IN DEUTSCHLAND VERBOTEN
Wir legen wieder einmal eine Liste der im Dritten Reich verbotenen ausländischen Druckschriften vor. Sie umfaßt diesmal die Zeit vom 8. Jänner bis 29. Februar. Die 30 Verbotsnummern verteilen sich auf 12 Länder, und zwar entfallen auf die Schweiz 7, auf Frankreich 6, auf Oesterreich 5, auf die Tschechoslowakei, Danzig und Litauen je 2, auf England, Belgien, Luxemburg, Polen, die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion je 1. Von den verbotenen Zeitungen und Zeitschriften ist die Hälfte katholisch.
Kategorie: Zeitschriften
Die Gedichte, Lieder und Chansons des Walter Mehring
Wir nehmen jeden der spärlich gebenen Bände Lyrik zögernd und zitternd zur Hand; zögernd, weil wir der Gegenwart nicht zutrauen, daß sie Lyrik zu gestalten erlaube; zitternd, weil wir, nach allzuvielen Enttäuschungen, auf den Klang der Poesie, auf strömenden Melos, auf reiche und reine Gestaltung warten. Uns interessiert nicht „Zeitlyrik“, wenn sie nichts ist, als der krampfhafte Versuch, mit aktuellen Requisiten die überlebten Formen und die vergangene Mentalität und Sentimentalität aufzufrischen. Das Kriterium der „Zeit-Nähe“, allzu sehr mißbraucht für die Beurteilung dramatischer und epischer Dichtung, besagt nichts für den Wert lyrischer Poesie. Etwas anderes aber – wir verwechseln es gern ¬ ist geeignet, schöpferische Dichtung zu indizieren: nicht Organ haben für die Zufälligkeiten aktueller Erscheinungen, sondern: einen Standpunkt haben . .. der Zeit, der Welt, dem eigenen Ich gegenüber. Der lyrische Dichter ist der isolierteste, der einsamste Mensch. Er reproduziert nicht die Objektwelt und legitimiert sich nicht durch adäquates Dokumentieren. Er saugt alles, Gefühle und Dinge, nach innen und faßt tausend Wirklichkeiten der Seele und der Sinne in einen Vers …
Dieses filtrierende, Verdichtende Gestalten kann sehr Wohl die aktuellste Gegenwart einbeziehen – ohne daß deshalb der Gestalter verdächtigt werden dürfe, „zeitnah“ zu sein. Das lehrte das Werk Gottfried Benns. Das beweist erneut die Poesie des Walter Mehring. Denn, was er unter dem Warenzeichen „Chansons“ ediert, ist echte reine Lyrik. –
Dieses ,,Einen-Standpunkt-haben“ definiert am klarsten seine Poesie, wenn sie von Gegenständen des Tages ausgeht, das Zeitgeschehen, das Geschichtliche, das Politische erfassend. Mehring scheut sich nicht, in den „Streitliedern“ die unmittelbarste Wirklichkeit anzupacken – aber er prägt sie um, mißt sie an seinen Maßen, entlarvt sie, indem er das bessere, edlere Gesicht, das wahre Menschenantlitz aufweist. Im „Börsenlied“, in „Hoppla, wir leben“ faßt er das anarchisch Grauenhafte des Stoflfs in die gebändigte Melodie seiner bezwingenden Strophe – und schon ist das Gegenständliche geadelt, zur Dichtung erhöht.
Der wahre Gehalt seiner Poesie offenbart sich aber, wenn er über die Wirklichkeitsgrenzen hinaustritt, gleichsam ins All, Wenn er seine persönliche Weltsicht auszudeuten wagt. Dann schwingen die Melancholien dieser zartesten, ernpfindsamsten Seele sich aus; dann wird seine tiefmenschliche Vereinsamung – Welche die Einsamkeit jedes Dichters ist ~ der Seelengrund, auf dem allein das wahrhaft Schöpferische keimt. Wir erleben es in den „Romanzen“ ~ in dieser wundersamen Poesie der „kleinen Stadt“, die zu den schönsten Gedichten gehört, die seit Heine geschrieben wurden.
Otto Zarek
(Zarek, Otto: Die Gedichte, Lieder und Chansons des Walter Mehring; in: Die neue Rundschau, Nr. 9, 1929; S. 432)
MÜLLER, Die CHRONIK EINER DEUTSCHEN SIPPE, von Walter Mehring, Verlag Gsur & Co., Wien.
