Es geht weiter! Verleger Bernd Zocher macht erneut Texte Walter Mehrings wieder im Buchhandel zugänglich. Diesmal sind es seine Beobachtungen über die Kunst der Moderne, die Mehring erstmals 1958 im Diogenes Verlag veröffentlichen konnte. Ergänzt wird die von Martin Dreyfus herausgegebene Ausgabe um Briefe Mehrings an Daniel Keel, den Diogenes-Verleger. „Verrufene Malerei – Von Malern, Kennern und Sammlern“ ist in der Neuausgabe eine wunderbare Entdeckungstour durch eine Kunstepoche, die wir heute als einen explosiven Aufbruch in alle möglichen Richtungen in den Museen der Welt bewundern.
Kategorie: Zeitleiste
Das 2. Kapitel der „Verlorenen Bibliothek“ in der englischen Ausgabe liest Amy Dusty.
An Friedrich Grieger
Berlin, 18. Juni 1924
Mein lieber Fritz,
hab‘ vielen Dank für Dein Gedenken aus Freiwaldau – ach, wie verfluchte ich es, daß ich nicht mit dabei war! (…) Mein Gedichtbuch soll demnächst erscheinen zu 20, 15 und 10 M. Glaubst Du, daß unter diesen Bedingungen noch welche von Deinen Bestellern ihre Subskription aufrecht erhalten? Für das Kabarettbuch habe ich immer noch kein Geld! Franz ist seit vorigem Dienstag in London, von wo er mir schon eine Ansichtskarte schickte.
Und nun nach Hamburg! Peter Sachse, der zu gleicher Zeit in Berlin
dreizehn Kabaretts leitete und in den zwanziger Jahren auch am Kurfürstendamm eine Stätte der Kleinkunst, ››Karussell« genannt, gründete, ließ Viktor Auburtin seine kleinen Miniaturen und Roda-Roda seine berühmten Militäranekdoten lesen. Er veranlaßte auch Walter Mehring und Willi Engel-Berger den »Seemanns-Choral« für sein Brettl zu schreiben.
Am 29. April 1896 ist Walter Mehring in Berlin geboren. Zur Erinnerung einige Bilder von ihm – als Foto, Selbstporträt oder Portät.
An Walter Mehring. Lysekil, nach dem 28.7.1934
Lieber Mehring,

vielen schönen Dank für Ihren werten Schrieb! Ich bin schrecklich neugierig: Haben Sie ein Heim? Wo wohnt das? Sieht man von da den sacré Kör? Haben Sie eine puanderie? Wie ist es überhaupt? Hei!
Des weiteren, lieber W. M. — ein chronischer Katarrh, wie er auf mir sitzt, mag ja das Weltbild stören. Aber jedennoch: so wenig wir von dem, was sich da ereignet, überrascht worden sind, je destoweniger kann ich noch mitmachen. Was die Nichtüberraschung angeht, so sehe ich uns noch beide schweren Schrittes auf der Gare St. Lazare herumstolpern, wir beredeten es alles, und es hatte etwas leicht Komisches: um uns brausten die Leute, und wir hattenes mit dem kl. Weltuntergang. Und wir haben doch recht behalten, ein größerer steht bevor, und so sehr ich gegen die Leute bin, die, wie der gute O. gesagt hat, „eine Villa mit prachtvollem Weltuntergang besitzen“, so klar sehen wir ja wohl, was nun kommen wird, von Rechts und Links. Ich meine, was wir uns da zu erwarten haben. Ich nichts …
„Die roten Schuhe“
An Leni Herrmann
Zürich, Mittwoch, 19. September 1934

(…) Vor 4 kam Mehring, wir gingen erst noch ins Café Terrasse, wo er eine kurze Verabredung mit dem Regisseur Lindtberg hatte, dann fuhren wir trotz Regens mit der Bahn zach Küsnacht. Da saßen wir mit dem wirklich sehr, sehr »umgänglichen« Kerr (die Frau zeigte sich, gottlob, überhaupt nicht) erst bei einem Clävener im gemütlichen Schänkstübchen und besprachen die Dinge dieser Welt, sehr, sehr pessimistisch, und dann, da es etwas nachließ im Regen, gingen wir durch hübsche Gäßchen, die ich noch nicht kannte, mit schönen alten Häusern, zu einer Art Mole, wo der See nun in der Abendstimmung dieses grauen, bis tief herab mit Wolken verhangenen Zustandes etwas wie auf manchen holländischen Bildern hatte. Gegen 7 brachte Kerr uns noch zur Bahn, ja, bis an die Coupétür, und ich will bestimmt noch mal zu ihm, so lange er noch in Küsnacht ist; in 8 Tagen fährt er ab; denn wer weiß, ob und wann man sich wiedersieht.