Die Fluchthilfe des American Rescue Committee rettete Walter Mehring das Leben. Varian Fry engagierte sich als Fluchthelfer. Dabei scheute er sich nicht, auch illegale Methoden zu wählen, wenn nur das Leben von Künstlern, Wissenschaftlern, Politikern gerettet werden konnte. Die Vertreibung der deutschen, der österreichischen, der tschechischen, französischen, belgischen, polnischen usw. Intelligenz aus Europa ist das Thema des aktuellen Buchs des langjährigen Chefredakteurs des österreichischen Politik-Magazins „Profil“, Herbert Lackner. „Die Flucht der Dichter und Denker“ enthält alles, was auch heute wieder im Zusammenhang mit Asyl und Flucht diskutiert wird.
Schlagwort: Varian Fry
(Am 15. November 2016 hat Till Janzer für Radio Prag einen Beitrag über eine besondere Ehrung für den ehemaligen tschechoslowakischem Diplomaten Vladimír Vochoč veröffentlicht, der hier verlinkt und dessen Anfang hier zitiert wird. Ohne seine Hilfe wäre die Rettungsaktion Varian Frys nicht möglich gewesen. Pässe waren die Voraussetzung, um Visa zu erhalten. Ohne die unkonventionelle, ja illegale Fluchthilfe wäre wohl auch Walter Mehrings Flucht von Marseille in die USA unmöglich gewesen. A.O.)
Tschechoslowakische Pässe für die Flucht vor Hitler – Diplomat Vochoč geehrt
Vladimír Vochoč war von 1938 bis 1941 tschechoslowakischer Konsul in Marseille. In der südfranzösischen Hafenstadt half er Verfolgten, vor den Nationalsozialisten zu fliehen. Dafür ist Vochoč am Montag geehrt worden. Er erhielt von Israel posthum den Titel „Gerechter unter den Völkern“.
„Kaum waren einige gerettet, drängten sich andere. In den Straßen Marseilles sah man immer mehr der unheimlichen Gestalten in langen grauen Mänteln und hohen schwarzen Stiefeln. Nur flüsternd gab der eine dem anderen die Kunde von dem unbekannten Amerikaner und seinem anonymen Komitee. Manchmal trafen die ersehnten Visen ein – für Tote. Für Ernst Weiß, für Walter Hasenclever. „Kann man uns vielleicht an ihre Stelle setzen?“ fragten Walter Mehring und Leonhard Frank. Nein – auch dazu benötigte man eine Genehmigung. Carl Einstein, der Poet und Theoretiker der Negerplastik, erhängte sich in Marseille, als man ihn von der Grenze zurückgeschickt hatte. In der „Bar Mistral“ saßen Mehring und Frank und rätselten über ein Telegramm von Hermann Kesten aus New York: „Das amerikanische Visum? […] Die Antwort? Von Thomas Mann? Nicht direkt. […] Der Satz, über den die Dichter grübelten, lautete: ‚Rescue visa following, by messenger maybe.‘ […] Frank starrte auf das Blatt. Messenger heißt Bote, das weiß ich schon. Was aber heißt maybe?’ Walter sprang ungeduldig auf und begann wie in einem Käfig auf und ab zu gehen. ‚Das habe ich Ihnen doch schon gesagt‘, rief er, ‚maybe heißt: kann sein – vielleicht.’ Frank folgte ihm mit seinem durchbohrenden Blick: ‚Vielleicht, jaja – mehr ja oder mehr nein?’ Mit einem Ruck blieb Mehring vor ihm stehen und erwiderte scharf: .Vielleicht’. Und Frank wiederholte hartnäckig: ‚Mehr ja oder mehr nein? Was heißt maybe?‘“
Der Elster Verlag gibt einen Newsletter heraus, in dem Besprechungen zu den von ihm verlgten Bücher an Abonnenten geschickt werden. Die kleine Zeitschrift im PDF-Format heißt „Lesezeichen“. In der Ausgabe III/2013 hat Hans Baumgartner einen Text über Mehring und „Die verlorene Bibliothek“ erschienen:
Walter Mehring: Die verlorene Bibliothek
Aus der Zeit gefallen
Achtzig Jahre nach den nationalsozialistischen Bücherverbrennungen wird «Die verlorene Bibliothek» von Walter Mehring (1896-1981) neu aufgelegt – es ist die intellektuelle Antwort auf die große Barbarei.
Von Tag zu Tag saß er im Pfauen und bestellte sein Einerli Weißen, so wie Heiri Gretler am runden Tisch in der Ecke seinen Roten, aber meist allein, und immer mit Notizheft, am Schreiben. Seit seiner Rückkehr aus den Staaten lebte er wieder in den kleinen Hotels, ab den 70iger-Jahren meist in Zürich, im Florhof, Urban, Opera, manchmal in Ascona, nur selten in Deutschland, wo ihm in München sein 800 Seiten Manuskript «Die verbrannten Dichter», vielleicht sein Lebenswerk, abhanden kam. In Zürich traf nur ein fremder schwarzer Koffer ein.