Ein Buch, das einer weder auf österreichischem, noch auf katholischem Boden heimischen, ja vielleicht allzusehr vernachlässigten Spezies angehört: der des satirischen Romans. Diese Vernachlässigung ist kein Zufall, sondern sie beruht auf einer begründeten Skepsis gegen das nur Negative, das Nicht-Aufbauende. Diese Skepsis ist an sich gesund, aber sie kann auch übertrieben Werden, und der Katholizismus deutscher Sprache, zumal in Oesterreich, befindet sich möglicherweise in der Gefahr der Uebertreibung, was sich in einer gewissen sterilen Unlebendigkeit katholischer Publizistik und einer noch gefährlicheren Angst vor der entschiedenen, und sei es negativen Stellungnahme gegen zu negierende Dinge auswirkt, die an dieser Stelle einmal treffend der „Immerhin-Komplex“ genannt wurde. Für diesen Komplex ist ein Buch wie das vorliegende von Walter Mehring, geradezu Medizin. Eine Medizin kann ja auch bitter sein und süß und angenehm ist dieser satirische Roman, der die Geschichte einer deutschen Sippe von Tacitus bis Hitler in kurzen, treffend gezeichneten Bildern bringt, sicher nicht. Wir möchten ihn in der Hand vieler Oesterreicher und Katholiken sehen, – nicht, weil er irgendwie österreichisch oder katholisch wäre (davon ist der Autor trotz vieler gleichlautender Urteile weit entfernt), sondern weil in ihm Dinge stehen, die für Oesterreicher und Katholiken gut und gesund zu hören sind. Und zwar nicht nur, obwohl, sondern weil dieses Buch notwendigerweise bei beiden Anstoß erregen muß. Denn dieser Anstoß zwingt zur Auseinandersetzung, – zur Auseinandersetzung mit dem satirischen Weg, einen Feind anzugreifen, im allgemeinen und mit der These dieses satirischen Romans im besonderen. Diese These ist, kurz gesagt, die logische Entwicklungslinie im deutschen Wesen, die schließlich bis zum Nationalsozialismus geführt hat. Daß Deutschtum und Nationalsozialismus nicht dasselbe sind, wissen wir, – aber dieses Buch meint ja nur das Negative, die Schattenseite und zeigt in ihr eine Linie, die Luther und Hitler, Preußentum und Nationalsozialismus in ihren spezifischen Mängeln, Schwächen und Gefahren miteinander verbindet (wobei bemerkt werden muß, daß die Durchführung dieser These für unser Gefühl für Gegenwart, Nachreformationszeit und für das vorchristliche Germanentum weit besser und überzeugender gelingt, als für das christliche Mittelalter). Das Buch will nicht leugnen, daß dieser Schattenseite auch Lichtseiten gegenüberstehen, aber es abstrahiert von ihnen, wozu der Satiriker das Recht hat, um die Kritik desto schärfer herauszuarbeiten. Man kann der Satire ebensowenig Einseitigkeit, Uebertreibung des Negativen, Ueberbetonung einzelner Momente vorwerfen, wie der Karikatur, denn das ist ihr Wesen. Innerhalb dieses Rahmens und mit allen weltanschaulichen Vorbehalten, – die uns in ihren Konsequenzen manches unter die „Ahnen“ des -Nationalsozialismus zählen läßt, das Mehring nicht dazuzählt, und manches, insbesondere im Mittelalter, nicht, was er dazurechnet, – muß dieser satirische Roman in der Kürze und Treffsicherheit seiner Darstellung, der beißenden Schärfe seiner Ironie und den amüsanten Einfällen, die gerade in ihrer Zufälligkeit so gut herausarbeiten, was gemeint ist, – als ein gelungener Wurf bezeichnet werden, ein Buch, mit dem sich auseinanderzusetzen, jedenfalls lohnt, und dessen Thesen wir gerade in Oesterreich allen Anlaß haben, sehr zu beachten, auch wenn wir zu dem Schluß kommen, daß sie einseitig und übertrieben sind. Sie bieten, als ein Zeugnis von der „anderen Seite“ sozusagen die Probe aufs Exempel, ob unsere oft nur gefühlte und instinktmäßige Abneigung gegen eine gewisse deutschländische Entwicklung berechtigt ist oder nicht. Mit diesem Buch ist kein Verdikt gegen das Deutschtum gefällt, – auch nicht in seiner protestantischen und preußischen Form, etwa, weil beide den Nationalsozialismus vorbereitet hätten, sondern dieser ist entlarvt, weil er allen Gefahren und Schwächen des deutschen Wesens, des Preußentums und der Reformation zum hemmungslosen Durchbruch verholfen hat, ohne sie durch deren Gutes und Positives zu mildern.
(Anonymus: Anonymus: Müller, Chronik einer deutschen Sippe; in: Der Christliche Ständestaat Nr. 5/2. Jg. vom 22. Dezember 1935; S. 1236)
Chansons zum Trotz
Vergriffen. Bescblagnahmt. Verboten. Verbrannt. Diese vier Worte kennzeichnen das Schicksal der Lieder, Gedichte und Balladen Walter Mehrings. Es ist deshalb zu begrüssen, dass der Verlag des Europäischen Merkur in Paris mit der vorliegenden Auslese aus dem Mehringschen Schaffen den „guten Liedern eines bösen Spotts“ die Möglichkeit gewährt, sich den fascistischen Gewalten zum Trotz zu erhalten.
