsätze auf den Katheder gelegt: „Die meisten haben das Thema, richtig behandelt – nur unser Freund Mehring ist natürlich anderer Meinung.“ Er war immer „anderer Meinung“, und er hat dann „das Thema richtig behandelt“, hat den Mann – der dem Primaner Mehring noch kürz vor der Einberufung zu einem Ersatzbataillon einen „Verweis wegen unpatriotischen Verhaltens erteilte – zum Typ gemacht in seiner Untertan-Fabel „Müller – Chronik einer deutschen Sippe“.

Der ganze Text von Fritz J. Raddatz findet sich hier im ZEIT-Archiv…

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1929 Biografisches Zeitschriften

Walter Mehring und die Frau, die ihn ins Kino lockt

„Auf Ihre dringliche Anfrage: Welche Frau imstande ist, mich immer wieder ins Kino zu locken, beeile ich mich, Ihnen mitzuteilen: nur eine verfügt über solche Qualitäten, daß sie mich Regie und Art des Films vergessen macht – ob Ton oder koloriert, ob er den Verlust von Heidelberger Herzen oder die Paarung der Weinbergschnecken behandelt – wenn sie nur neben mir sitzt. Den Namen Ihnen mitzuteilen, bin ich nicht befugt.
Mit vorzüglicher Hochachtung,
Walter Mehring“

1929 hat Walter Mehring diese Antwort auf eine Umfrage in einer Zeitung gegeben. „Welche Frau lockt Sie ins Kino?“, lautete sie. Die meisten nannten Namen wie Great Garbo, aber einer nahm die Frage eher amüsiert auf: Walter Mehring.

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2012 Linksammlung Zeitschriften

Die Neglected Books page erinnert an Mehring

Im Juli 2012 ist auf einem spannenden Literatur-Blog ein kleiner Text über Mehring erschienen:

At the moment, Walter Mehring’s poems, essays and novels are out of print in both German and English. Mehring’s The Lost Library:The Autobiography of a Culture is, like Stefan Zweig’s The World of Yesterday, a paean to the humanist culture of Central Europe before the rise of Hitler.

Der ganze Text auf Neglected Books page

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1962 Biografisches Zeitschriften

Die Deutsche Zeitung kommentiert Mehrings Absage an die DDR

 

Mehrings Absage an Ulbricht
Ein Schriftsteller bleibt konsequent

„Ich verzichte auf jede ostorientierte Lizenzausgabe meiner Arbeiten“, -. schrieb Walter Mehring aus Ascona an seinen westdeutschen Verleger, der ihm mitgeteilt hatte, der Ost-Berliner Aufbau-Verlag habe um die Lizenz für den Roman „Müller, Chronik einer deutschen Sippe von Tacitus bis Hitler“ nachgesucht. Das Angebot der Aufbau-Leute war verlockend genug: Fünftausend Westmark wollte der Pankower Staatsverlag zahlen, und darüber hinaus garantierte er eine Auflage von zehntausend Exemplaren.

Viel für einen Schrlftsteller, der zwar oft genannt, aber seltener gelesen wird. Viel für einen Mann, dessen Chansons für Kabaretts geschrieben wurden, die nicht mehr existieren; dessen Essays in Zeitschriften zu lesen waren, deren Namen längst literarhistorische Legende sind. Die Reaktion Mehrings auf den Vorschlag aus Ost-Berlin war denn auch
mehr als eine bloße Geste, sie bedeutet für ihn ein großes materielles Opfer.

