In Berlin, der deutschen Hauptstadt, trafen die Klassengegensätze besonders hart aufeinander. Die Regierung Scheidemann-Noske blieb hier nicht bei der platonischen Verkündung der Parole „Ruhe ist die erste Bürgerpflicht“, sondern ging brutal mit Waffengewalt gegen das revolutionäre Proletariat vor, und von dem „Bluthund“ Noske gedeckt, ermordete die reaktionäre Soldateska die Führer der KPD Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Diese Ereignisse fanden ihre vielfältige Widerspieglung in der Literatur und im politischen Kabarett.
Walter Mehring, der in späteren Jahren, insbesondere nach dem zweiten Weltkrieg, von seiner damaligen fortschrittlichen Haltung abrückte, dichtete zornerfüllt den „Deutschen Liebesfrühling 1919“:
Herr Noske übt jetzt Volksversöhnung.
Mit Hülsenfreikorps, 5 Mark Löhnung.
Der letzte Mann, der Freiheit grölt,
Wird janz im stillen abgekehlt
Mit Eichenlaub und blut’ger Wade,
Begeistert brüllt die Wachtparade:
___Ach, Noske jib mir `n Frühlingsschmatz,
___Die deutsche Eiche jrünt.
___In Potsdam uff”n Rummelplatz
___Wird klotzig Geld vadient.
Wie genau Mehring die Bourgeoisie durchschaute, zeigt noch heute sein Pamphlet „Mit Samthandschuhen“:
„Seit mein Kaiser in Amerongen sitzt, kräht kein Bourgeois nach ihm, der ihn nicht täglich absetzte. Der Königsstürzer im Klubsessel und Heil-dir-im-Siegerkranz auf der Grammophonwalze, weil die Platte nu mal jekooft is. – Wir haben schließlich doch auch zugesehen, wie das Blut floß – aber man ist aufgeklärt – laßt sie doch die Kokarden tragen – das ist äußerlich. Und außerdem macht sichis sehr schön. – Und innerlich sind wir gut deutsch – schwarz-weiß-rot. Und gute Christen: Nur ein guter Christ kann ein guter Soldat sein, hat (zwar nicht Christus) gesagt (aber) Unser Kaiser. Nur ein guter Christ kann ein Demokrat sein, hat Scheidemann noch nicht gesagt. – Gelten lassen und Frieden! Wenn man uns nur das Geld läßt. Achtung! Die Bolschewisten kommen. Jetzt heißt`s zusammenkriechen. Kriechen! Ohne Rangunterschied: Um Gottes willen, Intellektuelle und Proletarier, vereinigt Euch, sonst geht die Kultur des Geldsackes flöten! Das wird Gott nicht wollen!“
Mehrings dichterisches Schaffen dieser Zeit fand seine Grenzen in der individuellen Sicht, aus der er die politisch-aktuellen Ereignisse betrachtete. Der 1896 geborene Dichter leistete aber trotzdem Entscheidendes zur Weiterentwicklung des literarischen Kabaretts in Deutschland. Dazu gehören vor allem seine Gedichte, die die „Weltbühne“ in der Zeit der Weimarer Republik veröffentlichte. Meisterhaft traf Mehring den Nerv der Zeit:
Oben woll’n se grad beraten –
Schnuppern am sozialen Braten,
Unten auf dem Königsplatze –
20 Mann im Heldensatze
Hat sich ’n Leutnant aufgepflanzt.
___Mitten in der Republike –
___Fesch und schnieke
___Geht’s: Heil dir im Siegerkranz!
___Vorne stehn se Kopp an Kopp,
___Hinten drängelt sich der Mob.
___Und die Claque brüllt sich heiser:
___Gebt uns wieder unsern Kaiser!
Mit 23 Jahren wurde Walter Mehring Hausdichter beim zweiten „Schall und Rauch“, dem ersten literarischen Kabarett der Nachkriegszeit. Hier fand er seinen Chansonstil: „Aus Unkenntnis dieser Kunstgattung, dessen spätere Popularität mich die Aufnahme in fast jede seriöse Literaturgeschichte kostete.“
Als Autor formvollendeter, großartiger Songs, Balladen und Chansons gehört Mehring zu den bedeutendsten Autoren des literarisch-politischen Kabaretts in Deutschland. Ausdruck, Rhythmik und die Suggestivkraft seiner Verse sind unverwechselbar. Eisiger Hohn und schneidende Schärfe wehen aus diesen Strophengebilden entgegen, „aber wie wenige hören es zwischen den Zeilen Walter Mehrings schluchzen“, bemerkt Tucholsky. Mehrings damalige Haltung, seine kompromißlosen Attacken gegen die Bourgeoisie, machten ihn in jenen Jahren zum Mitkämpfer gegen Krieg, Reaktion und Militarismus, wenn es ihm auch nicht gelang, seine Protesthaltung mit der organisierten Kraft der revolutionären Arbeiterbewegung zu vereinen.