Mehring verabscheut das Regime, das zum Krieg treibt, auf Exerzierplätzen seinen Volksgenossen das Denken ausdrillt und Millionen Menschen mit dem Rassenquark das gesellschaftliche Empfinden verdirbt. Mehring richtet seine wirkungsvollen Spottgeschütze auf die teutonischen Phänomene, legt aber nicht die klassenmässigen Wurzeln dieser Erscheinungen frei. Mehring ist gewiss Antifascist, aber nur im weiteren Sinn des Wortes, da ihm die festumrissene politische Position fehlt. Hierin unterscheidet er sich wesentlich von Bert Brecht, der sich als Weggenosse des Proletariats in seiner politischen Lyrik zu einer bemerkenswerten weltanschaulichen Klarheit und gesellschaftlichen Einsicht entwickelt hat und dank dem erreichten ideologischen
Reifegrad mit seinen Versen tiefere politische Wirkungen erzielt. Aber der bessere Musikant ist doch wohl Walter Mehring. Die Sicherheit seines Sprachgefühls, die Originalität seiner Rhythmen und Bilder und eine starke Erlebnisfähigkeit bewahren ihn vor der Gefahr des Nachempfindens, der bewussten oder unbewussten Entlehnung.
Mehring ist ein rebellischer Bohemien, der fast triebhaft und mit einer gelegentlich ins Morbide fiebernden Feinnervigkeit auf die Stimmung des politischen Augenblicks reagiert. Mitunter vernachlässigt er die Pflege der geistigen Substanz und schwelgt stattdessen in den Reizen der Farbe, des Klanges und der Atmosphäre. Um einen Eindruck von der schöpferischen Eigenart des Dichters zu vermitteln, seien die nachfolgenden Strophen zweier politischer Gedichte zitiert, die zu den stärksten des Buches „Und Euch zum Trotz“ gehören. Der Titel des ersten Gedichtes lautet: „Ein Leichenwagen fährt vorüber“ (1931).
Durch die tagelose Früh
Hüpft der Sarg in leisem Spotte
Weise nickt der Gaul im Trotte:
Hotte, hotte,
Hotte hüh!
Schaust Du, Kutscher, ob die Fuhre
Heimlich von der Karre stieg?
Reckt sich eine Hand zum Schwure?
Keine Not!
Tot ist tot
…………….Du Deutsche Republik!
Träne rinne! Regen sprüh!
Ringelreihen tanzt die flotte
Opportune Würmerrotte
Hotte, hotte, hotte, hotte.
Hotte, hotte,
Hotte hüh!
Würmer nur, nicht Barrikaden
Feiern heute ihren Sieg.
Nicht Proleten – fette Maden
Halten Schmaus
Aus ist aus
……………..Du Deutsche Republik!
Dem „Arier-Zoo“ ist die folgende Strophe entnommen, in der Mehring in herzerfrischender Weise die beizende Lauge seines überlegenen Spottes über den Rassenfanatismus und die chauvinistisch aufgepulverte deutsche Spiesserseele im Dritten Reich ausschüttet:
Deutsches Tier – Gewürm – Geziefer
Stosst den Fremdling aus dem Pelz.
Wetzt den Stachel – bleckt den Kiefer,
Dass nicht mehr ein schiecher, schiefer
Jud in deutschem Schlamm sich wälzt!
Hämmert in den erznen Sockel:
Deutsches Rindvieh – deutsche Treu
Rache dem Franzosengockel
Russenbären – Britenleu!
Herr! Von fremder Viecherei:
Säbelbeinig – überseeisch
Krummgeschnäbelt und hebräisch, mach
Das dritte Tierreich frei!
Widerspruch aber wird Mehrings, „Emigrantenchoral“ bei all jenen geflüchteten Deutschen finden, deren geistige Lebensgrundlage in der Fremde die mit gutem Grund bewusst gepflegte Verbundenheit mit der Heimat ist. Die nicht Deutschland verlassen haben, um, wie es ihnen der Mehringsche Zuruf einschärft, jenseits der Grenzen zu Haus zu sein, sich dort ein Nest zu bauen und schliesslich das zu vergessen, was man ihnen aberkannt und gestohlen hat. Sondern die in kämpferischer Absicht das Unrecht in Erinnerung behalten, das man ihnen zugefügt hat, und die die Scheusslichkeiten weder vergessen wollen noch können, die ein barbarisches Regime verübt.
Die politische Entwicklung Mehrings ist gewiss noch nicht abgeschlossen. Der katastrophenumwitterte geschichtliche Prozess und die schon gewonnene nahe Beziehung des Autors zum Proletariat, die in einigen Versen überzeugend zum Ausdruck kommt,
werden ihn zu Erkenntnissen verpflichten, die seiner künftigen politischen Lyrik gewiss nicht zum Schaden gereichen dürften. Im Gegenteil: sie werden seiner politischen Lyrik jenen wirkungsmässigen Tiefgang, jene Reichweite, jene Wesentlichkeit und jene Klarheit ermöglichen, die im Sinne eines Kampfes gegen die fascistischen Mächte notwendig sind.
(Türk, Werner: Chansons zum Trotz; in: Die Neue Weltbühne Nr. 43/30. Jg. vom 25. Oktober 1934; S. 1355ff)
„DIE NACHT DES TYRANNEN“, Roman von Walter Mehring. Verlag Oprecht, Zürich.