Der Name des Sechsundsechzigjährigen ist für das breite Publikum heute „Schall und Rauch“. Für das Berlin der goldenen Zwanziger war er es auch. In Max Reinhardts berühmtem Kabarett nämllich sangen die großen Chansonetten seine Songs, die Jazz und Chanson, Rhythmus und Monlmarte, Elemente der Ballade und des Bänkelgesangs in sich tragen, dies alles auflösen und etwas ganz Neues, den Stil Walter Mehrings daraus entstehen lassen. Den „Bänkelsänger von Berlin“, ja den „Berlinischsten der Berliner
Bänkelsänger“ hat man ihn genannt. Und liest man „Heimat Berlin“ („… Mach Kasse! Mensch! die Großstadt schreit! Keine Zeit! Keine Zeit! Keine Zeit! …“) oder „Sechstagerennen“, spürt man: „… da lag Berlin ..“ Berlin, das den jungen Kunststudenten ebenso wie Klabund, Tucholsky, Brecht, Kästner und viele andere faszinirte noch ehe er
in den „Großen Krieg weißen Männer“ (Arnold Zweig) zog: Berlin, das 1916 in Herwarth Waldens expressionistischer Zeitschrift „Der Sturm“ seine ersten Gedichte las und ihn hernach als Rezitator im Wedding erlebte. Es war nur der Anfang: Bald sollten ihn Maximilian Harden für seine „Zukunft“ und Carl von Ossietzky für „Die Weltbühne“ entdecken und sollte Erwin Piscator 1929 seine Satire „Der Kaufmann von Berlin“ insze-
nieren. Großstadtdichter, „Asphaltliterat“, – junger Ruhm und jähes Ende. In der „Weltbühne“ erschien 1932 „Ein getretner, grober Schani … Mittelstandsheiland! … Knöcheltief durchs Blutmeer der Verräter zum Rasse-Eiland!“ Am 30. Januar 1933 war er in der Reichskanzlei. Vorbei? Noch nicht ganz. Am Tage vor dem Reichstagsbrand erregte die „Sage vom großen Krebs“ Aufsehen – letzte Warnung vor dem Unheil.

Aber dann: Exil, Ausbürgerung, Verbot, der Bücher, Scheiterhaufen – Stationen des Zorns und des Heimwehs. „Mir habt ihr aus de Innung ausjeschlossen? Sach ma, Berlin, schämste Dir nich?“

In Osterreich entging Mehring beim deutschen Einmarsch knapp der Verhaftung, 1939 flüchtete er von Paris aus zu Fuß, durch Frankreich, aber die Internierung blieb ihm nicht erspart. In Marseille gelang ihm die Flucht nach Martinique und von dort nach den Vereinigten Staaten.

Die Kommunisten versuchten, Mehrings Kampf gegen den Nationalsozialismus für ihre Ziele auszuschlachten. Im Pariser und im New Yorker Exil wurden die deutschen Kommunisten in ihren Versuchen nicht müde, den Dichter durch Denunztation und Diffamierung, die mit Publikationsangeboten abwechselten, gefügig zu machen. Doch bereits 1932 hatte er Rotfront gefragt „Wer henkt wen?“ und sie antworten lassen: „Für uns denkt das Zentralkomitee!“ Nun nannte er die Kommunisten schlicht „Stalinagenten“
und blieb fest. Das hat die sowjetdeutschen Kulturfunktionäre nach 1945 nicht davon abgehalten, immer wieder laut zu verkünden, Walter Mehring sei einer der ihren. Damit hofften sie – ebenso wie mit der von ihnen organisierten Verehrung für Kurt Tucholsky -,
Zugang zu jener intellektuellen Elite Mitteldeutschlands zu finden, die, sich zwar sozialistischem Ideengut verpflichtet fühlt, aber sich von Pankow nicht so leicht korrumpieren läßt.

Als Mehring in den fünfziger Jahren nach Europa zurückkehrte, gab es das Berlin seiner frühen Erfolge nicht mehr, und in der Erinnerung seiner Zeitgenossen gewann die tote Zeit von Weimar den Glanz goldener, aber vergangener Jahre.