(Rudolf Hösch: Kabarett von gestern – nach zeitgenössischen Berichten, Kritiken und Erinnerungen, Bd. 1, 1900 – 1933; Berlin (Ost): Henschelverlag 1969; S. 164 ff.
Dieser Beitrag aus den späten 1960er-Jahren ist ein gutes Beispiel für die Bewertung des Werkes von Walter Mehring vor dem Hintergrund der Ideologien. Mehring, der sich selbst nie als Kommunisten begriffen hat und auch nie Mitglied einer Partei wurde, wurde genau dies schon seit den 1920er-Jahren immer wieder zum Vorwurf gemacht. Auch im Exil spielte die Frage, ob man für oder gegen die KP war, eine wichtige Rolle. Und nach dem Ende des Dritten Reiches mit der Gründung der beiden deutschen Teilstaaten ebenso. Umso bemerkenswerter ist es, dass Hösch hier auch und vor allem auf die literarische Qualität der texte Merhings abhebt. A.O.)

gestatten Sie mir, Ihnen auf Ihre „Ablehnung“ – folgende Entgegnungen zu senden:
Nur fünf Euro für einige Gedichte Walter Mehrings. Das ist das Angebot der Reihe „Poesiealbum“ an Leser, die sich für Lyrik interessieren. Den Umschlag schmückt eine Farblithografie von Conrad Felixmüller mit dem Titel „Kohlenbergarbeiter“ (1920). In der Mitte wird der 36 Seiten dünne Band mit einem Holzschnitt („Holzlesen – Berlin“ von 1948) ergänzt.
(Dieser Brief Walter Mehrings ist erschienen in: Mann, Erika: Briefe und Antworten; Hg. v.: Prestel, Anna Zanco; München: Edition Spangenberg 1984; Bd. 1, S. 52 ff.
Wir nehmen jeden der spärlich gebenen Bände Lyrik zögernd und zitternd zur Hand; zögernd, weil wir der Gegenwart nicht zutrauen, daß sie Lyrik zu gestalten erlaube; zitternd, weil wir, nach allzuvielen Enttäuschungen, auf den Klang der Poesie, auf strömenden Melos, auf reiche und reine Gestaltung warten. Uns interessiert nicht „Zeitlyrik“, wenn sie nichts ist, als der krampfhafte Versuch, mit aktuellen Requisiten die überlebten Formen und die vergangene Mentalität und Sentimentalität aufzufrischen. Das Kriterium der „Zeit-Nähe“, allzu sehr mißbraucht für die Beurteilung dramatischer und epischer Dichtung, besagt nichts für den Wert lyrischer Poesie. Etwas anderes aber – wir verwechseln es gern ¬ ist geeignet, schöpferische Dichtung zu indizieren: nicht Organ haben für die Zufälligkeiten aktueller Erscheinungen, sondern: einen Standpunkt haben . .. der Zeit, der Welt, dem eigenen Ich gegenüber. Der lyrische Dichter ist der isolierteste, der einsamste Mensch. Er reproduziert nicht die Objektwelt und legitimiert sich nicht durch adäquates Dokumentieren. Er saugt alles, Gefühle und Dinge, nach innen und faßt tausend Wirklichkeiten der Seele und der Sinne in einen Vers …
Ein Buch, das einer weder auf österreichischem, noch auf katholischem Boden heimischen, ja vielleicht allzusehr vernachlässigten Spezies angehört: der des satirischen Romans. Diese Vernachlässigung ist kein Zufall, sondern sie beruht auf einer begründeten Skepsis gegen das nur Negative, das Nicht-Aufbauende. Diese Skepsis ist an sich gesund, aber sie kann auch übertrieben Werden, und der Katholizismus deutscher Sprache, zumal in Oesterreich, befindet sich möglicherweise in der Gefahr der Uebertreibung, was sich in einer gewissen sterilen Unlebendigkeit katholischer Publizistik und einer noch gefährlicheren Angst vor der entschiedenen, und sei es negativen Stellungnahme gegen zu negierende Dinge auswirkt, die an dieser Stelle einmal treffend der „Immerhin-Komplex“ genannt wurde. Für diesen Komplex ist ein Buch wie das vorliegende von Walter Mehring, geradezu Medizin. Eine Medizin kann ja auch bitter sein und süß und angenehm ist dieser satirische Roman, der die Geschichte einer deutschen Sippe von Tacitus bis Hitler in kurzen, treffend