Auf knappen 120 Seiten zusammengeballt und in einem eigenartigen, kraftvoll-unmittelbaren und dabei von Ironie geladenen Stil dargestellt, spielt sich hier zwischen Wirklichkeit und Fiebertraum das Leben eines Diktators ab. Zwischen Wirklichkeit und Fiebertraum, wie in unserer „Wirklichkeit“, die Schlimmer und wirklicher ist, als ein Fiebertraum. Das macht dieses kleine Büchlein so gewichtig, daß es wie ein Alptraum lastet, wenn man es weggelegt hat. Der Alptraum gestaltet, der tagtäglich auf uns lastet. Mehring zeigt hier, daß er mehr ist als nur polemischer Publizist und Satiriker. Und
dabei ist diese von Wahnvorstellungen geschüttelte Fiebernacht des großen Diktators Martinez Llalado und sein von ebensolchen Wahnvorstellungen beherrschter „Aufstieg“ eine Satire von dunkler Gewalt – eine Satire am Rande des Abgrundes, den wir alle erlebt haben. -n.
(-n: Die Nacht des Tyrannen; in: Der Christliche Ständestaat Nr. 49/4. Jg. vom 12. Dezember 1937; S. 1180)
„Müller“, Chronik einer deutschen Sippe. Roman von Walter Mehring, Preis: brosch. S 8.40, Leinen S 9.60. Gsur-Verlag, Wien. In diesem Buch hat Walter Mehring eine Geschichte des deutschen Kleinbürgertums geschrieben, vom Eintritt der Germanen bis in unsere Zeit. Der Tacituslehrer Doktor Armin Müller, Oberstudienrat an einem Berliner Gymnasium, soll im Auftrag des Kultusministeriums einen Leitfaden der
deutschen Geschichte für die höheren Lehranstalten nach den Gesichtspunkten der Rassentheorie schreiben. Später wird er nicht nur des Auftrages wieder beraubt und seines Amtes entsetzt, auch sein Ariertum wird angezweifelt. Um sich von diesem Verdacht zu reinigen, häuft er in heroischem Kampfe Beweis auf Beweis für die Reinrassigkeit seiner Sippe, deren Stammbaum er nicht nur bis zum Jahre 1800, sondern bis in die Römerzeit nachprüft. An Hand dieser Dokumente schildert die Chronik die Wandlungen, Wanderungen und Versippungen einer deutschen Familie – wir treffen die Urahnen der Müller als Freisassen an der friesischen Küste, im Kampf der Zünfte, verwickelt in die Reformation und den Dreißigjährigen Krieg; wir sehen sie auf dem Potsdamer Kasernenhofe zu Preußen werden. Und erleben schließlich, wie mit dem Oberlehre Dr. Arminius Müller die Sippe im Dritten Reich ihr Ende findet.
(Müller. Chronik einer deutschen Sippe; in: Anzeiger für den Buch-. Kunst- und Musikalienhandel Nr.3/37. Jg. vom 25. Jänner 1936, S. 16)
Der „Pressefrieden“
Der im Zusammenhang mit dem 11. Juli vereinbarte Pressefrieden zwischen dein Dritten Reiche und Osterreich hat in den letzten Wochen durch das Verhalten der reichsdeutschen Presse eine schwere Schädigung erlitten. Die reichsdeutsche offizielle Presse und der reichsdeutsche Rundfunk nahmen schließlich unrichtige Nachrichten, die sich in die Wiener Mittags- und Abendpresse eingeschlichen hatten, zum Anlaß, direkte Angriffe gegen die österreichische Bundesregierung zu richten. Die Politische Korrespondenz sah sich schließlich veranlaßt, gegen diese Pressetreiberei Stellung zu nehmen.
Das Kommuniqué hebt hervor, daß die österreichische Regierung, wie der sachliche und ruhige Ton der offiziellen Presse ja beweise, die Veröffentlichung unwahrer und tendenziöser Nachrichten mißbillige. Gleichzeitig aber wird darauf hingewiesen, daß das österreichische außerordentlich tolerante Presseregime eine direkte Einflußnahme auf Redaktionen nicht zulasse, wie ja das Bestehen gewisser, dem in Österreich bekanntlich verbotenen Nationalsozialismus nahestehender Presseerzeugnisse in·Osterreich zeige. Im Schlußsatz des besagten offiziellen Kommuniqués heißt es, daß Österreich nicht geneigt sei, die ,,betont unfreundliche Haltung der reichsdeutschen Presse, auch zugelassener Blätter, widerspruchslos zur Kenntnis zu nehmen, Einschüchterungsversuchen nachzugehen und einseitige Zugeständnisse zu machen«.
Im ,,Völkischen Beobachter“ vom 17. März erschien im Zusammenhang mit diesem neuerwachten Presseunfrieden ein Artikel, in dem auch die ganze katholische Presse Österreichs mit der ,,jüdischen und Asphaltpresse“ in einen Topf geworfen wurde, um dem österreichischen Katholizismus Volksfronttendenzen zu unterschieben und das deutsche Volk neuerdings gegen Osterreich aufzuhetzen.