Das erklärt die geringe Resonanz, die Mehrings seit 1945 erschienenen sieben Bücher in der Bundesrepublik gefunden haben. In der politisch bedrückten, literarisch sterilen und deshalb rückwärtsgewandten Atmosphäre Mitteldeutschlands aber wurden die wenigen Exemplare seiner Bücher, die Verbot, Scheiterhaufen, Bombenangriffe und dann Postzensur oder Berlin-Kontrollen überstanden haben, zu einer Offenbarung der
Freiheit. Wogegen sich der tote Tucholsky nicht mehr wehren konnte, von Pankow für die Zwecke des Regimes ausgenutzt zu werden, dagegen verwahrte sich – stellvertretend auch für Tucholsky – der lebende Walter Mehring. Er erteilte dem Ost-Berliner Aufbau-Verlag eine Absage, weil er in ihm nur die „Propaqandainstitution eines sowjetrussischen Kolonialregimes“ sieht, „das sozialdemokratische Arbeiter verfolgt, Kleinbauern aushungert, Flüchtende abschießen läßt“. Damit beantwortete er gleichzeitig die
in der Zone so oft gestellte Frage, auf wessen Seite Kurt Tudiolsky heute leben würde.

Ulrich Planitz

Deutsche Zeitung, Nr. 186 vom 13. August 1962

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1934 Lyrik Zeitschriften

Der Deutsche Klub lädt zur Lesung Walter Mehrings in Paris

Anzeige im Neuen Tage Buch vom 9. Juni 1934
Anzeige im Neuen Tage Buch vom 9. Juni 1934
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2012 Wissenschaft Zeitschriften

Ulrich Tietze würdigt Mehring im Deutschen Pfarrerblatt

Im „Deutschen Pfarrerblatt“ (Nr. 5, 2012) hat Ulrich Tietze einen längeren Text über „Kriegstheologie und ihre Satiriker“ veröffentlicht. In ihm gibt es auch eine Passage über Walte Mehring, die hier zitiert wird. Der gesamte Text findet sich hier…

3.3. »Seelenmesse für Agnostiker, Wortgläubige und unbekehrbare Freigeister« – Walter Mehring

Zweifellos war Walter Mehring einer der interessantesten und auch begabtesten der Satiriker in dieser Zeit; der Kabarett-Chronist Klaus Budzinski schreibt über ihn: »Mehrings Sprachgewalt und lyrische Potenz hob das Chanson im Kabarett auf ein Niveau, das vor ihm nur Frank Wedekind und nach ihm niemand mehr erreicht hat.«34 Mehring hat, vielleicht mehr als andere Autoren der »Neuen Sachlichkeit«, religiöse Formen und Überschriften benutzt: eines seiner Bücher (eine Zusammenstellung von 1966, die Formen stammen aus der Weimarer Zeit), noch heute erhältlich und in vielfacher Hinsicht unvermindert lesenswert, trägt den bezeichnenden Titel »Neues Ketzerbrevier«35 mit dem Untertitel »eine Seelenmesse für Agnostiker, Wortgläubige und unbekehrbare Freigeister« und beinhaltet tatsächlich eine Vielzahl von religiösen Anspielungen und – natürlich satirisch verfremdeten – Formen. Beispiele: »Litanei« mit den Versen »Kyrie eleison – / alle Stätten / die dich loben / die uns ketten / an das Droben / mit Gelübden / und Geboten / in den Krypten / der Zeloten / von der Qual / und allem Jammer / in Spital / und Folterkammer / Alle die dich loben, Gott, / blutverwoben und bigott, / Herr, befreie uns davon – / Kyrie eleison!«36 Wird hier auf das Auseinanderklaffen der Lehre Jesu und der kirchlichen Praxis angespielt, so lässt sich diese Kritik auch in anderen Versen Mehrings entdecken.