Die Stadt Marseille stellt sich ihrer schwierigen Geschichte in den Jahren 1940 bis 1944. Von hier gelang es vielen Intelektuellen vor den NAtionalsozialisten zu fliehen. Unter anderen Walter Mehring, der wie viele andere Dank des Emergency Rescue Committee den Weg in die USA schaffte. Doch viele tausend andere Flüchtlinge wurden aus Marseille deportiert. Sandra Kegel berichtet in der FAZ vom Parcours „Ici-même“, der an die dramatische Flüchtlingssituation erinnert.
Parcours „Ici-même“ in Marseille – Nur fort von diesem Stern
Der Parcours „Ici-même“ folgt den Spuren all jener, die auf der Flucht vor Hitler in Marseille gestrandet sind. Er führt das hoffnungsvolle Bild der Stadt bei den Flüchtenden eindrucksvoll vor Augen.
Als literarische Figur ist Walter Mehring bislang nicht verarbeitet worden. Natürlich gibt es eine große Reihe von autobiografischen Berichten und Romanen, in denen sich Autoren wie Hertha Pauli, Herrmann Kesten oder Friedrich Dürrenmatt an Begegnungen oder den Freund Walter Mehring erinnern, aber eine Literarisierung seines Lebens durch Dritte fand bislang nicht statt. Eveline Hasler hat das jetzt in ihrem Roman „Mit dem letzten Schiff – Der gefährliche Auftrag von Varian Fry“ erstmals getan. Ihr schmaler Band über die Fluchthilfe durch Varian Fry und das Emergency Rescue Committee ist Walter Mehring eine wichtige Figur.
In seiner Biografie „Der Orientatlist – Auf den Spuren von Essad Bey“ schildert der Amerikaner Tom Reiss, wie sich der „Anschluss“ Österreichs auf den in Wien lebenden Walter Mehring auswirkte. Reiss beschreibte zudem, wie Mehring mit Hertha Pauli, der damaligen Agentin Essad Beys, nach Frankreich und weiter in die USA floh:
„In seinem Buch Die verlorene Bibliothek schrieb Levs Freund Walter Mehring, dass Wien und die gesamte Doppeladlermonarchie in der Gefahr schwebten, von einer Lawine verschüttet zu werden. In dem Buch erfindet er eine imaginäre Bibliothek, die seines Vaters, die all die Werke jener Kultur birgt, die von den Nationalsozialisten und ihrer totalitären Revolution zerstört wurden:
Lisa Fittko war in Marseille eine wichtige Fluchthleferin, da sie mit ihrem Mann etliche Verfolgte über die Pyrenän führte. Sie arbeitete mit Varian Fry zusammen – genauso wie Walter Mehring.
Sommer 1940
Rudolf Breitscheid, Mitglied des Reichstags und SPD-Fraktionsvorsitzender bis zur Machtübernahme Hitlers, und Rudolf Hilferding, Mitglied des Reichstags und Reichsfinanzminister, halten sich in Marseille auf. Beide haben „Visitor-Visen“ für die USA. Man beschafft ihnen tschechische Pässe auf falsche Namen sowie spanische und portugiesische Transitvisen. Da sie keine französischen Ausreisevisen haben, müssten sie die französisch-spanische Grenze illegal überqueren. Sie weigern sich.
Die amerikanische Bildhauerin Miriam Davenport (1915 – 1999) erlebte die 1940 die Besetzung Frankreichs durch deutsche Truppen in Paris. SIe floh wie viele andere Künstler in den Süden. In Toulouse wurde ihr Walter Mehring vorgestellt, den sie schon mehrfach in ihrem Pariser Hotel gesehen hatte:
„One day, when Wolff and I were walking in the Place du Capitole, I recognized a sharp-faced little man coming towards Wolff with a broad smile and outstretched hand. I had known him on a „Bonjour, Monsieur“ basis in my hotel in Paris where he usually carried a bottle of wine in a paper bag under one arm. Wolff greeted him warmly and introduced him to me as Monsieur Mehring. The latter said, „Oh, but we have already met in Paris.“ When Monsieur Mehring had gone on his way, Wolff asked me if I really knew who he was. „No, not really.” I learned, then, that Walter Mehring was one of Germany’s most famous young poets, that he had written popular anti-Nazi songs, and that he was very high on the Nazi’s list of wanted men.“
Das „Holocaust Teacher Resource Center“ hat 1998 bei Sean Price das Stück „Rescued from the Holocaust“ in Auftrag gegeben. In ihm spielt Varian Fry vom „Emergency Rescue Committee“ die zentrale Rolle. Genauso wie 1940/41 bei der Rettung Hunderter Intellektueller in Marseille. Die vierte Szene lässt auch Walter Mehring da Wort ergreifen:
Narrator D: Eventually, Meyerhof escapes and reaches the U.S. Meanwhile, Fry explores every means of getting people out of France. On a trip to Spain, he meets a British officer…
Major Torr: We’d love to loan you boats to help with the refugees. But we’re at war with Germany, and the British navy has no boats to spare. We still might be able to help, though.