Mag nun diese Pressehetze im Dritten Reiche nun daher kommen, daß man fürchtet, in österreichischen Blättern könnten Nachrichten auftauchen und von da aus in die Weltpresse übergehen, deren Verbreitung aus gewissen innenpolitischen Gründen nicht sehr angenehm ist; mag dies ein Einschüchterungversuch sein oder Panik, jedenfalls ist Grund genug vorhanden, daß wir auf diesen Angriff näher eingehen.
Der ,,Völkische Beobachter“ beschäftigt sich nämlich unter anderem auch mit der Redaktion des ,,Sturm über Osterreich“. Unseres Wissens besteht die Redaktion unseres Blattes nur aus einer Person, die auch im Impressum genannt ist. Alle Artikel, die erscheinen, gehen ausschließlich durch die Hand des Verantwortlichen, so daß die Anwürfe des „Völkischen Beobachters“, die sich mit der Zusammensetzung unserer Redaktion befassen, als gänzlich unwahr zu erkennen sind. Der ,,Völkische Beobachter“ aber schreibt:
,,Ganz ähnlich wie das katholische Wochenblatt »Sturm über Österreich«, in dem der jüdisch-deutsche Emigrant Walter Mehring im trauten Tete-a-tete mit der emigrierten roten Baronin Scholley sein Gift zu verspritzen pflegt, den Ärger über die scharfe Anprangerung der des Wiener Handels im Blatte der jugoslawischen Gruppe »Zbor« mit der Verleumdunng Deutschlands abzureagieren suchte, daß dieses mit Hilfe der rollenden Mark den serbischen Chauvinismus gegen Osterreich anfeuere.“
Wir wollen einmal etwas näher an den hier angegebenen Tatbestand in unserer Redaktion eingehen. Gewiß, Herr Walter Mehring ist dem Verantwortlichen voll bekannt. Desgleichen, daß er ein jüdisch-deutscher Emigrant ist. Geschrieben hat er im »Sturm über Österreich« aber nicht. Bekanntlich ist Walter Mehring ein Literat und Chansondichter. Seine Chansons werden jedoch nicht nur in Österreich geschätzt. Einzelne seiner Gedichte, wie zum Beispiel das Lied »In Hamburg an der Elbe«, werden in einem Lokal des Berliner Westens ständig gesungen. Vom »Völkischen Beobachter« wurde es vor ungefähr zwei Jahren als ein Beweis dafür zitiert, wie populär Hamburg in Berlin ist.
Ich selber habe dieses Lied bei SA- und BDM-Gruppenaufmärschen singen hören. Ein anderes Lied ist »Die kleine Stadt«. Der deutsche Rundfunk hat es vor einem Jahre gebracht. Da man sich aber später doch erinnerte, daß der jüdisch-deutsche Emigrant Walter Mehring eben das ist, wozu ihn das Dritte Reich gemacht hat, wurde ihm kein Honorar ausbezahlt. Der »Völkische Beobachter« kann überzeugt sein, daß Walter Mehring, wenn er im »Sturm über Österreich« geschrieben hätte, auch sein Honorar bekommen hätte und darin mag sich die Praxis des »Sturm über Österreich« seinen Mitarbeitern gegenüber von der des deutschen Rundfunks wesentlich unterscheiden. Ein drittes Lied »Die Maschinen« wurde vor zwei oder drei Jahren im Sportpalast gesungen. Auch da blieb das Honorar aus.
Die Leser des »Sturm über Österreich« wissen wie reichlich in diesem Blatte der literarische Teil behandelt ist. Seit seinem Bestand wurde unseres Wissens das einzige »Kloster von Sendomir« von Grillparzer in Fortsetzungen veröffentlicht. Ich glaube auch, der »Völkische Beobachter«wird sich darüber klar sein, daß diese Novelle von Grillparzer nicht von der »emigrierten roten Baronin Scholley« erworben, sondern einfach aus Grillparzers Werken abgedruckt wurde. Die »emigrierte rote« Baronin Scholley ist uns ebenfalls bekannt. Sie hat eine rein literarische Agentur und beliefert Blätter aller Schattierungen, aber nicht nur in Wien, sondern auch im Dritten Reiche. Sie ist in Linz geboren und nach Wien zuständig, war niemals Mitglied der Sozialdemokratischen Partei und wir wüßten nicht, welche Artikel oder welche Kurzgeschichte wir von ihr hätten erwerben können, da ja bekanntlich derartiges im »Sturm über Österreich« überhaupt nicht erscheint.
So sehen die Informationen des »Völkischen Beobachters« ans. Wahrscheinlich verhält es sich ebenso mit der Polemik gegen unseren Artikel »Die braune Hetze gegen Osterreichs Export in Jugoslawien«. Der »Völkische Beobachter« beschränkt sich einfach darauf, zu erklären, dass, was wir geschrieben haben, sei nicht wahr. Die Prüfung der Nachricht selbst behält man sich aber in der Redaktion des. »Völkischen Beobachters« offenbar vor und begnügt sich vorläufig mit einer Behauptung.