Verdienstvoll bleibt aus meiner Sicht bei diesem Schriftsteller insbesondere eines: er stellte einen schlüssigen Zusammenhang zwischen dem »Hexenhammer« und Hitlers »Mein Kampf« her. In der Bibliothek seines Vaters, genauer in der Abteilung »Giftschrank«, fand Mehring den »Hexenhammer«. Er las ihn »wollüstig angeekelt«, verspürte allerdings »eine unvergessliche Schockwirkung«37 und unterzog ihn später einer gründlichen Analyse, bei der er weitgehende Parallelen zum Hitler-Buch fand: »Den Hexenwahn hat der Rassemythos ersetzt«; der Jude sei »in seiner Gemeinheit so riesengroß, dass sich niemand zu wundern braucht, wenn in unserem Volke die Personifikation des Teufels als Sinnbild alles Bösen die leibliche Gestalt des Juden annimmt.«38 Mehring sah viel früher als viele andere, dass sowohl durch die Hexenjagden als auch durch die NS-Verbrechen »das Martern von Menschen in ein geregeltes System gebracht« wurde – und er sah vor allem: »… all diese Henkersknechte waren ja nicht verhungerter, rachesüchtiger Pöbel. Ehrsame Bürger waren sie; pflichttreue Schinder, gewissenhafte Akademiker der Bestialität.«

Im Grund stellt sich auch bei Mehring die Frage nach dem Verhältnis von Gehorsamsforderung durch Staat, Kirche, Militär – und dem Recht auf eine eigene Meinung. Dass Mehring Deutschland nach Hitlers Machtantritt unter Lebensgefahr verlassen musste, gehört, wie bei vielen der besten Schriftsteller damals, zu den tragischen Aspekten des Lebens dieses Autors. Er selbst hätte diese Zeit in Deutschland kaum überlebt. Seine Schriften bleiben aktueller, als er selbst es wohl für möglich gehalten hat.

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1940 1962 Biografisches Zeitschriften

Georg Fröschel schildert, wie er Mehrings Vorgesetzter in Hollywood wurde

Am 15. Juni 1962 hat Georg Fröschel in der ZEIT geschildert, wie er bei MetroGoldwyn in Hollywood der Chef von 13 Exilanten wurde, die es dank des American Rescue Commitee schafften, rechtzeitig 1940/41 aus Frankreich vor den Nationalsozialisten zu fliehen: 

Döblin, gleich ein paar anderen Gefährdeten, bekam er, eines Tages einen Vertrag der MetroGoldwyn. Es war kein glanzvoller Vertrag, aber er bot eine Existenzgrundlage für ein Jahr in Hollywood, als Script Writer der Metro — und das Entscheidende war: mit so einem Vertrag bekam man das amerikanische Visum. Döblin ging nach Hollywood — mit zwölf anderen. Diese dreizehn — so erzählte mir Döblin, als ich ihn 1947 traf — standen dafür, daß man sie bezahlte, unter einem Gebot und unter einem Verbot. Gebot: täglich von neun bis fünf im Script Writing Department der Metro Goldwyn zu sitzen, jeder in seinem Zimmer. Verbot: während dieser acht Stunden tatsächlich zu arbeiten — so schrieb Robert Neumann vor drei Wochen in der ZEIT. Eine schone Legende? Georg Fröschel erlebte jenes Jahr auf der anderen Seite, der der Arbeitgeber.

Von 1939 bis 1956 war ich bei Metro GoldwynMayer als Filmschriftsteller angestellt. Im Jahre 1940 ließ mich Louis B. Mayer, der Chef dieser größten amerikanischen Filmgesellschaft, in sein Büro rufen und sagte mir ungefähr folgendes: „In ein paar Tagen kommen drei jüdische Schriftsteller, die aus Deutschland geflüchtet sind und die von einem Hilfskomitee nach Amerika gebracht wurden, hier an. Ich kenne die Herren nicht und weiß so gut wie nichts über sie. Es sollen begabte Leute sein. Sie werden ein Jahr bei uns arbeiten — auf Probe. Versuchen Sie, die Herren mit den hießigen Verhältnissen vertraut zu machen und beaufsichtigen Sie, was sie tun und treiben. Erzählen Sie ihnen nichts von dieser Unterredung“ So wurde ich, ohne daß es ihnen bekannt wurde, der Vorgesetzte von Walter Mehring, Alfred Polgar und Alfred Döblin.