gezeichneten Bildern bringt, sicher nicht. Wir möchten ihn in der Hand vieler Oesterreicher und Katholiken sehen, – nicht, weil er irgendwie österreichisch oder katholisch wäre (davon ist der Autor trotz vieler gleichlautender Urteile weit entfernt), sondern weil in ihm Dinge stehen, die für Oesterreicher und Katholiken gut und gesund zu hören sind. Und zwar nicht nur, obwohl, sondern weil dieses Buch notwendigerweise bei beiden Anstoß erregen muß. Denn dieser Anstoß zwingt zur Auseinandersetzung, – zur Auseinandersetzung mit dem satirischen Weg, einen Feind anzugreifen, im allgemeinen und mit der These dieses satirischen Romans im besonderen. Diese These ist, kurz gesagt, die logische Entwicklungslinie im deutschen Wesen, die schließlich bis zum Nationalsozialismus geführt hat. Daß Deutschtum und Nationalsozialismus nicht dasselbe sind, wissen wir, – aber dieses Buch meint ja nur das Negative, die Schattenseite und zeigt in ihr eine Linie, die Luther und Hitler, Preußentum und Nationalsozialismus in ihren spezifischen Mängeln, Schwächen und Gefahren miteinander verbindet (wobei bemerkt werden muß, daß die Durchführung dieser These für unser Gefühl für Gegenwart, Nachreformationszeit und für das vorchristliche Germanentum weit besser und überzeugender gelingt, als für das christliche Mittelalter). Das Buch will nicht leugnen, daß dieser Schattenseite auch Lichtseiten gegenüberstehen, aber es abstrahiert von ihnen, wozu der Satiriker das Recht hat, um die Kritik desto schärfer herauszuarbeiten. Man kann der Satire ebensowenig Einseitigkeit, Uebertreibung des Negativen, Ueberbetonung einzelner Momente vorwerfen, wie der Karikatur, denn das ist ihr Wesen. Innerhalb dieses Rahmens und mit allen weltanschaulichen Vorbehalten, – die uns in ihren Konsequenzen manches unter die „Ahnen“ des -Nationalsozialismus zählen läßt, das Mehring nicht dazuzählt, und manches, insbesondere im Mittelalter, nicht, was er dazurechnet, – muß dieser satirische Roman in der Kürze und Treffsicherheit seiner Darstellung, der beißenden Schärfe seiner Ironie und den amüsanten Einfällen, die gerade in ihrer Zufälligkeit so gut herausarbeiten, was gemeint ist, – als ein gelungener Wurf bezeichnet werden, ein Buch, mit dem sich auseinanderzusetzen, jedenfalls lohnt, und dessen Thesen wir gerade in Oesterreich allen Anlaß haben, sehr zu beachten, auch wenn wir zu dem Schluß kommen, daß sie einseitig und übertrieben sind. Sie bieten, als ein Zeugnis von der „anderen Seite“ sozusagen die Probe aufs Exempel, ob unsere oft nur gefühlte und instinktmäßige Abneigung gegen eine gewisse deutschländische Entwicklung berechtigt ist oder nicht. Mit diesem Buch ist kein Verdikt gegen das Deutschtum gefällt, – auch nicht in seiner protestantischen und preußischen Form, etwa, weil beide den Nationalsozialismus vorbereitet hätten, sondern dieser ist entlarvt, weil er allen Gefahren und Schwächen des deutschen Wesens, des Preußentums und der Reformation zum hemmungslosen Durchbruch verholfen hat, ohne sie durch deren Gutes und Positives zu mildern.
Auf knappen 120 Seiten zusammengeballt und in einem eigenartigen, kraftvoll-unmittelbaren und dabei von Ironie geladenen Stil dargestellt, spielt sich hier zwischen Wirklichkeit und Fiebertraum das Leben eines Diktators ab. Zwischen Wirklichkeit und Fiebertraum, wie in unserer „Wirklichkeit“, die Schlimmer und wirklicher ist, als ein Fiebertraum. Das macht dieses kleine Büchlein so gewichtig, daß es wie ein Alptraum lastet, wenn man es weggelegt hat. Der Alptraum gestaltet, der tagtäglich auf uns lastet. Mehring zeigt hier, daß er mehr ist als nur polemischer Publizist und Satiriker. Und