Jedenfalls hat die deutsche Diplomatische Korrespondenz auf das Kommuniqué der Politischen Korrespondenz den Rückzug angetreten. Sie beklagt sich darüber, dass eine Reihe von innerdeutschen Fragen ständig in polemischer Form und offenbar ,,ohne jede Sorge um die Rückwirkungen“ ausgegriffen werden. Scheinbar meint man im Dritten Reiche mit diesen ,,innerdeutschen Fragen“ die Frage des Katholizismus und da sind wir wohl der Meinung, daß der deutsche Katholizismus nicht nur eine innerdeutsche Frage ist, sondern schließlich und endlich jeden Katholiken interessiert, ob er nun ein Deutscher oder ein Nichtdeutscher ist. Daß aber der Kampf gegen die katholische Kirche zur Grundlage der gesamten deutschen Kulturpolitik geworden ist, ja, daß sich die deutsche Kulturpolitik eigentlich in diesem Kampfe gegen den Katholizismus völlig erschöpft, darüber zu schreiben scheint uns überflüssig.
Das Kommuniqué der Diplomatischen Korrespondenz erklärt weiter, »daß die Sprache der Wiener und der Prager Blätter kaum noch einen Unterschied aufweist«. Es versucht also die Giftmischerei weiterzutreiben und, da es mit der Beschuldigung von Volksfronttendenzen nicht ging, nun eine Verbindung Prag—Wien herzustellen und daraus den Schluß zu ziehen, daß gewisse Kräfte in Osterreich am Werke seien, unsere außenpolitische Linie, wie sie der 11. Juli darstellt, abzubiegen.
Wir sind immer auf dem Standpunkt gestanden, daß der 11. Juli eine rein außenpolitische Angelegenheit sei, ein Abkommen, das den europäischen Frieden und nicht, wie so manche nazistische Auslassungen es gern haben möchten, den Krieg Osterreichs an Seite Deutschlands zum Zwecke hat.
Selbstverständlich schließen wir uns den Vertragstexten an, die besagen, daß die Achse Berlin—Rom gegen niemand gerichtet ist und daß auf der anderen Seite der Beitritt zu den Römischen Protokollen jedermann offensteht. Dies scheint man in Berlin zu vergessen. In Österreich aber kann es nur eine Meinung geben, nämlich die, daß jede Verbreiterung des bestehenden politischen Systems in Mitteleuropa, die dem Frieden dient, zu begrüßen ist. Damit ändert auch reichsdeutsche Zeitungspolemik nichts und nichts der Wunsch der Deutschen Diplomatischen Korrespondenz, die Leserschaft eines großen Teiles der österreichischen Presse für den beginnenden Kulturkampf im Dritten Reiche günstig zu stimmen.
Ing. Franz Bosch
(Bosch, Franz: Der Pressefrieden; in: Sturm über Österreich Folge 12/5. Jg. vom 28. März 1937, S. 2.)
Die Zeitschrift „Sturm über Österreich war eine Wochenzeitung, die in Wien von Franz Bosch herausgegeben wurde. Sie war das Organ der „Ostmärkischen Sturmscharen„. Deren Ziel war es, die jungen Männer Österreichs im Katholizismus und in einem österreichischen Patriotismus zu erziehen. Ursprünglich waren sie auch bewaffnet, legten diese aber aus freien Stücken nieder, um als reiner Kulturbund weiterzuexistieren. Vom Nationalsozialismus war der katholische Verband nicht infiziert. Im Juli 1936 schlossen das Deutsche Reich und Österreich das sogenannte Juli-Abkommen, in dem sich beide Seiten verpflichteten keinerlei Propaganda im jeweils anderen Land zu betreiben. Kurz vor den Olympischen Spielen war dies für Berlin sinnvoll. Auch, weil die inhaftierten Nationalsozialisten in Österreich amnestiert wurden. (A.O.).
WALTER MEHRING
ALGIER ODER DIE 13 OASENWUNDER
(Verlag „Die Sclımiede“, Berlin)
Es gibt Bücher, die man in einer Nacht, ohne sie aus der Hand zu legen, ausliest und dann irgendeiner Freundin schenkt. Es gibt auch solche, deren Weisheit man in langen Wochen in sich einsaugt, und die man dann im Bücherschrank versteckt , damit sie kein fremdes Auge sieht. Es gibt aber auch Bücher, die man in einer Nacht auslesen möchte, und die man doch nicht ausliest, weil man sie auch morgen und übermorgen und noch nach drei Tagen lesen will, und die man nie einer Freundin schenken würde.
Ein solches Buch ist „Algier“ von Walter Mehring.