Zum vollständigen Text…

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1966 Rezensionen Zeitschriften

Walter Mehring bespricht im Spiegel eine Anthologie zur Weltbühne und zum Tagebuch

Ausschnitt des Artikels
Ausschnitt des Artikels (Der gesamte Text als PDF...)

Im Dezember 1966 bespricht Walter Mehring im „Spiegel“ (Nr. 49/1966, S. 163) eine Anthologie über die „Weltbühne“ und das „Tagebuch“ des Dichters Wolfgang Weyrauch. Dabei geht er auch auf den Fall Josef Jakubowski ein, einem der großen Justizskandale der Weimarer Republik. Der Text ist von einer interssierten Distanz zur eigenen Geschichte geprägt. Mehring hält die Anthologie für „kulturell wertvoll“ im Sinne einer guten Ergänzung zum Geschichtsunterricht. Der einzige aktuelle Aspekt für ihn sind Hinweise auf die DDR-Zensur, da die Rechte für die Texte der Weltbühne in Ost-Berlin liegen:  

EMPÖRUNG ALS KONSERVE
Walter Mehring über die Antholgie als „Weltbühne“ und „Tagebuch“: „Ausnahmezustand“

Von Mehring, Walter

Walter Mehring, 70, gebürtiger Berliner, ist in den zwanziger Jahren, neben Tucholsky und Kästner, als Autor politischer Lyrik („Das Ketzerbrevier“), als satirischer Schriftsteller und zeitkritischer Publizist berühmt geworden. Er emigrierte 1933 aus Hitlers Deutschland und entkam 1941 aus Frankreich nach den USA. Im Exil entstand seine „Autobiographie einer Kultur“ „Die verlorene Bibliothek“. Mehring, der Mitarbeiter von „Weltbühne“ und „Tagebuch“ war und mit mehreren Beiträgen, in der hier von ihm besprochenen Anthologie vertreten ist, lebt heute in Ascona. – Wolfgang Weyrauch, 59, schrieb Erzählungen, Gedichte und Hörspiele („Anabasis“) und trat mehrfach als Herausgeber von literarisch-politischen Anthologien („Ich lebe in der Bundesrepublik“) hervor.

Ein greiser (doch noch nicht weiser) Autor erhielt kürzlich ein über 400-Seiten starkes Geschenk- und Belegexemplar, betitelt „Ausnahmezustand“ (was ihm zunächst nach einer staatsrechtlichen Abhandlung klang – Artikel 48 der Weimarer Verfassung), aber untertitelt: „Eine Anthologie aus ‚Weltbühne‘ und ‚Tagebuch'“.

Und das rührte, das berührte ihn wie ein Familienalbum von Geistesverwandten und Gesinnungsfreunden, mit denen er einmal Schulter an Schulter polemisiert hatte. Es tauchten da sogleich Assoziationen in ihm auf, Reminiszenzen an Feldpost- und Brotkarten, Dolchstoßlegende, Feme, Spartakus, Freikorpsputsche, Nackttanz-Dielen, Kokain, Kulturbolschewismus, Schmutz und-Schund-Gesetz, Gotteslästerungen (im Sinne der einschlägigen Paragraphen) und an „Die Hitlerei“. So lautet – ach, so harmlos – eine Kapitelüberschrift. Eine andere dagegen: „Der Krieg ist eine grauenhafte Schlächterei“. Fürwahr: Gelinde gesagt!