Heutzutage ist es Sitte, daß jeder Europäer, der an einer Cook-Rundreise nach dem Orient
teilnahm und kein literarischer Analphabet ist, ein Buch (und zwar ein schlechtes Buch) über den Orient schreibt. So steht man jeder Neuerscheinung auf diesem Gebiete etwas skeptisch gegenüber: Denn es gibt keinen Orient mehr, oder es ist sehr wenig von ihm übriggeblieben, oder er hat sich verborgen und wird nur den Augen eines Dichters sichtbar; und ein solcher Dichter ist Walter Mehring. Das, was der Reisende in Algier sieht, sind schmutzige Straßen, verlauste Kinder, zerstörte Moscheen, neuerbaute Hotels und kommunistische Flugblätter, die jemand als „Teppich des erwachenden Asiens“ bezeichnete. Das, was Walter Mehring in Algier sah (oder nur fühlte), war nicht nur der Staub von heute, sondern es war auch der Orient, der letzte Fetzen jenes Orients, der einst die Moscheen von Buchara erbaute, auf den Teppichen der Alhambra Verse rezitierte an Lepra erkrankt, und zuletzt das schöne Wort „Backschisch“ erfand. Dabei bleibt Walter Mehring ein moderner Dichter des 20. Jahrhunderts, der seine romantische Pietät gut unter den Schleier des ironischen Lächelns zu verbergen weiß. Er macht das wie Ehrenburg, sein großer russischer Kollege, dem man auch nie die Gedanken ablesen kann.
Wer nie im Orient war, wer von dem Lande des Halbmonds nur träumen kann, der lese
keine Reisebeschreibungen, der lese nicht die Mitteilungen der zahlreichen königlichen und nichtköniglichen Akademien der Wissenschaften, der lese die 13 Oasenwunder von Walter Mehring, denn das, was darin steht, ist nicht nur Algier, sondern das ganze Araberland, von den Bergen des Atlas bis zu den Schneegipfeln des Libanon.
(Essad Bey: Walter Mehring: Algier oder Die 13 Oasenwunder; in: Die literarische Welt, Nr. 22, 1927.)
WALTER MEHRING
PARMI les écrivains modernes de langue allemande, combien nous restent inconnus ou à peu près! Et si l’on pense aux jeunes, à la longue liste de ceux nés de la guerre et dela révolution, que représentent les quelques-uns dont le nom est tout juste parvenu jusqu’à nous? Au nombre de ces derniers, figure Walter Mehring, qui eût pourtant mérité de notre part une attention particulière rien que pour son admirable traduction des Contes drôlatiques de Balzac dans le langage allemand du seizième siècle, ou encore pour l’amour qu’il porte aux lettres françaises en général et dont témoignent ses travaux relatifs à notre poésie. A d’autres égards encore, il méritait que nous le connussions mieux: n’était-il pas resté, en août 1914, et ce, pendant toute la durée du carnage, sans défaillir une minute, l’actif antibelliciste de la veille?
Walter Melzring dont le père, Sigmar Mehring, traduisit aussi des ouvrages poétiques français, naquit à Berlin, voici près de trente-cinq ans. C’est en 1915 qu’il débute dans la littérature par des essais remarqués sur l’expressionnisme, alors en pleine vogue en Allemagne, auquel s’étaient ralliés tous les jeunes, et par des poèmes audacieux que
publie la revue littéraire d’avant-garde: Sturm. Puis il collabore à la Pleite (la Faillite), organe satirique, où il se lie avec le fameux caricaturiste George Grosz. C’est là également qu’il rencontre Carl Einstein, l’auteur du Mauvais Message, ouvrage qui valut à Einstein d’etre poursuivi et condamné pour blasphème au lendemain de la révolution allemande et sous un régime socialiste.
Un moment, en 1919, Walter Mehring se mit à composer des poésies surréalistes – le surréalisme commençait à supplanter l’expressionnisme, mais était révolutionnaire, lui aussi. Ces poésies au rythme syncopé eurent un certain succès en Allemagne. Mehring en publia trois recueils : Le cabaret politique, Le Bréviaire hérétique et les Nuits européennes. Il collaborait alors au Cabaret artistique „Schall und Rauch“ (Bruit et Fumée), à la Weltbühne et au Tagebuch.
En 1922, il publie Dans la Peau de l’Homme, recueil de nouvelles d’une verve mordante, suivi bientôt de son Abenteuerliches Tierhaus (les animaux dans la mystique, superstitions, psychanalise du moyen âge jusqu’à nos temps; les bestiaires de la littérature française), ouvrage dénotant une grande culture et un esprit profond.
Walter Mehring, malgré sa jeunesse et ses travaux, a dé jà beaucoup voyagé. Il aime la Provence et la côte d’Azur où il a vécu. Paris, où il passe chaque année plusieurs mois, n’a plus de secrets pour ce fouilleur et cet artiste. C’est ce qui lui a permis d’écrire ce beau roman, Paris en feu, dont nous espérons entreprendre la traduction. Précédemment, il avait publié, aux éditions Gottschalk de Berlin, son journal de voyage en Angleterre, dans
lequel nous le vímes déployer des qualités qui ne sont que l’apanage des écrivains de race. Il connaît aussi l’Algérie et en a rapporté le plus beau, le plus délicieux des livres: Algier oder die dreizehn Oasenwunder, recueil de contes que nous ferons également connaître en France, tout au moins partiellement.
Walter Mehring vient d’achever, après de longs efforts, un drame qui s’appellera, croyons-nous, Le Bourgeois de Berlin, et pour lequel, nous a-t-il confié, le Théâtre Piscator de Berlin travaille à une mise en scène prodigieuse.
Alzir HELLA.
(Dieser Text zur Vorstellung Walter Mehrings für ein französisches Publikum ist zur Erläuterung erschienen. Oliver Bournac und Alzir Hella hatten gemeinsam die Erzählung Adams goldene Rippe aus „In Menschenhaut Aus Menschenhaut Um Menschenhaut herum“ für die Zeitschrift „Le Merle“ übersetzt, die im Original schon fünf Jahre zuvor bei Gustav Kiepenheuer erschienen war. Alzir Hella vermittelte den Lesern, wer Walter Mehring ist. La Cote D’Adam; in: Le Merle, Nummer 21 (Nouvelle série) vom 27. September 1929; S. 7.)
Auch andere renommierte Schriftsteller der zwanziger Jahre bekundeten gelegentlich, auch wenn sie nicht gleichzeitig Mitarbeiter des Drachen waren, ihr lnteresse an der Existenz der Zeitschrift. So erkundigte sich Tucholsky einmal bei Reimann, „ob er in Leipzig wohl sehr beliebt sei“, und Roda Rocla wollte wissen, ob er verrückt wöre: „So viel Verstand und Witz in der Provinz zu verpuffen! Sie vergeuden lhre Jahre! Nehmen Sie sofort auf meine Kosten ein Billett nach
Berlin uncl geben Sie dort den Drachen heraus!“
Zweimal tauchte auch der Name Wieland Herzfelde im Drachen auf, des sozialistischen Publizisten und Schriftstellers, der damals den von ihm gegründeten hochverdienstvollen Malik-Verlag leitete. ln einer Zuschrift geht Herzfelde auf einen Artikel Kurt Hillers ein, in dem Klage darüber geführt worden war, daß sich der Buchautor keine Gewißheit
darüber verschaffen könne, wie viele Bücher sein Verlag nun wirklich verkauft habe. Und Walter Mehring berichtet über einen Prozeß, der gegen die Verantwortlichen einer Dada-Ausstellung geführt worclen war, zu denen neben dem Maler George Grosz auch Herzfelde gehört hatte.
Dann müssen ja wohl auch einige Zeitgenossen den Drachen gelesen haben, die gewiß nicht zur geistigen Repräsentanz ihrer Tage zählten, aber auf ihre Weise einige Tupfen für das Zeitkolorit lieferten. Die Romantante Courths-Mahler, die mehrfach von der Zeitschrift schlecht behandelt worden war, schrieb einen Brief an Reimann, der dartun sollte, daß sie auch überlegene lronie auf ihrer Klaviatur habe. Dem „großen Meister“ und „edlen Mann“ wurde in „gebührender Demut und Verehrung“ nahegebracht, daß sie noch gar nicht so zerschmettert sei, wie er es sich wohl einbilde, und daß sie fortzufahren gedenke, „ihrem Publikum mit harmlosen Märchen einige sorglose Stunden zu schaffen“.
Kräftiger ging es bei Louis Häußer zu, dem „Propheten“ der zwanzigerlahre. „Du bist Scheiße“, schrieb er dem Herausgeber, „ich aber bin das Perpetuum mobile. Ich bin der Untergang des Abendlandes. lch bin Christus, ja. ich bin Gott! Falle auf die Knie vor mir und bete mich an – du Langohr!“ Bestand mit der Mehrzahl der Drachenmitarbeiter reger Umgang und enger persönlicher Kontakt, so gab es auch andere, die ich nur selten oder gar nicht zu Gesicht bekam. So habe ich nur verschwommene Erinnerungen an den satirischen Chansondichter Walter Mehring, den Essayisten Ossip Kalenter und an Heinrich Wiegand. Der Name des letzten ist wohl kaum noch jemandem aus derjüngeren Generation bekannt. Aber er genoß damals großes Ansehen als Musikkritiker, Kunstbetrachter, Feuilletonist. Hauptsächlich schrieb er für die „Leipziger Volkszeitung“ und den „Kulturwillen“, das Mitteilungsblatt des sehr aktiven Leipziger Arbeiterbildungsinstituts. 1933 flüchtete er nach der Schweiz, starb aber dort bald. Nach der einen Version endete er durch Selbstmord, nach der anderen wurde er von einer Katze gebissen und erlag einer Blutvergiftung. Niemals hat sich Wabo vorgestellt, der Woche für Woche aus Berlin vortreffliche politische Zeitgedichte sandte. Er scheint übrigens nirgendwo anders als im Drachen geschrieben zu haben.
(Hans Bauer: Damals in den zwanziger Jahren; in: Wolfgang U. Schütte (Hg.): Damals in den zwanziger Jahren – Ein Streifzug durch die satirische Wochenschrift „Der Drache“, mit Erinnerungen von Hans Bauer, dem ehemaligen Herausgeber des „Drachen“, einer Textauswahl und biographischen Notizen von Wolfgang U. Schütte, original für den „Drachen“ geschaffenen Zeichnungen von Max Schwimmer und zahlreichen Autorenporträts; (Ost-) Berlin: Buchverlag der Morgen 1968, S. 39 f.)