Fortsetzung im Archiv von Spiegel Online…

Der gesamte Text als PDF…

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1934 Prosa Zeitschriften

„Das Neue Tagebuch“ stellt „Naziführer sehen Dich an“ vor

1934 hat Walter Mehring anonym das Buch „Naziführer sehen dich an in der Editions du Carrefour veröffentlicht. Es enthält 33 Biografien von Größen der Nationalsozialisten. Profunde Fachkenntnis und sein exakter, großartiger Stil machen aus dem Band ein erstaunlich lehrreiches Buch. Wie in vielen seiner Gedichte und Zeitschriftentexte wird seine geradzu seherische Gabe deutlich. In der Zeitschrift Das Neue Tage-Buch erschien die erste kurze Vorstellung, die unten wiedergegeben wird: 

Eine traurige Galerie

Darre, Frank II, Prinz Auwi, Ley, Himmler, Epp, Streicher, Esser, Heines, Helldorf, Hinkler, Scheppmann, Kube,Killinger, Mutschmann, Kaufmann, Klagges, Feder,
Schlageter, Wessei, die beiden Hindenburgs, Papen, Hugenberg, Thyssen, Schacht, Schmitt. Dazu 40 unveröffentlichte Photos.

Der Titel zeigt an, dass dies Buch eine Antwort auf die Schmähschrift ist. Der Unterschied
zwischen beiden Publikationen besteht darin, dass die Schmiererei des Herrn von Leers eine Mischung Ton Fälschungen und Aufreizung zum Mord war – während die
Schrift „Naziführer sehen Dich an“ eine saubere Sammlung von Dokumenten darstellt. In der Einleitung heisst es: „Den Autoren dieses Buches wurde eine Bedingung gestellt: ihre Phantasie zu zügeln“. Die Autoren baben diese Bedingung erfüllt.

Es wäre leicht, auf Grund der einwandfreien Akten aus dem Vorleben der Naziführer Hass-Karikaturen zu schaffen. Doch könnten sie nie erreichen, was diese zurückhaltenden,  exakten, lediglich registrierenden Buchungen bewirken: die Erschütterung durch die nackte Wahrheit. Dies Buch ist für jeden Zeitgenossen ein unentbehrlicher Leitfaden durch das gigantischste Labyrinth der Lügen.

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1939 Zeitschriften

„Die Zukunft“ lädt im Juni 1939 zum Tucholsky-Mehring-Abend

1938 bis 1940 ist die Zeitschrift „Die Zukunft“ im Pariser Exil erschienen. Sie hatte auch einen Freundeskreis, der Lesungen und andere Kulturveranstaltungen organisierte. Am 9. Juni 1939 in der der Nummer 23 veröffentlichte das Blatt folgenden kleinen Artikel:

Tucholskv-Mehring Abend
Die „Freunde der Zukunft“ werden in zwangsloser Reihenfolge „Zukunft-Abende“ veranstalten. Vorgesehen sind Vorträge und Vorlesungen politischer, wissenschaftlicher, künstlerischer und literarischer Natur, Konzerte, Filmvorführungen und Diskussionsabende. Die „Zukunft-Abende“ werden regelmässig in der „Zukunft“  angekündigt werden. Der Unkostenbeitrag wird so niedrig wie möglich gehalten werden. Nicht nur Freunde und Leser der „Zukunft“, auch Gäste sind willkommen.

Der erste Abend ist Kurt Tucholsky und Walter Mehring gewidmet. Mehring selber wird sprechen, lesen und vortragen.

Wer an aas politische Gedicht, Chanson und Pamphlet der Vor-Hitler-Zeit denkt, der wird zuerst an Kurt Tucholsky und Walter Mehring denken, Eine vergangene, verschollene Welt? Ganz im Gegenteil! Eine höchst lebendige (vielen braven Leuten noch heute: allzulebendige) Welt wird auferstehen. Wieviel ist da vorausgesehen und vorausgesagt! Nicht nur für die nahe Vergangenheit und Gegenwart, auch für die Zukunft.